Kraftorte: Interview mit Bruder Günter Tischer, Diakon und Geistlicher Begleiter in der Rummelsberger Diakonie

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DIAKONISCHE PILGERREISEN: DER BLOG

Wir entdecken Diakonische Pilgerorte – 
diesmal auf der Spur von: Günter Tischer

Die Rummelsberger Diakonie ist einer der großen diakonischen Träger mit knapp 250 Einrichtungen in ganz Bayern. Sie ist geprägt von Johann Hinrich Wichern und aus der Gründung der Landesdiakonenanstalt in Nürnberg (1890) entstanden. Am Hauptsitz in der Nähe von Nürnberg betreibt sie eine Altenpflegeeinrichtung, ein Berufsbildungswerk für körperlich beeinträchtigte Menschen, einen großen Jugendhilfeverbund, ein Tagungszentrum und das Studienzentrum Diakonik. Neben der Ausbildung zum Diakon/zur Diakonin gibt es viele weitere Ausbildungsmöglichkeiten in Rummelsberg.

Bruder Günter Tischer, Jahrgang 1956, ist Diakon in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKiB). Von 2009 bis 2017 war er stellvertretender Leiter der Rummelsberger Brüderschaft und Leiter des Brüderhauses, seit August 2017 widmet er sich als Geistlicher Begleiter der Rummelsberger Brüderschaft insbesondere der seelsorgerlichen und spirituellen Begleitung. Ein wichtiger Schwerpunkt dabei sind die Geistlichen Einkehrzeiten. Als Pilgerbegleiter auf dem Jakobsweg ist Günter Tischer inzwischen seit zwanzig Jahren unterwegs.

 

Sie beschäftigen sich beruflich und/oder ehrenamtlich mit Diakonie. Was liegt Ihnen dabei besonders am Herzen?
Eine gelebte Spiritualität im Alltag – nicht abgehoben irgendwo im sakralen Raum, sondern ganz bodenständig mitten unter den Menschen. Exerzitien im Alltag oder Straßenexerzitien sind für mich mögliche Wege, sich dem zu nähern. Christian Herwartz von der jesuitischen Societas Jesu, der in Berlin-Kreuzberg zusammen mit anderen Straßenexerzitien anbietet, und die Mystikerin der Straße Madeleine Delbrêl sind mir da gute Vorbilder.

Gibt es eine persönliche Erfahrung, die Ihnen den Kern diakonischer Arbeit existenziell vor Augen geführt hat?
Ich würde dies mit den Worten der Einladung zum Abendmahl beschreiben: „Sehet und schmecket, wie freundlich der Herr ist.“ Ersetzt man dabei die gluten- und nahezu geschmacksfreie Hostie durch ein schmackhaftes Brot und deckt den Tisch gemeinsam mit Menschen, die hier Zuflucht suchen, die keinen Ort zum Wohnen haben – und vielleicht auch mit den Speisen, die sie mitbringen –, dann ist er wirklich mitten unter uns.

Für mich geht Diakonie von dieser Art des Tisches aus, der nicht reglementiert ist in würdig und nichtwürdig, nicht dogmatisch festgelegt nach Konfession oder Status der Person. Sondern der ein Tisch ist, an dem insbesondere die „von den Hecken und Zäunen“ ihren Platz finden und haben.

An welchem Ort (in welcher Einrichtung, in welchem Haus oder Raum) ist Diakonie für Sie in besonderer Weise sichtbar und erfahrbar geworden und was hat Sie dort fasziniert?
Nun, für mich als Rummelsberger Bruder und Diakon ist dieser Ort unsere Philippuskirche mit dem Altarbild der Sieben Werke der Barmherzigkeit. Gebaut in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts von Diakonen mit den eigenen Händen aus Sandsteinen aus Rummelsberg, die sie selbst aus dem Felsen geschlagen hatten. 128 Sterne in der Holzdecke erinnern an die Brüder, die die Kirche gebaut haben. Der 129. Stern will seit 2015 an die „Zöglinge“ erinnern, die gemeinsam mit den Diakonen die Philippuskirche errichteten.

Es ist ein Ort, der seit 1927 „durchbetet“ wird, und das spürt man ihm ab. Ein „gelebtes“ Gebäude, der Ort der Einsegnung aller Diakone und Brüder und seit nunmehr über dreißig Jahren auch der Diakoninnen der Rummelsberger Gemeinschaften

Was macht Ihrer Meinung nach einen – oder diesen – „diakonischen Ort“ zum spirituellen Kraftort (Geschichte, Gestaltung, Personen …)?
Die genaue Zahl der Brüder und Diakoninnen, die vor „unserem“ Christus und dem Altarbild mit den Werken der Barmherzigkeit in den Dienst als Diakon und Diakonin eingesegnet wurden, kann ich nicht sagen. Aber es sind sicher mehr als 1.500, die sich von dort aus seit 1927 haben senden lassen. Nicht nur davon ist dieser Ort geprägt, auch von den vielen Menschen aus den Einrichtungen der Rummelsberg, die dort Andachten und Gottesdienste gefeiert haben und feiern.

Geprägt ist die Kirche auch von den Menschen, die unsere neue Tageskapelle als Ort des Gebets, als Ort der Trauer oder der Freude und Dankbarkeit aufsuchen. Dies macht für mich das Besondere und die Lebendigkeit aus, die in Rummelsberg an vielen Orten zu spüren ist.

Neben der Kirche und der von der Künstlerin Meide Büdel gestalteten Tageskapelle gibt es weitere Orte, die Kraftorte sind, manche muss man nur entdecken. Für manche braucht man etwas Achtsamkeit und andere erwecken diese von ganz alleine, wenn man nur hinschaut oder hört: Seien es die wunderbaren Engel des Künstlers Ernst Steinacker, der freigelegte Brunnen auf der Ostseite der Kirche, wo von ihrem Giebel der auferstandene Christus in die Welt schaut, die ungewöhnliche „Urkirche“ des Künstlers Martin Schmidt oder das Holzrelief von Bruder Wilhelm Hochlechner, manchmal vom Wein zugewachsen, das uns auf die Auferstehung hinweist …

Manchmal braucht es dazu ein paar erschließende Worte und Begleitung auf unseren Rummelsberger Wegen. Doch für den Besucher findet sich bestimmt jemand, mit dem er oder sie ins Gespräch geraten kann – zufällig oder auch indem man einen Ortsbegleiter bucht. Und je mehr ich darüber nachdenke: Es lohnt sich, einfach mal diesen wunderbaren Ort im fränkischen Land bei Nürnberg zu besuchen.

Wer es weniger besinnlich mag, kommt vielleicht an Christi Himmelfahrt zur Rummelsberger „Wasserkirchweih“. An diesem Tag kann man auch in den Häusern Kraftorte entdecken und vielen Menschen begegnen.

Was würden Sie in Ihrem Arbeitsumfeld räumlich ändern, wenn Sie die Freiheit und Mittel dazu hätten, damit die Arbeit, die Ihnen am Herzen liegt, noch besser gelingt?
Ein Einkehrhaus für Menschen, die eine „Auszeit“ brauchen, wäre ein Traum: Eine Selbstversorgerküche mit großem Esstisch wäre das Zentrum. Dazu ein Raum für Stille und Gebet. Ein paar einfache Zimmer, die ohne großen Aufwand, ohne Bürokratie und Anträge zu beziehen wären, und natürlich gäbe es für die Gäste des Hauses das Angebot von Begleitung. Wir haben solche wunderbaren Orte in unserer Landeskirche zum Beispiel am Schwanberg bei der Communität Casteler Ring. Ich würde gerne so etwas Ähnliches auch bei uns in Rummelsberg haben.

Und sonst? Haben Sie weitere Gedanken, Anmerkungen, Anregungen zur Bedeutung – und vielleicht auch zur Relativierung – diakonischer Orte?
Wenn ich etwas relativieren will, dann vielleicht nur dieses: Es braucht neben den Menschen, die hier leben und den Ort gestalten, andere, die hinausgehen hin zu den Menschen. In die Brennpunkte unserer Städte oder Dörfer, dorthin, wo Menschen uns brauchen. Was ja die meisten der Studierenden der Diakoninnenausbildung nach der Zeit in den Brüderhäusern bzw. Häusern der Diakoninnengemeinschaft auch tun.

Wenn es hier nur die „Berufsdiakoniker“ gäbe und die abgeschlossenen Häuser und Strukturen – die „Anstalten“, wie es früher hieß –, dann wäre das zu wenig. Ich finde es gut, dass es inzwischen ein „Gemeinwesen“ im Ortsteil Rummelsberg gibt. Hier wohnen nicht mehr nur Menschen, die Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der Rummelsberger sind oder in einer der Einrichtungen betreut werden. Sondern der Diakonieort Rummelsberg ist dabei, sich weiter zu öffnen: einerseits durch die Angebote auf dem Wohnungsmarkt, andererseits auch durch Angebote auf dem Freizeitmarkt wie den Hochseilgarten, das Diakoniemuseum und die Gastronomie. Infos dazu gibt es auf unserer Webseite.

Vielen Dank!

http://www.rummelsberger-diakonie.de/

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