Predigt beim Handwerkergottesdienst am 18.3.12 in der St. Matthaeuskirche in München
Joh. 20,24
Liebe Gemeinde,
die ersten Frühlingstage – endlich! Zugleich der Höhepunkt der Fastenzeit. In diesen Wochen wurde in der Agrargesellschaft das Essen knapp- das Wintergetreide war fast aufgebraucht. Die letzten Vorräte mussten geteilt werden- alles, was entbehrlich war, wurde ausgesät. Vom Munde abgespart. Nur, wer bereit ist, zu säen, kann auch ernten.
In diese Welt führt uns die Bibel zurück. Die Welt, in der Wachstum und Ernte alles andere als selbstverständlich waren. Als jeder wußte, dass auf die sieben fetten Jahre oft genug sieben magere folgten. Als Vertrauen und Demut nötig waren, um ein Feld zu bestellen. Weil von der aufgehenden Saat nicht viel übrig blieb, wenn die Vögel einfielen oder wenn der Regen ausblieb und die Sonne die Halme verdorren ließ. Die biblischen Geschichten erzählen vom Unkraut, das mit dem Weizen heranwächst und von dem reichen Bauern, der den Erfolg seiner Ernte speichern möchte und dabei vergißt, das sein Leben endlich ist.
Die Wachstumsgeschichten der Bibel sind Schlüsselgeschichten für unser Leben. Nur wo gibt es noch Unkraut unter dem Weizen? Und wer bestellt noch ein Feld auf felsigem Grund? Neue Maschinen und hochentwickelte Technologie holen das Beste aus den Böden heraus und landwirtschaftliche Betriebe planen ihre Erfolgszahlen wie Produktionsunternehmen. Immer im Plus. Oder mindestens eine schwarze Null. Selbst im Abschwung sprechen wir noch von Minuswachstum. Die sieben mageren Jahre, von denen Josef einst träumte, mag man sich gar nicht mehr vorstellen. Wenn die Realwirtschaft nicht mehr wächst, dann müssen die Finanzmärkte dafür sorgen, dass es aufwärts geht. Wachstum und Wohlstand sind der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammen hält.
Inzwischen aber werden die Fragen lauter. 40 Jahre nach dem Bericht des Club of Rome hat ein Tsunami unseren Technikglauben erschüttert. Die weltweite Finanzkrise hat Zweifel am Wachstumsglauben geweckt. Und Armut und Ungleichheit lassen viele fragen, ob mehr Wohlstand wirklich glücklicher macht. Da passt es gut, dass im Mittelpunkt des Evangeliums heute ein Gleichnis steht, in dem Jesus erzählt, wie Wachstum und Verzicht zusammen gehören:„ Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“
Harte Worte. Jesus sagt sie zu Menschen, die auf der Suche Orientierung sind, nach einem sinnvollen Leben. Wie so viele hoffen sie das bei Jesus zu finden. Schließlich hatte er Lazarus auferweckt, den Bruder von Maria und Martha, der viel zu früh gestorben war. Als Jesus ihn angesprochen hatte: „ Lazarus, steh auf“, da war er tatsächlich aus der Grabeshöhle hervor gekrochen und hatte die Totenbinden abgeschüttelt. Als sei der Tod nur ein Schlaf und nicht das Ende. Soviel Lebenskraft ist bei Jesus spürbar. Kein Wunder, das er täglich neue Anhänger gewinnt. Nicht nur bei den Juden in Israel, sondern sogar bei den griechischen Gottesverehrern. Viele möchten ihn sehen, viele wollen mit ihm gehen- auf der Suche nach einem lohnenden Leben. Und jetzt das: Jesus spricht vom Tod, vom Verzicht. Er redet vom Abstieg, wo alle aufsteigen möchten. Wo alle den Himmel suchen, spricht er von der Erde. Keiner bringt Frucht, der nicht durch das Dunkel gegangen ist. Und Jesus kennt das Dunkel wie kaum einer. Während man ihm in Jerusalem zujubelt, ist sein Tod schon beschlossen. Denn seine Freiheit und Furchtlosigkeit macht den Mächtigen Angst. Seine Lebensenergie wird ihn ans Kreuz bringen. Aber das kann ihn nicht stoppen: Er setzt sich ein, er riskiert sich- wie man das Weizenkorn in die Erde wirft, um die Zukunft zu gewinnen.
Kein Wachstum ohne Opfer. Das ist eine Wahrheit, die wir nicht gern hören. Wer aber die Augen offen hält, der kennt den Preis unserer Erfolge, den Schatten unserer Produktivität. Die Zahl der Aussortierten wächst, überall in Europa gehen die Überflüssigen auf die Straße: junge Leute ohne Ausbildungschancen, prekär Beschäftigte, Ältere, die vorzeitig ausscheiden. Und auch bei uns wächst die Angst vor dem Abstieg. Karrieren werden brüchiger. Burnout- Erkrankungen nehmen zu.
Mit dem Gleichnis vom Weizenkorn legt Jesus den Finger in die Wunde. Nicht um uns Angst zu machen, sondern um der Angst zu begegnen. „ Aus der Angst findet man nur durch die Angst“, heißt es in einem fernöstlichen Koan. Ein Paradox, das wir kaum denken können. Solche Paradoxe laden uns ein, die Perspektive zu wechseln. Was wir für einen Widerspruch halten, kann vor Gott sinnvoll sein. „Gott will ein neues, unzerstörbares Leben machen aus diesem zeitlichen Tod und Verwesen“, hat Luther geschrieben. Danach sind wir auf der Suche, wir sehnen uns dieser Lebensenergie genau wie die Griechen in unserer Geschichte.
In Krisenzeiten aber erleben wir Gott als rätselhaft und widersprüchlich. Dann verlieren wir nicht nur den Boden unter den Füßen, sondern oft genug auch die Orientierung, unsere Stabilität und unseren Glauben. Plötzlich sind wir nicht mehr die Macher, die wählen und gestalten, wir werden herausgefordert, uns wird etwas zugemutet, wir fühlen uns als Opfer. Wo gestern noch viele Möglichkeiten offen standen, gibt es plötzlich nur noch einen Weg – die enge Pforte. Wo wir gestern noch entscheiden konnten, sind wir plötzlich Getriebene. Hilflos wie auf dem Kreuzweg. Ohnmächtig wie bei einer Geburt. Diesen Weg, „kannst Du nicht finden, den muss ich dich führen“; beschreibt Luther, was Jesus sagen will. „Nicht das Werk, das Du Dir wählst, nicht das Leiden, das du Dir vorstellst, sondern das, was gegen Dein Wählen, Denken, Begehren auf Dich zukommt- da folge, da rufe ich, da sei Schüler, da ist es Zeit, da begegnest Du Deinem Meister.“
In der Krise können wir Gott ins Gesicht sehen- in der Gestalt des leidenden Christus. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein“, sagt er.“ Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht“. Erst auf den zweiten Blick können wir sehen: Hier geht es um ein großes Versprechen. Es lohnt, sich zu riskieren. Sich zu vergessen, dem Leben zu trauen, statt der Angst die Macht zu geben. Wer liebt, bleibt nicht allein. Wer verzichtet, wird wachsen. Und wer sich einsetzt, bringt Frucht. Das Versprechen Jesu ist ein Paradox: Wer leben will, muss dem Tod ins Auge sehen. Nur wer loslässt, kommt zum Ziel.
„ Als Beraterin empfehle den Unternehmen, bevorzugt solche Managerinnen und Manager einzustellen, die schon einmal persönliche und berufliche Krisen erlebt und gemeistert haben“, sagt die Unternehmensberaterin Dorothea Echter. Wer an die Spitze will, sollte damit rechnen, auch wieder entlassen zu werden oder zu gehen. Wer erfolgreich sein will, so Echter, muss die eigene Abhängigkeit kennen und akzeptieren: die Abhängigkeit von Anerkennung, von Geld und Zuwendung. Krisen sind eine Chance, uns besser kennen zu lernen. In Krisen müssen wir den bequemen Platz auf der Zuschauertribüne verlassen und uns selbst ins Spiel bringen. Dazu lädt Jesus ein. Nur wer sich auf den Weg macht, kann Erfahrungen machen mit Gottes Lebenskraft. Das Geheimnis scheint zu sein, dass wir uns selbst nicht so wichtig nehmen. „ Schafft die Heldenmythen ab“, sagt die Unternehmensberaterin Verena Steiner.
Jesus ist kein Held, kein großer spiritueller Führer- selbst wenn manche ihn gern so sehen wollen. Er zieht auf dem Esel in Jerusalem ein. Und erzählt uns vom Weizenkorn, wenn er vom Wachstum spricht. Wenn wir Zukunft gewinnen wollen, müssen wir begraben, was zerstört: Hass und Verachtung, Egoismus und Ellenbogenmentalität, Geiz und Gier. Es genügt nicht, das Wachstum am BIP zu messen. Glück hat mit Gemeinschaft zu tun, mit der Bereitschaft füreinander zu sorgen, mit Liebe und Selbstvergessenheit. Wer mehr will, als den kurzfristigen Erfolg und die schnellen Gewinne an den Börsen, kann von den Wachstumsgleichnissen der Bibel lernen. Sie erzählen von Geduld und Demut, von Verzicht und Nachhaltigkeit. Und davon, dass in der Krise neue Kräfte wachsen. Wir können das spüren in diesen Frühlingstagen. Amen.