1. Worum es mir geht
2016 erschienen gleichzeitig der siebte Altenbericht und der letzte Alterssurvey, die regelmäßige Befragung der Über-Vierzigjährigen zu Familie und Arbeit, Engagement, Gesundheit und Wohlbefinden. Der Survey zeigt: Noch nie in der Geschichte sind Menschen so gesund alt geworden, noch nie war die Breite der Bevölkerung so gut ausgebildet, so kompetent und selbständig wie heute, noch nie gab es auch so viele Möglichkeiten, sich zu vernetzen und gut zu organisieren. Legt man diesen Alterssurvey zugrunde, sind Siebzigjährige kaum weniger leistungsfähig als gesunde 55-Jährige. Und 73 Prozent der Befragten ab sechzig Jahren fühlen sich jünger, als sie es vom kalendarischen Alter her sind, und zwar im Durchschnitt 5,5 Jahre. Auch das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in der zweiten Lebenshälfte ist kontinuierlich gestiegen. Das gilt vor allem für die 55- bis 65-Jährigen, bei denen auch die Erwerbsbeteiligung gestiegen ist – vor allem, weil sich die Unterschiede zwischen Männern und Frauen verringert haben. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger kommen deshalb aber auch in die Situation, Beruf und Sorgetätigkeiten auch im Alter vereinbaren zu müssen. Betroffen sind vor allem die fünfzig- bis 65-jährigen Frauen, die die Betreuung der Enkelkinder sowie die Unterstützung oder Pflege ihrer betagten Eltern übernehmen.
Die Generation der 55- bis 69-Jährigen ist zudem besonders aktiv im sozialen Ehrenamt und im lokalen Bürgerengagement. Sie stärken die Eckpfeiler des nachbarschaftlichen Lebens – mit den neuen Dorfläden und Nachbarschaftscafés oder auch mit Bürgerbussen, während sich die Kritischen in Bürgerinitiativen oder auch in Parteien organisieren. Es gibt unglaublich viele spannende Projekte in Kommunen, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden. Die Leihomas und Lesepaten gehören dazu. Die Pflegebegleiter, die in Abstimmung mit einer Sozialstation für hauswirtschaftliche und nachbarschaftliche Dienste sorgen, die Stadtteilmütter und Ausbildungsmentoren. Oder die Jobpaten, die schwer vermittelbare Jugendliche durch ein Praktikum bis in ein festes Arbeitsverhältnis begleiten. Und neben denen, die sich im sozialen Ehrenamt engagieren, stehen die kulturell Interessierten: Friedhofspatinnen, Museumsführer oder Stifterinnen und Stifter. Die letzten beiden Freiwilligensurveys der Bundesregierung zeigen einen Trend weg von der Ausrichtung auf Geselligkeit hin zu Engagement für das Gemeinwohl.
„Ich für mich. Ich mit anderen für mich. Ich mit anderen für andere. Andere mit anderen für mich“, schreibt Margret Schunk aus Württemberg. „Weil wir uns vorgenommen haben, etwas gemeinsam zu tun, was uns allen nützt, was uns allen hilft. Eine Gemeinschaft, ein Netzwerk soll entstehen und wachsen können, das uns allen etwas bringt.“ Je älter wir werden, desto mehr sind wir auch selbst auf soziale Netze angewiesen. Das betrifft besonders die Hochaltrigen. Denn die familiären Netze dünnen aus: Die Wohnentfernung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern hat in den letzten Jahren ständig zugenommen. Nur noch ein Viertel der Befragten geben an, dass ihre erwachsenen Kinder am selben Ort wohnen. Im letzten Freiwilligensurvey wurde deshalb zum ersten Mal die informelle, außerfamiliale Unterstützung in Freundschaft und Nachbarschaft abgefragt. Dabei zeigte sich: Immerhin 25 Prozent engagieren sich in der nachbarschaftlichen Hilfe bei Einkäufen, Handwerksdiensten bis zur Kinderbetreuung – und es sind, bis auf die Unterstützung Pflegebedürftiger, mehr Männer als Frauen und eher Jüngere als Ältere, die sich hier einbringen. In der Befragung wird deutlich: Die wechselseitigen Unterstützungsleistungen verbessern die Lebensqualität aller Beteiligten.
Auch Menschen im vierten Lebensalter wollen ihre Unterstützung selbst organisieren; Betreuung hat immer auch einen diskriminierenden Charakter. Darum gefallen mir auch ganz einfache neue Ideen – Stadtspaziergänge mit Rollstuhl und Rollator, Erzählcafés und Biografiewerkstätten. Klaus Dörner hat mit seinem Wunsch „Ich will leben und sterben, wo ich dazugehöre“ viel angestoßen: Seitdem haben sich die Einrichtungen der Altenhilfe differenziert: mit betreutem Wohnen und Kurzzeitpflege, ambulanter Pflege und hauswirtschaftlichen Hilfen, aber auch mit Cafés und vielfältigen Kooperationen im Quartier. Und auch Stadtplanung, Architekturbüros und Wohnungsbaugesellschaften machen öfter ernst damit, dass in den neuen Wohnquartieren Rollatoren wie Kinderwagen über die Schwelle kommen. Initiativen wie das SONG-Netzwerk geben seit einigen Jahren Anstöße, die Angebote nicht mehr an Defiziten zu orientieren, sondern an Lebensbereichen wie Wohnen, Gesundheit, Bildung und Freizeit, die für alle Generationen wesentlich sind. Es geht um einen Mentalitätswandel. In unserer Gesellschaft, die stark geprägt ist vom Wunsch nach Selbstbestimmung und Selbstoptimierung, angesichts der Vermarktlichung des Sozial- und Gesundheitssystems, geht es um ein Gegengewicht: um wechselseitige Unterstützung und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen – für sich selbst, für andere und auch für die gesellschaftliche Entwicklung.
2. Mein Erfahrungshintergrund
Nach zehn Jahren Gemeindearbeit – mit Altenclub, Reisen für Ältere, Diakoniestation, Besuchsdienst und einem Quartiersladen – war ich als Leiterin der Abteilung Sozialwesen im Diakonischen Werk der Landeskirche u. a. zuständig für Offene Altenarbeit und Altenhilfe. Als theologischer Vorstand der Kaiserswerther Diakonie war ich verantwortlich für Altenzentren und ambulante Pflege, zugleich aber Vorsteherin einer älter werdenden Schwesternschaft. In der EKD war ich u. a. mitbeteiligt an der Orientierungshilfe „Im Alter neu werden können“. Den vielen Schnittstellen zu den Fragen der Arbeitsgestaltung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, von Rente, Gesundheit und Pflege sowie freiwilligem Engagement konnte ich in unterschiedlichen Gremien wie der Sozialkammer der EKD oder dem Beirat für den Freiwilligensurvey der Bundesregierung nachgehen.
3. Beispiele für Vortragsthemen
- Anders wachsen – Impulse für eine künftige kirchliche Arbeit mit Älteren
- Alter, Lebenslagen und Milieus – Diagnoseinstrumente als Grundlage der Arbeit mit Älteren
- Die reife Reise: Praktisch-theologische Überlegungen zur Spiritualität Älterer
- Die stille Altersrevolution – Hintergründe und Konsequenzen des demografischen Wandels
- Sorgende Gemeinden: Chancen und Möglichkeiten kirchlicher Arbeit in einer älter werdenden Gesellschaft
- Lebenssatt – das Leben satt: Vom guten Abschiednehmen im hohen Alter
4. Mein Buch zum Thema und weitere Publikationen
„Noch einmal ist alles offen. Das Geschenk des Älterwerdens“, München 2016
„Im Alter neu werden können“. Orientierungshilfe des Rates der EKD, Hannover 2009 (Mitautorschaft)