1.Familienglück- Wunsch und Wirklichkeit
„Nirgendwo in Europa ist der Anspruch, wie das Familienleben zu gestalten sei, derart hochgesteckt wie bei uns“, schreibt Christine Eichel. Dabei spielt nach Meinung der Autorin eine entscheidende Rolle, dass Luther die Themen Elternschaft und Erziehung ins Zentrum seines Nachdenkens über Familie gesetzt hat. Im Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern sah er das Verhältnis zwischen Gott und Mensch abgebildet: „Gott befiehlt Vater und Mutter das Amt, dass sie Kinder erziehen, wobei man lernen und gleichwie in einem Spiegel sehen kann, wie Gott uns gegenüber gesinnt ist… Wie des Vaters Herz gegenüber den Kindern, so steht Gottes Herz dir gegenüber. Daher kommt das Sprichwort und ist wohl auch wahr, dass Vater und Mutter an den Kindern den Himmel und die Hölle verdienen können, je nachdem, ob sie ihnen gut oder übel vorstehen.“ Kinder zu erziehen, ist also eine Lebensaufgabe und darin zugleich ein geistliches Amt. Für Luther sind die Eltern „Apostel, Bischöfe und Pfarrer“ für ihre Kinder, Familie ist der Mikrokosmos göttlicher Herrschaft, Keimzelle der Gesellschaft. Sie ist bis heute in allen Umbrüchen die „Wärme – und Werteinsel“, die Kontinuität und Solidarität versprach.“
Tatsächlich gehören – allen Trennungen und Scheidungen zum Trotz – ein glückliches Familienleben und eine stabile Partnerschaft zu den sehnlichsten Wünschen der allermeisten; das gilt, wie Umfragen zeigen, gerade für die Jungen. Angesichts gravierender gesellschaftlicher Umbrüche wird die Familie als Schutzraum erfahren, als Ressource erlebt. „Familien werden dabei vielfältige Aufgaben zugetraut und zugemutet: Kinder sollen so erzogen werden, dass sie das Leben in einer auf Individualisierung angelegten Wissensgesellschaft bestehen. Ehe und Lebenspartner sollen sich gegenseitig ermöglichen, persönliches Glück zu erfahren und zu genießen und einander eine Stütze sein. Kranke und alte Menschen sollen versorgt werden, verwandtschaftliche, nachbarschaftliche und freundschaftliche Netze wollen gepflegt und weiterentwickelt werden.“ Als Gemeinschaft soll die Familie vielfältige gesellschaftliche Anforderungen ausbalancieren.
Das Zitat stammt aus der Orientierungshilfe der EKD zur Familienpolitik, die 2013 unter dem Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ veröffentlicht wurde. Der Titel beschreibt das zentrale Spannungsfeld. Laut einer Allensbach-Studie lehnen 64 Prozent der Deutschen mit einem Kind, aber nur 27 Prozent der Franzosen weiteren Nachwuchs ab. In Deutschland, meint Eichel, spuke die Idee einer idealen Familie in den Köpfen, „ein trautes Heim mit Präsenz möglichst beider Eltern, viel Zeit für Erziehung, Bildung und gemeinsame Unternehmungen.“
2. Was wir erleben: Die fünf großen Herausforderungen
2.1 Erwerbsarbeit und späte Familiengründung
Lange Ausbildungszeiten und Berufseinstiegsphasen, aber auch mangelnde Unterstützungsangebote haben dazu geführt, dass die Familiengründung immer weiter hinausgeschoben wird. Das Durchschnittsalter der Erstgebärenden liegt gegenwärtig bei 29 Jahren (Ostdeutschland: 27 Jahre). Die Zeit für Familiengründung ist knapp geworden. 60% der Kinder werden von Müttern zwischen 26-35 geboren. Dabei spielt Reproduktionsmedizin eine immer größere Rolle.
Wenn alle erwachsenen Erwerbstätigen – Frauen wie Männer, unabhängig von ihren familialen Verpflichtungen – dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen sollen, wie es sowohl im SGB II als auch im Unterhaltsrecht voraus gesetzt wird – und wie es nach der jüngsten „Brigitte-Studie“ von Jutta Allmendinger vom Wissenschaftszentrum heute junge Männer wie Frauen für selbstverständlich halten – dann brauchen Familien mehr Unterstützung bei Erziehung und Bildung, bei der Pflege und in Krisensituationen. Fehlende Betreuungseinrichtungen, aber auch die nach wie vor unterschiedlichen Einkommen von Männern und Frauen führen zurzeit dazu, dass vor allem Frauen ihre beruflichen Ambitionen zurückstellen, sobald Kinder geboren werden. Auch Paare mit anfangs partnerschaftlicher Rollenteilung geben diese spätestens mit der Geburt des zweiten Kindes zugunsten traditioneller Formen auf. Frauen übernehmen den Hauptteil der Familien- und Hausarbeit. Laut Brigitte-Studie von Jutta Allmendinger stimmten im Jahr 2012 53% der Frauen der Aussage zu: „Wer Kinder hat, kann keine wirkliche Karriere machen.“ (bei der Vorläuferstudie 2007 sagten das nur 36%). Die befragten Frauen, die Kinder bekommen haben, fühlten sich beruflich ausrangiert. Nach einer Studie des Instituts für Arbeit und Beschäftigung (IAB) im Zusammenhang mit dem jüngsten Familienbericht der Bundesregierung wünschen sich Frauen zwar eine längere Arbeitszeit, nämlich die so genannte lange Teilzeit von 30 Stunden – aber Männer wünschen sich das gleiche.
Kinder, Küche und Erwerbsarbeit sind immer noch schwer zu vereinbaren. Offenbar stimmen weder die finanziellen noch die zeitpolitischen Voraussetzungen. Und wenn man die alte Formel noch einmal anschaut: Erwerbsarbeit auf der einen Seite und Kinder, Küche und Kirche auf der anderen – Ökonomie also auf der einen und Familie und Religion auf der anderen, dann wird uns bewusst: Es ist eben auch eine Frage der Zeit, ob Kirche und Religion zwischen Küche und Erwerbsarbeit überhaupt noch eine Rolle spielen. Nach wie vor ist Familie die wichtigste religiöse Sozialisationsinstanz, aber für das Abendgebet, den Sonntag, für Feste brauchen Familien gemeinsame Zeit. Diese Zeit ist bedroht. Und das bedeutet für die Kirche: die religiöse Funktion der Familien ist von erheblichen Traditionsabbrüchen bedroht. Dabei ist deutlich: Mehr als Familien Kirche brauchen, braucht Kirche Familien, sie lebt von Familienleistungen – von der religiösen Erziehung bis zu Fürsorge und Ehrenamt.
2.2 Vielfalt der Familienformen.
Die Vielfalt des Familienlebens nimmt zu. Ein Drittel aller Kinder werden nichtehelich geboren. Das sind doppelt so viele, wie noch vor zwanzig Jahren. Hier besteht allerdings ein markanter deutsch-deutscher Unterschied: Im Westen sind es nämlich nur 27% der Kinder, im Osten 61%. Der Zusammenhang von Eheschließung und Geburten – und damit auch der zwischen Ehe und Familie löst sich. Ehe ist nicht mehr Voraussetzung, sondern Folge gemeinsamer Kinder. Zwar sind noch 72% der Familien Ehepaare mit Kindern (BMFSFJ 2012: 22), aber Familien auf Ehebasis sind zunehmend Patchwork-Konstellationen. Die Vielfalt des Familienlebens nimmt zu. Familie ist nicht einfach Schicksalsgemeinschaft, sondern mehr und mehr „Herstellungsgemeinschaft“, auf bewussten, oft spannungsreichen Entscheidungen gegründet – von der Familienplanung bis zu den Patchworkfamilien.
2.3 Polarisierung der Lebensformen von Familien
Dabei wächst drittens die gesellschaftliche und ökonomische Spreizung – nicht nur deshalb, weil sich die sozialen Milieus in Deutschland in hohem Maße auseinanderentwickeln. Auffällig ist die Polarisierung sozialer Lebenslagen zwischen Ein- und Zwei-Verdiener Haushalten, vor allem aber zwischen denen, die für Kinder sorgen und denen, die keine Kinder zu versorgen haben. Familienarbeit wird finanziell nur dann honoriert, wenn sie Ehe- oder Lebenspartnerschaft basiert ist. Auch deshalb sind Alleinerziehende, die kaum in Vollzeit arbeiten können, überdurchschnittlich häufig von Einkommensarmut betroffen. Laut Stiftung für Zukunftsfragen schrecken 67 Prozent der jungen Leute die Kosten für Kinder, 60 Prozent wollen frei bleiben und 57 Prozent fürchten um ihre Karriere.
2.4 Kulturell-ethnische Vielfalt in der Einwanderungsgesellschaft
Fast jede dritte Familie hat inzwischen einen Migrationshintergrund (30 Prozent in West-, 14 Prozent in Ostdeutschland, BMFSFJ 2010: 18). Zu diesen Familien zählen alle Eltern-Kind-Gemeinschaften, bei denen mindestens ein Elternteil eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt oder die deutsche Staatsangehörigkeit beispielsweise durch Einbürgerung erhalten hat. Knapp ein Viertel der zugewanderten Familien kommt aus der Türkei. Etwa ein Fünftel stammt aus Osteuropa, ein weiteres Fünftel aus süd- oder westeuropäischen Ländern (BMFSFJ 2010: 19). Wenn man sich vorstellt, dass noch in der Nachkriegszeit Ehen daran scheiterten, dass die Paare nicht „das gleiche Gesangbuch“ hatten, lässt sich ahnen, welche Herausforderung in der religiösen Vielfalt steckt, die damit verbunden ist.
2.5 Mobilität und unterschiedliche Zeitregime
In einem Artikel für „Le Monde diplomatique“ kommt der Soziologe Eric Klingenberg zu dem Ergebnis, dass Alleinleben der beste Weg ist, die modernen Werte einer individualistischen Gesellschaft zu leben: Freiheit, Selbstverwirklichung und Selbstkontrolle, eben Autonomie. Single zu sein ist längst kein Durchgangsstadium mehr, sondern eine Lebensform – genauso wie Alleinerziehend zu sein. Auch viele Paare kennen Lebensphasen, in denen sie aus beruflichen Gründen über lange Zeit getrennt leben. Immerhin jedes dritte Paar in den ersten Berufsjahren ist betroffen – und für viele ist das der selbstverständliche Preis für berufliche Mobilität und Karriere. In ihrem Buch: „Liebe aus dem Koffer“ nennt Alexandra Berg die Lebensformen der Mobilen beim Namen: „Weiblich, mobil, kinderlos“, „Männlich, mobil, Kinder – ein Lebensmodell auf Kosten der Frau“ – und „Mobiles Paar, verpasstes Familienleben.“ Zurück bleiben die Immobilen, die Alten und oft genug die Kinder, die eben, die in besonderem Maße auf andere angewiesen sind. Auf dem Hintergrund zunehmender Mobilität schwindet die Möglichkeit, an einem Ort wirklich Wurzeln zu schlagen, und die schiere Zahl der Lebens- und Arbeitsbeziehungen bedroht die Dauer der Bindungen
3. Zusammenfassung: Veränderungsprozesse und Bedürfnisse
Hinter den aktuellen Statistiken stehen längerfristige Veränderungsprozesse: die medizinischen Möglichkeiten der Familienplanung haben die längst schon begonnenen Emanzipationsbewegungen von Frauen in der Erwerbsarbeit beschleunigt, während zugleich die Bedeutung von Erwerbsarbeit in den entwickelten Gesellschaften zunahm. Wir leben in einer Arbeitsgesellschaft, wie Hannah Arendt bereits Anfang der 1960er Jahre festgestellt hat. Denn tatsächlich lebt ja die Mehrheit der Bevölkerung ja inzwischen nicht mehr in Familienhaushalten. Und allen Wünschen nach heiler Familie zum Trotz nimmt die „Versingelung“ der westlichen Gesellschaften zu. Alleinleben scheint der beste Weg, die modernen Werte einer individualistischen Gesellschaft zu leben, so der amerikanische Soziologe Eric Klinenberg nach einer Untersuchung des Time-Magazins zu den Trends unserer Zeit. Single-Sein bedeute Freiheit, Selbstverwirklichung und Selbstkontrolle, eben Autonomie. Trotz aller Junggesellenabschiede: Allein zu leben ist längst kein Durchgangsstadium mehr. Single zu sein, ist eine Lebensform und auch viele Paare kennen Lebensphasen, in denen sie aus beruflichen Gründen über lange Zeit getrennt leben. Immerhin jedes dritte Paar in den ersten Berufsjahren – also in der Zeit der Familiengründung – ist betroffen, und für viele ist das der selbstverständliche Preis für berufliche Mobilität und Karriere. Zurück bleiben die Immobilen – die Älteren, die ihre Häuser in schrumpfenden Regionen kaum verkaufen können, die Mütter mit kleinen Kindern – eben alle, die in besonderem Maße auf andere angewiesen sind. Wenn die Zukunft auf dem Arbeitsmarkt in Frage steht, wird alles zur Disposition gestellt, was Menschen bindet – Wohnort, Haus und Familie.
Angesichts der niedrigen Geburtenrate, des kommenden Fachkräftemangels und des tiefgreifenden Strukturwandels am Arbeitsmarkt stehen allerdings nicht nur die Einzelnen vor der Frage, wie Bildung, Erwerbsarbeit und familiäre Fürsorge im Lebenslauf besser zu vereinbaren und gerechter zwischen den Geschlechtern zu verteilen sind. Darin liegt auch eine große sozialpolitische Herausforderung, die weit über das Feld der klassischen Familienpolitik hinausgeht. Denn die Veränderungsdynamik nimmt zu, die Erwartung an Mobilität wächst: Wo in der Moderne berufliche Wechsel und Statusveränderungen noch von Generation zu Generation sich vollzogen, haben Menschen in der Postmoderne mehrere Berufe, oft mehrere Partnerschaften im Laufe des eigenen Lebens. Die schiere Zahl der Arbeits- und Lebensbeziehungen nimmt zu und die Möglichkeit, an einem Ort Wurzeln zu schlagen und Heimat zu finden, schwindet. Jedenfalls richtet sich die Sehnsucht vieler darauf, sich verorten zu können in den großen und manchmal verstörenden Transformationsprozessen, sich zu Hause fühlen zu können in einer verlässlichen Gemeinschaft – in Familie, Heimat, Freundschaften. Aber auch im Mikrokosmos zeigen sich Individualisierung und Beschleunigung: in der Familie kollidieren die unterschiedlichen Zeitrhythmen und Zeitregime von Wirtschaft, Schule und Freizeit.
Familienpolitik betrifft alle Ressorts- Arbeitsmärkte wie Gesundheitssystem, Bildung wie Altenhilfe und ist damit vom frauenpolitischen Sonderthema zu einer zentralen Querschnittsaufgabe geworden. Familien brauchen Unternehmen, die der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hohe Priorität einräumen, Ganztagsangebote in der Bildung und soziale Dienste, die partnerschaftlich mit ihnen zusammenarbeiten. Und Kirchengemeinden, die ihnen zur Seite stehen. Wenn allerdings die sozialpolitischen Rahmenbedingungen mit dem gesellschaftlichen Wandel nicht Schritt halten, geraten Familien in Zerreißproben oder zerbrechen gar an äußerer und innerer Überforderung.
Viel bewusster als in früheren Generationen müssen deshalb Familien selbst die Form ihres Zusammenlebens immer wieder auf den Prüfstand stellen. Rollen, Aufgaben und Beziehungen wandeln sich mit den inneren und äußeren Herausforderungen. Was ist gerade wichtiger: Zeit für Familie und Fürsorge oder ein stabiles, besseres Einkommen für alle? Stimmt die Arbeitsteilung zwischen den Partnern noch? Lässt die Pendelbeziehung genügend Raum für gemeinsame Zeiten? Welche Rolle spielt der Wohnort für die Stabilität der Netze?
4. Familie, Kirche, Spiritualität
Die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern sind von einer solchen Bedeutung, dass sie bereits in der Bibel zum Symbol für die Gottesbeziehung werden. Das Zusammenleben in der Familie hat entscheidenden Einfluss auf das Gottesbild wie auf die Entwicklung des Glaubens. Dabei sind Familie und christliche Gemeinde von Anfang an aufeinander bezogen, insofern die Gemeinde eine erweiterte „Familiarität“ ermöglicht, die auch Alleinlebende einschließt und zugleich Familien in vielfältiger Weise unterstützen kann. Insofern haben auch die familienkritischen Aussagen gerade des Neuen Testaments eine wesentliche Funktion – hier ist Familie nicht nur Gemeinschaft des Blutes, sondern Wahlverwandtschaft in Gott („Die den Willen meines Vaters tun, die sind meine Mutter und Schwestern und Brüder“). Deshalb konnten und können auch kirchliche Gemeinschaften die Rolle der Familie übernehmen – so wie in den Klöstern oder den Einrichtungen der Gemeinschaftsdiakonie des 19. Jahrhunderts, als die Kleinfamilien während der industriellen Transformation schon einmal überfordert waren. Heute muss die religiöse Erziehung in der Familie ergänzt werden; Großeltern brauchen Unterstützung bei der Glaubensvermittlung und das Patenamt muss neu interpretiert werden; Eltern unterschiedlicher Konfession und Religion müssen darin gestärkt werden, mit Vielfalt zu leben, und Kinder brauchen Ermutigung, ihrer religiösen Neugier zu folgen.
Beziehungen in der Familie bilden „die Folie, ohne die eine Fülle biblischer Geschichten und Texte anscheinend nicht ausreichend verstanden werden können“, heißt es in der Familienschrift der EKM. Wir denken Gott als Vater und Mutter, Jesus stellt Kinder in die Mitte des Jüngerkreises und was Vergebung und Neuanfang bedeutet, wird an Geschichten vom Ehebruch deutlich. Umgekehrt prägt unser Gottes- und Menschenbild auch unsere Kommunikation miteinander. Albert Biesinger spricht in diesem Zusammenhang von „Gotteskommunikation“ – Gotteskommunikation ist das Abendgebet genauso wie die Meditation am Morgen. Gotteskommunikation ist aber auch, „wenn der erwachsene Enkel Silvester mit den gebrechlichen Großeltern feiert, wenn er die Zerstreutheit und die Phantasien der Oma, die früher doch so eine starke Frau war, wahrnimmt“. Oder „, wenn die 18-jährige nicht bereit ist, in die längst gebuchten Ferien abzufliegen, ohne vorher ihre… krebskranke Freundin auf der Intensivstation zu besuchen.“ „Familien sind originärer Ort der Gotteskommunikation, weil sie der Ort erster und eindrücklicher Beziehungen überhaupt sind“, so Biesinger.
Die 5. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) der EKD unterscheidet bei der religiösen Kommunikation eine eher informativ-intellektuelle, eine praktisch-handlungsorientierte und eine existenzielle Dimension. „Existenziell-religiöse Kommunikation wird hier mit der Frage nach dem verbalen Austausch über den Sinn des Lebens operationalisiert – und diese wird von den Befragten eindeutig im Privaten verortet. Das Gespräch über den Sinn des Lebens gehört nicht in die Öffentlichkeit, sondern ist offenbar ein persönliches, als intim empfundenes Thema, das in erster Linie mit dem Partner/der Partnerin besprochen wird, dann auch mit Freunden/Freundinnen. An dritter Stelle wird die (erweiterte) Familie genannt. Der Austausch über religiöse Themen erfolgt also primär in Mikronetzwerken von Wahlverwandten und engsten Vertrauten, denen man sich in hohem Maß verbunden fühlt und die sich in der Regel zudem auch untereinander kennen.“ Familie ist zentraler Ort von Glaubenserfahrung und Gespräch über den Glauben. Da muss es beunruhigen, dass es bei den evangelischen Kirchenmitgliedern „über die Generationen hinweg zu einer kontinuierlichen Abnahme sowohl der Verbundenheit mit der Kirche als auch der Religiosität kommt. Ein zentraler Grund hierfür liegt in der abnehmenden Breitenwirkung der religiösen Sozialisation: Je jünger die Befragten sind, umso seltener geben sie an, religiös erzogen worden zu sein. Von den Evangelischen ab 60 Jahren wurden nach eigene Angaben etwa 83% religiös erzogen, von den Kirchenmitgliedern unter 30 Jahren sagen das nur noch 55 %. Unabhängig vom Lebensalter der Befragten erscheint die jeweilige Herkunftsfamilie als der zentrale Ort, an dem religiöse Sozialisation wirksam stattfindet.“ Dass Eltern und Großeltern für die Weitergabe des Glaubens wichtiger sind als Pfarrerinnen, Erzieherinnen oder Lehrer, haben bereits frühere Untersuchungen nachgewiesen.
4.1 Gotteskommunikation im Alltag
Nicht nur in konfessionsverbindenen Ehen oder in Partnerschaften, in denen nur einer einer Kirche angehört, sondern auch der wachsenden Zahl von bikulturellen Familien gilt es, fremde Traditionen kennen zu lernen und über Rituale zu „verhandeln“ – oft mit dem Ergebnis, dass auf eine explizit religiöse Erziehung verzichtet wird. Fühlten sich viele Familien schon in konfessionsverbindenden Ehen überfordert und oft genug von den Kirchen allein gelassen, wenn es etwa um die Taufe oder die Teilnahme an der Eucharistie ging – so ist die Unsicherheit im Blick auf Hochzeiten religionsverschiedener Paare oder Beschneidung doppelt groß. Vielen werden die eigenen religiösen Prägungen erst in der Begegnung mit dem Partner, der Partnerin wirklich bewusst. Die traditionelle in Deutschland Rollenteilung, nach der Mütter für die religiöse Erziehung zuständig sind („Kinder, Küche, Kirche“) wird deutlich erschwert, wenn die religiöse „Muttersprache“ und das gesellschaftliche Umfeld nicht übereinstimmen. Wer aber die Kinder von den religiösen Wurzeln der Familien trennt, enthält ihnen spirituelle Erfahrungen und Lebenskräfte vor, die für die Entwicklung der eigenen Identität Bedeutung haben. Dabei bietet bikulturelles Aufwachsen die Chance, Lebensdeutungen unterschiedlicher Kulturen und Religionen verstehen, deuten zu können, die eigenen Werte zu überprüfen und das eigene Weltverständnis zu erweitern. Das Zusammenleben mit anderen Religionen kann gerade Protestanten deutlich machen, dass Religion alle wesentlichen Lebenszusammenhänge betreffen kann – von Speisen und Fasten bis zur Kleidung, von Tischgebeten und Abendliedern bis zu Hochzeiten und Beerdigungen.
Dass sich religiöse Überzeugungen heute für viele immer schon im Plural darstellen, muss kein Nachteil sein, solange Kinder in ihrer eigenen Tradition Heimat empfinden. Dabei lässt sich von den Prozessen der innerdeutschen Ökumene lernen: Dass Symbole aus dem katholischen oder lutherischen Kontext inzwischen in allen evangelischen Gemeinden eine Rolle spielen, ist eine Bereicherung. Ich denke an Kerzenbänke, geschmückte Taufbecken oder an Taufkerzen, die in den Familien bewahrt und am Tauftag angezündet werden können. Auf institutioneller wie persönlicher Ebene kann der Dialog nicht nur Bereicherung, sondern auch Befreiung bedeuten. Die Klärung der anstehenden Fragen, die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Kirchen, mit Ritualen und religiöser Erziehung bietet Gelegenheit, das eigene Gottesbild noch einmal zu überprüfen und zu einem eigenen Weg zu finden. „Zum christlichen Glauben gehört die Fähigkeit, sich selbst und anderen Rechenschaft über diesen Glauben geben zu können; das setzt heute insbesondere Dialogfähigkeit und die Offenheit gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen voraus – mithin die „Bereitschaft, sich angesichts bleibender Differenzen der wechselseitig kritischen Auseinandersetzung zu stellen.“
Schon die „ökumenische“ Trauung mit den je unterschiedlichen Erwartungen beider Kirchen an die religiöse Erziehung zeigt auf paradoxe Weise: Familien sind Subjekt ihrer Spiritualität und Theologie. Eltern unterschiedlicher Konfession und Religion, kirchlich Verbundene wie Suchende müssen darin gestärkt werden, mit Vielfalt zu leben, eigene Antworten zu finden und Traditionen zu entwickeln. Und Kinder brauchen Ermutigung, ihrer religiösen Neugier und Sehnsucht zu folgen. Kirchengemeinden und kirchliche Erwachsenenbildung tun gut daran, mit ihren Bildungsangeboten die je eigene und eigensinnige „Familientheologie“ zu unterstützen, die sich im allmählichen Reflektieren spiritueller Erfahrungen herausbildet – aus Kinderfragen, dem religiösen Wissen der Erwachsenen und gemeinsamen Erlebnissen.
Die Shell Jugendstudien zeigen, dass sich das Klima in den Familien in den letzten Jahren „erwärmt“ hat – vielleicht auch deswegen, weil die Partner bei großen Konflikten eher auseinandergehen. Auch die Generationenkonflikte in Familien haben abgenommen. Heute erleben Jugendliche ihre Eltern immer häufiger als Partner, nehmen deren Hilfe in Problemsituationen gern in Anspruch und ziehen später von zuhause aus.
„Wir brauchen einander, wir helfen einander, wir verlassen uns aufeinander“, wie Wagener–Esser/Esser schreiben. Eine gemeinsame Mahlzeit am Tag, heute vielleicht eher das Abendessen, ist mehr als Gelegenheit zur Nahrungsaufnahme. „Wir teilen und verteilen nicht nur die Lebensmittel, sondern wir teilen uns unser Leben mit. Jedem in der Familie ist wichtig, wie es den anderen geht. Es ist ihm oder ich nicht egal. Hier ist der zentrale Ort, an dem sich Gemeinschaft konstituiert“. In meiner Kindheit war das gemeinsame Mittagessen zugleich der Ort, die Geschichten aus der Kinderbibel vorzulesen, so wie morgens beim Frühstück die Losung gelesen wurde. Heute hat das Vorlesen eher seinen Platz beim Zubettgehen. Gleichwohl kann ein „Tischritual“ wie das Anzünden einer Kerze, ein Gebetswürfel, von dem Reihum Gebete gesprochen werden oder das Händereichen zur „gesegneten Mahlzeit“ das gemeinsame Essen aus dem Alltag herausheben.
Gemeinsame Mahlzeiten, freie Stunden am Wochenende, selbst Familienbesuche oder der gemeinsame Urlaub müssen angesichts der vielfältigen Anforderungen oft langfristig geplant werden. Dabei hat die gemeinsam verbrachte Zeit gerade für Kinder eine herausragende Bedeutung: Sie stiftet Nähe, ermöglicht gegenseitige Anteilnahme, Unterstützung und Fürsorge. Nicht zu unterschätzen sind die beiläufigen und nicht geplanten Zeiten, in denen Familienmitglieder einfach nur zusammen an einem Ort sind, ohne gezielt etwas Gemeinsames zu unternehmen. Nur wer den genauen Blick auf die Erfahrungen des Alltags wagt, kann die Spuren Gottes darin entdecken.“ Am besten gelingt das sicher, wenn wir als Erwachsene uns auf die Erfahrungswelt der Kinder einlassen. Dazu braucht es die verlässliche Anwesenheit der Eltern zu den Zeiten, in denen Erfahrungen geteilt werden können – vor allem abends und am Wochenende.
Dabei geht es darum, zwischen den großen Fragen des „Woher komme ich – wohin gehe ich?“ und den alltäglichen Lebensvollzügen eine Brücke zu bauen. Es geht um die Erfahrung, dass die alltäglichen Augenblicke sinnerfüllt sein können. Die Würde des Augenblicks zu erfahren und zu gestalten, ist eine, wenn nicht die wesentliche Aufgabe religiöser Erziehung im Alltag. Martin Buber spricht in diesem Kontext von „Umfassungserfahrungen“ – die Art, wie wir aufstehen und den Tag beginnen, Schutz und liebevolle Pflege in Krankheitsphasen, Streit und Versöhnung, Spielen und Feiern: In der religiösen Erziehung in der Familie werden die elementaren Lebensvollzüge transparent für einen leuchtenden Hintergrund.
4.2 Zugänge zur Spiritualität in der Familie
Für Martin Horstmann hat Familienspiritualität drei große Zugänge: den Jahreskreis, bestimmte Praktiken und schließlich Lebenshaltungen, die Spiritualität nähren, bildlich gesprochen „Wurzeln“. Dazu zählt er Verbundenheit und Mitgefühl, Schöpferisch sein, Achtsamkeit und Staunen. Familie lebt von Kontinuität, von Rhythmen und Ritualen, die die gemeinsame Identität und Kultur prägen: das Zubettbringen, das Sonntagsfrühstück, der Heiligabend. Rituale stärken Familien; der Angstpegel sinkt und die Konflikte nehmen ab, wo ein Gutenacht-Ritual von beiden Eltern getragen wird. Wer allerdings so beschäftigt ist, dass er sich auch selbst nicht mehr spürt, kann kaum spirituelle Erfahrungen machen. Darum sind Wochenende und Sonntag so wichtig: sie eröffnen Familien Zeit für Gemeinschaft, Zeit für andere Menschen, für sich selbst und im Besonderen für Gott. Anders als andere freie Tage ist der Sonntag auch gesellschaftlich aus dem Alltag „ausgegrenzt“ und respektiert. Die Geschichte des jüdischen Sabbats zeigt: nicht die Familien haben den Sabbat getragen – sondern der Sabbat die Familien.
Je vielfältiger aber die Zeitrhythmen in den Familien werden, je mehr Patchworkfamilien zur Normalität werden, desto mehr wird es nötig, das Miteinander auszuhandeln. Was die Veränderung der Familienstrukturen für die Gestaltung von Familienfesten und Familientraditionen und damit für die religiöse Sozialisation bedeutet, beginnen wir erst allmählich zu begreifen. Traditionen erodieren – und während die einen gleich ganz auf Rituale verzichten, gestalten andere sie neu und liebevoll, aber eben individuell. Dazwischen finden sich die vielen, die sich große Mühe geben, um der Kinder willen alte Rituale in neuen Konstellationen zu gestalten – als Geschiedene die Konfirmation der Kinder gemeinsam feiern, Weihnachten zwischen den unterschiedlichen Feiern pendeln, die Gottesdienste verschiedener Konfessionen besuchen und dabei häufig Zerrissenheit empfinden. Noch ist nicht sichtbar, wie Verschiedenheit auch religiös als Bereicherung erlebt werden kann. Tatsächlich scheint sie „häufig zu Unsicherheiten bei der religiösen Erziehung zu führen, da es den Beteiligten an Bearbeitungsstrategien fehlt oder über strittige oder Streit auslösende Fragen in Familien lieber geschwiegen wird.“
5. Kochschulen des Glaubens: Was können Gemeinden tun?
5.1 Genau hinsehen
Zwar werden Ortsgemeinden oft von einigen wenigen Familien getragen, deren Mitglieder sich in Kirchenvorstand, Jugendarbeit oder auf Freizeiten engagieren, doch lebt die Beziehung der meisten zur Gemeinde eher punktuell zu den Kasualien auf. Das distanzierte Verhältnis hat verschiedene Gründe. Familien sind in ihrer religiösen Orientierung nur noch selten homogen. Neben der unterschiedlichen und unterschiedlich intensiven kirchlichen Bindung spielt das Gefühl eine Rolle, mit der eigenen Form des Familienlebens als konfessionsverschiedene, Patchwork- oder Regenbogenfamilie, Alleinerziehende oder Pendler nicht wirklich „dazuzugehören“. Hinzu kommen die Zerreißproben und Überlastungen in der Rushhour des Lebens – gerade während der Konfirmandenphase tritt der Sonntagsgottesdienst in zeitliche Konkurrenz nicht nur zum Sport, sondern auch zum Familienfrühstück. Kirche wird dabei oft genug als Anforderung an ein „heiles Familienleben“, nicht aber als Unterstützung in Krisenzeiten erlebt.
Darüber hinaus ist politisch wie rechtlich alles zu tun, um nicht nur ehe- oder partnerschaftsbasierte Familien, sondern Sorgegemeinschaften zu stärken, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern und die Partnerschaft von Tageseinrichtungen, Schulen und Pflegediensten mit Familien zu fördern. Zugleich aber ist die Kirche gefordert, mit Seelsorge und Beratungs- und Bildungsangeboten, Familienzentren und einer besseren Zusammenarbeit von Kirche und Diakonie Familien in ihrem Wunsch nach verlässlicher Gemeinschaft zu stärken.
5.2 Dasein in Ritualen und Krisen
Mitarbeitende in Kirche und Diakonie begegnen Familien vor allem in Festzeiten und in Krisensituationen. Bei Hochzeiten, Taufen und Konfirmationen bei Kindergartenentlassungen und Einschulungsfeiern oder bei der Schulentlassung, in der Jugendarbeit oder auch, wenn Kinder und Jugendliche durch die Scheidung ihrer Eltern belastet werden. Wenn dabei Vertrauen wächst, entsteht ein Bogen der Lebensbegleitung, der weiterträgt. Das kann gelingen, wenn in der Vorbereitung und Gestaltung von Kasualien Offenheit und Sensibilität für die tatsächliche Lebenssituation der jeweiligen Familien spürbar wird, wenn deren Hoffnungen und Wünsche zu Wort kommen, so dass gerade in Umbrüchen Verstehen, Versöhnung und Neuanfänge möglich werden. Immer häufiger zeigt sich, dass über die bekannten Kasualien hinaus zaghaft neue entstehen oder alte neugestaltet werden: bei Ein- und Auszügen, bei Trennung und Scheidung oder bei gemeindlichen Tauf- und Konfirmationsfeiern, die viele Familien in der Gemeinde zusammenführen.
5.3 Räume und Orte für alle Generationen schaffen
Gemeinden entdecken sich als Familiaritas aller Generationen: Wenn es um die Weitergabe von Glauben und Werten, Traditionen und Erfahrungen geht, brauchen Familie und Gesellschaft alle Generationen. Wo die nächsten Verwandten fehlen, brauchen nicht nur junge Familien, sondern auch Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen nachbarschaftliche Unterstützung für ihre belastende Situation. Hier kann Gemeinde mit dem Aufbau von Netzwerken viel zur Entlastung beitragen. Sie kann wieder Wahlfamilie werden, so wie sie es neutestamentlich war. Dabei lässt sich an die alten Erfahrungen der Patenschaft anknüpfen. Das gilt nicht nur im Blick auf Taufpatenschaften, sondern auch für soziale Partnerschaften. Überall werden Menschen Lesepaten, übernehmen Mentorate für junge Auszubildende oder Verantwortung als Leihomas und Hausaufgabenbetreuer. Die Bereitschaft, für das Gemeinwohl und die Nachbarschaft einzustehen, wächst.
Mit Kindergärten und Gemeindeschwestern hat die evangelische Kirche schon in der ersten industriellen Revolution überforderte Familien unterstützt. Damals schufen die Mutterhäuser Ersatzfamilien, Diakonissen gründeten Frauenhilfen, Schwestern stützten die jungen Mütter. Heute müssen sich Kindertageseinrichtungen und Schulen, aber auch Kirchengemeinden als Partner für Familien verstehen. Dabei ist die Zusammenarbeit von Kirche und Diakonie entscheidend. Solange Kirchengemeinden nur auf die so genannten klassischen Familien schauen und alle anderen Formen als Problemanzeigen der Diakonie zuweisen, wird sich nichts ändern. Nicht nur Patchwork- und Trennungsfamilien, auch von Armut betroffene und Alleinerziehende, Pflegefamilien und gleichgeschlechtliche Partnerschaften und auch Singles sollten ein Zuhause in der Gemeinde finden können. Dazu müssen Gemeinden sich selbst als Familiaritas neu entdecken. Die alte Tradition der Patenschaft kann dabei helfen: mit Lesepatenschaften, Mentoringprogrammen und nicht zuletzt mit einem neuen Verständnis der Lebensbegleitung von Taufpaten. Und auch die besondere Rolle der Großeltern für die religiöse Sozialisation muss wiederentdeckt werden – auch „Leihomas“ können dabei eine wichtige Rolle spielen.
5.4 Bildungsangebote für Glauben in säkularer Umwelt
Dabei lässt sich schließlich auch die alten Erfahrungen der Patenschaft anknüpfen. Das gilt nicht nur im Blick auf Taufpatenschaften, sondern auch für soziale Patenschaften und Mentorate. Wie in der Urgemeinde brauchen Familien in einer säkularen und multireligiösen Umwelt überzeugte Christinnen und Christen an ihrer Seite – als geistliche Begleitung, aber auch als Brücke zu einer Kirchengemeinde. Klar ist: Die religiöse Erziehung in Familie, Tageseinrichtungen, Schulen und Konfirmandenarbeit muss ergänzt werden durch Wege erwachsenen Glaubens; auch hier gilt – wie im Beruf – das Prinzip lebenslangen Lernens. Und schließlich brauchen Großeltern Unterstützung bei der Glaubensvermittlung an ihre Enkel. Angesichts des Zerbrechens von Partnerschaften, bilden die Generationenbeziehungen oft die entscheidende und gewissermaßen unkündbare Stabilität begegnen, wo Familien mit Kindern Paten-Großeltern finden und ältere Menschen ihre beruflichen Erfahrungen als Mentoren weitergeben, wo Eltern sich wechselseitig unterstützen und Alleinerziehende ein hilfreiches Netzwerk knüpfen. Rüdiger Maschwitz vergleicht diesen Prozess der geistlichen Begleitung mit dem Kochenlernen – dem Einkaufen, Zubereiten, Essen gemeinsam mit einem erfahrenen Koch. Wo Familien in diesem Sinne das Kochen verlernt haben, brauchen sie die Gemeinden als Kochschulen – als Impulsgeber für einen gemeinsamen, lustvollen Neubeginn.
Die religiöse Erziehung in der Familie muss ergänzt werden durch Wege erwachsenen Glaubens; Eltern unterschiedlicher Konfession und Religion müssen darin gestärkt werden, mit Vielfalt zu leben und Kinder brauchen Ermutigung, ihrer religiösen Neugier und Sehnsucht zu folgen; Großeltern brauchen Unterstützung bei der Glaubensvermittlung an ihre Enkel und das Patenamt muss aus dem Schatten der Jahrhunderte geholt und entstaubt werden. Paten sind die geistlichen Begleiter in ein christliches Leben in einer pluralen Welt: was in der Antike galt, bekommt heute wieder Zukunft.
Das Neue Testament betont, dass unsere Gottesbeziehung voraussetzungslos ist, die ersten Christengemeinden haben mit religiösen Normen gebrochen, weil sie ihren Glauben als Befreiung empfanden, sie haben alles darangesetzt, Menschen aus den unterschiedlichsten Traditionen für einen Weg mit Christus zu gewinnen das gilt es neu zu entdecken; es fordert die Gemeinden aber auch heraus.
5.5 Tageseinrichtungen und Familienzentren pflegen
Gemeinden punkten mit der Trägerschaft von Tageseinrichtungen und Familienzentren: Angesichts der Schwierigkeiten der in vielen Fällen finanzschwachen Kommunen, allein das quantitative Ausbauziel zu erreichen, droht die Verbesserung der Qualität der angebotenen Bildungs- und Betreuungsplätze zu kurz zu kommen. Gerade hier ist die Kirche gefragt – immerhin war sie die allererste Trägerin von Kindergärten im 19. Jahrhundert, als Familien in der ersten Industrialisierungswelle überfordert waren.
Pflege wie die Hilfsangebote bei familiären Krisen und Problemen werden heute der Diakonie zugeordnet – das gilt für soziale und ökonomische Notlagen, genauso wie für die Arbeit mit Alleinerziehenden oder Adoptivfamilien. Die damit verbundene Spaltung in die klassische Familie und „Defizitmodelle“ aller Art verhindert den offenen Blick auf die Wirklichkeit in den Gemeinden, zu denen die Pendler-Paare genauso gehören wie Singles, die Familien mit behinderten Kindern und die Seniorenwohngemeinschaften genauso wie die Pflegefamilien, die Regenbogenfamilie und ambulante Wohngruppe der Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Jede Familie ist anders – und es geht darum, genau und sensibel hinzusehen, und Familien mit den passenden Angeboten anzusprechen. Das kann nur gelingen, wenn Kirchengemeinden und diakonische Einrichtungen sich noch stärker vernetzen.
Die Reihe, die heute startet, weist den Weg – in der gemischten Gruppe wie in der Zusammensetzung der Teilnehmenden. Ich wünsche Ihnen viele gute Entdeckungen und gemeinsame Ideen.
Cornelia Coenen-Marx, Erlangen, 19.01.2018