Zukunftsfähige Marktwirtschaft: Aufbau von Vertrauenskapital


1. Zerstörtes Vertrauen
Vor kurzem habe ich den international ausgezeichneten Kurzfilm „Balance“ gesehen, der eindrucksvoll zeigt, was geschieht, wenn Achtsamkeit und wechselseitige Verantwortung sich ein catch as catch can verwandelt. Sie kennen den Film vielleicht: Eine kleine Gruppe von Trickfiguren balanciert auf einem frei schwebenden, wippenden Brett. Geht der eine nach vorn, muss ein anderer Ausgleich schaffen. Ein selbstverständlicher, unauffälliger Mechanismus- bis das jemand eine schwere Kiste ins Spielfeld schiebt, die sofort das Interesse aller erweckt. Man spielt mit der Kiste, schubst sie hin und her, entdeckt, dass aus der Kiste Musik kommt, versucht, sie zu öffnen. Unmerklich wird aus dem Spiel ein Kampf, am Ende ein Kampf aller gegen alle. Man schubst und drängelt, stößt andere über den Rand. Schließlich gewinnt der Stärkste und Geschickteste. Er hält die Balance und steht am Ende allein auf dem Brett – allein mit der Kiste. Die  allerdings steht auf der anderen Seite des Schwebebrettes und würde unweigerlich verlorengehen, wenn er sich bewegt. So bleibt ihm der Gewinn versagt.  Und, was vielleicht das schlimmste ist – er bleibt allein.

„Der Mensch hat nur als Gemeinschaftswesen eine Chance zu überleben, nicht als heroischer Individualist und stoischer Egoist, scheibt der Publizist Jost Herbig in seinem Buch „Am Anfang war das Wort“. Die wirklich großen Fortschritte, davon ist er überzeugt, wurden durch Kooperation möglich und nicht nur Kampf. Selbst die großen Eroberer, so Herbig, konnten ihre Eroberungen nur halten, wenn sie die Kultur der anderen aufnahmen und von ihnen lernten. Das galt für die Eroberungsfeldzüge der Araber genauso wie es heute für Fusions- und Übernahmeprozesse von Firmen gilt.

Die moderne Wirtschaft ist in ihrem Kern angetrieben durch das Eigeninteresse und die Selbstverwertung des Kapitals. Wo jedoch die Shareholder –Value- Orientierung eine solche Bedeutung gewinnt, dass die Interessen der Arbeitnehmer und Verbraucher in den Hintergrund treten, erodiert das Vertrauen, das wirtschaftliches Handeln im Ganzen trägt. Wenn ein amerikanischer Arbeiter überredet wurde bei einem Jahreseinkommen von 15.000 Dollar ein Haus für 750.000 Dollar zu „finanzieren“ , war nicht zu erwarten, dass der künftige Immobilienmarkt solche Transaktionen „finanzieren werde“. Birger Priddat nannte ein solches Versprechen kürzlich bei einer Tagung zur Sozialen Markwirtschaft in Schwanenwerder „den Ausfluss einer irrwitzigen Metaphysik der Effizienz, einer Fiktion des Glaubens an die starke Wachstumswirtschaft.“[1] Wenn Banker ahnungslosen Anlegern intelligente Wertpapiere verkauft hätten, die solche Kredite enthielten, ohne die hohen Risiken zu erwähnen, dann könne man nicht mehr von einem ordentlichen Geschäft sprechen- ein solches Verhalten lasse jede Haltung vermissen und habe das Vertrauen zerstört.

Wo sich wirtschaftliches Handeln von seiner sozialen Verantwortung löst, schwindet das Vertrauen in die Wirtschaft. Genau das ist nicht erst aktuell, sondern schon in den letzten Jahren unter dem Druck der Globalisierung und mehr noch durch die Freisetzung eines globalen Finanzmarkts und dessen Entkoppelung von der realen Wirtschaft geschehen. Zerstörtes Vertrauen ist das größte Problem der aktuellen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise-  und zwar auf allen Ebenen: mangelndes Vertrauen der Bürger in das Management von Banken und Wirtschaft, zerstörtes Vertrauen von Mitarbeitenden in die Konzernführung wie gerade bei General Motors, fehlendes Vertrauen von Banken untereinander, das den Geldverkehrt lähmt und dem Mittelstand zu schaffen macht. Das Vertrauen in die Finanzmärkte wieder herzustellen, ist für die Finanzierung von Unternehmen entscheidend. „Hierzu ist eine größere Transparenz des Geschehens auf den Finanzmärkten, vor allem durch Selbstverpflichtungen der institutionellen Marktteilnehmer und eine internationale Vereinheitlichung der Bankenaufsicht notwendig“, heißt es im Wort des Rates zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise.[2]

2. Vertrauen als Motor
„Die Bildung wirtschaftlichen Kapitals setzt auch moralisches Kapital voraus, da Vertrauen und Fairness untrennbar zu einer erfolgreichen Wirtschaft gehören“, stellt die Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in ethischer Perspektive“[3] fest, die der Rat der EKD im Sommer 2008 herausgab, als die Finanzkrise nur für Insider erkennbar war.“ Misstrauen und Unfairness führen zu Kontrollmechanismen, die teuer sind und doch oft umgangen werden können. Damit sich Vertrauen einstellt, muss es als solches wertgeschätzt werden. Wenn die Geschäftswelt ohne moralischen Kompass arbeitet, dann schwindet  das moralische Kapital der Gesellschaft, das auch für ihr eigenes Handeln unabdingbar ist..“ Vertrauen ist tatsächlich eines der Schlüsselwörter dieser Denkschrift.

Und es ist zugleich ein Schlüsselfaktor in der globalen Wirtschaft. In seinem US-Bestseller „ Schnelligkeit durch Vertrauen“ nennt Stephen M.R. Covey Vertrauen die unterschätzte ökonomische Macht.[4] Vertrauen, macht er klar, ist keineswegs nur ein weicher Faktor, es hat unmittelbare Auswirkungen auf Kosten und Geschwindigkeit von Prozessen. Am Beispiel der Flughafenkontrollen nach den Anschlägen von 9/11 zeigt er, dass mangelndes Vertrauen eine immense Zunahme Kontrollen und Bürokratie und damit erhebliche Zeitverzögerungen mit sich brachte. Mangelndes Vertrauen, meint er, führe eben nicht nur zu einem schlechtem Klima, sondern auch zu autoritären Strukturen und komplexen Hierarchien, zu langwierigen Entscheidungsprozessen und überzogenem Mikromanagement.

Covey spricht von 5 Wellen des Vertrauens, die sich voneinander ableiten, wie die Ringe, die entstehen, wenn man einen Stein ins Wasser wirft: Selbstvertrauen, Beziehungsvertrauen, Organisations-Vertrauen, Markt-Vertrauen und Vertrauen in die Gesellschaft. Das Schlüsselprinzip für Selbstvertrauen ist die Fähigkeit, Versprechen zu geben und sich daran zu halten – und damit ganz im Sinne von Hannah Arendt glaubwürdig Zukunft zu gestalten. Beziehungsvertrauen entsteht durch ein solches glaubwürdiges und schlüssiges Verhalten, durch das wir bei anderen im übertragenen Sinne Kredit gewinnen. Organisationsvertrauen entsteht durch eine konsistente und glaubwürdige Ausrichtung der Organisation an Glaubwürdigkeit, Leistung und Fairness.  Die Reputation des Unternehmens, die ein Unternehmen auf diese Weise gewinnt, der Ruf der Marke, schafft das notwendige Marktvertrauen. Jeder weiß; wo Widersprüche zwischen Markenversprechen und Firmenverhalten auftreten – eine Sportartikelfirma mit Sweatshops arbeitet, ein internationales Unternehmen durch Korruption auffällt, ein Energieerzeuger die Umwelt zerstört – da leiden mit dem Marktvertrauen auch die Geschäfte.  Das ist der Grund, warum große Finanzunternehmen Vertrauen als obersten Wert in ihren Ethikkodices führen. Letztlich müssen sie darauf achten, nicht nur bei den Kunden im Markt, sondern auch in den Gesellschaften, in denen sie arbeiten, Vertrauen zu schaffen – Gesellschaftsvertrauen. Dafür ist es notwendig zum einen sinnvolle Beiträge zu leisten wie das in CSR-Programmen, oder besser in nachhaltigen Wertschöpfungsketten, geschieht, aber auch die ethischen Werte einer Community zu achten und zu respektieren. Gesellschaftsvertrauen ist deshalb letztlich nicht herzustellen ohne das Wissen um andere Kulturen und Religionen.

Covey bricht diese grundsätzlichen Überlegungen in mehreren Kapiteln auf das Verhalten in der Wirtschaft herunter. Wer Beziehungsvertrauen herstellen wolle, das sei im Unternehmen nicht anders als in Freundschaft und Familie, brauche Ehrlichkeit und Respekt, müsse Transparenz herstellen, loyal sein und Verantwortung übernehmen. Aus europäischer Sicht mag diese schnelle Gleichsetzung von persönlichem mit professionellen Vertrauen eine Überdehnung sein – unterscheiden wir doch sauber zwischen Identitätsvertrauen und Expertenvertrauen oder Organisationsvertrauen, vor allem aber natürlich zwischen Gottvertrauen und Vertrauen in Menschen und nehmen damit die Reflexion der Gebrochenheit und Fehlbarkeit des Menschen schon in unser Nachdenken über Vertrauen auf. Vertrauen braucht deswegen Regeln. Und dennoch können Regeln, Ratings und Zahlen Glaubwürdigkeit und Vertrauen nicht ersetzen.

3. Gerechte Rahmenbedingungen – Vertrauen braucht RealismusDie Frage nach verantwortlichem wirtschaftlichem Handeln ist in der theologischen Tradition in den Gerechtigkeitsdiskurs eingebettet, in dem zum einen mit justitia legalis und justitia distributiva die Beziehungen zwischen dem Einzelnen und dem Staat, dann aber die Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft gestaltet werden.  Die ausgleichende Gerechtigkeit (iuistitia commutativa) , um die es dabei geht, umfasst auch das Gebot der Fairness in den Marktbeziehungen. Johannes Calvin, der sich in der Reformationszeit besonders intensiv mit den Fragen von Wirtschaft und Handel auseinandergesetzt hat, beschreibt unseren modernen Begriff der Fairness mit der Erwartung, dass der einzelne im Sinne der Billigkeit ( aequitas ) gerecht und verantwortlich handelt , dass er also das Recht des anderen achtet und wahrt und in all seinem Handeln nicht nur den eigenen Nutzen, sondern auch Nutzen und Vorteil des anderen im Blick hat. Vertrauen ist dabei traditionell kein wesentlicher Begriff- es sei denn im Blick auf Gott.

Damit „unter den Menschen die Menschlichkeit bestehen bleibt“, wie es bei Calvin heißt, müssen nicht nur der Staat, sondern auch die Einzelnen und alle gesellschaftlichen Institutionen bereit sein, soziale Verantwortung zu übernehmen Dabei hat der Staat „unser Leben auf die Gemeinschaft der Menschen hin (zu) gestalten, unsere Sitten zur bürgerlichen Gerechtigkeit heran/zu)bilden, ( und )uns miteinander zusammenbringen“ soll (Institutio IV; 20,2 und 3). Soziale Verantwortung schafft den Raum, in dem Vertrauen wachsen kann. Dazu gehören auch ethische Codices und Regeln des Miteinanders. Auf der Ebene des Staates schlägt sich Verantwortung in gerechten Rahmenbedingungen nieder.

Auf dem Boden dieser Tradition sind die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft entwickelt worden. Walter Eucken, Alfred Müller-Armack und die Freiburger Schule wollten durch eine gestaltete Wettbewerbsordnung für eine effektive Wirtschaft sorgen und gleichzeitig durch eine stabile Sozialordnung sozialen Frieden gewährleisten. Leitend war die Orientierung an dem christlichen Menschenbild, das Freiheit und Solidarität, wirtschaftliches Handeln und soziale Rahmenbedingungen, das Interesse des Einzelnen und das der Gemeinschaft immer aufeinander bezogen dachte. Das Angewiesensein auf andere, das Zusammenleben und –arbeiten mit anderen gehört dabei zur Grundbestimmung des Menschen..Kein Mensch lebt für sich allein; keiner kann nur mit einer Schatzkiste überleben. „Christlicher Glaube befreit zur vertrauensvollen Kooperation mit anderen in wechselseitiger Achtung und gegenseitiger Angewiesenheit“, heißt es in der Unternehmerdenkschrift.

„ Was nützte es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele“, sagt Jesus in der Bergpredigt. Stephen Covey zitiert dazu lieber die Vorstandsvorsitzende von XEROX, Anne Mulcany: „ Wer Sie sind, was Ihre Werte sind und wofür Sie stehen. Das ist Ihr Anker. Sie werden ihn aber in keinem Buch finden, sondern nur in Ihrer Seele.“ Bei der Vorbereitung für heute habe ich den Vortrag von Birger Priddat, den ich oben zitiert habe, noch einmal nachgelesen. In der gedruckten Version habe ich leider die Passage nicht wieder gefunden, die mich beim Hören am meisten beeindruckt hat. Priddat erzählte nämlich von den Alltagserfahrungen der so genannten Harvard-Boys in den Banken an der Ostküste. Wie sie morgens zum Apell beim Chef antraten und ihre Geschäftsziele für den Tag vereinbarten – oder sollte ich sagen vorgesetzt bekamen. Er erzählte von der sportlichen Lust an Wettbewerb und Gewinn und von der Angst vor dem Versagen. Man konnte die aufgeladene Nervosität spüren, während er erzählte. Entsprechend engagiert diskutierten die Tagungsteilnehmer anschließend, warum so mancher auch wider bessere Einsicht mitmachte. War es die Angst, ansonsten gefeuert zu werden, die Angst vor dem Absturz, dem Imageverlust – oder die Hoffnung, dass der Staat am Ende eingreifen und die Risiken absichern würde? Priddat sprach in diesem Zusammenhang von einer Lotterie gegen den Staat und den Steuerzahler- und diese Beurteilung findet sich auch in der gedruckten Version. So oder so – man wird man das Gefühl nicht los, dass hier eine Gruppe für ihr Glücksspiel hohe Opfer forderte- auch, aber eben nicht nur in den eigenen Reihen.

Der eine oder andere wird solche Situationen aus dem eigenen Berufsleben kennen. Auch in der so genannten Realwirtschaft setzte man vor allem auf  Wachstum und hohe Renditen. Man nahm staatliche Fördermittel mit, bevor man ins Ausland auslagerte wie bei Nokia und verlangte zugleich, dass der Staat seine Regulierungen zurücknähme- was dann ja auch geschah. Wenn nachhaltige Unternehmesführung eine immer geringere Rolle spielen, weil schnell hohe Gewinne erzeugt und Dividenden ausgeschüttet werden müssen „wenn … Entlassungen allein zur Erhöhung von ohnehin hohen Gewinnen vorgenommen werden … oder auch, wenn im Unternehmen ein Klima herrscht, in dem alle menschliche Kommunikation allein dem wirtschaftlichen Unternehmenszweck untergeordnet wird, dann ist die Würde des Menschen verletzt“, hieß es dazu in der Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“: Und ich füge hinzu: dann ist auch das Vertrauen der Mitarbeiterschaft zerstört.

Verantwortungslosigkeit auf allen Ebenen hat in die Krise geführt. Im staatlichen Handeln hielt die Aufsicht über die Finanzmärkte und die Regulierung der Finanzprodukte der Dynamik der Märkte nicht Stand – und das war zum Teil strategisch gewollt und von der Finanzindustrie gefordert. In den Unternehmen griff die einseitige Orientierung an den Kapitalinteressen um sich – die Geschäftsziele waren deshalb vor allem auf schnelle und hohe Gewinne ausgerichtet. Und was für die Unternehmen üblich war, galt selbstverständlich und vielleicht zuerst für die  Führungskräfte: Alle finanziellen Anreize waren darauf ausgerichtet, möglichst kurzfristig hohe Erträge zu erwirtschaften. Die Ursachen der Krise haben ( also)  auch eine individualethische Dimension: Die Handelnden haben ihre Freiheit vor allem zur Verwirklichung von Einzelinteressen genutzt- ohne nach den mittelfristigen Konsequenzen für das Unternehmen, geschweige denn nach den Konsequenzen für die gesamte Volkswirtschaft zu fragen. Das ist – in Kurzfassung, die Analyse, die der Rat der EKD seinem Wort zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zu Grund legt.

Wir werden jedenfalls noch lange mit unseren Steuern abzahlen, wofür die Verantwortlichen nicht haften wollten oder konnten. Seit einem Jahr ist die Politik damit beschäftigt, systemrelevante Teile der Wirtschaft zu sichern und Risiken zu begrenzen. Wäre es da nicht grundsätzlich gut, so fragen manche, wieder mehr auf  risikoaverse Strukturen und Verhaltensweisen zu setzen? Müssen Unternehmen nicht wieder Charakter und Glaubwürdigkeit belohnen statt Coolness, müssen Verkäufer nicht wieder mehr auf Kunden und menschliche Beziehungen setzen? Braucht es nicht eine Rückbesinnung auf die innere, ethische Ausrichtung der Unternehmen und ein neues Zusammenspiel von Kapital und Arbeit?

Nicht zuletzt die vertrauensvolle politische Kooperation zwischen Wirtschaft und Gewerkschaften, zwischen Management und Betriebsräten war ein Schlüssel zur Bewältigung der unmittelbaren Krise. Diese Kooperation muss sich nun in der Unternehmenskultur bewähren. Dazu gehört auch, dass unsere Kultur der Mitbestimmung mit den Globalisierungsprozessen Schritt hält „Die Beteiligung von Arbeitnehmern am Wertschöpfungsprozess berechtigt in der Tradition der Sozialpartnerschaft zur Mitbestimmung und erfordert Mitverantwortung für die Dynamik der Unternehmensexistenz. Mitbestimmung kann das notwendige Vertrauenskapital schaffen“, heißt es dazu in der Unternehmerdenkschrift. Sie baut Vertrauen auf, schlägt eine Brücke zwischen den verschiedenen Interessen, ermöglicht einen Perspektivwechsel, sie schafft Bindung und Mitverantwortung – und sie  bietet die rechtlich entwickelte Chance, trust, bridging and binding, die Schlüsselbegriffe des Sozial- und Vertrauenskapitals, in der Kooperation zwischen Arbeitnehmer- und Kapitalseite umzusetzen. Gerade die jüngste Krise hat gezeigt, wie wichtig eine solche vertrauensvolle Kooperation für die soziale Stabilität ist. Im Blick auf die Beziehungen zum unmittelbaren Umfeld der Zulieferer und Kunden. Am deutlichsten wird das vielleicht im Mittelstand und im Handwerk, die mehr als andere noch verwurzelt sind in oft jahrzehntelagen Beziehungen zu ihrem unmittelbaren Umfeld.

4. Gemeinwohl und Gerechtigkeit
„Freiheit braucht Regeln“, heißt es im Beschluss der EKD- Synode von Bremen vom 5.11.2008; die Synode übte damals Kritik an mangelnder Regulierung als einer der Ursachen der Finanzkrise. Freiheit braucht Regeln und Vertrauen lebt von Kooperation. Das gehört zu den Grundüberzeugungen der Sozialen Marktwirtschaft. Während die so genannte Unternehmerdenkschrift diese Orientierung (noch) als gegeben voraus setzt, wurde nach der Krise deutlich: das Vertrauen in diese Ordnung erodiert. Zu viele erleben die soziale Marktwirtschaft als unsozial erlebt. Allein die Tatsache, dass in Deutschland längst vor der Krise ( nämlich zwischen 2000 und 207 ) die Unternehmens- und Vermögenseinkommen nominal um 51 Prozent, während die Durchschnittseinkommen in der gleichen Zeit , wie eine DIW-Studie zeigt, um 6 Prozent gesunken sind. zeigt: es geht dabei um mehr als um eine Stimmung. Der Standortwettbewerb der globalisierten Wirtschaft hat unser Modell des dritten Weges unter Druck gebracht.

Drei große Us hätten zur Krise geführt, hat denn auch Volkswirt Prof. Dr. Gustav A. Horn vom Makroökonomischen Institut der Hans-Böckler-Stiftung letzte Woche beim Forum Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt der EKD in Korntal gesagt: Unvernunft im Blick auf die Risiken, Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft – etwa zwischen China und USA-, die auf Dauer destabilisieren-  und Ungleichheit in den Gesellschaften. Im Jahr 2006/2007 sei die Ungleichheit in unserem Land so gewachsen wie zuletzt 1927/28.  Die Risse in der Gesellschaft seien also schon im Vorfeld der Krise erkennbar gewesen. Hohe und wachsende Kapitalvermögen seien auf die Finanzmärkte gedrängt, während die Löhne unter dem Leistungszuwachs geblieben seien.

Die steigende Zahl der Menschen, die auf Mindesteinkommensniveau leben – laut Armuts- und Reichtumsbericht waren es 8 Mio.,die drastische Zunahme der Beschäftigung im Niedriglohnsektor und die Armut von Kindern, Jugendlichen und Familien sind ein Alarmzeichen. Wir wissen: Prekäre Verhältnisse schlagen sich im Bildungsstatus nieder – und umgekehr:; ein niedriger Bildungsstatus drückt sich in Armut aus. Rund 64 Prozent alle Sozialhilfeempfänger haben keinen Schulabschluss oder sind Hauptschulabgänger. Acht bis zehn Prozent aller Schulabgänger verlassen die Schule ohne Schulabschluss. Weit über eine Million Jugendliche zwischen 20 und 29 Jahren haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Viele davon arbeiten im Niedriglohnbereich. DAs ist nicht nur ein deutsches Problem. Nach einer UNICEF-Untersuchung rechnen mehr als 30 Prozent Jugendlichen der Industriestaaten in den entwickelten Ländern damit, dass sie nur einem gering bezahlten Job nachgehen werden. Sie haben kein Vertrauen darauf, dass die Gesellschaft sie braucht. Die hohe Zahl der Jugendlichen mit Ausbildungsdefiziten lässt befürchten, dass langfristig in Deutschland mit einer Armutsquote von 20% zu rechnen ist, wenn sich nichts an der Bildungsproblematik ändert.

Der Prüfstein für eine soziale Marktwirtschaft ist aber die gerechte Teilhabe aller an den wirtschaftlichen und sozialen Prozessen. Die Mechanismen, mit denen das über Jahrzehnte in der Bundesrepublik gewährleistet wurde – gesellschaftliche Kooperation verbunden mit Aufstiegsversprechen, sind offenbar brüchig geworden. Eine neue Balance muss gefunden werden. Unternehmen und Wirtschaft sind darauf angewiesen, dass das Vertrauen in gelingende Teilhabeprozesse vorhanden ist, dass junge Leute Vertrauen in die Zukunft haben und dass Leistungsträger überzeugt sind, ihre Gesellschaft mit gestalten zu können. Denn die Hoffnungen, Gestaltungsspielräume und Wertorientierungen, die eine Gesellschaft prägen, spiegeln sich in der Wirtschaft wider. Unternehmen, Unternehmer und Manager haben deshalb Verantwortung für die Gesellschaft; sie müssen selbst Vertrauen schaffen und darin Vorbild sein, sie müssen, wenn sie Gewinne machen, etwas an die zurückgeben, die ihren Erfolg ermöglichen.

5. Das Wort des Rates der EKD zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise
„Wie ein Riss in einer hohen Mauer“[5], ist das Wort des Rates zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise betitelt, das im Juni dieses Jahres erschien. Der Riss, von dem der Prophet in Jesaja 30 spricht, ist zunächst kaum sichtbar, aber er frisst sich ins Gemäuer, bis der Mörtel rieselt, der die Steine hält, und am Ende die ganze Mauer einstürzt. Ein solcher Prozess, fürchtet der Rat, könnte in den letzten Jahren in Gang gekommen sein.. „Wer heute bereit ist hinzusehen, erkennt: Der wachsende Berg der Staatsschulden, die mit dieser Krise aufgehäuft wurden, wird uns alle, vor allem aber die nächsten Generationen, belasten“, so der Ratsvorsitzende. Er wies auf die Gefahr hin, dass in der Folge auch die sozialen Sicherungssysteme, die Deutschland in dieser Krise robuster gemacht hat als andere Länder, geschwächt werden könnte und er widerholte. Eigennutz als Triebkraft der Marktwirtschaft brauche die Verpflichtung auf das Gemeinwohl. Wenn alles dem Gewinnstreben unterworfen werde, verkehre sich der ökonomische Nutzen in einen Verlust an Lebenswert. Dann sinke der gesellschaftliche Wohlstand, das Gemeinwohl zerfällt, die Umweltzerstörung nimmt zu.

Der Rat lässt sich vom Modell einer nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft leiten. In zehn Orientierungspunkten wird festgehalten, worauf es dabei national und international ankommt. Damit unsere Wirtschaft nicht sehenden Auges in die Katastrophe rennt, werden drei Metaziele benannt, die dann im Einzelnen ausgelegt werden:

  • „eine Wirtschaft, die den Menschen heute dient, ohne die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen zu zerstören, die also  die Gerechtigkeit für die Armen hier und weltweit, aber auch für die Zukunft der Schöpfung im Blick hat:, sowie
  • eine (Welt-)Gesellschaft, die die Verbesserung der Situation ihrer ärmsten und schwächsten Mitglieder zu ihrer vorrangigen Aufgabe macht, und
  • schließlich ein Finanzsystem, das sich in den Dienst dieser Aufgabe stellt“ (S.18).

Dazu gehören tragfähige globale Rahmenbedingungen und Kontrollinstanzen für ein soziales und nachhaltiges Wirtschaften ebenso wie eine gerechte Verteilung der Kosten der Krise. In der Bewältigung dieser aktuellen Herausforderungen wird sich entscheiden, so der Rat, ob es gelingt, das grundlegende Vertrauen in eine soziale und ökologische, global ausgerichtete Marktwirtschaft neu aufzubauen.

6.Vertrauen in der globalen Wirtschaft
Das bewährte Konzept einer Wirtschaft, die nicht nur auf gute Geschäfte setzt, sondern auch auf gute Arbeit und gerechte Verhältnisse, muss angesichts globalisierter Unternehmen, Märkte und Medien  neu durchbuchstabiert und weiter entwickelt werden – über den nationalen Rahmen hinaus und unter der Perspektive der Nachhaltigkeit. Durch die Globalisierung „ist auch die Verantwortung der Politik gewachsen, der Wirtschaft Rahmenbedingungen vorzugeben und ihre Einhaltung zu prüfen- eine Verantwortung, der die internationale Politik insbesondere mit internationalen Vereinbarungen gerecht werden muss“,  heißt es schon in der  „Unternehmerdenkschrift“.[6]

Unsere westliche Perspektive auf die Welt, die davon ausgeht, dass die anglo-protestantischen Länder in vieler Hinsicht weiter entwickelt sind als z.B. die muslimischen, löst in anderen Kulturen  Empörung aus.. Wenn gegenwärtig 12 % der Weltbevölkerung, die in den G-7-Staaten leben, über 70% des weltweiten Einkommens verfügen, wenn die reichsten 500 Einzelpersonen der Welt gemeinsam über ein größeres Einkommen verfügen als die ärmsten 416 Millionen, dann wird deutlich –  auch international stimmt die Balance nicht.  Die EKD hat  schon im Jahr 2005 mit der Stellungnahme „Schritte zu einer nachhaltigen Entwicklung“ (zu den Millenniumszielen der Vereinten Nationen), welche Auswirkungen die Politik des Norden auf den Süden hat. Es muss darum gehen, auch weltweit eine Wirtschaftsordnung durchzusetzen, in der alle Menschen die Chance haben, ihr Leben eigenverantwortlich zu sichern. „In diesem Sinne ist Entwicklungshilfe eine Investition in gemeinschaftlichen Wohlstand, kollektive Sicherheit und eine gemeinsame Zukunft“, hat der Ratsvorsitzende im Frühjahr dieses Jahres gesagt hat. „Globalisierung braucht soziale Gestaltung – dabei geht es darum, „Kriterien der gerechten Teilhabe und Inklusion weltweit zu verankern.“

Wachsame und selbstbewusste Verbraucher, die international kooperieren, bringen auch die Probleme von Arbeitnehmern und Natur auf anderen Kontinenten zur Sprache. Ein Beispiel dafür ist die Arbeit von „ Südwind“, einer kirchlichen Organisation für Ökonomie und Ökumene, die den Wertschöpfungsketten zum Beispiel für Turnschuhe oder Baumwoll-Shirts nachgeht. Mit vielen anderen gemeinsam haben sie ein Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen in Ostasien  oder Nordafrika geschaffen und bekannt gemacht, dass von den 25 Euro, die ein Turnschuh im Schnitt kostet, nur einer bei den Arbeitern landet, die in herstellen. Ist das mit den Leistungs- und Aufstiegsversprechen vereinbar, die der internationale Sport repräsentiert? Wie gehen die globalen Unternehmen mit solchen Veröffentlichungen um? Wenn die Reputation on Risk ist, ist bald auch der Gewinn in Gefahr. Um das abzuwenden, aber auch um Motivationsressourcen zu erschließen, lohnt es sich, die Rahmenbedingungen der lokalen Wirtschaft, die Zukunft der Kinder in einem Land oder den Umgang mit den natürlichen Ressourcen ernst zu nehmen. Ein Dialog ist angesagt, in dem wir uns auch unserer eigenen Werte neu bewusst werden müssen, in dem wir möglicherweise auch von anderen Völkern lernen, wie nachhaltiger Anbau gelingen kann. Angesichts der Überschuldung gerade jener Länder, in denen wir durch unsere Nachfrage Monokulturen geschaffen haben und die heute von unseren Märkten abgängig sind, lohnt es sich auch, die Debatte um den Zins , die in der Reformationszeit heftig geführt wurde, noch einmal in den Blick zu nehmen. Letztlich wurde ein Zins von 4- 7 Prozent zwar erlaubt,  als unmoralisch wurden aber die gebrandmarkt, die mit ihrem Zins andere demütigen und ihnen die Existenz rauben. Nicht nur die Finanzkrise hat diesem fast vergessenen Thema eine neue Aktualität gegeben. Auch die Perspektive der Muslime, die nicht nur in den arabischen Emiraten längst aktive Teilnehmer am Finanzmarkt sind und nun über das Verhältnis der Scharia zu Zinsen nachdenken, zwingt uns, uns unserer eigenen Wertetraditionen neu bewusst zu werden.

In seinem Roman „Schöne neue Welt“ , der 1932 zu Beginn der Weltwirtschaftskrise erschien, hat Aldous Huxley das Bild einer Gesellschaft entworfen, in der Alpha-Plus-Menschen die Macht innehaben und der Rest der Gesellschaft zu einer anonymen Masse verschmolzen wird. Konsum und Spaßzwang sind in Huxleys negativem Gesellschaftsentwurf die Fesseln, die den Menschen Individualität, Erkenntnismöglichkeiten und Widerstandskraft abschnüren. Auch in der Diskussion um die Krisenbewältigung geht es entscheidend um Wachstum und Konsum – man denke nur an das Wachstumsbeschleunigungsgesetz Dazu scheint es keine Alternative zu geben – obwohl wir sehen, dass ganze Nationen sich überschulden und  unser Lebensstil die Umwelt mehr und mehr bedroht. Nicht „Wohlstand für alle“, wie Ludwig Erhardt propagierte, sondern Gewinnmaximierung für Wenige scheint  im Rückblick das leitende Wirtschaftsprinzip der letzten Jahre gewesen zu sein. Dass so viel wie möglich produziert, gehandelt und konsumiert wird, bedeutet nicht unbedingt einen Zuwachs an Wohlstand und Beteiligung für die Armen. Der  verzerrte Blick auf die Gewinnerwartung kann Nachhaltigkeit und Vertrauen zerstören. Aus diesem Grund beschäftigt sich die EKD intensiv mit dem Fragen des so genannten qualitativen Wachstums.[7]

Auch die  Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ von Papst Benedikt XVI, die in diesem Sommer erschient, zeigt sich besorgt über die wachsenden Ungleichheiten im nationalen und internationalen Kontext. Eine Zerstörung der tragenden Kräfte und Werte einer sozialen Wirtschaftsordnung, so Papst Benedikt XVI, zerstöre schließlich auch die Wirtschaft selbst, deren erstes zu schützendes und zu nutzendes Kapital der Mensch sei. Auch wenn es deutliche Unterschiede gibt – zum Beispiel, was den Traum von einer Weltautorität im Papstwort angeht – in dieser Hinsicht ist das Wort der EKD auf der gleichen Linie: „Die Wirtschaft ist um des Menschen willen da, sie ist kein Selbstzweck. Wo das Geld zum Mittelpunkt wird, wird das Wirtschaften unmenschlich“, heißt es im Wort des Rates der EKD.

3. Unentgeltlichkeit und Markt
Einer der Schlüsselbegriffe in der Sozialenzyklika ist der der Unentgeltlichkeit. Die Enzyklika bezieht sich dabei auf den Anti-Utilitarismus , den  Emile Durkheim im Kontext der Ethnologie begründet hat und der in jüngster Zeit des öfteren in Auseinandersetzung mit der neoklassischen Rational-Choice-Theorien, die auf der Anthropologie des homo oeconomicus beruht, zu Wort kommt. Danach sind die Einzelnen bereit, ihre Eigeninteressen einem gemeinsamen Ziel unterzuordnen, weil das Interesse der Gemeinschaft langfristig eben durchaus in ihrem eigenen Interesse liegt. Marcel Mauss hat in seinem Essay „ Die Gabe“ von 1924 plausibel dargestellt,  in welcher Weise Geben und Nehmen, Schenken und Erwidern das Marktgeschehen in Gang halten und zugleich Gemeinschaft konstituieren. Durch den Austausch werden soziale Beziehungen geknüpft, Verpflichtungen geschaffen, Freundschaften konstituiert und gepflegt. Die Gabentheorie hält im Gedächtnis, wodurch und von wem wir uns empfangen, mit wem wir verbunden und auf wen wir unser Vertrauen setzen. Wer sich nicht bewusst ist, wem er sein Leben oder seine Erfolge verdankt, fühlt sich niemandem mehr verpflichtet – weder seiner Familie, noch seinen Mitarbeitenden oder seiner Gesellschaft.

Stephen Covey, den ich eingangs zitiert habe, spricht in diesem Zusammenhang vom Beitrags Das überragende Prinzip beim Gesellschaftsvertrauen, sagt er, sei der Beitrag – die Absicht, einen Nutzen oder Wert zu erzeugen , etwas zurück zu geben statt etwas zu nehmen. Er erinnert an Bill und Melinda Gates und an Bono mit ihren Stiftungen .Dabei bezieht er sich auf Adam Smith Überlegungen zu den moral sentiments, die eben wesentlich zur Hervorbringung von Wohlstand sind. Es sei eine Verzerrung von Smith, schreibt Covey, wenn man in den letzten Jahren geglaubt habe, allein der Wettbewerb bewirke Wohlstand. Das habe zu schwerwiegenden Verstößen gegen die Grundlagen von Glaubwürdigkeit und Vertrauen geführt- zu Gier, Materialismus und Betrug. Dagegen gäbe es aber eine Gegenbewegung – eine weltweite Vertrauens-Renaissance.

Franz Alt und Peter Spiegel[8] sind überzeugt, dass die Weichen jetzt gestellt würden, um Wirtschaft auf neue Weise sozial zu gestalten..Ziel müsse sein, Menschen zu befähigen und Teilhabe zu ermöglichen – ein Ziel übrigens, dass die EKD in der Denkschrift „ Gerechte Teilhabe“ zum Leitprinzip ihrer Sozialethik gemacht hat, auf das sie sich auch in der „Unternehmerdenkschrift“ bezieht.[9] Die Zeit für solche Überlegungen ist reif Während der dritte Sektor der Wohlfahrtspflege sich immer mehr in Richtung einer „Care-Wirtschaft“ entwickelt und den social entrepreneur“ in den Mittelpunkt stellt[10], ist im Profitbereich das social business gefragt. Wohlfahrt wird mit wirtschaftlichen Kategorien gemessen, aber die Wirtschaft lernt , wie groß die Bedeutung von Vertrauen und Bindung ist. Unter der Überschrift „Die menschliche Weltmacht namens Vertrauen“ stellen Alt und Spiegel die Vergabe von Kleinkrediten durch die Grameen-Bank, die Mohammed Yunus bekannt gemacht hat, in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. „In diesen Kleinkrediten“, so Alt, stecke die Botschaft: „ Wir vertrauen dir. Wir vertrauen auf deine Kräfte, deinen Willen, dein Können, deine Entscheidung. Menschen, denen zuvor niemand etwas zugetraut habe, bekämen dadurch einen ungeheuren Schub an Kreativität, Motivation und Leistungsbereitschaft. So entstehe Bindung und Verbindlichkeit und eben das Vertrauensnetz, das die Wirtschaft brauche. „Der Glaube an sich selbst kann Menschen grundlegend verändern“, so Alt. Er versetze sie in die Lage, ihr Leben aktiv zu gestalten. Vertrauen ist dabei der Stein, der ins Wasser geworfen wird. Hier schließt sich der Kreis zu den Überlegungen von Stephen Covey – nur dass bei Alt deutlich wird: auch das Selbstvertrauen ist abhängig vom Vertrauen anderer.

Vertrauen und Kooperation auf der einen Seite und Wettbewerb und Konkurrenz auf der anderen müssten sich nicht ausschließen, meint Alt. Dafür braucht es allerdings faire Regeln und eine gerechte Rahmenordnung. Franz Alt hat allerdings Recht, weiterhin vor allem die Staaten für die Sicherstellung des Sozialen verantwortlich sind, wie wir es seit Wirtschaftswunderzeiten zu denken gewohnt sind. Wer soziale Gerechtigkeit als Teilhabe denkt, der weiß: es kann dabei nicht nur um eine Ausgleichsleistung des Staates gehen – das Soziale muss auch zum ökonomischen Leistungsantrieb gehören. Auch die Wirtschaft muss sich mit der Kategorie des Unentgeltlichen auseinandersetzen, wie die Enzyklika mahnt. Wir selbst sind verantwortlich, das Vertrauen zurück zu gewinnen.

Bei Vorträgen und Seminaren habe ich in jüngster Zeit viele Menschen getroffen, die resignativ feststellen, dass keiner aus der Krise gelernt haben, aber auch für sich selbst keinen anderen Weg sehen, als pragmatisch weiter zu machen wie bisher. Fast schon anachronistisch wirkt da das Wort des Rates der EKD, das auf Umkehr und Nachhaltigkeit setzt. Dabei hängt davon ab, ob wir selbst dem Wandel vertrauen können. Vielleicht auch: ob wir Gott vertrauen können. Das Wort der EKD zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise jedenfalls endet mit Überlegungen zum Gottvertrauen unter der Überschrift: „ Was gibt uns Zuversicht“: Dort heißt es: „Wer sein Vertrauen auf Gott setzt, hat gute Aussichten, in Krisen stand zu halten. Die Verheißungstexte der Bibel ermutigen dazu, dieses Gottvertrauen zu erlernen und im Bemühen um Gerechtigkeit einzuüben.“ Was Frömmigkeit mit Werten und Tugenden zu tun hat, Hermann Hesse einmal so beschrieben: „Ich verstehe unter Frömmigkeit nicht das Pflegen von feierlichen Gefühlen in einer einzelnen Seele, sondern vor allem die Pietät, die Achtung des Einzelnen vor dem Ganzen der Welt, vor der Natur, vor den Mitmenschen, das Gefühl des Einbezogenseins und Mitverantwortlichseins“: Wer in diesem Sinne Respekt und Verantwortung lebt, der kann dazu beitragen, dass das zerstörte Vertrauen wieder wächst.

[1] Zur Aktualität der Sozialen Marktwirtschaft- Protestantische Antworten auf die Krise, epd-Doku, März 2009
[2] Zur Aktualität der Sozialen Marktwirtschaft- Protestantische Antworten auf die Krise, epd-Doku, März 2009
[3] Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive, Eine Denkschrift  Gütersloh, Juni 2008
[4] Stephen M.R. Covey mit Rebecca R. Merill „ Schnelligkeit durch Vertrauen“; Die unterschützte ökonomische Macht, Offenbach 2009 ( Originalausgabe: The speed of trust“, USA 2006)
[5] „Wie ein Riss in einer hohen Mauer“;Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, EKD –Texte 100, 2009
[6] A.a.O. S. 57
[7] Vgl. die Denkschrift „ Umkehr zum Leben“, Für eine Ökonomie des Genug, Gütersloh, Juli 2009
[8] Franz Alt, Peter Spiegel, Gute Geschäfte, Humane Marktwirtschaft als Ausweg aus der Krise, Berlin 2009
[9] Gerechte Teilhabe – eine Denkschrift des Rates der EKD zur Armut in Deutschland, Gütersloh 2006
[10] Vgl. zum Beispiel Dr. Wolf Rainer Wendt: Neue Entwicklungen in der Sozialwirtschaft