Trost – zwischen Corona und Kreuz

Karfreitag, den 02.04.2021

Mein Buch der Stunde kommt von Thea Dorn. „Trost“ heißt es – ein Buch für alle Untröstlichen. Ein Corona-Buch. Es erzählt die Geschichte von Johanna und ihrer Mutter, die nach einer Italienreise einsam im Krankenhaus stirbt. Johanna verzweifelt, sie wütet und schreibt an ihren alten Philosophielehrer: „Der Tod ist ein Inbegriff von roher, absoluter Macht“. Dass sie sich nicht verabschieden konnte, nicht noch einmal mit der Mutter sprechen, das war für Johanna eine unerträgliche Ungerechtigkeit.

Viele haben das so empfunden in diesem Corona-Jahr. 75.000 Menschen sind gestorben – die allermeisten im Krankenhaus, oft auf der Intensivstation, oder im Pflegeheim. Angehörige fühlten sich „ausgesperrt“. „Der Tod ist ein Inbegriff von roher, absoluter Macht“. Täglich sehen wir Sterberaten, debattieren Schutzmaßnahmen für die „Vulnerablen“, schauen hinter Kliniktüren und sehen Bilder von Intensivbetten, Beatmungsgeräten und übermüdeten Pflegeteams hinter Schutzmasken. Wo finden wir da Trost?

In diesen Wochen habe ich die Passionsgeschichte mit anderen Augen gelesen. Auch das Kreuz zeigt ja diese rohe Macht des Todes. Nur dass der Tod Jesu nicht hinter verschlossenen Türen stattfindet, sondern öffentlich, auf Golgatha. Mit Schmerzen, Schreien und Tränen. Die Kruzifixe, die in unseren Kirchen davon erzählen, finden manche deshalb unerträglich. Wie soll man einem Kind beibringen, dass Gott einen Menschen so sterben lässt? Ja, wie? Die Frage ist berechtigt- und gerade deshalb bin ich froh darüber, dass diese Geschichte unter uns erinnert wird.

Denn gerade jetzt, wo viele Menschen durch die Pandemie traumatisiert sind, wird klar: Jesu Tod hat mit unserem Sterben zu tun. Es war ein politischer Tod, gewiss – ein Foltertod, angeordnet durch die römische Besatzungsmacht. Aber die Corona-Krise zeigt, dass der Tod auch heute eine politische Seite hat. Es ist eben nicht nur Schicksal, wann und wie jemand stirbt- es hat auch mit den Entscheidungen der Mächtigen, mit der Verteilung von Ressourcen, ja- damit zu tun, wo auf der Welt und in welchen Verhältnissen jemand lebt.

Das Buch Jesaja, aus dem eine der traditionellen Lesungen zum Karfreitag stammt, erzählt von dem so genannten „Gottesknecht“, dem „Schmerzensmann“, von einem Menschen, der eben nicht auf der Sonnenseite des Lebens steht.

„Er hatte keine schöne und edle Gestalt, sodass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm.
Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht.
Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen.“

Wir werden aufgefordert, einmal genau hinzuschauen, wo wir sonst die Augen lieber verschließen – weil es nicht schön ist, was wir dort zu sehen bekommen. Auf der Intensivstation, wo jemand seit Wochen beatmet wird – für die Angehörigen fühlt es sich an wie Folter. Bei dem  jungen Sportler mit Long-Covid, der schon nach wenigen Laufschritten aus der Puste kommt und nicht weiß, wie es weitergeht mit seinem Zukunftshoffnungen. Oder bei den Flüchtlingen im Kurdengebiet, die kaum wissen, wie sie sich vor Corona schützen sollen. Verachtet und von den Menschen gemieden, sind sie  die Schwächsten im System, die letzten in der Kette, die aushalten müssen, was andere gern wegschieben: Die Alten, Verletzlichen, die Flüchtlinge und die Menschen in Notunterkünften, alle in prekärer Arbeit, die Jungen, die plötzlich getroffen sind: Sie tragen die Krankheit, die uns alle treffen kann. Unsere Krankheit, unsere Schmerzen. Da sollten wir hinsehen.

Die kirchliche Tradition hat das Prophetenwort auf Jesus  gedeutet: Der Schmerzensmann am Kreuz, trägt das Leiden, das wir nicht sehen wollen. An ihm wird sichtbar, dass wir mitschuldig sind:  „Denn wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg. Weil er sein Leben dem Tod preisgab und sich unter die Abtrünnigen rechnen ließ, hob er die Sünden der Vielen auf und trat für die Abtrünnigen ein.“

Da ist noch etwas am Tod Jesu, das mir wichtig ist- und das mich tröstet. Ich glaube, dass Jesus diesen Weg freiwillig gegangen ist – eben weil er die Verachteten und Vergessenen liebte und weil er sich mit ihnen identifizierte. Oder besser: mit uns, die wir uns alle verlaufen in unseren Ängsten. Ich lese ja, wie er bis zuletzt mit seinen Freundinnen und Freunden zusammen blieb – mit ihnen aß und trank und betete und am Ende auch denen vergab, die ihn verrieten. So groß war seine Liebe- größer als unsere Gleichgültigkeit, größer als der Tod.

Von ihm können wir lernen,  ehrlicher und mutiger  mit dem Tod umzugehen. Mit dem Sterben und der Trauer anderer in Corona-Zeiten und auch mit unserem eigenen Sterben. Mit den politischen Entscheidungen, die den Rahmen bestimmen in dieser Pandemie. Es wäre wichtig, dass wir uns für eine bessere und besser bezahlte Pflege einsetzen, damit Menschen auch körperlich getröstet sterben können. Denn “mit fachkundiger Symptomkontrolle, mit Zuwendung, Sicherheit und respektvoller Pflege erleben wir, dass Angst, Schrecken und der Wunsch nach Sterbehilfe kein Thema mehr sind!“, sagte mir kürzlich Anke Reichwald, die Leiterin des Diakovere Palliativteams. Und sie erzählte, dass Sterbende und ihre Angehörigen das oft so formulieren „Diese Wochen waren die intensivsten in unserem gemeinsamen Leben – es war eine gute und wertvolle Zeit“.

Im letzten Jahr gab es manche, die eine Corona-Kosten-Rechnung aufmachten; sie meinten, wer hochaltrig sei und sowieso bald sterben müsste, für den müsse man am Ende nicht mehr viel einsetzen. Was für eine Dummheit und Unkenntnis, wenn man weiß, dass genau diese letzten Wochen unser Leben noch einmal in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen können. So war es auch bei Jesu Tod. Seine Liebe, seine Solidarität mit den Verachteten und seine Hoffnung auf Gottes Kraft erkennen wir am Kreuz wie in einem Brennglas.  Darum sind die Passionsgeschichten der Kern der Evangelien. Was wir da lesen können, das tröstet im Leben und im Sterben: Denn durch seine Wunden sind wir geheilt.“

Der Prophetentext, aus dem ich Verse zitiere, steht in Jesaja. 52,13 – 53.

Mehr zum Thema „Sterben in Corona-Zeiten“  in meiner DLF-Sendung vom 21.3.: Dlf Audiothek | Am Sonntagmorgen | Am Sonntagmorgen – Sterben in der Nachbarschaft. Noch immer ein Tabu? https://srv.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.3265.de.html?mdm:audio_id=911686