1. Worum es mir geht
Familie steht hoch im Kurs. In einer Umfrage von 2013 wünschten sich 82 Prozent der Befragten Kinder. Das Zusammenleben in der Familie verheißt stabile Beziehungen, Intimität und Geborgenheit mitten in den Umbrüchen einer Erwerbsgesellschaft, die Menschen in erster Linie nach Leistung und Erfolg beurteilt. Gleichwohl lebt zum ersten Mal in der Geschichte die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland nicht mehr in Familienhaushalten. Die strukturelle Überforderung der Familie angesichts des Mobilitätsdrucks und der zeitlichen Entgrenzung der Arbeitswelt, die wachsenden Erwartungen an die Gleichberechtigung der Partner und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und schließlich ein überholtes familienpolitisches Modell zählen zu den aktuellen Herausforderungen für Gesellschaft und Kirche. Die wirtschaftliche Entwicklung, die Pluralisierung und Entinstitutionalisierung der Lebensformen und die familienpolitischen Rahmenbedingungen passen nicht mehr zusammen.
Vom Kindergarten bis zu den Halbtagsschulen baute bis vor kurzem das Bildungssystem ganz darauf, dass einer der Ehepartner, und das waren und sind in der Regel die Frauen, allenfalls halbtags arbeitete. Das Steuersystem mit Ehegattensplitting und der Mitversicherung von Ehepartnern und Kindern in den sozialen Sicherungssystemen unterstützt dieses Modell. Zugleich aber, das zeigen auch Untersuchungen, hat sich das Leitbild der heute Zwanzig- bis Vierzigjährigen grundlegend verändert: Junge Männer wie Frauen gehen ganz selbstverständlich von einer Erwerbstätigkeit beider Elternteile aus; sie wünschen sich für beide die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dabei war und ist die Frustration über mangelnde Vereinbarkeit unter ostdeutschen Frauen und Männern besonders groß – bzw. die Attraktivität des westdeutschen Modells dort besonders gering. Schließlich galt die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Erwerbsarbeit lange Zeit als „eine der größten Errungenschaften“ der DDR und wurde seit den 1970er Jahren durch ein ganzes Bündel sozialpolitischer Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestützt. So lag die Frauenerwerbsbeteiligung im Osten 1989 bei fast neunzig Prozent – im Gegensatz zu 55 Prozent in Westdeutschland.
Heute nimmt die Vielfalt der Familienformen in ganz Deutschland zu. Ein Drittel aller Kinder wird inzwischen nichtehelich geboren. Das sind doppelt so viele wie noch vor zwanzig Jahren. Der Zusammenhang von Eheschließung und Geburten – und damit auch der zwischen Ehe und Familie – löst sich auf. Zugleich wächst die sozialökonomische Spreizung – insbesondere die Polarisierung sozialer Lebenslagen zwischen Ein- und Zwei-Verdiener-Haushalten, vor allem aber zwischen denen, die für Kinder sorgen, und denen, die keine Kinder haben. Dabei spielt eine entscheidende Rolle, dass Familienarbeit staatlich nur dann honoriert wird, wenn sie auf einer Ehe oder Lebenspartnerschaft basiert. Die Rahmenbedingungen, die derzeit gelten, gehen mit fehlenden Rentenansprüchen und der Gefahr einher, sich durch Auszeiten aus dem Erwerbsleben beruflich zu disqualifizeren, und führen zu einem erheblichen Armutsrisiko für Alleinerziehende. Wenn sich das ändern soll, muss sich die Zeit, die Menschen mit Erziehungs- und Pflegeaufgaben verbringen, auch im Steuer- und Sozialversicherungsrecht niederschlagen. Berufstätige Männer wie Frauen sind zudem auf eine gute Infrastruktur angewiesen. Wenn es nicht gelingt, neue Lösungen zu finden, droht das Caredefizit, von dem der Siebte Familienbericht bereits spricht. Dabei geht es nach wie vor um verlässliche Kinderbetreuung. Es geht um eine höhere Anerkennung, auch in Form von Einkommen und Rente, für Erziehungsaufgaben, Hausarbeit und Pflege. Und es geht um Angebote zur Unterstützung Pflegender. Noch immer werden die meisten älteren Menschen in der häuslichen Umgebung gepflegt und immer noch sind etwa siebzig Prozent der pflegenden Angehörigen weiblich. Aber die Spannung zwischen dem Druck aus der Erwerbswelt und der privaten Sorgearbeit wächst. Es geht darum, alle Formen von Familien als Sorgegemeinschaften zu stärken, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern und die Partnerschaft von Tageseinrichtungen, Schulen und Pflegediensten mit Familien zu fördern – also öffentliche Aufgaben und marktliche Dienstleistungen mit den persönlichen und privaten Beziehungen in der Familie zu verknüpfen. „Alle familiären Beziehungen, in denen sich Menschen in Freiheit aneinander binden, füreinander Verantwortung übernehmen und eine verlässliche Partnerschaft eingehen, müssen auf die evangelische Kirche bauen können“, heißt es in der EKD-Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ von 2013. Darin wird die Institution Ehe nach wie vor als besonders geeigneter rechtlicher Schutzraum für dieses Miteinander gesehen.
Neben der finanziellen Absicherung der Sorgearbeit ist der Mangel an gemeinsamer Zeit eines der wichtigsten Probleme von Familien heute. Die Zeitrhythmen von Arbeit, Schule, Freizeit sind kaum noch kompatibel. Dem fallen in den Familien schnell die Zeiten zum Opfer, die der Gemeinschaft und dem Austausch dienen. Dabei hat die gemeinsam verbrachte Zeit gerade für Kinder eine herausragende Bedeutung: Sie stiftet Nähe, ermöglicht gegenseitige Anteilnahme, Unterstützung und Fürsorge. Familie lebt von Kontinuität, von Rhythmen und Ritualen, die die gemeinsame Identität, Kultur und Religiosität prägen – vom Zubettbringen über das Sonntagsfrühstück bis hin zu Familien- und Kirchenjahrsfesten. Feste, Feiern und Rituale in der Familie nähren die Spiritualität ein Leben lang; sie bilden die „Wurzeln“. Kindern Wurzeln und Flügel zu geben, das bleibt – trotz aller Probleme – der Wunsch der allermeisten Eltern. Angesichts des Drucks, der auf Familien lastet, sind Gemeinden neu gefordert, Familien dabei zu unterstützen.
2. Beispiele für Vortragsthemen
- Die Bedürfnisse von Familien und der Auftrag der Kirche
- Die Segel richtig setzen – Aktuelle Aufgaben für die Familienpolitik im Fluss der Zeit
- Familie als Wiege der Spiritualität
- Familie, Freundschaft, Gemeinden – Netzwerke der Sorge
- Schöpfungsordnung und Scheidungsverbot – oder was hält Ehen und Partnerschaften zusammen?
3. Mein Erfahrungshintergrund
Nach der Gemeindearbeit mit Tageseinrichtungen, Kinder- und Jugendarbeit war ich zuständig für die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für die Ehe-, Lebens- und Familienberatung im Evangelischen Kirchenkreis Gladbach-Neuss, anschließend für Kinder- und Jugendhilfe wie auch für Familienarbeit im Diakonischen Werk der Landeskirche und später, als Landeskirchenrätin in der Evangelischen Kirche im Rheinland, verantwortete ich die Kinder- und Jugendhilfe sowie Familienbildung. Schließlich war ich Vorstandsmitglied der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie in der EKD sowie Geschäftsführerin des Gremiums zur Erarbeitung der Orientierungshilfe zur Familienpolitik der EKD „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft gestalten“, die 2013 erschien.
4. Mein Buch zum Thema sowie weitere Publikationen
„Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft gestalten“, Orientierungshilfe des Rates der EKD, 2013 (Mitautorschaft und Geschäftsführung)
„Familie“ Einzelband von: Reformation heute, Transformation. Die sozialethische Schriftenreihe zum 500. Jubiläum der Reformation, Sozialwissenschaftliches Institut der EKD, November 2017
„Familienbilder in der evangelischen Kirche“ in Tagungsdokumentation „Familienbilder in Kirche und Gesellschaft“, EAF, Dokumentation Nr. 25, Fachtagung September 2012