1. Vom Erbhof zum Kapitalvermögen: Interessenskonflikte und Normen der Gerechtigkeit
Die unterschiedlichen Formen der Erbteilung in Deutschland haben Biographien und Landschaften gestaltet, sie haben individuelle Schicksale genauso bestimmt wie soziale Strukturen. Wo – wie in Niedersachsen – große Höfe als Erbhöfe an die ältesten Söhne weiter gegeben wurden, während die jüngeren in der Regel gezwungen waren, einen anderen Beruf zu ergreifen – also Priester zu werden oder Lehrer oder auch auszuwandern, da blieben Wirtschaftsstrukturen erhalten. Wo dagegen Realteilung die Regel war und das Lebensalter der Kinder keine Rolle spielte, konnte es durchaus dazu kommen, dass zwar der Gleichheit Genüge getan wurde, die Höfe aber so klein wurden, dass sie nicht mehr hinreichend Erträge brachten, um ihre Besitzer zu ernähren und die Landschaft zersiedelt wurde. Die Frage nach der besseren Gerechtigkeit steht damit von Anfang an in einem Spannungsfeld zwischen dem Anspruch der Einzelnen auf gleichen Anteilen auf der einen und dem Interesse aller am Erhalt einer ertragreichen Wirtschaft auf der anderen Seite.
Historisch wie kulturell ist das Erbrecht eng mit der Weitergabe und dem Erhalt von Grund und Boden verbunden. Ein Hof kann die Familie als Ertragsgemeinschaft zusammenschweißen, sie aber auch in bitteren Spannungen und Erbstreitigkeiten trennen. Solche Erfahrungen sind in Bibel und Kirchengeschichte eingeschrieben. Schon die Väter- Geschichte von Jakob und Esau erzählt, wie der jüngere (Zwillings)sohn versucht, seinen kaum älteren Bruder um das Erbe zu betrügen, das mit dem väterlichen Segen übertragen wird – und, als der Schwindel auffliegt, in die Fremde auswandern muss. Pfarrer und Pfarrerinnen auf dem Lande können wie Landberatungstelefone ein Lied von Erbstreitigkeiten singen – und wissen auch, wie traditionell konfessionsgebundene Pachtverhältnisse beim Kirchenland bis heute zu Interessenskonflikten in Familien führen können. Ich erinnere mich gut an eine Landwirtsfamilie auf einem evangelischen Dorf, in der die katholische Mutter unter erheblichem Druck stand, ihr Kind evangelisch taufen zu lassen, um das Pachtverhältnis bei der evangelischen Kirche zu sichern.
Ganz ähnliche Interessenskonflikte wie in landwirtschaftlichen Betrieben finden sich, wenn es um die Weitergabe von Familienunternehmen an die nächste Generation geht. Wie schwierig es ist, das Unternehmen gesund und zukunftsorientiert an die eigenen Erben zu übergeben – und zwar möglichst nicht erst im Erbfall – damit beschäftigen sich nicht nur Berater und Juristen, sondern durchaus in einigen prominenten Fällen, wie denen der Unternehmerfamilien Otto oder Oetker, auch die Medien. Wer die Statistik der hundert reichsten Familien in Deutschland liest[1], bekommt eine lebendige Anschauung von Erbteilungen, Ausgliederungen und Stiftungsgründungen und ihren Folgen. Kein Wunder, dass die Generationenfolge in Unternehmen wie die Entwicklung der Erbschaftssteuer wirtschaftspolitische brisante Themen sind, mit denen sich gerade im mittelstandsorientierten Deutschland Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände intensiv beschäftigen. Dabei geht es vor allem darum, die Erbschaftssteuer so niedrig zu halten, dass die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen keinen Schaden nimmt. Dass dabei andererseits dem Missbrauch, privates Vermögen im Unternehmen zu „verstecken“, nicht Tür und Tor geöffnet wird und wie Gerechtigkeit zwischen Unternehmenseignern und anderen vermögenden Familien gewahrt werden kann, das hat im Dezember 2014 erneut das Bundesverfassungsgericht beschäftigt.[2] Dabei wurde die Steuerbefreiung beim Erben von Betrieben in Teilen als verfassungswidrig gekippt. Die Bundesregierung ist deshalb zur Zeit in der Pflicht, die bisherige Regelung der Erbschaftssteuer erneut zu überprüfen und bis zum 30. Juni 2016 eine Neuregelung zu treffen.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Januar 2007 wurde bereits eine frühere Fassung des Gesetzes als nicht verfassungskonform beurteilt und vom Gesetzgeber verlangt, für alle verschenkten oder ererbten Gegenstände gleichermaßen realitätsnahe Bewertungen zugrunde zu legen und innerhalb von zwei Jahren eine verfassungskonforme Neuregelung vorzulegen. Dabei war die Erbschaftssteuerreform von Anfang an Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen – insbesondere um die Frage einer möglicherweise existenzbedrohenden Wirkung für kleine und mittelständische Betriebe. Deshalb sieht die derzeitig noch bestehende Regelung gerade für vererbte Betriebe erhebliche Freibeträge und eine gestreckte Erbschaftssteuerbefreiung vor, wenn die Unternehmen sieben oder zehn Jahre unter Beibehaltung eines wesentlichen Teils der Beschäftigung (gemessen an der Lohnsumme) weitergeführt werden. Dabei zeigt sich wiederum ein Interessenkonflikt – nämlich der zwischen der Erhaltung von Arbeitsplätzen und volkswirtschaftlicher Leistungsfähigkeit auf der einen Seite und der Erhaltung von betriebswirtschaftlichen Entscheidungs- und Handlungsspielräume auf der anderen – wobei sieben oder sogar zehn Jahre unter Strategie- und Managementaspekten eine schwer zu kalkulierende Zeit darstellen können. Der Vermögenszuwachs auf Grund einer Erbschaft steigert aber zugleich die finanzielle Leistungs- und Handlungsfähigkeit erheblich und soll deshalb nach allgemeiner Auffassung durchaus steuerpflichtig werden, weil er den Erben ohne eigene Leistung zufällt.[3]
Zusätzlich zu den traditionellen Fragen der Erbteilung in einer landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft zeigt sich hier eine weitere Gerechtigkeitsfrage. Es besteht nicht mehr nur das Spannungsfeld zwischen Gleichheit und Gerechtigkeit der Erbteilung und dem Erhalt der Produktivität und Gemeinwohlorientierung der Vermögen, sondern auch das zwischen selbst erarbeitetem und ererbtem, also ohne eigene Leistung erworbenen Vermögens. Angesichts der globalisierten Finanzmärkte wird dieses ererbte Kapital nämlich häufig nicht mehr in ein Unternehmen und dessen Zukunft investiert, sondern ohne Nutzen für Quartier, Region oder den Staat in Form von Finanzkapital volatil auf internationalen Märkten angelegt. Wo das Geld auf diese Weise für seine Besitzer „arbeitet“, wo es eben nicht mehr um den Erhalt von Gütern oder Arbeitsplätzen geht, wird es noch einmal dringlicher, über neue Normen im Umgang mit dem Erbe nachzudenken.
2. Zur Bedeutung kultureller Normen und sozialpolitischer Gesellschaftsentwürfe
Aber nicht nur unterschiedliche Gerechtigkeitsdimensionen, sondern auch unterschiedliche kulturelle Normen werden hinter den zum Teil hitzigen Debatten erkennbar. In einer eher liberal geprägten, auf individueller Leistung und Verantwortung aufbauenden Gesellschaft wie der US-amerikanischen, war und ist der Gedanke, dass jede Generation neu anfangen muss, sehr viel selbstverständlicher als hierzulande: Ererbtes Vermögen soll – und sei es in Form von Stiftungen – dem Gemeinwohl zur Verfügung stehen und gilt kulturell eben nicht als selbstverständlicher Anspruch einer Familie, wie es im durch Adel, Güter und Kirchen geprägten „alten Europa“ durchaus noch immer der Fall sein kann. Neben diesem Spannungsfeld zwischen Leistungs- und Generationengerechtigkeit wird der zum Teil heftig geführte politische und verfassungsrechtliche Streit um die Erbschaftssteuer, aber auch durch die Angst der Mittelschicht, befeuert, die Regelungen könnten kleine Erbschaften innerhalb der Familie betreffen. Um eine breitere Akzeptanz für die Besteuerung von so genanntem „leistungslosen“ Einkommen zu erreichen, muss deshalb deutlich vermittelt werden, wer von der anstehenden Reform tatsächlich betroffen ist und was sie insbesondere für den Mittelstand bedeutet.
Wie die Erbschaftssteuer war übrigens auch die Vermögenssteuer Gegenstand eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts; sie wurde 1997 ausgesetzt. Das Gericht hatte festgestellt, dass sie aufgrund der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Geldvermögen einerseits und Immobilienvermögen andererseits grundgesetzwidrig sei. Da allerdings die Verteilung der Vermögen noch ungleicher ist als die der Einkommen, wird die Wiedereinführung einer verfassungsgemäßen Vermögensteuer auch unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten immer wieder gefordert. Eine gemeinsame Bundesratsinitiative von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen von Ende November 2002 ging von einem erwarteten bundesweiten Einnahmevolumen von 8 Milliarden Euro aus. Nach den Vorstellungen der beiden Bundesländer sollten alle natürlichen Personen und Körperschaften einer Besteuerung in Höhe von 1% unterworfen werden, wobei erhebliche Freibeträge vorgesehen waren: 300.000 Euro für Alleinstehende, 300.000 Euro zusätzlich für den Ehepartner und für jedes Kind nochmals 200.000 Euro. Steuerpflichtigen über 60 Jahren und Schwerbehinderten sollte zusätzlich ein Freibetrag in Höhe von 100.000 Euro zugestanden werden, und für Betriebsvermögen war ein sachlicher Freibetrag von 2,5 Millionen Euro geplant.[4] Das Projekt scheiterte auch daran, dass die Erhebung der Bemessungsgrundlage als zu aufwändig betrachtet wurde. Allerdings belegen aktuelle Studien[5], dass sich die Ungleichheit der Vermögensverteilung in den letzten Jahren in Deutschland noch einmal erheblich verschärft hat, auch wenn die Einkommensverteilung inzwischen weniger auseinanderklafft als vor einigen Jahren.
Eben dabei spielt aber das ererbte Vermögen eine zentrale Rolle. Im Hintergrund stehen nicht nur die Veränderungen, die mit den globalisierten Finanzmärkten einhergehen, sondern auch der demographische Wandel, der unsere Gesellschaft zum ersten Mal im Nachkriegsdeutschland nun wieder zu einer „Erbengesellschaft“ werden lässt. Dafür gibt es zwei Gründe: zum einen wachsen die Volkswirtschaften im Westen kaum noch und auch der „Familienzuwachs“ hat erheblich abgenommen, zum anderen fallen heute bereits 70 Prozent der Nachlässe auf einen oder höchsten zwei Begünstigte. Das eingangs erwähnte Problem, das Gut zwischen vielen Erben teilen zu müssen, besteht also gar nicht mehr. In der Konsequenz kann die Erbsumme häufig weit den Ertrag übersteigen, den jemand mit eigener Leistung erarbeiten kann. Das gilt vor allem für die Generation, die zwischen 1970 und 1980 geboren wurde.
3. Die Zukunft der Erbengesellschaft
Julia Friedrichs kürzlich erschienenes Buch „Wir Erben – Was Geld mit Menschen macht“[6] setzt sich mit den Konsequenzen dieses Kulturwandels auseinander. „Feudalismus. Dynastisches Denken. Erbhofprinzip… Das alles scheint en vogue wie lange nicht mehr“ schreibt sie in ihrem Resumee. Dabei bezieht sie sich nicht zuletzt auf Thomas Pikettys Arbeit über „Das Kapital im 21. Jahrhundert“[7]. Basierend auf einer Fülle von Datensätzen über die Entwicklung der Erbschaften in Frankreich zwischen 1820 und (prognostiziert) 2050 stellt Piketty dar, dass der jährliche Erbschaftsstrom im Jahr 2050 den gleichen Anteil am Volkseinkommen erreichen könnte wie in der vormodernen „Rentiergesellschaft“ des Jahres 1820 – nämlich zwischen 20 und 25 Prozent. Im Jahr 1950 lag diese Summe in Frankreich bei weniger als 5 Prozent, 2010 bereits wieder bei 15 Prozent. Von diesem Veränderungsprozess hin zur „Erbengesellschaft“ sind nach Schätzungen nicht nur die obersten 10 Prozent der Bevölkerung, sondern zwischen einem Fünftel und einem Viertel betroffen.[8]
Die Vergangenheit frässe die Gegenwart in der Erbengesellschaft, meint Julia Friedrichs. Es verändert die Haltung, wenn der Ertrag der eigenen Leistung hinter dem zurückbleibt, was man von anderen empfängt. Der Umgang damit kann allerdings sehr unterschiedlich sein. Er reicht von mangelnder Wertschätzung und Verantwortung, von neuem Luxus und Gier, bis hin zu der Frage, wie es gelingen kann, mit dem ererbten Vermögen Bleibendes zu hinterlassen. Kein Wunder, dass die Zahl der Stiftungen in Deutschland rasant angestiegen ist. Sie hat sich seit 2001 verdoppelt und zwar auf mehr als 20.150 im Jahr 2013. Hier zeigt sich ein vielfältiges Bürgerengagement von kulturellen bis zu sozialen Initiativen; daneben stehen aber auch große Unternehmensstiftungen, in denen noch vor dem Erbfall Familienvermögen gesichert und durchaus gemeinwohlorientiert weiter gegeben wird. Anglo-amerikanische und englische Traditionen im Umgang mit Finanzkapital spielen inzwischen auch hierzulande eine große Rolle.[9] Auf diese Weise lassen sich nicht zuletzt Steuern vermeiden oder einsparen; es ist deutlich, dass dieser Veränderungsprozess nicht nur auf eine engagierte Zivilgesellschaft, sondern auch auf ein gewisses Misstrauen gegen die Steuerungsfunktion des Staates hinweist, die im Sozialbereich wie in der Kultur immer auch mit Umverteilung verbunden ist.
Dabei „steuert“ der Staat mit seinen Einnahmen eben auch den Erhalt der Rahmenbedingungen, auf denen die Anstrengungen und Risiken der Einzelnen aufsetzen können: Bildung, Gesundheitsversorgung und soziale Sicherung auch im Alter, Infrastruktur genauso wie die Landesverteidigung. Und es ist deutlich, dass eben nicht alle zentralen und zum Teil durchaus kostenintensiven Aufgaben des Staates in gleichem Maße von Stiftungen wahrgenommen werden. Wie wird die Erbengesellschaft zum Beispiel in Zukunft mit denjenigen alten Menschen umgehen, die nach einer prekären Erwerbsbiographie kaum eine existenzsichernde Rente erreichen? Wie mit Migranten und Flüchtlingen im eigenen Land, die – wie in den letzten Jahrhunderten viele Deutsche – aus ihrer Heimat geflohen sind, weil die eigene Wirtschaft sie nicht mehr ernähren konnte? Damit ist noch einmal die Frage der Gerechtigkeit angesprochen – jetzt unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit. Eigentum verpflichtet, heißt es im Grundgesetz – und damit ist nicht nur eine moralische Verpflichtung im Blick auf das Gemeinwohl gemeint, sondern durchaus auch die Frage der Verteilung von Vermögen und Erbe angesprochen.
In ihrem Buch über die Erbengesellschaft nimmt Julia Friedrichs Erfahrungen aus einem Interview mit Götz Werner auf, der sich auch für das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Bürgerinnen und Bürger einsetzt. Er ist der Überzeugung, dass er seinen Kindern am besten dient, wenn er sie von ihrem Erbe befreit und ihnen, ganz wie im oben zitierten amerikanischen Mythos, einen Neuanfang ermöglicht. Ein Leben, das eigene Spuren zieht und nicht von der Vergangenheit aufgesogen wird. Ich denke, diese durchaus provokative und auch produktive Idee wird in ihrer Radikalität eine Utopie bleiben. Aber die Frage, wie eine Erbengesellschaft die Freude an Neuanfängen und eigener Leistung organisiert, bleibt genauso virulent wie die Frage nach einem gerechten Umgang mit dem ererbten Vermögen.
„Was Du ererbst von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“, heißt es in Goethes Faust. Und weiter: „Was man nicht nützt, ist eine schwere Last“. Und Thomas Mann hat in seinem Roman „Die Buddenbrooks“ anschaulich geschildert, welchen Niedergang es auch für ein Unternehmen bedeuten kann, wenn die Erben eben nicht in der Lage sind, sich das Erbe innerlich anzueignen und unter den aktuellen Rahmenbedingungen weiter zu entwickeln. Damit wird aber auch deutlich: wenn wir vom Erbe sprechen, geht es im Kern um mehr als um Immobilien, Unternehmen und Finanzvermögen. Wir haben auch Humanvermögen weiter zu geben: Sozialkapital, historische Erfahrung, Lebenswissen – und müssen zugleich darauf setzen, dass die nächsten Generationen das Ererbte nicht nur bewahren, sondern kreativ verändern. Für das immaterielle Erbe allerdings gilt in weit höherem Maße als für das materielle: es kommt darauf an, dass wir es mit „warmer Hand“ weitergeben, wie meine Großmutter noch sagte. Nämlich so, dass die Erinnerungen, die sich in die Dinge eingeschrieben haben, lebendig bleiben und dass auch Traditionen verändert werden können.
Das biblische Israel, eine Gesellschaft die auf der Erfahrung von Auswanderern, Flüchtlingen und Vertriebenen wurzelt, hat die eigenen Traditionen, Feste, Rituale und Kultgegenstände als konstitutiv erlebt und sich zugleich in hohem Maße den Armen und Verfolgten, den Fremden im eigenen Land, verpflichtet gefühlt. Wo Stifterinnen und Stifter eine solche Intention mit ihrem Erbe verbinden, kann ich gut nachvollziehen, wie unsere Gesellschaft sich verändert. Wo es aber nur darum geht, das scheinbar Eigene zu sichern, ohne die fehlenden eigenen Anteile zu sehen, tut es Not, daran zu erinnern, dass Eigentum auch und gerade in einem sozialen Rechtsstaat verpflichtet. Schließlich ist auch zu bedenken, dass es ein Erbe gibt, das weit größer ist, als es einzelne Personen oder Generationen sich je mit ihrer eigenen Leistung aneignen können: das Erbe der Menschheit. Was das wirklich bedeutet und wie gefährdet es ist, ahnen wir, wenn die Welterbestätten im Nahen Osten um einer islamistischen Ideologie willen von einem Tag auf den anderen zerstört werden oder wenn das historische Saatgut einer Kultur und die ökologische Vielfalt aufgrund von Naturkatastrophen, Kriegen oder ökonomischen Interessen vernichtet wird. Gut, dass es am Nordkap eine Schatzkammer im Permafrost gibt, in der dieses Erbe der Menschheit gesammelt wird, um das Überleben der nächsten Generationen zu sichern.
Wer in der Bibel bewusst nach Texten zum Thema Erben sucht, wird übrigens neben den ganz materiellen Fragen um Land und Güter, Erbteilung und Erbstreitigkeiten, auch einen Segens- und Verheißungsaspekt des Erbes finden, der uns bis heute helfen kann, den Blick in die Zukunft zu richten. Das Neue Testament sieht uns Christinnen und Christen als „Erben des ewigen Lebens“[10], also als diejenigen, die von der Hingabe und dem Gottvertrauen, von Tod und Auferweckung Jesu leben, die wir ohne eigene Leistung erworben haben. Und auch hier geht es vor allem darum, dieses Erbe zu gestalten und mit dem eigenen Leben zu füllen. Das allerdings hat Konsequenzen auch für die politische und soziale Dimension unseres Alltags.
Cornelia Coenen-Marx, OKR a.D.