1. Engagement hat Konjunktur
„Im Jahr 2014 sind 43,6 Prozent der Wohnbevölkerung ab 14 Jahren freiwillig engagiert – das entspricht 30,9 Millionen Menschen. In den letzten fünfzehn Jahren ist die Engagementquote um insgesamt knapp 10 Prozentpunkte angestiegen.“
Das gilt auch für die Kirchen, obwohl die Mitgliederzahlen sinken. 48,7% aller Evangelischen engagieren sich – gegenüber 43,6 % in der Gesamtgesellschaft- und sogar 66,7% der Hochverbundenen.
Es geht darum, etwas zu finden, was Einsatz und Hingabe lohnt: Die eigene Berufung. Eine Aufgabe, die auch die Seele füttert – und nicht nur das Konto füllt.
Ehrenamt macht stark. Die sozialwissenschaftliche Forschung zeigt: Menschen, die sich in Gruppen engagieren, entwickeln ein überdurchschnittlich hohes Vertrauen und eine positive Grundeinstellung in der Begegnung mit anderen.
Angesichts der leerer werdenden öffentlichen Kassen ist der Einsatz von Ehrenamtlichen etwa in der Tafel-, Quartiers- und Flüchtlingsarbeit gesellschaftlich hoch willkommen. Sind die Ehrenamtlichen der billige Jakob von Kirche und Sozialstaat?
2. Die Engagierten: Frauen im sozialen Ehrenamt
Bei einer Caritasuntersuchung 2007 waren 70 Prozent der Ehrenamtlichen Frauen, 56 Prozent davon 60 Jahre oder älter. Entsprechend gering war mit 31 Prozent der Anteil der Berufstätigen.
Daran hat sich nichts geändert: 70 Prozent der Ehrenamtlichen in den Kirchen sind Frauen. Dabei ist das Geschlechterverhältnis im Blick auf Aufgaben wie Gemeindeleitung, Verwaltung oder Lektorendienste inzwischen ausgewogen.
Trotz aller Bemühungen bleibt es schwer, Frauen für leitende Ehrenämter zu finden, weil die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt noch immer schwierig ist.
Während Fachkräfte fehlen und ein berufliches Einkommen für jeden Erwachsenen notwendig ist, setzt die Gesellschaft bei sozialen Ehrenämtern noch immer auf das unentgeltliche Engagement der Familienfrauen.
Das bundesdeutsche Sozialsystem stützt das soziale Ehrenamt mit Ehegattensplitting, Mitversicherung und Witwenrenten. Tatsächlich bringen Frauen ihre familiären Erfahrungen oft ins Ehrenamt ein. Aber gerade engagierte Frauen haben immer häufiger das Gefühl, um eine gerechte Alterssicherung betrogen zu werden.
Trotz Erwerbsbeteiligung übernehmen Frauen weiterhin die Hauptverantwortung in der Haus- und Pflegearbeit. Auch bei den 40- bis 65-jährigen Frauen gibt es Vereinbarkeitsprobleme (Betreuung der Enkel/ häusliche Pflege) zwischen Beruf, Familie und Ehrenamt. Bei den 55-65-jährigen hat sich die Belastung seit 1996 vervierfacht.
Das soziale Engagement braucht eine ökonomische Absicherung – zum Beispiel bei der Berücksichtigung von Versicherungszeiten in Rente und Sozialversicherung. Frauenverbände plädieren auch für eine Lebensleistungsrente.
Die wachsende Erwerbstätigkeit von Frauen, aber auch neue Familienmodelle machen es auch nötig, über neue Zugänge zum Ehrenamt und eine gerechtere Verteilung nachzudenken.
Immerhin 25 Prozent der Bevölkerung engagieren sich in der nachbarschaftlichen Hilfe. Es sind, bis auf die Unterstützung Pflegebedürftiger, mehr Männer als Frauen und eher Jüngere als Ältere. (FWS 2014)
Die Altersgruppe der über 65jährigen ist im kirchlichen Ehrenamt besonders stark repräsentiert (22%; alle Bereiche: 13%). Gerade im sozialen Ehrenamt (s. Caritasuntersuchung) sind geringe Renten ein Problem.
3. Die Engagierten: Recht auf Ehrenamt
Ehrenamt ist in Deutschland an einen hohen Sozial- und Bildungsstatus gekoppelt. Ehrenamtliche sind in der Regel gut ausgebildet, mit stabiler Familie, gut vernetzt und oft an vielen Stellen zugleich engagiert. (40 Prozent der kirchlich Engagierten sind auch anderswo ehrenamtlich tätig).
Wer es sich nicht leisten kann, nur für die Ehre zu arbeiten, bleibt auch von den sozial und beruflich nutzbringenden Ehrenämtern ausgeschlossen. Es gilt das Matthäusprinzip: Wer hat, kann weitergeben.
Arbeitslose, prekär Beschäftigte, Jugendliche in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, Rentnerinnen, Hartz-IV-Empfänger haben kaum Ressourcen frei und finden oft den Einstieg nicht. Welche Angebote, Anerkennungs- und Finanzierungsformen können die Schwelle senken?
Die meisten Ehrenamtlichen wollen nicht, dass ihre intrinsische Motivation einer extrinsischen Kontrolle unterzogen wird. Ehrenamtliche entscheiden sich für die Arbeit und die Beziehung – nicht für den Lohn: „Würde ich dafür bezahlt, würde ich es nicht machen.“ Aber 44% der Freiwilligen fordern eine bessere steuerliche Absetzbarkeit.
Durch engagementpolitische Initiativen und staatliche Gesetzgebung hat sich eine Grauzone zwischen dem klassischen Ehrenamt und prekären Beschäftigungsverhältnissen entwickelt: Bundesfreiwilligendienst, 450-Euro-Jobs, die steuerfreie Übungsleiterpauschale (2.400 Euro jährlich), die Ehrenamtspauschale (720 Euro jährlich). Inzwischen sind sie unverzichtbar für Nachbarschaftsnetzwerke, Mehrgenerationenhäuser und Pflegedienste.
Die Übergänge sind fließend: Das gilt auch für Aufwandsentschädigungen in Aufsichtsräten, Predigten von RuhestandspfarrerInnen, OrganistInnen usw.
4. Geld und Liebe in Ehrenamt und Beruf
„Freiwilliges Engagement ist frei vereinbarte Tätigkeit …, beinhaltet ein hohes Maß an Selbstbestimmung …, ist nicht an Tarife und Ausbildungsgänge gebunden …, kurz oder mittelfristig veränderbar …, und ohne Bezahlung.“
„Du musst nichts als ehrenamtliche Kraft. Das ist eines der großen Geschenke: Du kannst dich selbst erproben. Du kannst dich selbst neu kennenlernen. Du kannst deine Berufung finden.“
Engagementbiographien zeigen: Mal ist es die Familie, mal der Beruf, aus denen sich ehrenamtliches Engagement entwickelt. Und umgekehrt: Mal finden Teilnehmende ihren Beruf auf dem Hintergrund ehrenamtlicher Erfahrungen.
„Seitenwechsel“ zwischen beruflicher und ehrenamtlicher Tätigkeit werden normaler. Viele, die in Kirche und Wohlfahrtspflege beruflich tätig sind, arbeiten an anderer Stelle ehrenamtlich.
Selbsttätigkeit und „Vertiefung des eigenen Weges“ sind der Gewinn im Ehrenamt. Dazu kommen neue Zugangsqualifikationen, neue Netze. Ehrenamtliches Engagement hilft, Lebensübergänge zu gestalten – von der Schule in den Beruf, von der Erwerbstätigkeit in die dritte Lebensphase, von der Familienphase zurück in den Beruf. Ehrenamt braucht aber eine grundlegende ökonomische Absicherung (familiär, staatlich oder durch den Träger).
Ökonomische Sicherheit und professionelle Verantwortung gehören zum Gewinn beruflicher Arbeit. Aber auch berufliche Zufriedenheit ist auf Motivationserhalt, Bildungsangebote, Teamentwicklung angewiesen. Diskontinuierliche Erwerbsbiographien führen zu einem neuen Interesse an Sinn und sozialer Gestaltung der Arbeit.
Das Spannungsfeld von Liebe und Geld kann zu Konflikten zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen führen. Wo die Grenzen klar gezogen sind und Ehrenamt als freiwilliger Zusatz begriffen wird, entsteht Rollenklarheit. Aber auch jede Einzelne braucht eine gute Balance.
Cornelia Coenen-Marx, Hannover, 8.9.2018