„Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ‘nen zweiten Plan, gehn tun sie beide nicht.“ Bert Brechts „Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens“ von 1928 ist geprägt von der Erfahrung, dass sich der Einzelne lächerlich macht, wenn er versucht, sein Glück zu planen. Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlecht genug. Doch sein höhres Streben ist ein schöner Zug.
Ja, renn nur nach dem Glück, doch renne nicht zu sehr. Denn alle rennen nach dem Glück, das Glück rennt hinterher. Der Versuch, das eigene Leben wie ein Unternehmen zu planen, stößt schnell an Grenzen. Woran das liegt, variiert Brecht über vier Strophen: Der Mensch ist nicht anspruchslos genug, nicht schlau genug, nicht gut oder nicht schlecht genug. Er ist ganz einfach nicht Gott.
Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir unglaublich viele Möglichkeiten haben. Wir haben uns befreit von Bindungen und Beziehungen, traditionelle Zusammenhänge aufgelöst. „Aber immer schärfer treibt die Moderne die Frage nach dem Sinn hervor. In der wachsenden Komplexität können wir das Leben nur noch unzusammenhängend und fragmentarisch wahrnehmen. Was bleibt, wird von vielen als sinnloses „Nichts“ empfunden.“ sagt der Philosoph Wilhelm Schmidt.
Alle Suche nach Sinn ist unbefriedigend – ein Haschen nach Nichts. Das ist auch die Botschaft des Predigerbuches.
Am guten Tage sei guter Dinge, und den bösen Tag nimm auch für gut; denn diesen schafft Gott neben jenem, dass der Mensch nicht wissen soll, was künftig ist. Allerlei habe ich gesehen in den Tagen meiner Eitelkeit. Da ist ein Gerechter, und geht unter mit seiner Gerechtigkeit; und ein Gottloser, der lange lebt in seiner Bosheit.
Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, dass du dich nicht verderbest. Sei nicht allzu gottlos und narre nicht, dass du nicht sterbest zur Unzeit. Gott schafft Tage des Glücks und des Unheils, damit der Mensch nichts findet hinter ihm. (Koh. 7, 15- 18)
Die Zeit des Hellenismus in der dieser Text in Jerusalem geschrieben wurde, glich in manchem unserer globalen Moderne. So großartig die „sieben Weltwunder“ erschienen, so viel Individualität und Differenzierung der Länder und Kulturen möglich war – wo alles möglich scheint, trägt nichts mehr. Die Maßstäbe verschieben sich. Das Streben nach Weisheit, ja selbst der Kampf um Gerechtigkeit sind zum Geschäft verkommen.
Das kennen wir auch. Nehmen wir das Beispiel Flüchtlingsarbeit. Viele engagieren sich, weil sie es nicht ertragen, auf einer Insel der Seligen zu leben, während andere unverschuldet leiden – unter Armut, Kriegen, Klimawandel. “Unser Dorf ist glücklicher, seit wir Flüchtlinge haben. Weil es viele Menschen gibt, die vorher für sich allein lebten und jetzt plötzlich Menschen in Not helfen können“, sagt der Psychiater und Theologe Manfred Lütz. „Glück ist eben kein Ego-Trip. Der Mensch ist ein soziales Wesen.“ Oder ist es ganz anders – werden dabei die Anderen zu einem subtilen Mittel für das eigene Glück? Der Soziologe Heinz Bude meint, der Ausdruck „Gutmensch“ sei ein Versuch, diese Selbstbezogenheit in der Fremdbekümmerung bloßzulegen. „Sobald wir die Bilder sehen, wie Menschen ertrinken bei dem Versuch, übers Meer nach Europa zu gelangen, meldet sich der Gutmensch in seiner ganzen moralischen Hilflosigkeit“ sagt er. Und er spitzt zu: Flüchtlingsinitiativen seien moralische Geschäfte – sie verkaufen Moral an die Mittelschicht, die sich Moral leisten können. Was bleibt nach solchen Auseinandersetzungen um Glück und Moral, was bleibt nach all den engagierten, aber auch aggressiven politischen Debatten in Europa? Am Ende bleiben nur Enttäuschung und Zynismus. Man kann auch auf der Suche nach Gerechtigkeit zu Grunde gehen, sagt der Prediger.
Nur – wie sonst lässt sich die Ungerechtigkeit der Welt aushalten?
Der jüdische Psychoanalytiker Victor Frankl hat das KZ überlebt. Er hat sich mit der Frage nach dem Sinn auseinandergesetzt und die Logo-Therapie entwickelt. „Trotzdem Ja zum Leben sagen“, heißt sein bekanntestes Buch. Er beschreibt drei Hauptstraßen zum Sinn: Erstens: Sinnliche Erfahrung. Das unmittelbare Erleben von Glück in der Liebe, die Freude an einem guten Essen, einem Sonnenuntergang oder an schöner Musik. Zweitens: Engagement. Das Eintreten für eine Sache und das Gefühl, mit dem eigenen Leben etwas bewirken zu können. Und drittens eine bedingungslose Treue zum Leben – auch im Leiden. Es geht darum, offen zu bleiben, für das, was mit uns geschieht – und was wir eben nicht beeinflussen. „Wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen“, heißt es bei Kohelet. Entgeht dem Zynismus und der Verzweiflung, dem politischen Extremismus und der Sucht nach purem Genuss. Gottesfurcht wächst aus der Einsicht, dass man den unbegreifbaren Gott letztlich nicht verstehen, sondern nur vertrauen kann. Dass da Sinn ist gegen alle Unsinnserfahrung.
In den letzten Jahren wandeln sich die Glücksratgeber. Neben das Planen ist das Vertrauen getreten. In dem Bestseller „Wiedersehen im Café am Rande der Welt“ – wird ein gelungenes Leben mit dem Surfen verglichen. Wie beim Surfen kommt es darauf an, die Wellen des Lebens zu reiten, die wir selbst nicht steuern: Die Traumwelle in den Blick zu nehmen, sich von ihrer machtvollen Energie nicht beirren zu lassen und die Angst zu besiegen. Keine Garantie, dass das gelingt – so manches Mal wird man unter der Welle hindurchtauchen müssen. Dann gibt es nur eins: sich den Wellen zu überlassen, statt dagegen anzukämpfen – einfach nur darauf zu achten, dass man genügend Luft bekommt und atmet. Und darauf zu vertrauen, dass das Wasser trägt, so Furcht einflößend es auch erscheinen mag. „Weiß ich den Weg auch nicht, Du weißt ihn wohl“, heißt es in einem alten Lied. Dieses Vertrauen ist die entscheidende Dimension der Spiritualität. Respekt vor dem Leben, Gottesfurcht.
Klaus Hemmerle, der ehemalige Bischof von Aachen, hat diesen Glauben gegen allen Unglauben so beschrieben: „Der Spielraum des Menschen entsteht nicht aus vorgeplanten und vorgefertigten Möglichkeiten, sondern aus ausgehaltenen Unmöglichkeiten. Spielraum ist, wo ich in den Unmöglichkeiten und Ausweglosigkeiten da bin und IHM zutraue, dass ER da ist. Wir haben ein ziemlich perfektes System entwickelt, um solche Ausweglosigkeiten möglichst zu vermeiden, vor Katastrophen gesichert und auf Unvorhergesehenes vorbereitet zu sein. Glaube geschieht aus dem Wunder, und das Wunder ist das Unmögliche, und das Unmögliche geschieht eben nur dort, wo wir am Ende sind: in der Aporie. Aporie: nicht billig auflösen, Aporie: nicht ausweichen, sondern da sein, wo ich am Ende bin. Dasein, wo die oder der andere am Ende ist. Dasein, wo unser Latein am Ende ist. Dasein, so dass er wirken kann.“
Damit ist zugleich das Thema Gerechtigkeit aufgenommen: Dasein, wo die oder der andere am Ende ist. Wo unser Latein am Ende ist. Und so – in der schlichten Solidarität, die mehr ist als alles „Gutmenschentum“ – selbst erneut Sinn erfahren. Amen