Ehrenamtliches Engagement in Kirche und Zivilgesellschaft

1. Worum es mir geht

Angesichts der leerer werdenden öffentlichen Kassen ist der Einsatz von Ehrenamtlichen zurzeit überall in der Gesellschaft hoch willkommen. Daran gibt es durchaus berechtigte Kritik: „Das Problem ist, dass aus spontaner Hilfebereitschaft, wie in der Flüchtlingsfrage, dauerhafte Strukturen entwickelt werden, um den geschrumpften öffentlichen Sektor im Allgemeinen und den Sozialstaat im Besonderen zu entlasten. Der öffentliche Dienst, die Pflege, die Bildung, die Städte – alles ist strukturell unterfinanziert – und die Ehrenamtlichen sollen es richten“, schreibt Claudia Pinl auf der Diskussionsplattform „Ehrenamt. Evangelisch“. Sind die Ehrenamtlichen also die Ausputzer des Sozialstaats? Die letzten beiden Freiwilligensurveys der Bundesregierung zeigen: Bürgerinnen und Bürger wollen Gesellschaft mitgestalten. Vielleicht nur auf Zeit, vielleicht nur für ein ganz bestimmtes Projekt. Das Pflichtmotiv spielt keine große Rolle mehr – aber es ist keineswegs so, dass die neuen Ehrenamtlichen nur an Selbstverwirklichung interessiert sind. Freiwillig Engagierte verbinden selbstbezogene und altruistische Motive. Es geht um ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen. Wer sich engagiert, gewinnt neue Beziehungen. Menschen, die sich in Gruppen engagieren, entwickeln ein überdurchschnittlich hohes Vertrauen, eine positive Grundeinstellung anderen gegenüber. Das Gefühl, gebraucht zu werden, etwas beitragen zu können, macht uns stark. „Spaß haben“, „Menschen helfen“, „Gesellschaft verändern“ gehören zu den wichtigsten Motiven für ehrenamtliches Engagement. Die Sorge füreinander kann uns helfen, reicher, lebendiger und sinnvoller zu leben.

Die traditionsreichen diakonischen Einrichtungen und Unternehmen gingen aus Initiativen hervor, in denen engagierte Bürgerinnen und Bürger sich im Namen christlicher Nächstenliebe um diejenigen kümmerten, die bei der Industrialisierung auf der Strecke blieben – um Migranten genauso wie um unversorgte Kranke und Sterbende, überforderte Familien oder arbeitslose Jugendliche. Die Vereine, Verbände und Genossenschaften, die damals in Diakonie, Frauen- und Jugendarbeit gegründet wurden, waren zentral für die Entwicklung der Zivilgesellschaft in Deutschland und wurden zugleich zum Motor für die Entwicklung neuer sozialer und pädagogischer Berufe. Heute scheint die Kraft der Verbände zu erlahmen, während die Bedeutung von Initiativen wieder steigt. Tatsächlich engagieren sich inzwischen zehn Prozent aller Ehrenamtlichen ganz selbstbestimmt, das Internet spielt dabei eine große Rolle. Ich erinnere an Projekte wie „Heute ein Engel“ oder die „Digitale Nachbarschaft“. Wo neue Verbandsstrukturen entstehen, bilden sie sich quer zu konfessionell oder weltanschaulich geprägten Traditionen: Im Mittelpunkt stehen akute Problemlagen. Beispiele dafür sind die Hospiz- oder die Tafelbewegung. Zum Teil von Sponsoren aus der Wirtschaft unterstützt, fordern sie Kirche und freie Wohlfahrtspflege heraus und geben neue Anstöße. Engagierte sind in der Regel in mehreren Zusammenhängen aktiv: in Schule und Sportverein, in Kirche und Nachbarschaft.

Kirchen, Vereine und Verbände müssen sich darauf einrichten, dass Ehrenamtliche sich nicht mehr als „Helfer von Wohlfahrtsorganisationen“ verstehen. Sie wollen sich professionell und effektiv einbringen, ihre Zeit und ihren Einsatz selbst planen. Viele sind oder waren berufstätig und erwarten ganz selbstverständlich klare Strukturen, Respekt vor ihren Kompetenzen sowie Entscheidungs- und Mitgestaltungsspielräume bei der Planung von Projekten. Es geht um ein ebenso sinnvolles wie selbstbewusstes Tun, das in der Erwerbsarbeit oft vermisst wird. Es geht darum, etwas zu finden, was unseren Einsatz und unsere Hingabe lohnt. Eine Aufgabe, die auch die eigene Seele füttert – und nicht nur das Konto füllt. Immerhin dreißig Prozent derer, die sich momentan noch nicht freiwillig engagieren, sind dazu bereit. Die entsprechenden Angebote müssen aber biografisch passen und vielfältig gestaltet sein. Engagementträger wie die Kirchen und ihre Verbände stehen vor großen Herausforderungen, was ihre Kultur angeht: Sie müssen sich wieder neu als Ehrenamtsorganisationen begreifen, in denen Hauptamtliche die Engagierten unterstützen.

2. Beispiele für Vortragsthemen

  • „Zeit für Herzblut“ – Impulse für das Ehrenamt an der Schnittstelle zwischen Beruf, Gemeinschaft und Gesellschaft
  • „Keiner stirbt für sich allein“ – Hospizliche Arbeit im Geflecht unseres Lebens
  • „Engagementpolitik“ der Kirche im Kontext gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen
  • Amtskirche oder Ehrenamtsorganisation? Kirche zwischen Staat und Zivilgesellschaft

3. Mein Erfahrungshintergrund

Nach der Arbeit mit Ehrenamtlichen in der Kirchengemeinde (ca. 15 Prozent der Mitglieder waren ehrenamtlich engagiert und auch der Gemeinde- und Quartiersladen wurde von einem engagierten Ehrenamtsteam getragen) war ich als Abteilungsleitung Sozialwesen im Diakonischen Werk der Landeskirche u. a. zuständig für Ehrenamt und Selbsthilfe. In der Kaiserswerther Diakonie war ich an der Gründung einer Freiwilligenagentur beteiligt, in der EKD bei der Vorbereitung der „Ehrenamtssynode“ 2009. Dort war ich auch zuständig für die Moderation des Arbeitskreises der Engagementstellen in den Landeskirchen und die Vorbereitung und Durchführung der Ökumenischen Tagungen zum ehrenamtlichen Engagement 2011 bis 2014. Dieser kirchlich-diakonische Erfahrungshintergrund führte mich ins Bündnis Bürgerschaftliches Engagement (BBE), wo ich Mitglied im Koordinierungsausschuss wurde und schließlich auf Bundesebene Mitglied im Beirat des Deutschen Freiwilligensurveys sowie in der Jury des Deutschen Engagementpreises war.

4. Mein Buch zum Thema und weitere Publikationen

„Symphonie, Drama, Powerplay. Haupt- und Ehrenamtliche in der Kirche“, Stuttgart 2016

„Engagement und Berufung – Die Kirchen als profilierte Bündnispartner in der Zivilgesellschaft“ in: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 1/2015