Keiner stirbt für sich allein. Hospiz- und Sorgeteams

1. Worum es mir geht

„Mein Sterbeglück ist, dass ich die Beziehungen zu mir nahestehenden Menschen noch einmal ganz neu und wunderbar erlebe“, sagte die Theologin Luise Schottroff kurz vor ihrem Tod. „Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass in unserer durchgetakteten Welt so viel Zuwendung möglich ist.“ In der Zeit ihrer Krankheit wurde ihr Freundesnetzwerk noch einmal dichter geknüpft – und alle Beteiligten wuchsen so zusammen, dass sie einander im Abschiednehmen emotional und praktisch unterstützen konnten. Nicht immer sind Abschieds- und Sterbeprozesse so versöhnlich. „Im Grunde, fürchte ich, gibt es keinen, der mich aushält“, schreibt Jutta Winkelmann in ihrem Buch „Mein Leben ohne mich“. „Ich darf keine negativen Gefühle haben, sie sind zu offenbar zu bedrohlich.“ Ob und wie es möglich wird, durch den Schmerz zu einem neuen Leben zu finden, das hängt von vielen Faktoren ab. Von den individuellen Beziehungen, aber auch von den Strukturen der Institutionen. Vom Gesundheitszustand der Sterbenden genauso wie von dem der Angehörigen und Freunde. Und nicht zuletzt von finanziellen und rechtlichen Fragen.

Noch immer gilt das Paradox, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger zu Hause sterben wollen, während die meisten tatsächlich in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen oder in Hospizen sterben. Wir wünschen uns Verhältnisse wie in den fünfziger Jahren, als es selbstverständlich schien, dass Pflegebedürftige zu Hause von ihren Angehörigen versorgt wurden. Dass das Sterben seitdem immer mehr professionalisiert, institutionalisiert und medikalisiert wurde, hat viele Gründe. Die selbstverständliche Teilnahme von Frauen an der Erwerbsgesellschaft, die zunehmende Mobilität und auch der demografische Wandel haben die Situation grundlegend verändert. Ehe wir allerdings die goldenen Fünfziger verklären, sollten wir uns auch an die Überforderung erinnern, die so ein Pflegesetting auf vielen Ebenen bedeuten kann. Die Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, die bereits im frühen 19. Jahrhundert mit der wachsenden Industrialisierung gegründet wurden, sollten den Bewohnern eine gute Versorgung bieten, die die Angehörigen schon zeitlich oft nicht mehr leisten konnten. Inzwischen hat man mehr und mehr auch die emotionale Überforderung der Pflegenden im Blick. Gleichzeitig entwickeln die Einrichtungen aber auch ihre Eigengesetzlichkeit. Den Einzug in ein Heim erleben viele als Verlust an Autonomie und Geborgenheit, an Privatsphäre und Freiheit unter den Kontrollstrukturen der jeweiligen Einrichtung.

Wenn sich etwas ändern soll, brauchen wir nicht nur eine andere Sozial-, Pflege- und Arbeitsmarktpolitik, sondern auch einen Mentalitätswandel. Wir brauchen eine Kultur der Freundschaft und wechselseitigen Sorge. „Freundschaft lässt sich nicht bezahlen, nicht organisieren und professionalisieren …“, schreibt Andreas Heller.Aber die Sorge füreinander kann uns helfen, reicher, lebendiger und sinnvoller zu leben.“ Dabei geht es darum, Freundesdienste und bezahlte Dienstleistungen gut zusammenzufügen. Manche, die im eigenen Haus bleiben und die alten Netzwerke pflegen, haben nun neben der gewohnten Putzhilfe und den verschiedenen Hol- und Bringediensten auch eine polnische oder rumänische Betreuerin. Dieses Arrangement ist aber nicht nur teuer für diejenigen, die darin den privaten Ausweg aus dem bekannten Pflegenotstand suchen. Die sogenannten Care-Ketten in Europa bringen auch hohe soziale Kosten für die Pflegepersonen und ihre eigenen Familien und auch Gesellschaften mit sich.

Dass die meisten heute in Krankenhäusern sterben, liegt aber nicht nur am hinkenden Ausbau der ambulanten Pflege. Es hängt auch damit zusammen, dass wir den Tod genauso wie die Schwangerschaft medizinalisiert haben. Aus lauter Angst vor dem Prozess des Sterbens, aus mangelnder Erfahrung geben wir die Steuerung an Experten ab. Dann bleiben die Angehörigen Besucher, werden aber gleichzeitig wegen der Personalknappheit für den einen oder anderen Hilfsdienst gebraucht – eine Rolle, die verunsichert. Nur in den hospizlichen Einrichtungen ist es in der Regel möglich, Alltag und Abschiede individuell und kreativ zu gestalten. Kleinere Einheiten, in denen wir interagieren können, bieten soziale Sicherheit, ohne hohe Kontrollschranken aufbauen zu müssen.

„Wir sollten lernen, keine Angst aufkommen zu lassen, sondern danach zu handeln, was Recht ist. Und das nicht im Alleingang, sondern immer im Team“, sagt ein Altenpfleger. „Ein Bewohner hat das Recht, dass man für ihn kämpft, wenn er das nicht mehr selbst kann.“ Tatsächlich finden am Sterbebett oft genug Kämpfe statt. Denn es ist keineswegs immer klar, „was Recht ist“. Gerade bei älteren, multimorbiden Menschen geht es im Sterbeprozess um zahlreiche Entscheidungen und keinesfalls um das schnelle Ende, das von manchen so sehr gewünscht wird. Dabei ist ein gutes Miteinander in der Entscheidungssituation genauso wesentlich wie die rechtliche Festlegung in einer Patientenverfügung. Die Zeit der Sterbebegleitung, des Abschiednehmens und Neuordnens verlangt in unserer zunehmend fragmentierten Gesellschaft ein hohes Maß an Kommunikation und Absprachen. Und eben ein Überschreiten der Grenzen zwischen den Institutionen und ihrem Außerhalb, zwischen Pflegenden, der Kernfamilie und den anderen Zugehörigen, aber auch – im Sinne integrierter Gesundheitspolitik – zwischen verschiedenen Trägern, Kranken- und Pflegeversicherung, Organisationen und den Engagierten in der Zivilgesellschaft. Bei Seelsorgekräften und Ehrenamtlichen ist vielleicht auch Raum, die oft unterdrückten Gefühle anzusprechen: Enttäuschung und Trauer, Hilflosigkeit, Wut und Verletzungen. Wie sonst soll es gelingen, sich auszusöhnen und „die Dinge in Ordnung zu bringen“? Und mit wem kann man sprechen über die immer noch offene Frage, was uns erwartet „danach“?

Wer ohne Tabus mit dem Sterben und der Frage nach dem „Danach“ umgehen will, braucht Räume und Zeiten, in denen er selbst angstfrei darüber nachdenken kann. Dabei spielen Rituale eine besondere Rolle. Kirchengemeinden und Seelsorgeteams haben hier eine wichtige Aufgabe. Es geht um Entlastung, damit Menschen Zeit mit ihren Angehörigen verbringen können, um einfühlsame Begleitung, um Versöhnungsprozesse und Wiederbegegnungen zu ermöglichen. Um Beratung in schwierigen Entscheidungssituationen – vorurteilsfrei und nah am Miteinander. Seelsorge, auch die Gemeindeseelsorge, muss sich als integrativer Bestandteil und Inspiration hospizlicher Teams bzw. sorgender Gemeinschaften verstehen. Gemeinde und diakonische Temas brauchen dabei mehr als spirituelle Erfahrung, sie brauchen eine Gesprächskultur und Räume der Reflexion, die die Freiheit unterschiedlicher Zugänge und Lebenswege achten. Die Auseinandersetzung mit den biblischen Texten kann dabei eine hilfreiche Orientierung bieten.

2. Mein Erfahrungshintergrund

Seit meiner Gemeindearbeit in den achtziger Jahren in Mönchengladbach hat mich die hospizliche Arbeit beschäftigt – dort startete 1984 eine Hospizinitiative, inspiriert unter anderem von der Arbeit von Cicely Saunders, und auch in unserer Gemeinde führten wir Veranstaltungen durch. Damals bauten wir einen ökumenischen Pflege- und Besuchsdienst auf. Als Abteilungsleitung im Diakonischen Wert Rheinland konnte ich die ersten stationären Hospize begleiten, als Theologischer Vorstand in der Kaiserswerther Diakonie war ich beteiligt am Aufbau einer Palliativstation im Florence-Nightingale-Krankenhaus und einem dreijährigen, differenzierten Projekt zur Sterbebegleitung auf allen Stationen, in Pflegeeinrichtungen, Seelsorge und Beratung bis hin zur Gründung einer Ethikkommission. Mehr als zweihundert Mitarbeitende waren aktiv an diesem Projekt beteiligt, in dem auch die Traditionsgeschichte der Schwesternschaft aufgenommen wurde.

3. Beispiele für Vortragsthemen

  • Lebenssatt – das Leben satt?
  • Keiner stirbt für sich allein – Sterben im Geflecht des Lebens
  • Familien und Angehörige im Hospizgeschehen

4. Mein Buch zum Thema und weitere Publikationen

  • Bartosch, Hans, Coenen-Marx, Cornelia u. a.: „Leben ist kostbar“. Der Palliative Care- und Ethikprozess in der Kaiserswerther Diakonie, Freiburg 2005
  • Die Seele des Sozialen – Gemeinschaften als tragendes Netzwerk für Engagement und Inspiration (auf dieser Website unter http://www.seele-und-sorge.de/?page_id=914)
  • Familien und Angehörige im Hospizgeschehen. Theologisch-ethische Reflexionen (auf dieser Website unter http://www.seele-und-sorge.de/?page_id=916)