Gott schickt nicht in Rente

 

Von wo aus: Ich kann hier auch von mir selbst reden …

Selten habe ich mit Briefen zu einem neuen Lebensabschnitt so viele spannende Rückmeldungen bekommen wie zuletzt, als ich vom EKD-Kirchenamt in die Freiberuflichkeit wechselte. Die Briefe wechselten sehr häufig von der Antwort auf meine Nachricht zu den Anliegen der Schreibenden – und nicht selten zum Allgemeinen. Selbständig, außer Dienst in der EKD oder eben doch „i. R.“? Von Pfarrern in Unruhe haben ich in diesen Briefen gelesen, von ganz außergewöhnlichen Projekten, die dann angepackt werden – aber auch davon, dass Zeit ist, endlich die Freiheit zu genießen. Immer wieder wird aber auch die Frage gestellt, ob man denn nicht heute einfach mal alt sein dürfe, lesen und Orgel spielen und das Leben feiern. Der Schritt aus dem Dienst, der Eintritt in die Rente oder auch in einen anderen Lebensabschnitt, ruft ganz offenbar die unterschiedlichsten Altersbilder in uns wach. Dabei scheint ja durch das Rentensystem erst mal alles so klar und eindeutig geregelt zu sein.

 

Zur Situation: Der gesellschaftliche Umgang mit dem Alter oder Wie klar sind eigentlich die Rollen?

In einer Ausstellung über die sozialen Sicherungssyteme, die ich kürzlich gesehen habe, fand ich dazu Folgendes: „Die soziale Absicherung soll bewirken, dass wir keine Angst vor dem Alter, vor Verarmung und Pflegebedürftigkeit haben müssen. Solange wir gesund und fit sind, können wir im Alter noch viel Positives erleben und auch noch viel tun; für unsere Familie, für unser Umfeld, die Gemeinschaft. Irgendwann werden wir von Gebenden zu Nehmenden. Das ist für viele nicht leicht. In einer solidarischen Gesellschaft können wir uns darauf verlassen, dass für unser Alter gesorgt ist.“[1]

Einen Augenblick habe ich überlegt, ob ich den Ausstellungsmacherinnen schreibe – immerhin hatte ich sie am Vorabend kennen und schätzen gelernt –, denn es gibt hier einen Satz, der mich erheblich ärgert. Aber dann fiel mir ein, dass ich diesen Ärger heute produktiv machen kann (in mein Manuskript habe ich hier so ein Smiley gemalt, wie es die jungen, aber eben auch die alten Leute heute oft in ihren Texten verwenden ;-)). Der Satz, der mich irritiert hat, heißt: „Irgendwann werden wir von Gebenden zu Nehmenden.“ Hier weiß ich aus persönlichem Erleben genauso gut wie aus soziologischen Studien: Diese Erfahrung ist doch nicht dem Alter vorbehalten! Der Satz zeichnet erneut das Bild einer Erwerbsgesellschaft, die das Geben den Starken und Fitten, eben den Erwerbsfähigen vorbehält – und das Nehmen entsprechend den Kindern, Kranken und Alten. Ich bin sicher, auch Sie wissen, dass Sie, wenn Sie jung sind, nicht nur geben, sondern auch oft nehmen – das Glück, das Ihnen Ihre Kinder geben, aber auch die Unterstützung, die Ihnen Ältere, Ihre Eltern vielleicht oder auch andere, schenken. Als Ältere wissen Sie, welchen Beitrag Sie leisten, in der Familie oft völlig selbstverständlich und kaum thematisiert, häufig auch im Freundeskreis, in der Gemeinde oder in anderen Zusammenhängen, ganz egal, wie fit Sie sich fühlen.

 

Die Grundthese: Demografischer Wandel als gesellschaftliche und zugleich jeweils individuelle Herausforderung – und Chance!

Merkwürdig, was die Debatten um den Renteneintrittsalter alles auslösen, nicht wahr? Dabei geht es entscheidend um unser Bild vom Altern. Statistisch gesehen haben wir in den letzten hundert Jahren 10 gesunde Jahre dazu gewonnen. Das hat Konsequenzen für die Gestaltung unseres persönlichen Lebens, aber auch für die Sicherungssysteme und unsere Vorstellung vom Arbeiten. Schon ist mit Blick auf die 68er-Generation, die jetzt in Rente geht, von Power-Agern die Rede. Und die Vorstellung, die nächsten zwanzig Jahre mit Freizeitgestaltung zu verbringen, finde ich nicht nur persönlich schwierig – sie ist auch gesellschaftspolitisch fragwürdig. Und, das lässt sich nicht allein mit der Rentenmathematik fassen. Denn genau hier, bei den Menschen in der Dritten Lebensphase, schlummern enorme zivilgesellschaftliche Potentiale.

 

Eine neue-alte Perspektive aus der Bibel heraus

„Gott schickt nicht in Rente“ heißt der Titel meines kleinen Impulses – und das ist in vielfacher Hinsicht wahr. Zunächst einmal ganz banal: So sehr wir stolz sein können auf die solidarische Rentenversicherung – historisch ist sie sehr jung. In der Bibel spielt lediglich die Aufforderung eine Rolle, die alt gewordenen Eltern zu ehren und zu versorgen. Sie erinnern sich an das Elterngebot, das ja nicht für Kinder geschrieben wurde. Entsprechend viele Texte beschäftigen sich mit der Frage, wer die Witwen versorgt, wenn die Familien dazu nicht in der Lage sind. Zugleich weiß Jesus gerade den Beitrag der Witwen zum Gemeinwohl zu würdigen, beispielsweise in der Geschichte vom Beitrag einer Witwe für die Armenkasse – „Scherflein“ heißt das in der Lutherübersetzung, und damit ist auszurechnen, wie wenig oder wie viel diese arme Witwe zum Ganzen beitrug, eine winzige Summe, aber doch das, was sie hatte – und Jesus unterstreicht, dass es diese Gabe ist, der Akt des Gebens, auf den es ankommt. In jeder Situation ist es eine Möglichkeit, ein Bedürfnis und eine Freude, Gebende zu sein – auch wenn wir auf andere angewiesen sind.

Ganz selbstverständlich nehmen die Alten in biblischer Zeit intensiv teil am Leben der Gemeinschaft. Als Maria und Josef ihren erstgeborenen Sohn zur Beschneidung in den Tempel bringen, begegnen sie Hannah und Simeon. Einer alt gewordenen, kinderlosen Frau und einem Propheten, der damit leben muss, dass seine Kämpfe umsonst gewesen waren, dass seine Hoffnungen sich nicht erfüllt haben. Nicht Armut und auch nicht Pflegebedürftigkeit ist hier das Thema, sondern die Frage nach Lebensenttäuschungen und Lebenssinn. Simeon sieht das Jesuskind und findet in ihm, wonach er Ausschau gehalten hat: ein Hoffnungszeichen. Er nimmt Marias Sohn auf den Arm wie ein eigenes, lang erwartetes Kind und ich sehe vor mir das Bild von Rembrandt, in dem das Licht von diesem Kind ausstrahlt. „Jetzt also kann ich in Frieden gehen“, sagt Simeon, „denn ich habe den Erlöser gesehen – mit meinen eigenen Augen.“ Alt und lebenssatt zu sterben wie Simeon oder Abraham, der noch spät aufbrach ins Land der Verheißung und mit seiner Frau Sara auch zu den späten Eltern gehörte, das wünschen sich viele. Aber das andere ist genauso wichtig: Es gibt auch in der Bibel diese alten Menschen, die von Gottes Geistkraft erfüllt sind, die noch Träume haben.[2] Nicht nur für sich selbst – sondern eben auch für diese Welt!

 

Feststellung 1: Nehmen und Geben bei den heutigen Alten

Anteil zu nehmen am Leben der Jüngeren und etwas weiterzugeben, das ist für die allermeisten alten und auch sehr alten Menschen ein zentraler Lebensinhalt. Die Hochaltrigenstudie der Universität Heidelberg liefert Ergebnisse, die nur diejenigen überraschen, bei denen die Rede vom demografischen Wandel allein Bilder von Alter als Belastung hat entstehen lassen: 76 Prozent der befragten 80- bis 99-Jährigen empfinden Freude und Erfüllung in emotional tieferen Begegnungen mit anderen Menschen. 61 Prozent im Engagement für andere Menschen. Und 60 Prozent haben das Bedürfnis, – vor allem von den jüngeren Generationen – auch weiterhin gebraucht und geachtet zu werden. 85 Prozent beschäftigen sich intensiv mit den Lebenswegen der nachfolgenden Generationen in der eigenen Familie. Dabei liegt übrigens das Risiko, pflegebedürftig zu werden, selbst bei den 80- bis 99-Jährigen bei nur 28,8 Prozent.

Der ehemalige Chefredakteur der Zeitschrift „Psychologie heute“, Heiko Ernst, spricht in diesem Zusammenhang von Generativität und sagt, sie sei „unser Zukunftssinn. Wir richten das Denken über die eigene Existenz hinaus. Generativität ist die Fähigkeit, von sich selbst abzusehen, für andere da zu sein, Wissen und die eigenen Erfahrungen in die Gesellschaft einzubringen und etwas weiter zu geben“ – und sie hängt nicht davon ab, ob wir eigene Kinder zur Welt bringen. Generativität gibt Antwort auf zwei Fragen: Wie geht es mit mir weiter? Und: wie geht es mit meinem Umfeld weiter? Generativität, so Ernst, könnte die Schlüsseltugend für das 21. Jahrhundert werden. Schon heute sind Großeltern eine wichtige Stütze für junge Familien, sie springen mit Geld, aber auch viel mit praktischer Hilfe ein, wenn die Belastungen aus Arbeit und Familie die mittlere Generation an den Rand bringen. Die unmittelbaren Beziehungen zwischen den Generationen sind nach wie vor eine bedeutsame Säule zur Sicherung von Lebensrisiken und Lebensqualität – nicht mehr nur der alten, sondern eben auch und gerade der jungen Generation. Denn das materielle und das immaterielle Generationenerbe, das Ältere einzubringen haben, ist erheblich.

Viele machen sich auf zu Menschen aus anderen sozialen und kulturellen Kontexten und arbeiten mit am Entstehen neuer Netzwerke – als „Leih-Omas“, Stadtteilmütter, Senior-Mentoren für Schüler und Azubis, in Familienzentren und Generationenhäusern. Da geht es oft um das Elementare – um Kinderbetreuung und Einkäufe, um Hausaufgaben und Mittagstische. Landläufig Aufgaben, die in Familien und Nachbarschaften wahrgenommen wurden, heute aber reichen die Beziehungsnetze weit darüber hinaus. Denn diese Dienste verbinden Menschen. Und wo das Private in dieser Weise öffentlich wird, da entstehen neue Netze – oft in guter Zusammenarbeit zwischen freiwillig Engagierten und sozialen Diensten. Und andere machen sich noch einmal auf den Weg und helfen international als Au-pair oder übernehmen einen freiwilligen Einsatz in Krisengebieten Darin stecken immer auch eigene, oft ungeahnte, Entwicklungschancen.

Vor einiger Zeit habe ich Margarete von Trottas Film über Hildegard von Bingen[3] gesehen, der mich in meiner Lebenssituation sehr berührt hat. Er erzählt, dass die bekannte Klostergründerin gegen Ende ihres Lebens das Kloster verlässt und sich zu Pferd und nur von wenigen begleitet auf eine Lese- und Gesprächsreise macht. Der Franziskanerpater Richard Rohr hat ein Buch über die spirituelle Reise der zweiten Lebenshälfte geschrieben.[4] „Wir sind hier, um das, was uns gegeben wurde, vollständig und freiwillig zurück zu geben“, sagt er. In der ersten Lebenshälfte schreibt er unter Bezug auf Carl Gustav Jung, gehe es darum, ein Heim und eine Familie aufzubauen, ein sicheres Fundament für das Leben. Dann aber sei die Herausforderung, das alles wie Hildegard loszulassen und noch einmal frei zu werden. Wissend frei, weil wir ein neues Gefühl für Grenzen und Begrenztheit auch unserer Zeit haben.

 

Feststellung 2: Das individuelle Lebenspotential

Für die Älteren selbst steckt darin auch ein eigenes Lebenspotential: Älterwerden hält noch einmal neue Entwicklungs- und Veränderungschancen bereit. Wir müssen nicht mehr funktionieren. Jetzt kommt es nicht mehr darauf an, sich in Organisationen einzupassen oder sich mit Rollen zu identifizieren, jetzt geht es darum, ganz Person zu sein, wir selbst zu werden. Um diese Aufgabe zu verstehen, brauchen wir einen erweiterten Produktivitätsbegriff. Nicht nur der Erfolg gebiert den Erfolg, auch die Auseinandersetzung mit Verlusten, mit Scheitern und Endlichkeit macht produktiv. Das verlangt allerdings, dass wir unseren Charakterpanzer ablegen und uns zu unseren Verletzungen und Grenzen bekennen. Es geht jetzt nicht nur um das, was ich nicht mehr kann, sondern auch um das, was ich nicht mehr will – und was vielleicht für uns alle nicht gut ist.

„Ich bin in meinem Leben oft gefallen, sei es in Beziehungen oder im Beruf, emotional oder körperlich, doch immer gab es einen Trampolineffekt, der bewirkte, dass ich letztlich nach oben gefallen bin“, schreibt der Franziskanerpater Richard Rohr. Erfolg und Besitz machen Angst, sie wieder zu verlieren. Verluste aber und Brüche richten den Blick nach oben oder nach vorn – auf das, was bleibt. Und sie führen paradoxerweise zu einer neuen Verbundenheit. Wir sind eben nicht nur, was wir aus uns selbst machen.

Das ist die Message, die gerade die weitergeben können, die in Rente sind. Und es steht für mich hinter dem Titel „Gott schickt nicht in Rente“, den ich mir übrigens nicht selbst ausgesucht habe. Ich meine: Das Leben schickt uns in neue, offene Räume – endlich heraus aus den alten Käfigen.

 

Feststellung 3: Das gesellschaftliche Lebenspotential oder Alte als Pioniere für die Suche nach dem guten Leben

Mit solcher Ehrlichkeit, die leichter fällt, wenn man schon viel Leben hinter sich hat, können ältere Menschen – wie die ganz Jungen – Pioniere der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um ein gutes Leben und nachhaltiges Wirtschaften sein. Davon profitieren alle – nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch ihre Angehörigen und Freunde. Viele Menschen suchen Mentoren und Ratgeber, die Lebenserfahrung einbringen, aber keine eigenen Aktien und Interessen mehr im Spiel haben, die frei von Loyalitäts- und Konformitätsdruck auf das Ganze sehen können, die sich mit den eigenen Fehlern und Umwegen ausgesöhnt haben und deswegen auch andere vorurteilsfrei begleiten können. Es ist an der Zeit, die Rolle der Ältesten neu zu beleben. Die Kirche kennt ja sogar ein Ältestenamt, das Amt der Presbyter. Darin steckt die Erinnerung, dass es in der Antike wie auch im Judentum eine große Ehrerbietung älteren Menschen gegenüber gab, weil sie Weisheit und Einsicht entwickeln konnten. Nicht zuletzt deshalb wird ihnen auch Leitung zugetraut.

 

Aufforderung an die Kirche: Mit den Alten neu werden und gesellschaftliche Herausforderungen neu anpacken

Viele Menschen wehren sich zu Recht, wenn sie das Gefühl bekommen, von der Kirche vor allem als Hilfebedürftige wahrgenommen zu werden. Gerade diejenigen, die der Kirche nahe stehen, blicken nämlich, wie Untersuchungen zeigen,[5] durchaus mit Zuversicht auf ihr weiteres Leben und können sich vorstellen, noch etwas Neues zu beginnen. Religiosität im Alter heißt eben durchaus nicht nur, sich auf das Ende vorzubereiten – vielmehr gilt es die durchaus biblische Botschaft in den Mittelpunkt zu rücken, die sich nicht nur bei Abraham zeigt, sondern auch in dem nächtlichen Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus weitergegeben wird: Wir können auch im Alter neu werden.

 

Fast vierzig Prozent der evangelischen Bürgerinnen und Bürger über sechzig nehmen nach eigener Aussage in irgendeiner Weise am Gemeindeleben teil – damit liegt die Kirche weit vor anderen Organisationen. Ein enormes Potential. Gemeindehäuser können Räume für die Begegnung der Generationen sein, nicht nur im Blick auf die kirchlichen Angebote. Dabei können und sollten sie offen sein für die Vielfältigkeit des Lebens im Quartier – von dem die Alten aus ihrem Berufsleben und aus ihren privaten Kontakten oft viel mitbringen. Es ist wichtig, die Augen offen zu halten für Bündnis- und Kooperationspartner im Quartier vom Betreuten Wohnen über den Pflegedienst bis zur Familienbildungsstätte. Wenn Kirche und Diakonie – wieder – zusammenarbeiten, liegen die Chancen gleich vor der Tür: Das Café der Altenhilfeeinrichtung öffnet sich für den Stadtteil; Schülerinnen und Schüler bieten Computerkurse im Altenzentrum an.

Noch zu wenig verstehen sich die Kirchengemeinden als Plattformen für dieses Engagement. Dabei sind auch die ärmsten von ihnen so reich an Räumen und Kontakten, an internationalen Beziehungen und vor allem an Geschichte und Erfahrungen, die unser eigenes Leben weit überschreiten, viele Generationen zurück und nach vorn in eine Zeit, wenn wir nicht mehr leben. Aber noch immer ist spürbar, dass Kirche und Diakonie über 150 Jahre lang auseinandergedriftet sind, aus sozialen Diensten sind inzwischen Dienstleistungen am Markt geworden, und oft gehört nur noch eine Minderheit im Stadtteil zur Kirchengemeinde. Die Diakonissen und Gemeindeschwestern, die die Familien und Nachbarschaften kannten, Netzwerke knüpfen konnten und auch wussten, wer mit Hand anlegen konnte und wollte, fehlen. Es fehlen diejenigen, die das Professionelle mit dem Persönlichen, das Private mit dem Öffentlichen verbinden.

Aber hier und da entsteht etwas Neues und ich denke, das gilt es auszubauen: in Projekten zur Frühförderung von Kindern, in ambulanten Hospizdiensten oder an Mittagstischen, wo Einheimische und Migrantinnen Gerichte aus aller Welt kochen und gemeinsam essen. Da sind die regionalen Gerichte der Großmütter besonders gefragt. Überall sind die engagierten Älteren gefragt, wenn es um neue Konzepte zwischen Zivilgesellschaft und Dienstleistern, zwischen Familien und Gemeinden im Quartier geht. Und was sie einbringen, ist nicht nur praktische Hilfe, sondern, ich habe es eben schon kurz erwähnt, auch das kulturelle, geistige und geistliche Erbe, aus dem auch die nächsten Generationen noch leben. Ich denke an Kirchenkuratorinnen und ehrenamtliche Kirchenpädagogen, an Menschen, die Friedhöfe erhalten und Ortsgeschichte schreiben, an ehrenamtliche Prädikantinnen und Prädikanten in schrumpfenden Städten und Regionen, Mentorinnen und Mentoren, Stifterinnen und Stifter – materiell wie immateriell haben wir ein reiches Erbe weiterzugeben.

 

Ausblick: Neue Räume

„Gott schickt nicht in Rente“, hieß dieser kurze Impuls. In dem schon kurz erwähnten Gedicht von Hermann Hesse klingt das so:

„Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

Uns neuen Räumen jung entgegensenden,

Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.

Wohlan denn Herz, nimmt Abschied und gesunde.“

Die Frage, wohin wir letztlich unterwegs sind, lässt sich gerade in Aufbrüchen nicht ausklammern. Und vielleicht ist es gerade die Wahrnehmung unserer Brüche und unserer Endlichkeit, die dem Leben und unserem Glauben Tiefe gibt.[6] Die schönsten unserer Kunstwerke wie das Simeon-Bild von Rembrandt oder Hermann Hesses Gedicht und unendlich viele großartige Musikstücke machen uns Mut, uns auf die neue Reise einzulassen, sie geben langen Atem und halten uns gesund. – Wissen Sie übrigens, welche Gruppe oder Gemeinschaft in unserer Gesellschaft noch immer am längsten lebt? Es sind Nonnen und Diakonissen. Sie gehen in den Feierabend, aber nicht in Rente.

 

Cornelia Coenen-Marx , Stuttgart 9.6.15

 

[1] Landesausstellung „Hilfe“ 2015 des Landes Oberösterreich in Haus Bethanien in Gallneukirchen.
[2] Joel 3,1: „… eure Ältesten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen“.
[3] Von Trotta.
[4] Reifes Leben.
[5] Petra-Angela Ahrens, „Uns geht’s gut“ Generation 60 plus, Religiosität und kirchliche Bindung, Münster 2011.
[6] Vgl. Ralph Kunz, „Spiritualität und Altersdiskurs“, in: Martina Kumlehn, Andreas Kubik (Hrsg.): Konstrukte gelingenden Alterns, Stuttgart 2012, Seite 74.