Andachten zum Thema Engagement

27.1.2018, 6.35 Uhr, Deutschlandfunk DLF

Engagement – der Rat der Alten

Der Rat der Großmütter: In Deutschland wurde er 2009 gegründet. „Großmütter“ aus aller Welt haben sich zusammengeschlossen, weil sie sich angesichts von Seuchen und Armut, von Klimawandel und Naturzerstörung um die Zukunft der Erde und der Menschheit sorgen. Großmütter aus Afrika sind dabei, sie versorgen die Enkel, weil die Eltern an Aids gestorben sind. Großmütter vom Balkan, sie ziehen die Kinder groß, weil ihre Mütter bei uns andere Großmütter pflegen. Frauen aus Deutschland, die Leihgroßmütter geworden sind – für überlastete Familien. Für alleinerziehende Mütter.

Vielleicht ist es an der Zeit, die Rolle der Ältesten neu zu beleben. Auch die Kirche kennt ja ein Ältestenamt, das Presbyteramt. Das griechische Wort ist eine Erinnerung: Die Älteren in der Antike genossen große Wertschätzung, weil sie im Lauf ihres Lebens Weisheit und Einsicht entwickeln konnten. Und auch ein Witwenamt gab es; da waren die Frauen gefragt, die mit ihren Kindern allein dastanden und oft auf die Hilfe anderer angewiesen waren. Sie kannten die Armut und die Umbrüche im Leben. Sie wussten, was Lebensbrüche sind und wie es sich anfühlt, abhängig zu sein. Sie hatten eine besondere Empathie für die Armen, für die Kinder und die Sterbenden.

Heute engagieren sich viele Ältere in ihrer Nachbarschaft, sie knüpfen die kleinen Netze des Zusammenhalts in den Gemeinden. „Im Alter bekommen die Körper eine andere Bedeutung – sie werden anfälliger und zeigen Schwäche“, schreibt Lisa Frohn. „Das heißt auch, dass der Ort, an dem sich der Körper befindet, und die Umstände an diesem Ort wichtiger werden. Weil es um Wohlergehen, Gesundheit, Versorgung und Betreuung geht. Ältere haben die Fähigkeit, von sich selbst abzusehen – sie wollen für andere da sein und ihre Erfahrungen in die Gesellschaft einbringen.“

Bei den jungen Alten schlägt das Herz der neuen, generationenübergreifenden Gemeinwohlbewegung. Sie tragen die Nachbarschaftsprojekte, die Dorfläden und die Bürgerbusse und auch die Mittagstische, bei denen reihum gekocht wird. Bei „Rent a Grant“ arbeiten sie als Leihomas und in Mehrgenerationenhäusern geben sie den Kindern ein Stück Kontinuität in wechselnden Alltagsmustern. Man findet sie bei Hausaufgabenhilfen, in der Flüchtlingsarbeit, als Lesehelfer und Mentoren für Auszubildende. Viele suchen solche Ratgeber, die Lebenserfahrung einbringen. Menschen, die sich mit den eigenen Fehlern und Umwegen ausgesöhnt haben. Sie können deswegen auch andere vorurteilsfrei aufnehmen und begleiten. Und vielen zu Segen werden.

Für die allermeisten alten und auch sehr alten Menschen ist das ein zentraler Lebensinhalt. Eine Hochaltrigenstudie der Universität Heidelberg stellt fest: Mehr als sechzig Prozent engagieren sich für andere Menschen. Und genauso viele haben das Bedürfnis, auch weiterhin gebraucht und geachtet zu werden. Vor allem von den jüngeren Generationen. 85 Prozent der Befragten beschäftigen sich intensiv mit den Lebenswegen der nachfolgenden Generation. Selbst wer körperlich nicht mehr fit ist, muss mit seinem Engagement für andere nicht aufhören.

Gerade die Älteren können andere beraten und begleiten. Mehr noch: Sie können für andere beten. Ich denke dabei an Abraham, der für seine Verwandten in Sodom gebetet hat. Abraham bekniet Gott, die Stadt Sodom zu erhalten – trotz Profitgier und Naturzerstörung. Weil er die Erde und die Menschen liebt – ganz ähnlich, wie der Rat der Großmütter es tut. Abraham bittet Gott, die Stadt vom Untergang zu verschonen, wenn es nur fünfzig Gerechte darin gibt – oder nur fünfundvierzig oder vierzig. Oder sogar nur zwanzig oder zehn. Er bittet und bettelt und handelt mit Gott. Voller Furcht, aber ohne falsche Scheu. Weil die Liebe größer ist als jeder Wunsch nach Bestrafung. Weil es ihm um die Zukunft der Welt geht. Das ist der Zukunftssinn der Älteren. Wer weiß, wie endlich das Leben sein kann, der setzt sich ein, damit es weitergeht. Mit seinem Engagement – mit Rat und Tat und mit seiner Fürbitte.

25.1.2018, 6.35 Uhr, Deutschlandfunk DLF

Engagement  – Partnerschaften

„Du wirst gebraucht. Mit allem, was du kannst. Und mit allem, was schiefgelaufen ist in deinem Leben.“ Mitten in der Wüste hört Mose diese Stimme. In Ägypten hatte er einen Mann erschlagen. Einen der Vorarbeiter beim Pyramidenbau, der die Hebräer spüren ließ, dass sie Fremde waren. Spät erst hatte Mose begriffen, dass er selbst ein Hebräer war. Er war am Hof des Pharao aufgewachsen – ein hebräisches Findelkind im Zentrum der Macht. „Du wirst gebraucht“, sagt ihm die Stimme, „damit dein Volk frei wird.“ Und alles wehrt sich in Mose. „Ich? Wieso ich? Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen sollte?“

Wer kennt das nicht? Das Nachbarschaftszentrum braucht Integrationshelfer für Geflüchtete – Menschen, die sie auf Behördengängen begleiten oder im Gespräch mit Firmen. Da muss man es ertragen, wenn man mit all seinem Engagement vor Mauern läuft. Die Ungewissheit aushalten und die Traumata. Kann ich das? Anderswo werden Ehrenamtliche gesucht, die Sterbende im Pflegeheim begleiten. Schaffe ich das? Mich der eigenen Endlichkeit zu stellen? Und wer unterstützt mich, wenn ich nicht weiter weiß?

Auf mich kann es doch nicht ankommen, denkt man. Immer wieder erzählt die Bibel von Menschen, die Angst haben vor dem, was auf sie zukommt. Sie fühlen sich zu jung, zu alt oder zu krank. Mose hat eine Behinderung: Er kann nicht reden. Wie soll denn jemand Politik machen, der nicht gut im Reden ist? Als ob Gott nicht bedacht hätte, wer da vor ihm steht. „Habe nicht ich, der Herr, den Menschen einen Mund gegeben? Kann ich sie nicht stumm oder taub machen, sehend oder blind?“, bekommt Mose zu hören. So, wie wir sind, werden wir gebraucht. Auch wenn wir mit dem Rollator oder dem Rollstuhl unterwegs sind. Wer Fluchterfahrungen hat, weiß, wie es ist, sich nach Freiheit zu sehnen. Wer Mobbingerfahrungen hat, weiß, wie es ist, klein gemacht zu werden. Genau das sind die Menschen, die anderen Rückenwind geben können. Auf dem Weg zum Amt. Am Arbeitsplatz. Und auch in der Politik. „Geh jetzt, Mose. Ich bin bei dir und sage dir, was du reden sollst.“

Aber Mose traut sich schon lange nichts mehr zu. „Herr, sende doch lieber einen anderen“, sagt er kleinlaut. Mein Gott, ist es schwer, einem Menschen Mut zu machen! Aber dann gibt es da einen, der das Wort für Mose ergreifen kann. Sein Bruder wird zum Mitstreiter, er kann gut reden. Zu zweit sind sie ein gutes Gespann. Mose und Aaron. Wenn einer mitgeht, wachsen dir Kräfte zu.

Selten habe ich jemanden so begeistert von seinem Engagement erzählen hören wie einen der Kirchenwächter aus der Marktkirche in Essen. Den ehrenamtlichen Dienst hat der Stadtkirchenverband für eine Kunstausstellung organisiert. Neunzig Ehrenamtliche machen mit – darunter neunzehn mit einer geistigen Behinderung. Die Idee: Sie üben ihren Dienst jeweils im Tandem mit einem Nichtbehinderten aus. So wurde die Marktkirche zu einem Ort der Begegnung. In der Gruppe werden die Ehrenamtlichen mit Behinderungen als Gleichberechtigte wahrgenommen. Sie kamen mit den Besuchern in Gespräche, konnten ihre ganz eigene, oft ungewohnte Deutung der Bilder weitergeben. So wurden die Besucherinnen und Besucher zu einem neuen, anderen Blick auf die Kunstwerke angeregt. Und weil am Ende alle begeistert waren, ging der Dienst auch nach der Ausstellung weiter.

Gebraucht werden und dazugehören. Das ist eine wunderbare Erfahrung. Studien, die in den Blick nehmen, aus welchen Schichten und Milieus die Engagierten kommen, zeigen aber: Die meisten Ehrenamtlichen sind gut ausgebildet, haben Familie und Freunde. Hartz-IV-Empfänger, Langzeitarbeitslose oder Menschen mit Behinderung finden oft den Einstieg nicht. Es fehlt ihnen an Netzwerken. Mehr noch als andere brauchen sie jemanden, der sie anspricht und ermutigt. Und einen Partner, der mitgeht.

Hier und da können Menschen mit einer schwierigen Lebensgeschichte diese Erfahrungen machen. Die „Kunden“ der Tafeln zum Beispiel, die zum Teil des Teams werden. Oder Wohnungslose, die andere durch ihre Stadt führen. Berufungen entdecken, die andere nicht sehen. Menschen nach vorn stellen, die immer im Hintergrund bleiben – das sollte die Kirche nicht den Castingshows überlassen.

 

24.1.2018, 6.35 Uhr, Deutschlandfunk DLF

Engagement – einfach mal nein sagen!

„Gibst du ihm den kleinen Finger, nimmt er gleich die ganze Hand.“ Der launige Spruch erzählt von der Angst, mit Haut und Haaren verschluckt zu werden. Bei einem Ehrenamt ist das gar nicht so unrealistisch. Ehrenamtliche sind oft an verschiedenen Stellen engagiert: in der Schule, im Sportverein und auch noch in der Kirchengemeinde. Und wer sich mit Haut und Haaren einer Aufgabe widmet, verliert schnell aus den Augen, wie viel Zeit er einsetzt. So ging es vielen in der Arbeit mit Geflüchteten. Als vor zwei, drei Jahren die Notunterkünfte bereitgestellt wurden, war ein schneller Einsatz gefragt: Betten bauen, Kleidung sortieren, Kinder verwahren, Deutschunterricht anbieten. Da wurde jeder gebraucht. Und wer schon Erfahrung mitbrachte, wurde schnell zum Koordinator vor Ort. Es ist großartig, wie viele Menschen sich ansprechen ließen von dieser Aufgabe. Wie viele durchgehalten haben und nach wie vor dabei sind. Aber jetzt, wo es um die Langstrecke geht, um Integration in der Schule, in Betrieben und Nachbarschaft, spüren viele auch ihre Grenzen.

„Ich habe Generationen von Ehrenamtlichen erlebt, die sich unheimlich engagiert haben, aber viel zu viele haben irgendwann einfach aufgegeben, weil sie resignierten oder nicht mehr weiterkamen“, sagt eine Mitarbeiterin der Caritas. Sie hat eine Fortbildung zum Thema „Das Ehrenamt und seine Grenzen“ organisiert. Da stellt sich heraus: Die Begleitung einer Familie aus Syrien oder Afghanistan nimmt auf Dauer viel mehr Zeit in Anspruch, als man sich am Anfang vorgestellt hatte. Wie zieht man Grenzen, wenn man längst zum Teil der Großfamilie geworden ist? Besser Grenzen setzen als sich komplett zurückziehen. Ein bewusster Umgang mit der eigenen Zeit ist ein Anfang: Wenn die Freizeit auf der Strecke bleibt – Sport, Familie oder Freundeskreis –, dann läuft etwas schief. Sich selbst aufgeben, um die anderen nicht aufgeben zu müssen, das ist keine Lösung. Trotzdem: Es ist nicht leicht auszuhalten, dass kein anderer einspringt, wenn ich nicht kann. Dass vieles nur im Schneckentempo vorangeht. Und dass die Aufgabe größer ist als meine Kräfte.

Eine Fortbildung kann helfen, den Druck herauszunehmen. Auch ein Ehrenamtsvertrag trägt dazu bei, sich über die eigenen Aufgaben und Grenzen klar zu werden. Was will ich einbringen, welche Kompetenzen habe ich und welche Unterstützung brauche ich? Wie viel Zeit will ich spenden und wo finde ich Beratung, wenn ich selbst nicht mehr weiter weiß? Eine Mentorin, ein Mentor kann helfen – oder auch eine Supervision, um ab und an Inventur zu machen. Gerade Ehrenamtliche brauchen das – nicht nur in der Flüchtlingsarbeit, auch in der Telefonseelsorge oder in der Hospizarbeit.

„Ich habe heute viel zu tun, darum muss ich heute viel beten“, soll Martin Luther gesagt haben. Er war dabei ganz auf der Spur Jesu. Wenn Jesus von besonders vielen Kranken und ihren Angehörigen bestürmt wurde, dann zog er sich in die Einsamkeit zurück und betete. Er hat nicht alle Krankheiten geheilt, er hat nicht alle Wünsche erfüllt – mit seinem ganzen Leben hat er nur Zeichen gesetzt. Er hat Pausen gemacht, um aufzutanken – trotz seiner göttlichen Kraft. Zu meinen, wir hätten das nicht nötig – das wäre hochmütig. Nein, wenn wir meinen, wir könnten die ganze Welt retten, dann ist es sinnvoll, immer wieder bei uns selbst anzufangen. Und Kraft zu tanken. Vielleicht geht es im Ehrenamt auch um diese Entdeckung: Wenn wir uns neuen Herausforderungen stellen, statt die Augen zu verschließen, dann geschieht etwas an uns. Wir lernen unsere Grenzen kennen, wir müssen mit Enttäuschungen umgehen. Wir werden geerdet, demütiger – und nehmen so vielleicht den Himmel besser wahr. Engagement schickt auch auf einen spirituellen Weg.

Von den Jakobspilgern lerne ich: das Ziel vor Augen haben, die eigenen Kräfte einteilen und mir vielleicht auch Begleitung suchen. Und regelmäßig Rast machen. Luther hat Recht: Gerade, wenn alle etwas von mir wollen, wenn es von allen Seiten an mir zieht, will ich mir Zeit nehmen zu beten. Ich will und darf meine Grenze ziehen und einfach mal Nein sagen.

 

23.1.2018, 6.35 Uhr, Deutschlandfunk DLF

Engagement – die Stimme hören

Die Begegnung mit dem Sterben ihrer Mutter hat sie freigemacht. Das beschreibt Daniela Tausch-Flammer in ihrem Buch „Jeder Tag ist kostbar“. Ihr ist die Endlichkeit bewusst geworden, aber mitten in der Angst öffnete sich eine Tür und sie begann zu vertrauen: „… dass ich in meinem Leben geführt werde und dass ich von Gott begleitet bin.“

Tausch-Flammer fand ihre Berufung in der Hospizarbeit. Sie begleitet fremde Menschen im Sterben und in der Trauer, damit auch andere die Lebenskraft entdecken, die darin verborgen ist: plötzlich klar zu sehen, was wesentlich und was unwichtig ist. Angesichts des Todes zu erleben: Es zählen vor allem die Momente, in denen Menschen wagen, sich offen zu zeigen. Daniela Tausch-Flammer spürt das immer wieder. Im Angesicht der Trennung wird eine ungeahnte Nähe möglich. Wer sich auf solche Nähe einlässt, findet oft den Sinn im eigenen Leben. Die eigene Berufung.

Berufung – da ist eine Stimme, die lockt, sich einzulassen: auf eine Aufgabe, einen Weg. Im Beruf gelingt das oft nicht mehr. Der Job wird zur Routine oder sogar zur Last. Manche suchen sich dann eine selbstgewählte Aufgabe. So wie die Ärztin Adelheid Franz. In der Malteser-Migrantenmedizin hat sie ehrenamtlich ein dichtes Netzwerk geknüpft – vom Entbindungsplatz bis zum Krankenhaus, von der Kleiderkammer bis zur Flüchtlingsberatung. Ein Netzwerk aus ehrenamtlich Engagierten – Ärzte, Juristinnen, Sozialarbeiter, bei denen Menschen in Not Hilfe finden. Flüchtlinge und illegale Migranten sind dabei, Tagelöhner aus Osteuropa und verarmte Deutsche. In der Migrantenmedizin bekommen sie eine erste Hilfe. Genauso wie im Kältebus der Stadtmission oder bei den Tafeln, wo Freiwillige sich engagieren.

Oft sind es solche ehrenamtlichen Initiativen, in denen Menschen ihre Berufung wiederfinden. Ärztinnen und Zahnärzte, Friseurinnen, die kostenlose Haarschnitte anbieten. Bäcker, die frische Brötchen zur Verfügung stellen – hier haben sie endlich wieder Zeit, sich anderen mit ihrer ganzen Kompetenz zuzuwenden. Und anders als im Berufsalltag erleben sie wieder, wie wunderbar es sein kann, für andere da zu sein. Wenn jemand krank ist oder stirbt. Wenn einer Hunger hat oder ein Dach über dem Kopf braucht.

Werke der Barmherzigkeit. In den Fenstern der Elisabethkirche in Marburg sind sie zu sehen. Szenen aus dem Leben der Landgräfin Elisabeth, die von ihrer Burg herabstieg, um Leidenden auf Augenhöhe zu begegnen. Wer ihr begegnete, berichtet davon, dass Menschen und Dinge sich in ihrer Nähe wandeln: Aus Brot werden Rosen, Blinde lernen zu sehen, Eltern, die ihre Kinder verstoßen hatten, lernen sie anzunehmen.

In solchen Augenblicken ist die Nähe Gottes zu spüren – eine Kraft, die heilt, eine Quelle, die lebendig macht. In den Werken der Barmherzigkeit, in diesen einfachen Handlungen der Liebe, lassen sich religiöse Erfahrungen machen wie sonst nur in Gebet und Meditation. Engagement kann ein spiritueller Weg sein.

Wer sich darauf einlässt, findet Zugang zu den eigenen Kraftquellen. Victor Frankl, ein jüdischer Psychotherapeut, hat diese Entdeckung im Konzentrationslager gemacht. Alles hängt davon ab, sagt er, ob unser Leben Bedeutung für andere hat – und sei es nur für einen Menschen, den wir lieben. Es kommt darauf an, dass wir unseren Beitrag leisten, und sei er noch so klein – damit Güte und Gerechtigkeit sich ausbreiten. Auch die Mitgefangenen im KZ schöpften Lebensmut daraus, nicht nur für sich selbst zu leben.

Das ist eine Erfahrung, von der Ehrenamtliche immer wieder erzählen. Dass sie bei ihrer Arbeit mehr empfangen, als sie geben. Damit ist nicht nur Dankbarkeit gemeint. Wer sich für andere einsetzt, ist oft überrascht von der Hoffnung und Kraft bei denen, die ganz unten und in Not sind. Viele erleben, dass im hilfreichen Handeln etwas heil und ganz wird – auch bei ihnen selbst. So hat es Daniela Tausch-Flammer bei der Sterbebegleitung erlebt. Ihre Angst trat zurück, sie spürte, dass sie geführt und begleitet ist. Das eigene Leben hat eine Bedeutung. Das ist es, was Christen „Berufung“ nennen.

 

22.1.2018, 6.35 Uhr, Deutschlandfunk DLF

Engagement – Gaben entdecken

Der Januar macht Mut, neu aufzubrechen. Eine Zeitschrift bietet hübsche Symbole dafür an – einen Füller für die Schriftstellerin, ein Mikro für die Medienfrau, Ballerinas für die Tänzerin, bunte Kochlöffel für die Hobbyköchin. Wellness und Gesundheit sind die Themen der Zeitschrift. In diesem Artikel geht es darum, den eigenen Gaben nachzuspüren und die eigene Berufung zu entdecken. Und dann gezielt Prioritäten zu setzen. Vielleicht eine Fortbildung zu machen oder sich sogar noch einmal ganz neu zu erfinden.

Die arbeitslose Schuhverkäuferin hätte sich vielleicht einen Spiegel als Symbol ausgesucht. Ich werde sie nicht vergessen: Sie kam eines Tages in unserem Nachbarschaftsladen vorbei, weil sie einfach keine Lust mehr hatte, zu Hause sitzen. Ob sie bei uns ehrenamtlich mitarbeiten könnte, wollte sie wissen. Sie hatte gehört, dass wir gerade eine neue Kleiderkammer eröffnet hatten – eigentlich war’s ein richtig schicker Secondhandshop. Und Menschen zeigen, was zu ihnen passt, das konnte sie. Jede, die aus der Umkleide herauskam und sich vor dem Spiegel drehte, hatte ein Lächeln auf den Lippen. Und unsere Schuhverkäuferin hatte einfach eine Begabung: Sie konnte sehen, was einer Kundin passte, was ihr stand und sie zum Strahlen brachte.

Eine tolle Frau jedenfalls. Sie wohnte bei uns in der Gemeinde, aber wir kannten uns noch nicht. In der Kirche mitarbeiten, sagte sie, da ginge es doch meistens ums Reden oder ums Singen. Dafür wäre sie nicht gemacht. Und auch Besuche seien nicht ihre Sache; so gern sie Menschen möge. Im Café bedienen oder im Secondhandshop, das könnte sie sich aber gut vorstellen. Ehrlich gesagt: Ich konnte das nachvollziehen. Beim Ehrenamt in der Kirche denken viele an Besuchsdienst, an die Mitarbeit im Kindergottesdienst oder in der Jugendarbeit oder auch an Lesungen im Gottesdienst. Dabei gibt es eine große Vielfalt von ehrenamtlichen Aufgaben: bei den Tafeln und Nachbarschaftshilfen, in der Hospizarbeit, im Kirchgarten, bei Mittagstischen und Hausaufgabenhilfen. Jeder und jede kann und soll einbringen, was er kann. Mit dem Mikro, der Gartenschere oder dem Kochlöffel. Mit der Bibel, dem Hausaufgabenheft oder der Yoghurtpalette. Und auch mit den Ballerinas. Alles ist möglich, was Menschen können.

Im Neuen Testament gehören zu den Gaben des Heiligen Geistes nicht nur Glaubenskraft, Weisheit und Vermittlung von Erkenntnis, sondern auch die Gabe, Krankheiten zu heilen. Und nicht nur das Predigen gehört zu den Ämtern der Kirche, sondern auch die Armenspeisung und die Begleitung der Sterbenden und Trauernden. Diese Vielfalt wurde manchmal vergessen. Vielleicht, weil nur einige dieser Aufgaben in der Kirche selbst stattfinden. Dabei werden doch alle Begabungen gebraucht, damit Gottes Liebe sich im Alltag ausbreitet. Die Seelsorge genauso wie die Arbeit an der Tafel.

Ich denke da noch mal an die Schuhverkäuferin. Was sie kann, gerät schnell aus dem Blick. Darum freue ich mich, dass es Gemeinden gibt, die andersherum denken: von den Gaben zu den Aufgaben. Gemeinden, die ihre ganze Arbeit an den Gaben, den Charismen orientieren! Dahinter steht die Annahme, dass Kirche sich von einem weltlichen Verein grundlegend unterscheidet. Es geht nicht zuerst um Aufgaben und Zuständigkeiten, für die dann die passenden Menschen gefunden werden müssen. Es ist umgekehrt: Eine Kirche, die ernst macht mit ihrem geistlichen Ursprung, entdeckt jeden Getauften mit seinen Gaben. Damit ist das Vertrauen verbunden, dass Gott seiner Kirche alles gibt, was sie braucht – und das ganz konkret durch die Menschen, von denen jeder und jede einzelne reich beschenkt und berufen ist.

Ich finde es lohnt sich für Gemeinden, auf Talentsuche zu gehen. Und umgekehrt lohnt es sich für jeden Einzelnen, mit den eigenen Talenten zu wuchern. Neu aufzubrechen mit dem, was man hat und kann. Jetzt, in diesem Frühjahr, finden in einigen evangelischen Gemeinden Kirchenvorstandswahlen statt. Ich freue mich auf jeden und jede, die Lust hat, sich zu engagieren – damit ganz viele mit ihren Gaben zum Zug kommen.