Kraftorte: Interview mit Annette Noller, Professorin an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg

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DIAKONISCHE PILGERREISEN: DER BLOG

Wir entdecken Diakonische Pilgerorte – 
diesmal auf der Spur von: Annette Noller

Wissenschaft und Forschung liefern wichtige Beiträge, um Menschen in einem guten, erfüllten Leben zu unterstützen. So ist der Campus der Evangelischen Hochschule auf dem Gelände der Stiftung Karlshöhe Ludwigsburg ein ganz eigener diakonischer Kraftort.
Auf dem Luftbild (Foto: J. Bertsch) sieht man links das Brüderhaus und davor das moderne achteckige Gebäude der Hochschule.

Annette Noller ist Pfarrerin und Professorin an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, wo sie seit 15 Jahren in der Diakonen- und Diakoninnenausbildung tätig ist. Nach dem Studium der Theologie promovierte sie in Berlin im Fach Praktische Theologie und arbeitete im Diakonischen Werk der EKD als Referentin für „Theologie in diakonischen Handlungsfeldern“ sowie im Pfarrdienst in Gemeinden der Württembergischen Landeskirche. In den letzten Jahren hat sie sich intensiv in Praxisforschungen, Gremien und Publikationen mit Theologie und Ethik der Diakonie und insbesondere mit dem Diakonat der Kirche befasst.


Gibt es eine persönliche Erfahrung, die Ihnen den Kern diakonischer Arbeit existenziell vor Augen geführt hat?
Diakonie ist für mich gelebtes Evangelium in Tat und Wort. Der Glaube lebt aus der Liebe Gottes und davon, diese Menschenfreundlichkeit Gottes in der persönlichen Lebensführung und im diakonischen Handeln in Kirche und Gesellschaft vielfältig zu kommunizieren und verantwortlich zu gestalten. Dazu benötigt man Glaubensheiterkeit, Herzenswärme, pragmatischen Verstand, aber auch fundierte wissenschaftliche Theorien und Forschung, um Menschen in diversen sozialen Risikosituationen fachlich versiert und theologisch informiert unterstützen und soziale Veränderungsprozesse im Gemeinwesen anstoßen zu können.

Sie beschäftigen sich beruflich und/oder ehrenamtlich mit Diakonie. Was liegt Ihnen dabei besonders am Herzen?
In meiner Heimatgemeinde in einem in den 60er Jahren erbauten Vorort der schwäbischen Stadt Reutlingen (einer der in der Reformation bedeutsamen freien Reichsstädte Württembergs) gab es eine überdurchschnittlich hohe Jugendkriminalität, die mit Drogendelikten und Gewalt einherging. Ich habe in meiner Jugend die Kirchengemeinde mit ihrer offenen Jugendarbeit, ihren gesellschaftskritischen Filmen und Diskussionen und ihren tiefen theologischen Auseinandersetzungen über existenzielle Fragen des Lebens und des Glaubens als einen Ort erlebt, an dem Menschen in guter Weise integriert, vor sozialer Devianz bewahrt und unabhängig von ihren verschiedenen, oft prekären Lebensverhältnissen wertgeschätzt und zum Nachdenken über Gott und die Welt und ein sinnvolles, gemeinsames Leben mit Visionen einer gerechteren Gesellschaft motiviert wurden.

An welchem Ort (in welcher Einrichtung, in welchem Haus oder Raum) ist Diakonie für Sie in besonderer Weise sichtbar und erfahrbar geworden und was hat Sie dort fasziniert?
Heute ist Diakonie für mich in besonderer Weise an der Hochschule, in der Lehre, insbesondere in den Projekten und Praxisorten sichtbar, in denen unsere Studierenden im Laufe ihres Studiums fachlich ausgebildet und begleitet werden. Mich fasziniert die Vielfalt der Arbeitsgebiete, Forschungsansätze und Methoden, mit denen die Unterstützung und Befähigung von Menschen in sozialen Handlungsfeldern erprobt und fachlich vorangebracht wird. Fasziniert bin ich auch von der diakoniewissenschaftlichen Forschung, die die Diakonie als eine Sozialgestalt der Kirche theologisch fundiert und sie zugleich im Bereich der Sozialwissenschaften und ihren interdisziplinären Bezugsdisziplinen weiterentwickelt. Ganz nah ist mir dabei die Stiftung Karlshöhe, die diakonische Einrichtung, aus der die Diakonenausbildung unserer Hochschule hervorgegangen ist und auf deren Gelände die EH heute noch liegt. Wir sind in zahlreichen Kooperationen miteinander vernetzt.

Was macht Ihrer Meinung nach einen – oder diesen – „diakonischen Ort“ zum spirituellen Kraftort (Geschichte, Gestaltung, Personen …)?
Hochschule und Diakonische Stiftung gemeinsam bilden heute für mich einen Kraftort, einen theologischen und wissenschaftlichen, an dem in christlicher Glaubensgemeinschaft eine an Wertschätzung und Menschenfreundlichkeit orientierte Haltung gelebt und gelehrt wird. Das christliche Menschenbild, die Liturgie der Kirche und des Kirchenjahres und eine an Innovation orientierte, wertebasierte Fachlichkeit prägen das Leben am Ort. Inspiriert wird das gegenwärtige Leben und Arbeiten insbesondere durch die Tradition der Diakonenausbildung, die durch das Brüder-(und Schwestern-)haus und die Karlshöher Gemeinschaft der Diakone und Diakoninnen bis heute menschlich und räumlich präsent ist. Sie tradiert eine Spiritualität, die durch Gemeinschaft und tätige Nächstenliebe zahlreiche Modelle diakonischen Handelns und Generationen von Diakonen, Diakonenfrauen und Diakoninnen geprägt hat. Die blaue Schürze, die auf Bildern im Brüderhaus zu sehen ist, und das moderne Fresko der Samariterin am Brunnen im Andachtsraum der Karlshöhe symbolisieren für mich diese über 150 Jahre hinweg geprägte diakonische Spiritualität.

Was würden Sie in Ihrem Arbeitsumfeld räumlich ändern, wenn Sie die Freiheit und Mittel dazu hätten, damit die Arbeit, die Ihnen am Herzen liegt, noch besser gelingt?
Ich hätte gerne große Sonnenterassen und mehr Bänke auf dem schönen, grünen Gelände, auf denen man sitzen, sich begegnen, lesen oder einfach die Nase in die Sonne strecken kann. Auch wünsche ich mir in der Hochschule selbst einen großen Raum der Stille (neben der Karlshöher Kirche). Gerne hätte ich mehr Ressourcen für mehr Räume und noch mehr Lehre und Forschung in kleineren Gruppen.

Und sonst? Haben Sie weitere Gedanken, Anmerkungen, Anregungen zur Bedeutung – und vielleicht auch zur Relativierung – diakonischer Orte?
Ich finde die Idee sehr schön, neben den kirchlichen Orten und Pilgerorten auch die Diakonie in der ihr eigenen Spiritualität sichtbar und kommunizierbar zu machen.

Vielen Dank!

Link zu den Webseiten: www.eh-ludwigsburg.de

Frau Nollers Buch über „Diakonat und Kirchenreform. Empirische, historische und ekklesiologische Dimensionen einer diakonischen Kirche“  ist mit dem Wichern-Sonderpreis ausgezeichnet worden. In verdichteter Form trägt sie ihre Überlegungen vor in dem Aufsatz „Diakonat und Kirchenreform. Beiträge der Diakonatsforschung zur Kirchentheorie und -praxis“, der in der Zeitschrift Praktische Theologie erschien.

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