Kraftorte: Interview mit Oberin Constanze Schlecht

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DIAKONISCHE PILGERREISEN: DER BLOG

Wir entdecken Diakonische Pilgerorte –
diesmal auf der Spur von: Oberin Constanze Schlecht

zehlendorf

„Hier ist für mich der Zusammenhalt untereinander, also in der Gemeinschaft der Schwestern und Brüder, über die Grenzen des Hauses, in dem ich jeweils tätig war, deutlich geworden. Hier ist ein ‚Zuhause‘ zum Auftanken, Lasten teilen, Fragen stellen, Neues erfahren, über den Horizont hinaus sehen. Und hier ist ein Ort, an dem Gemeinschaft noch einmal besonders erfahrbar werden kann.“

schlecht

Oberin Constanze Schlecht ist Vorstand des Evangelischen Diakonievereins Berlin-Zehlendorf e. V. und seiner Schwesternschaft, gemeinsam mit ihrem Kollegen Herrn Dipl.-Kaufmann Jan Dreher. Der Ev. Diakonieverein besteht seit 1894 und wurde u. a. mit dem Ziel gegründet, unverheirateten Frauen die Möglichkeit zu geben, einen Beruf zu erlernen und eigenständig tätig zu sein. Heute besteht die Schwesternschaft des Ev. Diakonievereins aus Frauen und Männern jeden Familienstandes. Die meisten Glieder der Schwesternschaft sind in Pflegeberufen tätig. Seit 1985 ist Oberin Constanze Schlecht Mitglied der Schwesternschaft.

Sie beschäftigen sich beruflich und/oder ehrenamtlich mit Diakonie. Was liegt Ihnen dabei besonders am Herzen?
Besonders am Herzen liegt mir die Begegnung mit anderen. Mir ist dabei wichtig, aus welcher Haltung heraus diese Begegnung geschieht. Insbesondere hilfebedürftige Menschen müssen sich ernst genommen wissen, selbst bestimmen dürfen, was an Hilfeleistung erbracht und wie diese ausgeübt wird. Sie brauchen so viel Information, damit sie für sich selbst verantwortlich entscheiden können. Und wenn sie dies selbst nicht (mehr) können, braucht es die enge Einbindung der Angehörigen oder der anderen für die Betreuung beauftragten Menschen. Außerdem liegt mir am Herzen, dass der Glaube des einzelnen – sowohl der der Mitarbeitenden als auch der Patienten / Klienten – Raum und Entfaltungsmöglichkeiten hat.

Gibt es eine persönliche Erfahrung, die Ihnen den Kern diakonischer Arbeit existenziell vor Augen geführt hat?
Spontan fällt mir hierzu die Begleitung eines Sterbenden ein. Im Rahmen meines täglichen Routinebesuches als Pflegedienstleiterin auf einer Station der Inneren Klinik erzählte mir eine meiner Mitschwestern von einem sterbenden Patienten, der auf ihrer Station lag. Sie bat mich, mit ihr zu ihm zu gehen – er hatte niemanden sonst, der ihm hätte beistehen können. Er war schon eine Weile auf der Station, so dass meine Mitschwester ihn ganz gut kannte. Zu diesem Zeitpunkt konnte er sich verbal nicht mehr gut äußern, aber er konnte uns zeigen, dass ihm die Nähe eines Menschen gut tat. Wir haben uns im Laufe des Vormittags Freiräume geschaffen, damit wir abwechselnd immer wieder bei ihm sein konnten. Und wir haben ihn gemeinsam versorgt, als er gestorben war. Diese Begegnung birgt die Erfahrung des unaussprechlich und unbeschreiblich Tiefen, sie trägt etwas vom Leben teilen, vom einander Anteil geben in sich, und sie ist getragen von der Erfahrung der Nähe Gottes.

An welchem Ort (in welcher Einrichtung, in welchem Haus oder Raum) ist Diakonie für Sie in besonderer Weise sichtbar und erfahrbar geworden und was hat Sie dort fasziniert?
Da ich bisher in verschiedenen Häusern und an sehr verschiedenen Orten gearbeitet habe, ist es schwer, den einen Ort festzumachen, an dem Diakonie in besonderer Weise für mich erfahrbar wurde. Dafür gibt es für mich viele Orte, und ich bin sehr dankbar dafür. Diese Orte sind sehr verbunden mit den Menschen, die dort mit mir gearbeitet und gelebt haben.
Vielleicht ist es daher gut, den Ort zu benennen, an dem ich derzeit tätig bin und der seit meinem Eintritt in unsere Schwesternschaft, also seit meiner Ausbildung, immer wieder ein wichtiger Anknüpfungspunkt ist: unser Heimathaus in Berlin-Zehlendorf. Hier ist für mich der Zusammenhalt untereinander, also in der Gemeinschaft der Schwestern und Brüder, über die Grenzen des Hauses, in dem ich jeweils tätig war, in Fortbildungen, Tagungen und Konferenzen deutlich geworden. Hier ist ein „Zuhause“ zum Auftanken, Lasten teilen, Fragen stellen, Neues erfahren, über den Horizont hinaus sehen. Und hier ist ein Ort, an dem Gemeinschaft noch einmal besonders erfahrbar werden kann.
An diesem Ort habe ich Stärkung erfahren, um, zurück im Alltag, diesen gut zu bestehen.

Was macht Ihrer Meinung nach einen – oder diesen – „diakonischen Ort“ zum spirituellen Kraftort (Geschichte, Gestaltung, Personen …)?
Zum einen – und für mich am wichtigsten – sind die Menschen, die aktuell an diesem Ort leben und arbeiten. Menschen, die ihre Spiritualität und ihr Gottvertrauen leben und bereit sind, andere an diesem teilhaben zu lassen, so dass eine gemeinsame Basis erlebt und erspürt werden kann, eine Basis, die trägt. Immer wieder wird erfahrbar: Das für mich wichtige, vielleicht heilende Wort kann ich mir nicht selbst sagen. Dafür brauche ich ein Gegenüber.
Zum anderen ist ein spiritueller Kraftort auch durch das Wissen darum geprägt, dass nicht wir diejenigen sind, die alles, was da ist, ermöglicht haben, sondern dass wir auf den Schultern vieler stehen, die vor uns unsere Schwesternschaft geprägt und in ihr gearbeitet und gelebt haben.
Was mir als drittes wichtig ist sind die Gottesdiensträume, die an diesem Ort sind. Hier bei uns sind es ein Raum der Stille und unser Betsaal. Beide in ihrer ganz unterschiedlichen Gestaltung sind Orte, um zur Ruhe zu kommen, Orte der Begegnung – untereinander und mit Gott und Orte der Stärkung, z. B. in denen wir gemeinsam das Abendmahl feiern, bevor wir nach einer Tagung auseinandergehen.

Was würden Sie in Ihrem Arbeitsumfeld räumlich ändern, wenn Sie die Freiheit und Mittel dazu hätten, damit die Arbeit, die Ihnen am Herzen liegt, noch besser gelingt?
Mir liegt daran, dass sich die Menschen, die in unser Haus und auf unser Gelände kommen, wohlfühlen und etwas spüren von Gottes Geist, der uns trägt. Das kann man nicht „machen“. Aber es gelingt vielleicht noch etwas besser, wenn wir den Eingangsbereich etwas heller gestalten und / oder Bilder aufhängen.

Und sonst? Haben Sie weitere Gedanken, Anmerkungen, Anregungen zur Bedeutung – und vielleicht auch zur Relativierung – diakonischer Orte?
Diakonische Orte leben aus meiner Sicht von den Menschen und ihrer Haltung gegenüber dem Mitmenschen. Es sind Orte, an denen man spüren kann, dass hier Gottes Geist lebendig ist. In der Regel wird dies auch durch eine Kirche oder eine Kapelle deutlich. Und es sind Segensorte, die es atmen und davon leben, dass hier Menschen vor uns geglaubt, gehofft und gebetet haben. Spürbar ist: Der Segen geht weiter.
Die Gebäude an sich entsprechen oft dem jeweiligen Zeitgeist, in dem sie entstanden sind. Weil diakonische Einrichtungen ihre Entstehungszeit fast durchweg im 19. Jahrhundert haben, sieht man häufig ähnliche Gebäudestrukturen, oft findet man „diakonische Dörfer“ vor. Aber darauf kommt es nicht an. Auch moderne Gebäude können diakonische Kraftorte sein. Zentral ist, wie Menschen in ihnen miteinander leben – und wie sie miteinander ihren Glauben gestalten.

Vielen Dank!

Link zur Webseite: www.diakonieverein.de

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