Wieviel Zeit bleibt uns noch?

Das nächste Jahrzehnt wird über unsere Zukunft entscheiden. Ob es uns noch gelingt, die menschengemachte Erderwärmung zu beschränken – am besten auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit? Das wäre das Pariser Klimaziel, das im Jahr 2015 von 196 Staaten und der EU beschlossen wurde. Um das bis 2050 zu erreichen, müssten die Maßnahmen sofort und konsequent umgesetzt werden.

Am Freitag endete in Glasgow die jüngste Klimakonferenz. Was dort beschlossen wurde, reicht im besten Falle, um knapp unter 2 Grad zu bleiben. Zur Enttäuschung vieler Entwicklungsländer haben zum Beispiel Indien und China noch in letzter Minute die Zeitvorgaben für den Ausstieg aus fossilen Energien, besonders aus der Kohle, aufgeweicht. Aber immerhin soll jetzt jährlich überprüft werden, wie nah wir den Vorgaben gekommen sind.

Denn es ist ernst. Und dabei geht es auch um globale Gerechtigkeit. Auch in Sibirien, wo der Permafrostboden taut oder in Australien, wo die Waldbrände vor zwei Jahren schon zwei Drittel der jährlichen Emissionen verbraucht haben. Und auf den Marshall – Inseln, die vom Untergang bedroht sind. Theoretisch habe ich mich seit langem damit beschäftigt.  Aber erst die Flutkatastrophe im letzten Sommer hat mich spüren lassen, was da auf uns zukommt. Das fordert zum Handeln heraus – und es macht Angst. Es ist, als ob die Zukunft vor meinen Augen schrumpft. Die Erde hat ein Verfallsdatum und das Ende kommt vielleicht schneller, als wir uns vorstellen können. Das nächste Jahrzehnt wird über unsere Zukunft entscheiden. Wie können wir damit leben?

Frank Schätzing hat einen Thriller daraus gemacht – voller Schreckensszenarien, motivierenden Ideen und praktischen Tipps. „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“ heißt das spannende Buch. Ich gebe zu – erst einmal bin ich zurück gezuckt – ich glaube nicht, dass ich die Welt retten kann. Ich bin ja nicht Gott. Und wer dieses Wir sein soll, weiß ich noch nicht. Allerdings – wenn gemeint ist, es geht um die Welt und nicht um uns, dann spricht mich etwas an.

Es war ein Abend im März 2003. Ich war gerade aus den USA zurückgekommen; meine Freunde hatten mich gewarnt, jetzt nach Europa zu fliegen. An diesem Abend begann der zweite Irakkrieg, eine Militäroperation der USA mit Großbritannien und einer Koalition der Willigen. Deutschland war nicht dabei. Inzwischen wurde Bagdad bombardiert; ich hatte das kurze Zeit im Fernsehen verfolgt. Jetzt stand ich auf dem Balkon. Es dämmerte und die Vögel zwitscherten der untergehenden Sonne entgegen. Ein wunderbarer vielstimmiger Gesang, der mir fast das Herz brach. Noch immer ganz aufgewühlt von der hysterischen Stimmung in den USA stellte ich mir vor, wie es wäre, wenn ein Krieg diesem Wunder ein Ende machte.

Ich gehöre zu der Generation, die mit der atomaren Bedrohung aufgewachsen ist – die mit dem NATO-Doppelbeschluss erwachsen geworden ist und bei dem GAU von Tschnernobyl den Kindern verboten hat , im Sandkasten zu spielen. Es waren andere  Katastrophen, an denen ich gelernt habe, die Dinge radikal zu Ende zu denken. Aber an diesem Abend auf dem Balkon war mir ganz klar: Was auch immer geschieht: ich will nicht, dass die Vögel aufhören zu singen. Dass die Bäume nicht mehr ausschlagen und die Bienen sterben. Ich wünsche mir, dass diese wunderbare Welt weiterlebt. Und plötzlich war da Trost und Weite hinter der Angst; mein Horizont öffnete sich. Es geht nicht um mich, vielleicht nicht mal um uns „Denn wir wissen ja, dass die ganze Schöpfung zusammen seufzt und in Wehen liegt“, schreibt Paulus im Brief an die Gemeinde in Rom. Die Schmerzen nehmen zu, die Enttäuschungen, die Tränen. Aber wenn wir hinsehen und die Konflikte bearbeiten, haben wir noch eine Chance. Nur die  Angst ist ein schlechter Ratgeber. Ich vertraue lieber auf den kommenden Gott – und höre den Vögeln zu. Die singen schon früh vom kommenden Tag.