Newsletter: 32/September 2025: Brennende Themen. Ideen, Inspirationen und Projekte aus Kirche und Diakonie.
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••Urlaub zu Hause ••Jubiläum ••Gemeindeladen geschlossen ••Wehrdienst ••Von der Realität des Krieges ••Unsere Frau stehen ••Zukunft des Sozialstaates ••Feiertage ••Besondere Orte ••Bücher von Freund*innen
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Urlaub zu Hause

Dieses Jahr haben wir krankheitsbedingt unsere freien Tage auf der Terrasse verbracht. Erst war ich traurig, nicht wieder reisen und entdecken zu können. Und dann wurde es so eine besondere, auch besonders intensive Zeit. Unsere Terrasse mit dem kleinen Rasenstück und den Heckenrosen, mit Gartendüften und Vogelgezwitscher empfand ich als Oase. Ich habe dort in diesen Wochen viel über die Elemente des Lebens nachgedacht. Über Wolken und Winde, über Sonne und Regen und die ganze, herrliche und doch so bedrohte Schöpfung. Daraus sind Rundfunkandachten geworden – woraus, wie immer, auch neue Kontakte entstanden. Manchen hat die Andacht zu Regen und Regenwald besonders gefallen – und so kam ich in Kontakt zu dem Freiburger Team, das jedes Jahr einen elektronischen Kalender zur Schöpfungszeit auf den Weg bringt. Sie finden ihn – ebenso wie die Andachten – auch auf meiner Website und können noch gut einsteigen.
Mehr Zeit zu Hause – das gab uns auch die Chance, mal mit dem Aufräumen der Bibliothek anzufangen. Dabei geht es nicht nur um unsere eigenen Bücher, endlich habe ich mich auch mal den Regalen zugewandt, in denen die Bücher von Vater und Großvater stehen. Da fällt das Ausmisten noch schwerer und ich war froh, dass meine Schwester ein paar Tage half. So haben wir schnell gesehen, dass manches nur noch Papierabfall ist. Es gab aber auch viel zu entdecken: Wie haben vergangene Generationen über Gemeinwesen, Ehrenamt, Einsamkeit oder die „Pfarrerrolle“ nachgedacht? Gemeinsam mit meinem Mann haben wir dann überlegt, solche Themen systematisch zu sortieren – und nicht länger in den Kategorien „neu“ und „alt“ zu denken. Schließlich sind einige Bücher, die ich selbst gekauft habe, auch schon wieder überholt. Aber dass und wie beispielsweise die Einsamkeit in der Stadt auch vor hundert Jahren Thema war, fand ich spannend wiederzuentdecken – aus der Literatur hätte ich es wissen können. Und dann hat es mir auch Spaß gemacht, die Genres ein bisschen zu vermischen und beispielsweise bei den Themen Alter oder Familie auch Romane neben die Sachbücher zu stellen. Wie in der schulischen Projektarbeit.
Mit alten Büchern neu denken, das hat sich letztlich als eigene Entdeckungsreise erwiesen, die den Horizont neu aufreißt. Wenn das Ganze nur nicht mit so viel Schlepperei verbunden wäre! Eine Freundin, deren Mann Anfang des Jahres gestorben ist, berichtet von ihrer körperlichen und auch emotionalen Erschöpfung beim Räumen. Einige Kolleg*innen sortieren ihre Bücher, weil demnächst der Umzug in eine kleinere Wohnung ansteht. Aufräumen und Ausmisten – oft hat das mit Lebensveränderungen zu tun. Und es führt zu zu neuer Klarheit. Umziehen, mich kleiner setzen oder das Erbe zum Leuchten bringen. Die Bücher gehören mir nicht – ich benutze sie und werde sie eines Tages weitergeben. Gut, dass ich Schwestern habe und Nichten und Neffen.

Ein neues Buch von mir will schon länger in die Welt: „Der alternde Sozialstaat, die schrumpfende Kirche und ich“. Es basiert auf meinen Tagebucheintragungen aus den Jahren 2022 bis 2024. Nach ein paar Missverständnissen mit dem Verlag soll es nun in diesem Herbst erscheinen. Endlich! Ende des Jahres soll auch mein Blog wieder aufleben. Auch ein Blog ist ja eine Art Tagebuch und nimmt aktuelle Themen, Fragen und Erfahrungen auf. Mehr dazu im Herbst auf meiner Website.
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Jubiläum

In diesem Jahr ist unsere kleine Agentur „Seele und Sorge“ zehn Jahre alt geworden. Wie viele Vorträge ich in diesen zehn Jahren gehalten habe, wie viele Workshops konzipiert und Veranstaltungen moderiert, habe ich noch nicht gezählt – aber ich sehe, wie das Netzwerk gewachsen ist und wie die Themen sich immer wieder verändern. Und wie es weitergeht, das wird sich dann im nächsten Jahr zeigen. Eigentlich wollten wir ein kleines Fest feiern, das ganze Team – Dagmar Deuring, Ina Sartor, Natalie Volborth und ich – mit unseren Kooperationspartnern und „Kund*innen“. Aber das geht nun gerade schlecht. Also haben wir eine andere Idee: Wir verschenken drei Exemplare meines neuen Buches an die, die sich zuerst melden.
In meinem neuen Buch gehe ich auch dem Thema Quartier und den Potenzialen von Gemeinschaft nach, die oft übersehen werden. Ein Beispiel ist nun so aktuell, dass ich es nicht mehr mit aufnehmen konnte:
Gemeindeladen geschlossen
Fast vierzig Jahre lang waren die Türen des Wickrather Gemeindeladens offen und hinter den großen Schaufenstern konnte man vielfältige Angebote finden – vor allem aber immer ein offenes Ohr. Jetzt aber, kurz vor dem Jubiläum, wurde der Mietvertrag gekündigt – vor dem Hintergrund der Sparauflagen für viele nachvollziehbar. Der vielleicht wichtigste Grund, den Laden zu schließen, stand aber im Gemeindebrief: Es seien am Ende zu wenige Gemeindeglieder dort gewesen, meinte der Kirchenvorstand.
Offenbar konnten viele die Zielsetzung, mit der der Laden 1986 gegründet wurde, nicht mehr nachvollziehen. Damals ging es darum, andere, neue Gruppen anzusprechen und einzuladen – gerade die, die den Weg ins Gemeindehaus nicht fanden, denen die Schwelle zu hoch war. Damit folgte das Leitungsgremium damals der „missionarischen Doppelstrategie“, die gerade viel diskutiert wurde, „Sammeln und Senden“. Es sollte nicht nur darum gehen, Menschen zu sammeln, ihr Engagement zu fördern, Gemeinschaft zu bilden und Gottesdienst zu feiern, sondern auch darum, das bekannte Milieu hinter sich zu lassen und sich hinauszuwagen. Die 1980er Jahre waren eine Zeit starken Gemeindewachstums. Die Zahl der Gruppen, der Erwachsenenbildungsangebote, der Ehrenamtlichen stieg; bis zu zwanzig Prozent der Mitglieder engagierten sich in der Kirchengemeinde. Die hohe Arbeitslosigkeit, das Schicksal von Asylsuchenden beschäftigten viele in der Gemeinde – aber mit den üblichen Bildungsveranstaltungen gelang es nicht, die Betroffenen selbst anzusprechen. Dabei zeigte der Austausch mit Sozialarbeit und Gemeindekrankenpflege, dass die diakonischen Dienste sich bereits auf das ganze Quartier bezogen.
So entstand – gemietet von Konfirmandeneltern – auf der Einkaufsstraße mitten in der Kleinstadt der Laden und lud alle, die vorbeikamen, zu einem Kaffee und einem Klönschnack ein. Das Motto „Mach Dich auf, lass Dich ein“ zeigte das Selbstverständnis. Wer Lust hatte, konnte sich ein Buch leihen, an einem Kurs teilnehmen oder auch selbst einen anbieten. Wer Hilfe brauchte, konnte sich an die diakonische Beratung wenden, an einem Kurs für pflegende Angehörige teilnehmen oder in der Kleiderkammer vorbeischauen. Und wir hatten da tolle Angebote!
In der Auseinandersetzung mit den jeweils aktuellen Herausforderungen entwickelten sich neue Partnerschaften: mit der Stadtverwaltung, der Arbeitsagentur, den Schulen, den Vereinen; früh schon entstanden Bezüge zum Einzelhandel und eine Mitgliedschaft im Heimatverein. Aus dem Gemeindeprojekt war ein Quartiersladen geworden. Dabei war die Zusammenarbeit von Kirche und Diakonie von Anfang an konstitutiv und wurde in entsprechenden Verträgen festgehalten. Auch wenn es hin und wieder ruckelte – schließlich haben die Organisationen verschiedene Strukturen und Kulturen –, wurde daraus ein interdisziplinäres Team, das den Horizont der „Kerngemeinde“ offenhielt. Und das darauf hörte, welche Themen die Ladenbesucher*innen beschäftigten, wie Gott im Alltag vorkam und wie dieser Alltag in einer unkomplizierten Andacht zur Sprache kommen konnte. Tatsächlich können Sozialräume „Orte sein, an denen die heilsam-befreiende Gegenwart Gottes erfahren werden kann“ (Andreas Lob-Hüdepohl).
In den vielen Jahren, die ich nun unterwegs bin, um für Quartiersarbeit und sorgende Gemeinschaften zu werben, habe ich viele andere großartige Projekte gesehen, Gemeinden, die neu ins Quartier aufbrechen und die Türen öffnen. Es lohnt sich, sie zu entdecken.
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Von Waffen und Windeln! Wehrdienst und die Zukunft der Jungen

Am 27. August hat das Kabinett das neue Gesetz zum Wehrdienst beschlossen. Die Sitzung fand im Verteidigungsministerium im Bendlerblock statt – nach dreißig Jahren zum ersten Mal wieder. Auch mit dem Beschluss zum neuen Sicherheitskabinett am gleichen Tag wird deutlich: Wir sind – nach drei Jahren – nun tatsächlich in der Zeitenwende. Der neue Wehrdienst wird auf der Basis von Freiwilligkeit organisiert. Angeschrieben werden ab 2026 alle Achtzehnjährigen eines Jahrgangs, Männer und Frauen. In den Wehrdienst gezogen werden dann nur diejenigen, die wehrfähig und bereit sind. Wird die Freiwilligkeit ausreichen in einer Zeit, in der die Bundeswehr erheblich anwachsen muss, um tatsächlich verteidigungsfähig zu sein, oder muss dann doch bald die Wehrpflicht wieder aufleben? Die Debatte geht weiter.
Die CDU hatte schon auf ihrer letzten Delegiertenversammlung eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen beschlossen. Dabei hätte jede*r die Wahl zwischen Wehrdienst und sozialen oder Umweltdiensten. Für diese allgemeine Dienstpflicht wäre allerdings eine Änderung des Grundgesetzes notwendig – die eine Zweidrittelmehrheit erfordert. Auch deswegen, weil Frauen gleichberechtigt in die Pflicht genommen werden sollen. „Männer an die Waffen, Frauen an die Windeln“ – so dachte man früher. Die Frauen von heute allerdings fühlen sich ungleich behandelt, wenn sie vom Wehrdienst ausgeschlossen sind. Und sie erwarten von ihren Partnern, dass sie die Careaufgaben mit ihnen teilen.
Inzwischen steigt wieder die Zahl der Kriegsdienstverweigernden – auch bei den Reservisten. Anders als in der langen Friedensperiode spüren jetzt viele die existenzielle Herausforderung. Dass es tatsächlich – für Berufssoldaten – um Kriegsdienst gehen kann, diese Möglichkeit ist seit dem Angriff auf die Ukraine gewachsen. Sterben für Danzig?, fragte 1939 ein französischer Leitartikel nach dem Überfall Deutschlands auf Polen. Oder heute für Kyjiw? Ein Blick dorthin genügt, um sich klarzumachen, was Krieg wirklich bedeutet.
Dass die jungen Leute in Deutschland nicht an den Debatten beteiligt werden, obwohl es doch um ihre Zukunft geht, kritisiert nicht nur die Bundesschülerkonferenz. Ich denke, daran zeigt sich ein grundsätzliches Problem unserer Gesellschaft: Ältere verfügen über die Zukunft der Jungen. Jenseits der jetzigen Entscheidung muss es also darum gehen, nicht in einen Backlash der Rollenverteilung zu verfallen – und einen wirklich breiten gesellschaftlichen Diskurs zu führen.
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Von der Realität des Krieges

Im Krieg in Gaza sind inzwischen über 100.000 Menschen gestorben. 200.000 Palästinenser*innen haben das Gebiet verlassen. Dazu die Hungersnot. Es übersteigt alles Vorstellungskraft. „Sie haben uns in seltsame Kreaturen verwandelt“, schrieb der palästinensische Schriftsteller Akram Al Sorani. Seine im Schweizer Rundfunk veröffentlichten Schilderungen, was der Krieg, die ständige Flucht, der Mangel an allem mit den Menschen macht, sind vielleicht noch verstörender als all die Bilder der Zerstörung, die wir ständig in den Nachrichten sehen.
Auf ganz andere Weise verstörend erscheint mir die Polarisierung in der deutschen Öffentlichkeit.
Das Foto der zerstörten Straße hier stammt nicht aus der Ukraine und auch nicht aus dem Gazastreifen – da stünde kein Haus mehr. Es ist eine Straße in Tel Aviv. Wie Israel zum Gazakrieg steht, wie zum Thema Völkerrechtsverletzungen – zwischen Holocaust und Besatzung, ja Vertreibung –, dieses schier Unverständliche zu verstehen, dabei hat mir Natan Sznaider mit seinem Buch „Fluchtpunkte der Erinnerung“ geholfen, das ich gleich zweimal hintereinander gelesen habe. Es beschreibt – auch in der Auseinandersetzung mit den Konzepten einiger großer Denker*innen wie Hannah Arendt, Jean Amery und Edward Said – die Problematik des Vergleichs von Holocaust und Kolonialismus. Sein Fokus: die Spannung zwischen Universalismus und Zionismus im Judentum – die Frage, wie Menschen, die als Jüdinnen und Juden verfolgt wurden und werden, sich einlassen können auf einen Blick, der die Unterschiede überwinden will. Eine Debatte, die auch helfen kann, an der Stelle der aktuellen Fronten in Deutschland eher ein Sowohl-als-auch zu denken.
Die Realitäten der aktuellen Kriege wühlen uns alle auf. An einem Vortrag, den Heinrich Bedford-Strohm auf Facebook veröffentlicht hat, lässt sich ablesen, wie schwierig es ist, die unterschiedlichen Positionen der verschiedenen Kirchen der Welt zusammenzubringen. Für unser Land schreibt er: „Wir brauchen in Deutschland eine strategisch-kooperative Vernetzung von christlich-jüdischem und palästinensischem Gespräch miteinander, um aus den plakativen und gegenseitig exklusiv ausschließenden Zurechnungsmechanismen herauszukommen. Beide Gesprächszusammenhänge verdanken sich dem Willen, aus schrecklichem Leid heraus zu einer Kultur des Respekts vor dem Leben zu kommen und kompromisslos für die Würde jedes Menschen einzutreten. Dieses notwendige gemeinsame Engagement verträgt keine Blasenbildung zwischen den Palästina-Unterstützern und den Israel-Freunden.“
Auch über die Kriegssituation in der Ukraine habe ich zwei inspirierende Bücher entdeckt, beide schildern auf unprätentiöse, und gerade dadurch zutiefst berührende Weise die Zerstörungen des Krieges. Katja Petrowskaja stellt in „Als wäre es vorbei“ künstlerische Fotos mit eigenen kurzen Texten zusammen. Und Serhij Zhadan, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, erzählt in „Keiner wird um etwas bitten“ alltägliche Episoden, in denen man immer wieder mit dem allgegenwärtigen Tod konfrontiert ist.
Die EKD hat lange über ein neues Grundlagenpapier zum Frieden diskutiert. Im Herbst soll es erscheinen – die erste neue Friedensdenkschrift seit 2007. Möge sie dazu beitragen, die Gräben zu überwinden und das Engagement für den Frieden zu stärken.
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Die Zukunft des Sozialstaates

Von einem Herbst der Entscheidungen ist jetzt die Rede. Dieser Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar, sagt Bundeskanzler Merz und führt unter anderem die Steigerung der Verteidigungsausgaben und die aus seiner Sicht zu hohen „Arbeitskosten“ an. Ständig wird nur vom Sparen und Kürzungen gesprochen. Dafür hatte die Koalition Kommissionen eingerichtet – zu Rente, Pflege, Bürgergeld. Dabei wäre es wichtig, die Systeme ganzheitlich in den Blick zu nehmen, an einigen Stellen zu entschlacken, an anderen Stellen Doppelstrukturen herauszunehmen. Mit bereits beschlossenen Maßnahmen wie der erhöhten Mütterrente oder dem festgesetzten Rentenniveau sieht es wieder nur nach Flickschusterei aus.
In Bezug auf die besonders schwer belasteten Pflegesysteme hat die BAGSO sehr umfassende Vorschläge unterbreitet. Sie laufen keineswegs nur auf höhere Kosten hinaus, vielmehr geht es um vorausschauende, effektive und sektoren- sowie Politikebenen übergreifende Konzepte, etwa mehr Quartiersarbeit und sorgende Gemeinschaften (ein tolles Beispiel in meinen Augen: Projekt QplusAlter: Hamburger Lots*innen unterstützen Menschen im Quartier).
Es mangelt auch sonst nicht an neuen Ideen, etwa dem Boomer-Soli, den Marcel Fratzscher vorgeschlagen (und hier noch mal genauer erklärt) hat.
Dass die meisten inzwischen ans Bürgergeld denken, wenn vom Sozialstaat die Rede ist, führt wirklich in die Irre. „Sozialstaat heißt, denen zu helfen, die sich allein nicht helfen können“, höre ich. Als wäre das eine feste Gruppe, die mich nichts angeht. Nein, es geht darum, zu helfen, wenn jemand sich selbst nicht (mehr) helfen kann „Jede*r braucht Hilfe, irgendwann“ ist das Motto der Woche der Diakonie. „‘In meinen Augen ist der Sozialstaat ein Gelingensfaktor‘“, zitiert evangelisch.de Rüdiger Schuch. Und fährt fort: „‘Er sorgt nicht nur für den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft‘, sagte der Präsident der evangelischen Wohlfahrt. Der Sozialstaat setze aus sich heraus zivilgesellschaftliche Kräfte frei, die für die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen benötigt würden. ‘Das mag zunächst etwas kosten, bringt aber später einen unglaublichen Mehrgewinn‘, meint Schuch.“ Und Raul Krauthausen pointiert in seiner Unterschriftenliste: Teilhabe ist kein Luxus.

Bei der Supervisorenkonferenz am 1. April in Oberursel ging es um die Herausforderung der aktuellen und früheren Transformationen. Das Ergebnis des Plenums: Wir haben eine anstrengende Chance. Und es geht darum, von der Anstrengung zur Selbstwirksamkeit zu kommen. Dafür müssen wir uns immer wieder unsere Motivation, unsere Ziele bewusst machen. Und verstehen: Wir sind nicht mehr mächtig, aber auch nicht ohnmächtig, sondern teil-mächtig. Das gilt für den Staat wie für die Kirche. Gerade hieraus können wir jedoch auch die Freiheit einer neuen Beweglichkeit und Offenheit schöpfen.
Lesenswert zur Kirchenentwicklung sind immer wieder die Publikationen von Steffen Bauer. „Transformation by design oder by desaster“ – so betitelt er Teil IX seiner Reihe „Landeskirchen unterwegs“, in dem untersucht, wie unterschiedliche Landeskirchen den Wandel gestalten.
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Vor Ort, in der Kirche: unsere Frau stehen

Am 30. Oktober, kurz vor dem Reformationstag, findet in Bonn ein interessantes Podium statt. Pfarrerinnen aus drei Generationen erzählen über ihre Anfänge, über Träume und Wirklichkeiten und die Veränderungen in der Kirche, mit denen sie sich auseinandersetzen mussten und müssen. Die Älteste in der Runde bin ich – ich stehe hier für die erste Generation, die Pionierinnen, die bislang männlich/patriarchal dominierte Aufgaben übernahmen und feministische Perspektiven in die alte Institution hineintrugen.
Die Rolle der Älteren, die Erfahrungen weitergibt und zugleich offen bleibt für Neues, das passt zu meinem neuen Selbstbild: Beobachterin sein, publizistisch unterwegs, Mentorin sein oder begleiten als Coach und dabei selbst immer weiter lernen – so macht Älterwerden Freude!
Und ich freue mich, an wie vielen Stellen Christ*innen inzwischen weibliche Perspektiven einbringen, in den entsprechenden Arbeitsstellen der Kirche selbst oder auch aus anderen Verbünden heraus. Ein großes Bündnis – unter anderem mit den Evangelischen Frauen in Deutschland und dem Deutschen Frauenrat – widmet sich am 17. September dem Thema „Sorgearbeit ist der Normalfall“: der Frage, welche politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen es ermöglichen, dass die Sorgearbeit endlich gerechter zwischen den Geschlechtern geteilt wird.
Bei einer Tagung der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf – hervorgegangen aus der Kaiserswerther Diakonie – am 28. Oktober 2025 geht es um „Verbands- und Berufspolitik in der Pflege“. Da gibt es sicher Gesprächsbedarf – politisch hat Pflege noch immer zu wenig Lobby. Ein Schritt vorwärts ist immerhin, dass die Bundesbevollmächtigte für Pflege die Kompetenzen für Pflegekräfte auch gesetzlich erweitert hat – Ausbildung und Praxis waren ohnehin längst weiter.
Die Singularisierung in unserer Gesellschaft wird mehr und mehr zu einer Herausforderung. Auch das neue Interesse an sorgenden Gemeinschaften macht das spürbar. In meinem letzten Buch über die Neuentdeckung der Gemeinschaft zeige ich die vielen Möglichkeiten. Vom 31. Oktober bis 2. November gibt es jetzt eine spannende Tagung in Tutzing zum Thema „Die vielen Einsamkeiten“, auf der ich einen Vortrag halten darf.
In einem Workshop bei der den „Barmherzigen Brüdern“ ( BTT) bei Koblenz werden wir die Möglichkeiten der sorgenden Gemeinschaften in der Quartierspflege erkunden. „Stationäre Pflege im Quartier“ ist das Motto am 2. Dezember.
Ein Großteil der Menschen in Deutschland wohnt auf dem Lande. Doch die Bedingungen dort werden immer schwieriger, von der Verkehrsanbindung bis zur medizinischen Versorgung – und auch zur Kirchenentwicklung. Der Sammelband von Michael Herbst u. a. zu „Daseinsvorsorge und Gemeinwesen im ländlichen Raum“ ist hier noch immer aktuell. Teilweise sind auch die Kulturen zwischen Dorf und Stadt sehr unterschiedlich. Umso schwieriger kann es sein, wenn „Kinder“ ins Dorf zurückkehren, um einen Hof als Erbe zu übernehmen. Wie so eine Übergabe, wie das Miteinander der Generationen gelingen kann, wie wir selbst gut mit dem Erbe umgehen – um „Weitergeben und sich befreien“ geht es in dem Workshop „Generationenerbe“ des kirchlichen Dienstes auf dem Lande am 8. November im Denkhaus in Loccum. Ein äußerst lesenswertes Buch zu den kulturellen Veränderungen auf dem Dorf selbst ist übrigens Ewald Fries „Ein Hof und elf Geschwister“.
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Zivilgesellschaft und Ehrenamt
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Feiertage

Am 19. November findet im Rathaus Garbsen ein Abendgottesdienst mit Gemeinden aus der Region zum Bußtag statt, bei dem ich die Predigt halten darf. Der Bußtag ist ja längst kein gesetzlicher Feiertag mehr. Ich erinnere mich an die Abschaffung 1995. Damals war ich in der rheinischen Kirche für öffentliche Verantwortung zuständig, so landeten die Beschwerdebriefe auf meinen Schreibtisch. Es waren Hunderte, viele davon aus Duisburg, nicht zuletzt wegen Störungen im Miteinander von Christ*innen und Muslim*innen. „Wir schaffen unsere Feiertage ab, während immer mehr Moscheen zum Gebet rufen“, lautete damals ein Vorwurf. Tatsächlich hatten „wir“ diesen Feiertag abgeschafft, die rheinische Synode nämlich. Sie leistete damit einen erheblichen Beitrag zur Pflegeversicherung. Mit diesem Feiertag verschwand etwas von dem besonderen Charakter des Novembers mit Volkstrauertag und Totensonntag. Tatsächlich zeigen ja die Feiertage Identität und Profil eines Landes.
In der US-amerikanischen Gesellschaft kann man erleben, was es bedeutet, wenn solche staatlich geschützten Feiertage fehlen. Wenn Heiligabend nicht zufällig auf ein Wochenende fällt, wird Weihnachten zum reinen Shoppingereignis. Nur Thanksgiving mit seinen eigenen Ritualen ragt da heraus. Andererseits bleibt auf diesem Level auch mehr Raum für jüdische oder muslimische Feiertage, die bei uns nur allzu leicht vergessen werden. Also wenn wir auf einen weiteren Feiertag verzichten wollen, dann nur, wenn ein jüdischer und ein muslimischer dazukommen. Der erste Chanukkatag vielleicht, als Start für eine „blessed season“, statt des zweiten Weihnachtsfeiertags und das Zuckerfest an der Stelle des Pfingstmontags? Für den Aufschwung lohnt sich das Einsparen eines Feiertags übrigens kaum – die Wirkung des gestrichenen Buß-und Bettages war damals schnell verpufft.
Die Räume werden enger in Kirche und Politik. Die Wände wackeln unter den Stürmen, die alte Selbstverständlichkeiten wegwehen. Das Licht am Ende des Tunnels ist noch nicht zu erkennen. Wir reden viel von Durchhalten und Widerstandskraft. Aber was macht Herz und Seele weit? Die Gemeinde in Brelingen beschäftigt sich in diesem Herbst mir Paul Gerhards Lied „Jesu, meine Freude“ und veranstaltet im November eine Woche des Lichts. Ich spreche am 21. November über das Thema „Was mein Leben hell macht“ – in einer Veranstaltung zusammen mit einem Chor. Die vielfältigen musikalischen Gruppen und Veranstaltungen der Gemeinde unter der Leitung von Sabine Kleinau-Michaelis sind ein tolles Beispiel dafür, wie Kirchenmusik Gemeinde und Quartier beleben kann.
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Auf der Rückfahrt von den Veranstaltungen in Hessen haben wir im Frühjahr das Kloster Bursfelde wiederentdeckt. Ein Ausflug dahin lohnt! Eine beeindruckende Kirche und eine Klosteranlage, in der es unter anderem Seminare zur Spiritualität gibt. Auch Tagungen können hier veranstaltet werden. Eine Pilgerherberge lädt ein zum Übernachten auf Radtouren oder Wanderungen. Das wunderbare Café hat leider nur eingeschränkte Öffnungszeiten.
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Und noch ein besonderer Ort, aktuell mit einem besonders eindrucksvollen Ausstellungsprojekt: Im Maler- und Dichterdorf Worpswede zeigen vier Museen noch bis Januar „Paula Modersohn-Becker und ihre Weggefährtinnen“. Diese Künstlerinnen des frühen 20. Jahrhunderts leisteten einen bedeutenden Beitrag zur Kunst der Moderne – und zur Selbstbestimmung von Frauen. Sehr bewusst bezieht das Projekt auch Werke heutiger Künstlerinnen etwa aus dem Iran ein, denn der Kampf für weibliche Selbstbestimmung ist keineswegs abgeschlossen.
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Bücher von Freund*innen
Gern weise ich auch wieder auf Bücher hin, die Freund*innen und Bekannte von mir auf den Weg gebracht haben:
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In meinen Coachings geht es oft um das Thema Führung. Mit umso mehr Interesse habe ich Jan Hermelinks und Ricarda Schnelles Buch In der Kirche leiten gelesen. Indem sie sozial- und organisationswissenschaftliche Ansätze mit christlichen Sichtweisen zusammenbringen, liefern sie viele auch sehr praktische Hinweise für ein gutes Leiten, nicht zuletzt durch Gruppen.
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Seelsorge, wie geht das? Viele Ehrenamtliche, aber auch Hauptamtliche fühlen sich hier überfordert, haben Angst, ihr Wissen und Können reiche nicht aus. In Gasträume für die Seele gibt Jochen Schlenker Anregungen für unterschiedlichste Bereiche der Seelsorge, die ins Gespräch helfen und auch die eigene Selbstreflexion unterstützen. Ich habe das Buch für das Oktoberheft von Psychotherapie & Seelsorge rezensiert.
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„Gott im Quartier“ – der scheinbar lapidare Titel, den Johannes Eurich, Georg Lämmlin und Gerhard Wegner gewählt haben, spricht mir aus dem Herzen: Gerade in den Sozialräumen, den Orten der Begegnung, können wir Gott erfahren und uns selbst transzendieren.
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„Wenn Babyboomer 65 und Achtundsechziger 80 werden …“ – über beide Generationen hat Henning von Vieregge geschrieben. Selbst Jahrgang 1946 und als Soziologe hat er einiges dazu zu sagen. Dabei erkundet er auch die Potenziale des Alters. Schon die Titel – „Beneidenswert!“ und „Die Glücksverwöhnten“ – kennzeichnen seinen Blick!
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Bücher ermöglichen Freiheit. In den USA werden einige inzwischen auf den Index gesetzt. Bücher von Toni Morrison wie dieses gehören auch dazu.
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Unter dem Stichwort „Lichtblicke“ präsentiert die BAGKR (Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus) in ihrem Newsletter kleine Nachrichten von Initiativen, die sich für Geflüchtete, Queere oder andere bedrohte Gruppen einsetzen. Ja, wir sehnen uns nach Licht, wenn wir auf die dunklen Wolken draußen sehen. Ich wünsche Ihnen von Herzen Mut machende Lichtblicke, ein weites Herz und immer wieder Zeit, um sich auszuruhen, Kraft zu tanken und auch einmal aus der Distanz auf die Dinge zu schauen. Sich zu wundern und Wunder zu entdecken.
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Ihre Cornelia Coenen-Marx Seele und Sorge GBR Impulse – Workshops – Beratung
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Zum Schluss ein paar Zeilen aus dem Buch von Katja Petrowskaja, das ich oben schon erwähnte, Zeilen zur Realität des Krieges, Zeilen aus dem Leben.
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„Diese drei Bäume verdecken scheu das glitzernde Wasser im Kanal. Sonst würde ich geblendet werden. Die weißen Blumen vorne versuchen dennoch es zu tun. Vor einigen paar Jahren wurden hier Stöcke in die Erde gesteckt. Inzwischen haben sie sich in weiß blühendes, üppiges Gebüsch verwandelt. Ich bin zum ersten Mal in Kiew seit Anfang des Krieges. Die Wonne erobert mich. […] Heute Nacht gab es wieder Luftalarm. Ich habe ihn verschlafen. Es war eine Explosion in der Ferne, die mich weckte. Dann hörte ich eine weitere, direkt über uns. Ich schaute in die Telegram-Kanäle und erfuhr, was über uns abgeschossen wurde und was immer noch auf uns zufliegt. Ich empfand keine Angst, sondern eine seltsame Spannung, einen Nervenkitzel. Das Warten. Das Staunen, dass ‚sie‘ mit schwersten Waffen in die Mitte einer Dreieinhalbmillionenstadt zielen.“
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Katja Petrowskaja, Als wäre es vorbei, Berlin, Suhrkamp, 2025, S. 107, Eintrag 28.05.2023
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