Buß-und Bettag 2025: Ich bin da, wenn Du mich brauchst ( zu Lukas 11, 1-13)

  1. Eine hohe Schwelle

    „Ich bin auch schon rausgeflogen“. Die Besuchsdienstfrau in unserer Arbeitsgruppe erzählt das nicht ohne Stolz. Sie hat die Aufgabe übernommen, Menschen über 80 zu besuchen, nach ihnen zu schauen und die Verbindung mit der Gemeinde zu stärken. Aber nicht jeder will das und manche haben kein Vertrauen. Sie sind unsicher, ob die Unbekannte wirklich von der Kirche kommt! Ich bin auch schon rausgeflogen“ – das klingt enttäuscht, aber auch mutig. Die Besuchsdienstfrau macht trotzdem weiter.

    Wer so etwas selbst schon versucht hat, wer für das Müttergenesungswerk gesammelt oder  Haustürwahlkampf gemacht hat, wer einfach nur bei den neuen Nachbarn geklingelt hat, der weiß: Die Schwelle, die Du da überwinden musst, ist ganz schön hoch. Wenn Du auf ein Klingelschild drückst , aber den Menschen nicht kennst, der sich hinter dem fremden Namen  verbirgt.

    Umgekehrt kann es natürlich genauso sein – die Angst vor dem Fremden  ist der Grund, warum viele eine Gegensprechanlage haben – oder zumindest einen Spion an der Haustür.

    2. Leichter Zutritt – niedrigschwellig

    Das Klingelschild, das uns heute zum Buß-und-Bettag begleitet, macht die Schwelle niedrig. „Ich bin da, wenn Du mich brauchst“ steht da. Du kennst mich nicht, aber Du sollst wissen: „Ich bin Dir zugewandt.“  Das ist ein bisschen wie bei der Telefonseelsorge: Du weißt nicht, wer am anderen Ende der Leitung sitzt, Du kennst keine private Adresse – aber Du weißt: unter dieser Nummer erreiche ich jemanden, der mir zuhört, wenn ich ein offenes Ohr brauche. Manche versuchen ist inzwischen auch im Netz und viele junge Leute setzen auf Chat-GPD – immer mit Sicherheitsabstand.

    Einfach nur bei den Nachbarn klingeln: Das ist heute gar nicht mehr so einfach. In den Städten, wo die Mobilität groß ist, kennen viele ihre Nachbarn gar nicht – die Zeit fehlt, um Beziehungen reifen zu lassen. Und trotzdem braucht man sich manchmal – das gilt vor Allem für Ältere und Familien mit kleinen Kindern. Gibt es jemanden, der mir etwas aus dem Supermarkt mitbringen kann? Fährt einer in Richtung Stadtzentrum und kann mich mitnehmen?  Hat vielleicht jemand einen Rasenmäher, den er  gar nicht immer  braucht? Solche Fragen klären  heute viele  über das Internet – über „nebenan.de“ zum Beispiel. Im Netz ist es leichter, die Schwelle zu überschreiten und mit Unbekannten in Kontakt zu kommen.

    Zucker, Eier, Milch – um was man früher die Nachbarn bat, bekommt man heute am Kiosk oder an der Tanke. Nicht überall allerdings- und natürlich  auch zu Jesu Zeiten nicht.

    3. Netze, die  tragen

    Jesus erzählt von einem Mann, der nachts der der Tür seines Freundes klopft, weil ein anderer Freund zu ihm zu Besuch gekommen ist. Mit Schrecken hat er festgestellt, dass er kein Brot zu Hause hatte. Und mindestens das war man Gästen schuldig – das ist in vielen Kulturen heute noch so. Du würdest alles geben, was Du hast, damit Deine Gäste nicht an einem leeren Tisch sitzen Das würde bedeuten, dass Du aus allen Beziehungsnetzen herausfällst. Also was tun? Der Mann  klopft an dieTür seines Freundes . Klingeln gab es noch nicht Stattdessen einen großen Querbalken vor der schweren Holztür – ein Riegel, der das Haus sicherte. Es war also ganz schön laut zu klopfen.

    Der  Freund drinnen steht erstmal nicht auf – er versucht, den anderen wegzuschicken. Aufstehen würde nämlich bedeuten, über Frau und Kinder hinweg zu steigen , die alle im gleichen Raum auf ihren Matten schlafen – und also alle zu wecken, auch den Säugling, der inzwischen schon  schreit. Ich denke, das verstehen wir alle gut. Wir haben gelernt,  auf uns selbst zu achten, damit wir nicht überfordert werden von den Bitten und Wünschen anderer. Wir gehen auf Distanz. Haben gelernt,  uns zu schützen. Vor den Obdachlosen in der Innenstadt. Vor den Patienten im Krankenhaus, vor der Überforderung in der Pflege. Vor den Mails des Chefs am späten Abend.

    In der Geschichte, die Jesus erzählt, gibt der Freund draußen aber nicht nach – und so wird am Ende sein Wunsch erfüllt. Er bekommt  die drei Brote, die der braucht.

    4. Eine Parabel über das Beten

    Das Gleichnis ist eine Parabel über das Beten.“ Bittet und es wird euch gegeben – sagt Jesus.  Sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. Aber ist das wirklich so?

    Wenn der Nachbar, der sich am Ende erweichen lässt, für Gott stehen soll, dann muss man  sagen: Es ist eben nicht selbstverständlich, dass Menschen sich erweichen lassen. Das gilt jedenfalls für mich. Auch ich weiß mich zu schützen. Ja, ich hoffe, dass Gott da ist, wenn ich ihn brauche – aber wenn andere mich brauchen, bin ich eben oft mit anderen Dingen beschäftigt. Ich muss also hoffen, dass Gott ganz  anders ist als ich.

    Darauf setzt das Gleichnis. Deshalb macht es  mir Mut, zu klopfen. Zu klingeln. Mit meinen Fragen, Hoffnungen, Wünschen zu ihm zu kommen. Ich bin aber auch  schon enttäuscht worden. Und Sie sicher auch.  Auch bei ganz existenziellen Fragen und Sorgen. Wir beten um Erfolg , um Glück und Gesundheit  und unsere Wünsche werden nicht erfüllt. Oder ganz anders und viel, viel später. Wir beten um Frieden – gerade jetzt – und sind zugleich unsicher, ob unser Gebet etwas ändern kann.

    Fast hätte ich den Text beiseitegelegt und eine andere Grundlage für die Predigt gesucht. Aber dann  habe ich nochmal auf den größeren Zusammenhang geschaut. Zuerst fiel mein Blick auf die Schlusspassage – da steht ein zweites kleines Gleichnis: Wo bittet ein Sohn seinen Vater um Brot und der gibt ihm einen Stein? Und welcher Sohn bittet um Fisch und der Vater gibt ihm einen Skorpion? „ Das wird doch kein Vater tun, denkt man. Und Jesus fährt fort: „Wenn ihr , die ihr arg seid, Euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn darum bitten.“ Gott ist also viel größer. Es geht also nicht um Brot oder Fisch – so wichtig die sind, um zu leben. Es geht um die Geistkraft.

    Die  kann bewirken, dass wir zu einer neuen Sichtweise kommen und umfassender sehen können. Nicht krampfhaft an der einen Möglichkeit festhalten. Ja, Türen bleiben verschlossen. Und ja, manchmal ist das Leben schwer erträglich. Und offenbar ist Beten kein Weg, unsere Wünsche durchzusetzen. Gott liefert nicht einfach, was wir wollen – ebenso wenig wie die Politik.  Es geht darum, unsere Hoffnungen in einem neuen Kontext zu sehen,  neue Antworten auf unsere Fragen zu finden. Uns selbst zu bewegen. Uns aufeinander zu zu bewegen.

    Und wenn ich den ganzen Text anschaue, mache ich eine zweite Entdeckung: Es geht um Verbundenheit. Und um Vertrauen. Der Bittende im Gleichnis bittet den einen Freund, um den anderen gastfreundlich empfangen zu können. Er weiß dabei: der Freund würde es genauso machen. Noch  bevor Jesus das erste Gleichnis erzählt, wird er von seinen Jüngern gebeten, zu sagen, wie sie beten sollen. Tatsächlich steht deshalb das Vater unser am Anfang des Textes. Darin heißt es. Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen! Und erlass uns unsere Sünden; / denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. Die Gottesbeziehung hat mir unseren Erfahrungen mit dem Nächsten zu tun! In beiden Fällen geht es um Vertrauen und Verbundenheit.

    5. Wie Perlen an einer Kette

    Vielleicht kennen hier einige die Perlen des Glaubens, die der Schwede Martin Rönnebro von einer Retraite auf der Insel mitgebracht hatte. Die Perlen haben verschiedene Farben und jede von ihnen ist selbst ein Gleichnis, erzählt eine Geschichte. Da gibt es die goldene Gottesperle und die beige Ich-Perle, die blaue Perle der Gelassenheit und die roten der Liebe. Eigentlich erzählen die Perlen ein ganzes Leben. Alle  sind auf das gleiche Band gefädelt. Von einer Perle zur anderen wird der Horizont der Betenden weiter, von Gebet zu Gebet kann man lernen die vorigen neu zu sehen. So sind diese Perlen zugleich ein  praktische Hilfe zum Beten, eine Hilfe zum Leben. Wir stehen in einem Geflecht von Beziehungen – und die Beziehung zu Gott gehört dazu.

    In echten Beziehungen suchen wir nach Begegnung, nach Heilung und Liebe. Viele halten Bestätigung für Liebe, schreibt der Franziskaner Jan in seinem Blog „Barfuß und wild“.  Doch ein Echo , die Manifestation unserer Träume, die Erfüllung unserer Wünsche, kann das Herz nicht nähren. Die heilende Begegnung beginnt dort, wo wir nicht mehr nur Zustimmung suchen, sondern uns öffnen für das, was ist. Wir sagen dazu auch »Gebet«.  Amen