Schreiben – deuten – handeln

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Sommer und Schreiben, das hängt für mich zusammen. – Ich weiß, wenn von Jahreszeit und Schreiben die Rede ist, dann denken viele Menschen eher an den Herbst, wenn die Tage kürzer werden und es regnet, wenn man keine Lust mehr hat rauszugehen, und lieber gemütlich bei Tee und Kerze im Wohnzimmer sitzt. Aber ich denke nicht an dieses melancholische Schreiben und Erkunden der eigenen Seele. Für mich ist Schreiben ein Mich-Verbinden mit der Welt. Und auch ein Etwas-Bewegen in der Welt. Die langen Sommertage sind dafür ganz besonders geeignet.

Wie ich meine Artikel und Bücher schreibe, wurde ich neulich gefragt. Nun, am liebsten mit Zeit für Spaziergänge und Sonnenuntergänge, mit Muße zum Nachdenken und Nachlesen. Gern auf dem Balkon einer Ferienwohnung an der See, aber gern auch an einem langen Wochenende zu Hause auf der Terrasse. Neben mir ein kleines Tischchen mit Erdbeeren, auf dem Schoß der Computer. Entspannt, gedankenverloren, mit offenem Ohr für die Vögel um mich, für die Wellen, die an den Strand branden.

Schreiben ist Meditation für mich. Im Alltag immer wieder beim Tagebuchschreiben und zwischendurch beim Artikelschreiben und Büchermachen. Dabei kann ich Gott und die Welt zusammendenken und „versprechen“, wie mein Lieblingstheologe Ernst Lange es nannte, als er die „Predigtstudien“ konzipierte, an denen ich bis heute gern mitarbeite. Die Predigtstudien – Kommentare zu biblischen Texten – entstehen immer im Dialog: bei mir im Gespräch mit meiner langjährigen Koautorin Wiebke Köhler. Manchmal Face-to-Face und oft per Mail. Diese Dialoge sind eine sehr lebendige Form, um die verschiedenen Perspektiven zusammenzubringen: Bibel und Alltag, Gemeindeleben und gesellschaftliche Entwicklungen, Tradition und aktuelle Herausforderungen. Auch beim Büchermachen bringt ein spannender Dialog neue Perspektiven; ich habe das zuletzt bei „Symphonie, Drama, Powerplay“ erlebt – dem Ehrenamtsbuch, das ich gemeinsam mit Beate Hofmann herausgegeben habe.

Ob ich allein schreibe oder im Dialog: Es ist gut, an einen anderen Ort zu gehen; ich brauche solche Zeiten der Entschleunigung, die sinnenoffene Stimmung in einem Garten, an einem Kaffeetisch. Da kommen die Ideen wieder hoch, die mir während des Alltags durch den Kopf geschossen waren, als ich keine Zeit hatte, sie ernst zu nehmen, und ich kann ihnen nachgehen. Und kann endlich querdenken – Gedanken und Bilder aus ganz unterschiedlichen Kontexten verknüpfen. Den Dingen auf den Grund, in die Tiefe gehen. So klären sich Fragen, die mir kaum bewusst waren, weil sie im Alltag unter der Oberfläche verborgen blieben. Jetzt werden auch Glaubenserfahrungen wach, spirituelle Texte und Symbole kommen mir in Erinnerung und geben neue Kräfte. Jetzt ist Zeit, meine auftauchenden Gedanken auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen – auf ihre Tragfähigkeit für das Alltagshandeln. Sie auf ihre Zukunftshaltigkeit zu prüfen – ihre Aufbruchskraft in Umbrüchen.

Nicht selten sind verschiedene Durchgänge beim Schreiben, Lesen, Überarbeiten nötig, bis ich die unterschiedlichen Perspektiven eingetragen habe und mit dem Ergebnis zufrieden bin. Nicht nur bei den Predigtstudien, auch bei Büchern und Artikeln freue ich mich über einen Außenblick. Ich genieße es, mit guten Lektorinnen und Lektoren zusammenarbeiten zu dürfen. Mit Dagmar Deuring zum Beispiel, die mich bei „Aufbrüche in Umbrüchen“ unterstützt hat. Oder mit Michaela Breit, die die Idee zu „Noch einmal ist alles offen“ hatte. Mit Petra Schuseil, die einen leichten, persönlichen Ton auf meine Facebook-Seite „Seele und Sorge“ gebracht hat – was sich in den sehr persönlichen Rezensionen meiner Bücher in den sozialen Medien spiegelt. Und mit Michael Theuer, dem Redakteur, der meine Deutschlandfunksendungen redigiert. Schließlich liebe ich es, wenn aus Texten „Sprachstücke“ werden, wenn Stimmen hörbar werden! Ob die Texte sich auch tatsächlich lesen und sprechen lassen, das merke ich dann direkt selbst bei der Aufnahme im Tonstudio. Oder auch bei den Lesungen aus meinen Büchern – wobei es mir besonders wichtig ist, dass die Gedanken im Gespräch mit den Zuhörerinnen und Zuhörern schnell wieder über die Buchdeckel hinausgehen. – Aber ich bewundere auch die professionellen Sprecherinnen und Sprecher, die Schauspielerinnen und Schauspieler, mit denen ich manchmal zusammenarbeite. In all diesen Situationen wird ein Text mehr als Sprache oder Sprechen, da ist er Handeln und Gestalten. So wie im Predigtslam, der immer beliebter wird. (Übrigens ist in diesem Sommer auch wieder eine Radiosendung von mir zu hören: „Lebenszeichen“ am 29. Juli im Saarländischen Rundfunk.)

Und trotzdem: Bei mir beginnt alles mit dem Schreiben. Seit fast dreißig Jahren ist das für mich zunächst Tagebuchschreiben. Wenn der Text auf dem Papier steht, wenn Bilder oder Dokumente eingeklebt sind, Skizzen die inneren Landschaften sichtbar machen, dann, spüre ich, dann wird alles klar und einfach. Dann kann ich mich wieder lösen, die Dinge stehen lassen, wie sie sind – und langsam finde ich zum Schweigen. Und zum Hören. Ich liebe die Ruhe, die damit einhergeht. Die innere und die äußere. Dann habe ich das Gefühl, die Welt spricht ganz unmittelbar, die Vögel beten, die Blüten loben das Leben. Es stimmt, man muss das Zauberwort finden, um das Lied zu hören, das in den Dingen schläft, wie es Eichendorff schreibt in seinem berühmt gewordenen Gedicht. Der Autor Jan Wagner, der in diesem Jahr den Georg-Büchner-Preis erhält, findet das Lied der Welt in einem Giersch. Sein wunderbares Gedicht, das das Große im Kleinen spiegelt, hat regelrecht Karriere gemacht.

Aber nicht immer singt die Schöpfung, oft seufzt sie, wie Paulus schreibt, die Welt schreit. Deshalb muss ich dann immer auch wieder hinaus ins Getümmel, dahin, wo die Fragen sind, die Veränderungsprozesse stattfinden – ich muss die gewonnenen Einsichten in Frage stellen. Und ich bin dankbar, dass ich das kann und dass niemand mir und uns den Mund verbietet (vgl. die Initiative des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels „Für das Wort und die Freiheit“). Schließlich schreibe ich gern über soziale und gesellschaftliche Themen, über spannende neue Projekte in Kirche und Diakonie, aber auch über ganz persönliche Entdeckungen. Da brauche ich dieses Hin und Her zwischen Innen und Außen, ein bisschen Abstand und den fremden Blick, der mir hilft, mich selbst zu korrigieren.

So betrachtet, ist es mit meinen Artikeln oder Büchern nicht anders als mit Projekten und Prozessen in meiner Workshop- und Beratungsarbeit: Die Texte sind auch eine Form von Intervention, ein Spinnen des roten Fadens, mein Bild der Wirklichkeit. Worte sind Spiegel und Impuls für Arbeitszusammenhänge. Und unsere Lebens- und Arbeitszusammenhänge sind auch durch Worte konstituiert: durch persönliche Versprechen, Leitbilder, alte und neue Texte. Noch spürbarer wird diese Wechselseitigkeit in den Traditionstexten der abrahamitischen Religionen, wo es um das „Wort Gottes“ geht: Der Koran, las ich neulich, ist die sprechende Schöpfung. Und die Schöpfung ist der schweigende Koran. Was für ein Traum vom Wort und vom Lesen der Welt!

Nach den drei Büchern, die ich im letzten Jahr fertigstellen und herausgeben durfte, will ich in dieser Sommerluft mal Atem holen, um dann einer weiteren Inspiration nachzugehen: dem Thema diakonische Plätze und Pilgerorte, der Verortung der Spiritualität im Sozialen. Ein erstes Ergebnis dieser Vertiefung wird am 19. September im Deutschlandfunk zu hören sein. In der Sendung „Am Sonntagmorgen“ heißt es dann „Auftanken! Diakonische Orte als Kraftquelle“ (8:35 Uhr bis 8: 50 Uhr). Ich nehme die Hörerinnen und Hörer mit an andere Orte Dabei profitiere ich natürlich auch selbst sehr von den Erfahrungen und Berichten anderer. Und ich freue mich unglaublich, dass wir einige Personen aus Kirche und Diakonie schon für den Kraftorte-Blog auf dieser Website zu ihren besonderen Orten befragen durften. Gerade ist dort das Interview mit Friederike Weltzien erschienen, die von ihrer Arbeit zwischen dem Libanon und Stuttgart-Obertürkheim berichtet.

Und wenn Sie jetzt Lust zum Lesen bekommen haben, schauen Sie doch mal hinein in mein jüngstes Buch zum Thema Älterwerden oder auch in das vorige über neue Aufbrüche mitten in unseren Umbrüchen. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen – und vielleicht ja auch beim Schreiben. Besonders freue ich mich, wenn Sie mitschreiben an gemeinsamen Aufbrüchen. Meine Seele-und-Sorge-Facebookseite ist auch eine Aufbruchsenergietankstelle, an der schon einige Erzählungen von kleinen oder großen persönlichen Aufbrüchen Mut machen, etwas Neues zu versuchen.

Cornelia Coenen-Marx

 

 

 

 

 

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