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Evangelisch im Westerwald, 13.10.2023, Peter Bongard, https://evangelischimwesterwald.ekhn.de/startseite/einzelansicht/news/diakonie-und-dekanat-vernetzen-und-raeume-schaffen.html?fbclid=IwAR3QdL8__5EaxnUn6_4KsCnzjhUQD_rtzLvsqkytayQyIfiizioIeKsabvY

Fachtag mit 80 Teilnehmenden macht Mut für mehr Miteinander – Referentin: „Einfach machen!“

Diakonie und Dekanat: Vernetzen und Räume schaffen

Cornelia Coenen-Marx (rechts) ermutigt die Gäste, Räume der Begegnung zu schaffen. (Foto: Peter Bongard)

Manchmal ist die Zusammenarbeit zweier Institutionen eine harte Nuss. Die Regionale Diakonie Westerwald und das Evangelische Dekanat Westerwald haben während ihres gemeinsamen Fachtags nun einige Nüsse geknackt. Und das, obwohl die beiden Einrichtungen schon auf vielen Gebieten gut und eng zusammenarbeiten.

Aber da geht noch mehr, glauben die 80 Gäste im Westerburger Ratssaal. Deshalb: Nüsse knacken. Und zwar im wörtlichen Sinne.

Was verbirgt sich unter der Schale?

Dekan Dr. Axel Wengenroth und Diakonie-Leiter Wilfried Kehr nehmen sich die kleinen Früchte vor, und unter den Schalen verbergen sich zusammengerollte Zettel. Darauf stehen Sätze, die das aktuelle Miteinander von Kirche und Diakonie beschreiben. Manchmal ist der Wurm drin; dann, wenn Mittel gekürzt werden, wenn Mitarbeitende überlastet sind oder die Kirche Menschen in schwierigen Lebenslagen scheinbar nicht mehr erreicht. Andere Dinge machen Mut: Gemeinsame Projekte wie „Weihnachten für alle“, die Kooperation zwischen der Kirchengemeinde und der Westerburger Tagesstätte für psychisch Kranke, die gemeinsame Gremien- und Öffentlichkeitsarbeit, die Hilfe für Flüchtlinge zum Beispiel.

Historischer (Fach-)Tag

„Heute geht es um die Frage: Was können und müssen wir für ein noch besseres Miteinander tun? Und was liegt in Gottes Hand?“, sagt Dekan Axel Wengenroth zu Beginn und hofft auf Weisheit, die richtige Balance zwischen nötiger Eigeninitiative und Gottvertrauen zu finden. Wilfried Kehr nennt den gemeinsamen Fachtag gar „historisch“: „Solch eine Veranstaltung gab es meines Wissens noch nie.“

Hochkarätige Referentin

Beide Seiten gehen also mit großen Erwartungen in den Tag – und haben eine hochkarätige Referentin eingeladen: Oberkirchenrätin a. D. Cornelia Coenen-Marx war unter anderem Leiterin des Referats Sozial- und Gesellschaftspolitik der EKD, Pfarrerin und Vorstand der Kaiserswerther Diakonie. Eine Frau, die beide Seiten kennt und die viel zu sagen hat – gerade in Zeiten wie diesen, die von vielen „Krisen-Gipfeln“ geprägt ist, wie sie es formuliert: Von Flüchtlingsgipfeln, Wohnungsgipfeln, Energiegipfeln. Gipfel überwinden kann man nur mit einer stabilen Seilschaft, sagt sie und spricht etwa über Florence Nightingale und Johann Hinrich Wichern als diakonische und kirchliche Vordenker. Menschen, die sich vernetzt haben, um Gutes zu bewirken.

Viele sind einsam

Auch Diakonie und Kirche brauchen diesen Zusammenhalt – gerade im Blick auf die Mitgliederentwicklung, die sich laut der Freiburger Studie bis 2060 halbieren könnte. Und mit Blick auf diejenigen, die alleine sind: „40 Prozent der Über-75-Jährigen fühlen sich einsam“, ist nur eine der vielen Statistiken, die Cornelia Coenen-Marx anführt und die eine deutliche Sprache sprechen. „Der Weg aus dieser Einsamkeit führt über die wechselseitige Unterstützung. Menschen wollen sich nicht nur umsorgt fühlen, sondern auch die Gelegenheit haben, für andere zu sorgen.“ Kirche und Diakonie können dafür Räume schaffen und Prozesse begleiten – etwa in Mittagstischen, Schmökerstuben, Projektchören oder Reparaturcafés. Es geht also darum, einen Rahmen zu schaffen, in dem Begegnungen möglich sind. Manchmal auch ohne allzu ausufernde Planungen im Vorfeld, sagt die Referentin: „Einfach mal machen ist die Devise! Und haben sie keine Angst vor Profilverlust – zum Beispiel, was die Grenzen der eigenen Konfession angeht. Geben Sie denjenigen ruhig Raum, die sich engagieren möchten und gute Ideen haben.“

Kirche ohne Glocken und Altar

Räume schaffen meint die Referentin sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne. Denn viele, die sich Kontakt wünschen und sich engagieren möchten, gehören nicht zur Kirche und spüren vielleicht eine Scheu vor klassischen kirchlichen Räumen. „Vernetzen Sie sich deshalb mit Kommunen, Wohlfahrtsverbänden und Nachbarschaftsinitiativen, um Räume zu schaffen, zu denen alle Zugang finden.“ Solche Orte gibt es schon – auch im Westerwald: Dort sind zum Beispiel das Diakonie-Café „Marktplatz 8“ in Westerburg und der Kleiderladen MittenDrin und mehr in Bad Marienberg Aushängeschilder von Kirche. Auch ohne Altar und Glockenturm.

Probleme in der Nachbarschaft

Solche Begegnungsräume sind wichtig, sagt Coenen-Marx. „Es geht schließlich nicht darum, andere zu bekehren, sondern die aktuellen Herausforderungen der Menschen vor Ort zu bewältigen. Denn alle Probleme unserer Zeit finden sich auch in unserer Nachbarschaft“, glaubt sie. Deshalb sollten Kirche und Diakonie vor allem: zuhören. Hören, was die Menschen brauchen. Die Referentin fasst das in einem Zitat Ralf Kötters zusammen: „Christen, die nur unter sich leben, haben keine Ahnung, wie das Christentum auf Menschen wirkt, die nicht glauben.“

Uralte Idee

Hinhören und Ermöglichen statt Bekehren mit der Brechstange. So kann die gemeinsame Zukunft von Kirche und Diakonie nach Meinung Cornelia Coenen-Marx‘ gelingen. Und: Es ist wichtig, die Menschen in ihrem Leben zu begleiten, sagt sie. Das kann die Tafelarbeit sein, die Flüchtlingshilfe, das Zeit-Nehmen für Alte und Kranke. So gesehen ist Diakonie uralt. Und sehr biblisch. Denn auch im Buch der Bücher werden Nackte bekleidet, Fremde aufgenommen, wird Kranken geholfen.

Alles ist vorhanden

Das liegt auch den Gästen des Fachtags am Herzen, wie sie sich während der Kleingruppenphasen und in den Diskussionsrunden versichern. Die Voraussetzungen dafür sind da: „In unseren Gemeinden ist alles vorhanden. Lassen Sie es uns nutzen“, sagt Pröpstin Sabine Bertram-Schäfer am Ende des Fachtags. Ein Fachtag, von dem die Gäste nicht nur inspirierende Begegnungen mitnehmen, sondern der Lust auf noch mehr Vernetzung zwischen Diakonie und Dekanat macht. Auch wenn noch Nüsse zu knacken sind. (bon)


Diakonieexpertin: Corona und Energiekrise sorgen für Benachteiligung

epd Wochenspiegel  Ausgabe West 48/22 – 28.11.2022

Essen (epd). Die Diakonieexpertin Cornelia Coenen-Marx sieht Parallelen zwischen der Coronakrise und der aktuellen Energiekrise in der Benachteiligung gesellschaftlicher Gruppen. Wegen Corona hätten vor allem Jugendliche, einsame Ältere und Menschen mit Behinderungen gelitten und sich als nicht systemrelevant vom Leben ausgeschlossen gefühlt, sagte sie am 25. November beim Neujahrsempfang der Evangelischen Kirche in Essen in der Marktkirche. „Genauso geht es den Armutsbetroffenen jetzt in der Energiekrise. 13,8 Millionen sind es.“ Die öffentliche Debatte um das Bürgergeld werde der Wirklichkeit von Alleinerziehenden, chronisch Kranken oder jungen Leuten ohne Ausbildung kaum gerecht.

Von der Energiewende bis zur Verkehrswende legten die aktuellen Krisen „jahrelang vernachlässigte Probleme schonungslos offen“, betonte die evangelische Theologin, Publizistin und frühere Leiterin des Referates für Sozial- und Gesellschaftspolitik der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in ihrem Festvortrag zum Auftakt des Jubiläumsjahres zum 100-jährigen Bestehen der Diankie Essen. Es steht unter dem Motto #ausLiebe und übernimmt damit das Leitmotiv des 175. Jubiläums der Diakonie Deutschland 2023.

„Wir sprechen endlich über Einsamkeit“

Es sei gut, dass mit der Corona-Pandemie das Tabu der weitverbreiteten Vereinsamung gefallen sei, sagte Coenen-Marx: „Wir sprechen endlich über Einsamkeit.“ Diakonie lebe in den vielfältigen Beziehungen etwa von Pflegebedürftigen, Angehörigen und Pflegenden, von Kindern, Eltern und Erzieherinnen, in Kliniken, Hospizen und privaten Wohnungen. „Diakonie erfahren heißt, spüren, dass ich nicht allein bin“, sagte Coenen-Marx. Diese Arbeit sei für Außenstehende oder in der Politik oft unsichtbar und werde zu wenig geschätzt.

In einem Grußwort würdigte der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) die enge Zusammenarbeit zwischen Stadt und kirchlicher Sozialarbeit in ihrer 100-jährigen Geschichte, von den Jahren großer Armut kurz nach dem Ersten Weltkrieg bis zu den aktuellen Krisen. „Ich weiß, ich kann mich auf die Diakonie verlassen“, sagte Kufen. Das habe sich auch in der Solidarität mit Flüchtlingen aus der Ukraine gezeigt.

Die Diakonie in Essen geht zurück auf die Gründung als „Evangelischer Wohlfahrtsdienst für Stadt und Synode Essen“ im Dezember 1922 und bündelt die soziale Arbeit der Kirche. Heute hat die Essener Diakonie über 80 Trägereinrichtungen mit rund 9.200 Mitarbeitenden und 2.400 Ehrenamtlichen. Im Jubiläumsjahr sind zahlreiche Veranstaltungen, Projekte und Gottesdienste an vielen der über 250 Standorte geplant.



Wärmewinter

(Schal): In diesem Jahr haben sich evangelische Kirche und Diakonie in Deutschland ein neues Zeichen überlegt. Es geht um die Aktion #wärmewinter mit dem Schal als Symbol. Viele sorgen sich vor der Kälte – vor der fühlbaren Kälte in den eigenen vier Wänden und an den Arbeitsplätzen. Vor der inneren Kälte, wenn die Sorgen wachsen, weil nicht nur Strom und Gas teurer werden, sondern auch Lebensmittel und Benzin. Und vor der sozialen Kälte, der Gleichgültigkeit zwischen den Menschen.

Mit „Wärmewinter[1]wollen Kirche und Diakonie Zeichen setzen für Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe. Ihre Räume öffnen für alle, die Hilfe brauchen: gemeindliche oder diakonische Wärmestuben, Essenausgaben, Gesprächs- und Beratungsangebote. Die Aktion will auch  sichtbar machen, was ohnehin längst geschieht: die Arbeit in Notschlafstellen und Wärmebussen für Obdachlose an Tafeln, in Schuldnerberatungsstellen und in Jugendclubs. Ergänzend hat die Kreissynode hier in Essen beschlossen, die Kirchensteuermehreinnahmen aus der Energiepreispauschale für den Energiesparservice der Neuen Arbeit und für die Soziale Servicestelle zu nutzen[2]. So knüpfen sie weitere Knoten im Informations-, Beratungs- und Hilfsnetzwerk, das die Wohlfahrtsverbände gemeinsam mit der Stadt aufbauen.

„In einer Krise diejenigen zu unterstützen, die auf die Solidarität der Stärkeren angewiesen sind – das ist ein Kernversprechen des demokratischen Sozialstaats und eine Grundfeste einer solidarischen Gesellschaft. Und das werden wir gegenüber der Politik auch weiter einfordern“, heißt es in dem „Wärmewinter“.- Brief von Annette Kurschus und Ulrich Lilie. „Gleichzeitig kommt uns als Kirche und Diakonie in diesem Winter eine besondere Aufgabe zu: Wir sind dazu gerufen, der Kälte mit Herzenswärme zu begegnen.“

Auch die vielen Mittagstische, die in den letzten Jahren entstanden, sind Wärmeinseln gegen die Einsamkeit. Seit der Pandemie ist immerhin ein Tabu gefallen: Wir sprechen über Einsamkeit. „An Einsamkeit stirbt man bloß länger als an Corona“, sagt die Berlinerin Elke Schilling, die mit 75 den Telefondienst „Silbernetz“[3] gegründet hat, der sich bundesweit an Ältere richtet. Mehr als 46 Prozent der Menschen über 75 leben allein – und 20 Prozent haben ihre Wohnung in der Woche vor der Befragung nicht verlassen. In Großbritannien haben Wissenschaftler*innen berechnet, dass 20 Prozent Gesundheitskosten gespart würden, wenn man soziale Angebote auf Rezept verschreiben könnte: Wandergruppen, Gesprächskreise, Chorgesang halten gesund. Menschen brauchen Austausch und Anregung, sie brauchen unkomplizierte Treffpunkte, verlässlichen Nahverkehr, öffentliche Toiletten, niedrigschwellige Zugänge und Bänke an der Straße, damit sie Lust haben, nach draußen zu gehen.

Dass es hier in Essen in jedem Stadtbezirk ein Zentrum 60+ gibt – und ein internationales dazu –, dazu hat die Diakonie mit ihrem Senioren- und Generationenreferat entscheidend beigetragen – in bewährter Zusammenarbeit mit den anderen Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege, mit AWO und Rotem Kreuz, mit Caritas und DPWV. „Zu unseren Zielen gehört es, Menschen für Ideen zu gewinnen, Begegnungen zu ermöglichen, Gestaltungsräume zu öffnen. Die Zentren 60+ und die neue Offene Seniorenarbeit sind ein Beleg dafür, wie lebendig dieser Leitgedanke ist und wie evangelische Kirche und ihre Diakonie sich erfolgreich einbringen“, hat Superintendentin Marion Greve gesagt. Die Zahl der Älteren wächst. Immer weniger von ihnen gehören einer Kirche an – aber die Gemeinden treten nicht den Rückzug an. Im Gegenteil: Sie öffnen sich und fühlen sich verantwortlich für die Arbeit in den Quartieren.

Das haben in diesem Jahr auch die vielen Geflüchteten aus der Ukraine erfahren. 70 Prozent von ihnen wurden zunächst privat untergebracht. Menschen haben spontan ihre Türen und ihre Herzen geöffnet – so begann der Prozess der Integration vom ersten Tag an. Die gute Vernetzung zwischen Kirche, Stadt und Zivilgesellschaft gehört zum Essener Erbe – es hat sich  angesichts der Herausforderungen von Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg bewährt. „Wir haben den Auftrag, uns gerade der Elendsten, Ärmsten und Verlorenen anzunehmen“, schrieb damals Diakoniepfarrer Karl Schreiner, der nach ‘45 eng mit dem Regionalverband Ruhr zusammenarbeitete. Für die Essener Nothilfe gewann er auch Freiwillige aus den Gemeinden –nicht zuletzt aus den Frauenhilfen. „Essen“, lobte Karl Schreiner, „wo Stadt und freie Wohlfahrtspflege zusammenarbeiten wie wohl kaum in einem anderen Ort“. Aus Liebe zu Essen.[4]

#ausliebe

(Herz): # ausliebe heißt die Losung für Ihr Diakoniejahr – Sie verbinden sich damit mit der Diakonie Deutschland, die nächstes Jahr ihr 175. Jubiläum feiert, in Erinnerung an Wicherns große Rede zur Inneren Mission. Schaut man auf die Strukturen damals wie heute, dann zeigt sich: Es ist kompliziert. Das fängt mit den Namen an: Hier wurde 1922 der Wohlfahrtsdienst gegründet, der dann im Nationalsozialismus zum Gemeindedienst wurde und schließlich zur Diakonie. Kompliziert ist aber auch die Vielfalt der Organisationsformen: Auf der einen Seite Besuchsdienste, Gesprächsgruppen, Tischgemeinschaften in den Gemeinden, auf der anderen große Unternehmen und Stiftungen wie die Kliniken Essen-Mitte, die Adolphi-Stiftung oder die Johanniter. Initiativen, Vereine, gGmbHs – und nicht selten wanderten Aufgaben von einer in die andere Organisation. Dazwischen das Diakoniepfarramt mit dem Diakonischen Werk – Andreas Müller ist Moderator und Geschäftsführung, Impulsgeber und Gegenüber zur Stadt –, eingebunden in das Netzwerk der Freien Wohlfahrtspflege von der Caritas bis zur Jüdischen Kultus-Gemeinde. Beeindruckt lese ich:  Mehr als 80 Träger mit rund 9.200 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehören heute zur Diakonie in Essen.

Nur wenige haben den Überblick über diese bunte Landschaft – und manchmal gibt es auch Reibung zwischen den unterschiedlichen Kulturen. Schon Ende der 1960er Jahre sprach man von Fremdheit zwischen den Gemeinden und der säkularisierten Diakonie. Wo aber gemeinsame Herausforderungen bewältigt werden müssen wie bei der Integration von Geflüchteten, da findet man schnell eine gemeinsame Sprache. In solchen Momenten wird allen Beteiligten klar: Wichtiger als Strukturen sind doch die Menschen, die mit uns an einem Strang ziehen. Und das Netzwerk wird stärker, je vielfältiger die Zusammenhänge sind, in denen sie arbeiten. Während ich mich für heute vorbereitet habe, fielen mir Namen ein: Sabine Wolf-Wennersheide und Claudia Hartmann, Karl-Horst Junge, Wolfgang Hirsch und seine Ehrenamtlichen, die Kaiserswerther Diakonissen aus Borbeck und auch Prälat Berghaus von der Caritas, der als Vorsitzender der LIGA NRW eine Instanz war. Allesamt Menschen, denen ich hier begegnet bin- und sicher waren es noch viele mehr. Aber mit diesen Namen wurde Essen für mich lebendig,

Diakonie lebt von Beziehungen. Das gilt für das Netzwerk der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, es gilt aber vor allem für die Beziehungen zwischen Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und den Pflegenden. Zwischen Kindern, Jugendlichen und ihren Erzieher*innen. Viel davon spielt sich hinter verschlossenen Türen ab: in Kliniken, Hospizen, Pflegeeinrichtungen und Wohngruppen. Und in den privaten Wohnungen, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Während wir sehen, was in den öffentlichen Treffpunkten geschieht, bleibt diese Arbeit für Außenstehende, für Politiker*innen,  ja, für die meisten Menschen unsichtbar, wird  viel zu wenig wahrgenommen und geschätzt. Es geschieht trotzdem, all die Angehörigen, die Mitarbeitenden und Freiwilligen an den vielen Orten tun sie trotzdem – aus Liebe. Das Herz, das ich mitgebracht habe, soll daran erinnern, wie viele sich bei ihrer Arbeit verausgaben, bis sie selbst nicht mehr können. Aber auch daran, dass wir etwas brauchen, was uns Kraft gibt, was uns inspiriert: Die magischen Begegnungen in der Pflege, die Freude an der Entwicklung anderer Menschen, aber auch Auszeiten und Bildungsangebote, Freundinnen und Freunde, die mittragen, Alltags- und Demenzbegleiter*innen. Kirchengemeinden und Diakonische Dienste können hier viel tun: Ängste nehmen, Ethikberatung anbieten, Letzte-Hilfe-Kurse geben, Altenzentren ins Quartier öffnen, neue Partnerschaften mit Schulen organisieren. Diakonie erfahren heißt, spüren, dass ich nicht allein bin.


[1] https://www.diakonie.de/waermewinter/

[2] https://www.essen.de/meldungen/pressemeldung_1480063.de.html.

[3] https://www.silbernetz.org/

[4] Andreas Müller (Hg), Norbert Friedrich, Praktizierte Nächstenliebe, 100 Jahre Diakoniepfarramt und Wohlfahrtsverband der Diakonie in Essen, Essen 2022


(Essen, 26.11.2022) https://www.kirche-essen.de/index.php?c=news&s=news&file=news_detail&id=1195&fbclid=IwAR1mbfXWUYnQ_K2zEsi_k4hpVkzBRC4CMmLdXd21802yufjcamq6Aa8LHfM

Neujahresempfang unseres Evangelischen Kirchenkreises Essen

Der Neujahresempfang unseres Evangelischen Kirchenkreises Essen gestern war der Start. Als Diakonie in Essen feiern wir das 100-jährige Bestehen als Wohlfahrtsverband und Diakoniepfarramt. Im Mittelpunkt standen der engagierte Festvortrag von Cornelia Coenen-Marx, evangelische Theologin und versierte Expertin in Sachen Sozialpolitik und Diakonie, und das Grußwort von Oberbürgermeister Thomas Kufen. Rund 200 Repräsentantinnen und Repräsentanten aus Kirche und Diakonie, Verwaltung, Politik, Wohlfahrtspflege und Stadtgesellschaft bildeten bei diesem Neujahrsempfang, mit dem die Evangelische Kirche in Essen traditionell das neue Kirchenjahr beginnt, die Festgemeinde in der voll besetzten Marktkirche. Für die Musik sorgten Sängerinnen des Vokalensembles „Mini-Vollklang“ unter der Leitung von Kreiskantor Thomas Rudolph mit bezaubernder Musik. Ich habe mich sehr gefreut, dass meine beiden Vorgänger als Diakoniepfarrer in Essen, Pfarrer Karl-Horst Junge und Pfarrer Günter Herber, beim Neujahrsempfang mit dabei waren. Damit waren tatsächlich 43 Jahre der 100 Jahre persönlich vertreten!

Superintendentin Marion Greve eröffnete den Neujahrsempfang mit der biblischen Jahreslosung für 2023: „Du bist ein Gott, der mich sieht“. Sie hob hervor, dass Gott den Blick gerade auf diejenigen lenkt, die am Rande stehen. Dieser Aufgabe kommen die evangelische Kirche und ihre Diakonie mit großem Einsatz und in einer erstaunlichen Breite nach.

Oberbürgermeister Thomas Kufen sieht von der 22. Etage des Rathauses in diesem Winter auf eine Stadt, die dunkler aussieht als in den früheren Jahren. Aber: „Dadurch, dass Sie sich ‚aus Liebe‘ zu den Menschen und ‚aus Liebe‘ zur Stadt für unser Gemeinwesen einsetzen, tragen Sie ein Licht in die Dunkelheit und sorgen gemeinsam mit den anderen Wohlfahrtsverbänden dafür, dass wir die aktuellen Krisen und Herausforderungen in unserer Stadt gut bewältigen können.“ Er betonte, dass die Stadt sich auf die Diakonie verlassen kann, aktuell beispielsweise bei der Unterstützung der nach Essen Geflüchteten: „Die Diakonie verbindet Klarheit mit Tatkraft. Einerseits weist sie Politikerinnen und Politiker immer dort, wo es nötig ist, auf soziale Schieflagen hin, und erfüllt damit eine wichtige Aufgabe. Aber sie tut das, ohne sich selbst aus dem Spiel zu nehmen, sie übernimmt Verantwortung und will selbst ein Teil der Lösung sozialer Probleme sein.“

In ihrer Rede „#AusLiebe. Diakonie zwischen Kirche und Sozialstaat“ schlug Cornelia Coenen-Marx einen weiten Bogen vom ersten Adventskranz, erfunden in der diakonischen Jugendhilfe, über die aktuelle Aktion #wärmewinter von Evangelischer Kirche und Diakonie, bis zur inspirierenden Hoffnung des Advents. Sie blickte zurück auf 100 Jahre diakonisches Wirken in Essen und voraus auf die gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen. Sie hob den Wert der zwischenmenschlichen Beziehungen hervor, der alles diakonische Handeln ausmacht und eine viele größere Würdigung verdiene. Die Corona-Krise habe neben aller Belastung aufgezeigt, dass in der Krise die Chance und die Notwendigkeit liegt, das Sozial- und Gesundheitswesen gerechter zu organisieren: In der Pflege sei die Belastung viel zu hoch; durch die Energiekrise steige das Armutsrisiko und viele Menschen litten unter sozialer Kälte. „Jetzt zünden wir wieder die Kerzen am Adventskranz an, öffnen die Türchen an Adventskalender und träumen von der Stadt mit den offenen Toren. Wir gehen die Schritte, die wir gehen können – aus Liebe. Noch aber leben wir in den Zerreißproben zwischen Einsamkeit und Liebe. Zwischen Zerbrechlichkeit und heilenden Beziehungen. Zwischen Engagement und fehlender Finanzierung. Damit unser Engagement einen guten Rahmen findet und nachhaltig beitragen kann zu einer gerechteren Gesellschaft, müssen wir den Sozialstaat krisenfest mache, den Rechtsstaat verteidigen, die Kommunen angemessen finanzieren und das gute Miteinander in Zivilgesellschaft und der freien Wohlfahrtspflege pflegen. Die Diakonie Essen hat dazu einiges beizutragen. Denn hier gehört das zur DNA. Und gewinnt Energie aus dem Evangelium.“

Im Anschluss an den Vortrag konnte ich einen Überblick über das anstehende Jubiläumsjahr geben, zu dem Gottesdienste, Bürgergespräche, Aktionstage und Ausstellungen ebenso gehören wie eine diakonische Jobbörse, mehrere Fachveranstaltungen und eine Party der Diakonie-Azubis. Wir wollen die Arbeit der Diakonie in ihrer ganzen Bandbreite und Vielfalt darstellen. Bereits im Advent beginnen in Essener Kirchengemeinden die ersten Diakoniegottesdienste. In der Alten Synagoge Essen wird es am 16. Dezember um 17 Uhr um das Thema „100 Jahre jüdische Sozialarbeit in Deutschland“ gehen. Darüber hinaus konnte ich die Festschrift „Praktizierte Nächstenliebe. 100 Jahre Diakoniepfarramt und Wohlfahrtsverband der Diakonie in Essen“ vorstellen, die Professor Norbert Friedrich im Auftrag des Diakonischen Werkes des Kirchenkreises Essen verfasst hat. Wer sich eingehender mit der Geschichte der Diakonie in Essen beschäftigen will, ist am 26. Januar im Restaurant Church der Diakonie um 19 Uhr zu einem Austausch mit dem Autor willkommen. Im Internet werden alle Termine nach und nach auf der neuen Homepage www.diakonie-essen.de veröffentlicht.

Beim gemütlichen Teil des Neujahrsempfangs bestand wie immer die Gelegenheit zum Austausch und zur Begegnung.

Einen ausführlichen Bericht über den Neujahrsempfang der Evangelischen Kirche in Essen gibt es auf https://cutt.ly/61fdWWS


Hildegard Mathies: „Die Neuentdeckung der Gemeinschaft. Cornelia Coenen-Marx gibt Impulse für die Gesellschaft und Kirche von heute“, 2.8.2022

https://www.kirche-koeln.de/die-neuentdeckung-der-gemeinschaft-cornelia-coenen-marx-gibt-impulse-fuer-die-gesellschaft-und-kirche-von-heute/

Foto(s): Peter Wirtz

Die Neuentdeckung der Gemeinschaft – Cornelia Coenen-Marx gibt Impulse für die Gesellschaft und Kirche von heute

Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen. Aktuell steht die Gesellschaft aber zwischen zwei Polen: eine enger zusammengewachsene, solidarische Gemeinschaft im Angesicht von Corona, der Flutkatastrophe 2021 oder aktuell dem Ukraine-Krieg auf der einen Seite – eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Wohlhabend, Integrierte und Außenstehende auf der anderen. Dazu drohen regelmäßig aufgeheizte Debatten um aktuelle Themen wie Corona, Klimawandel und die Zukunft Deutschlands und der Welt weitere Keile zwischen Bevölkerungsgruppen zu treiben. Viele Menschen leiden zudem unter Verunsicherung, Ängsten und Einsamkeit. Eine Expertin für das Thema Gemeinschaft ist die Oberkirchenrätin i.R. Cornelia Coenen-Marx aus Garbsen in der Region Hannover. Sie hat unter anderem ein Buch über „Die Neuentdeckung der Gemeinschaft“ geschrieben, publiziert zu dem Thema und hält Vorträge darüber. So auch vor kurzem in der Melanchthon-Akademie.

„Unsere Welt hat Flügel bekommen“, sagt Cornelia Coenen-Marx. Sie ist volatil geworden, beweglich, aber auch unstetig. „Der klar und verlässlich gezeichnete Rahmen, in dem Menschen über Jahrhunderte zusammengelebt haben, hat sich aufgelöst – das gilt für Geschlechterrollen wie für Familienbilder, für Biografien wie für Berufswege.“ Im Grunde, so sagt sie, lebe jede und jeder in einer eigenen Welt, wir haben eine „Gesellschaft der Singularitäten“. Dabei wünschen sich die meisten Menschen nichts mehr als stabile Beziehungen in Familie, Freund- und Partnerschaften.

Gesellschaft braucht Engagement

Doch berufsbedingte Umzüge und Neustarts oder zuletzt in der Corona-Pandemie das Auseinanderreißen der Familien und Bezugsgruppen über einen längeren Zeitraum hinweg führen dazu, dass Menschen „die alltägliche soziale Einbettung in Familie und Nachbarschaft“ verlieren, so Coenen-Marx. Hinzu kommt, dass ein Großteil der älteren und alten Menschen allein lebt, 40 Prozent der über 75-Jährigen. In einer Studie der Universität Frankfurt gab rund ein Fünftel der befragten 70- bis 89-Jährigen an, ihre Wohnung in der Woche zuvor kaum verlassen zu haben.

Während zu Beginn der Pandemie eine Welle der Solidarität an vielen Orten dafür sorgte, dass Menschen füreinander einkauften und aufeinander achteten, verschärfte sich mit zunehmender Dauer die gesellschaftliche und sozioökonomische Spaltung, beobachtete Cornelia Coenen-Marx, die als Inhaberin und Geschäftsführerin die Agentur „Seele und Sorge“ führt. Deutlich wurde in der Zeit der Sozialen Distanzierung voneinander aber auch, wie sehr die Gesellschaft auf das Engagement der Älteren angewiesen ist, ob als Großeltern, die berufstätige Eltern unterstützen, oder als Ehrenamtliche in Krankenhäusern und Altenheimen, in Hospizdiensten oder Gemeinden, in der Hausaufgabenbetreuung oder im Einsatz für Geflüchtete.

„Sorgende Gemeinschaft braucht Sorgestrukturen“

Sorgetätigkeiten werden heute vor allem als Dienstleistung verstanden, beschreibt Cornelia Coenen-Marx die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Es entstanden immer komplexere Hilfe- und Behandlungsketten. „Dabei wurden die ohnehin zu gering bezahlten Dienstleistungen auf das medizinisch Notwendige beschränkt und die Kontaktflächen mit Nachbarschaft und Kirchengemeinden immer mehr reduziert.“ Erst in den vergangenen Jahren werde versucht, dies wieder zu ändern.

„Ich bin mir nicht sicher, ob die Erfahrung, wie wesentlich neben den informellen Netzwerken ein tragfähiger Sozialstaat ist, in Erinnerung bleiben wird“, sagt Coenen-Marx im Interview mit kirche-koeln.de mit Blick auf die Coronazeit. „Gemeinschaft – soviel ist klar – wird auf der einen Seite in Familien, Nachbarschaften, Gemeinden, Vereinen und informellen Netzwerken gebildet, ist dabei aber auf eine kommunale Infrastruktur von der Tageseinrichtung bis zur Langzeitpflege, von den Schulen bis zum Gesundheitsamt angewiesen. Sorgende Gemeinschaft braucht Sorgestrukturen.“

Chancen und Aufgaben für die Kirchen

In ihren Publikationen und Vorträgen stellt Cornelia Coenen-Marx Beispiele vor, wie Netzwerke entstehen und sich Gemeinschaft in Quartieren entwickeln kann. Das kann die nähere Nachbarschaft sein, ein Stadtviertel oder ein Stadtraum, der eine eigene, gemeinschaftliche Identität hat oder herausbildet. Hier sieht sie auch neue Chancen sowie Aufgaben für die Kirchen, die vor allem Räume öffnen und anbieten sollten, etwa durch vielfältige Nutzungsmöglichkeiten von Gemeindezentren, die sie mit den Menschen, mit Gruppen und Organisationen vor Ort teilen. Auch die Schaffung generationenübergreifender Treffpunkte und Lebensorte gehört dazu. Oder niedrigschwellige Aktionen wie die Kirchenbank auf dem Marktplatz in Witten oder der Gesprächstisch auf dem Düsseldorfer Wochenmarkt. „Wenn die Kirchen vielen fremd, für andere zum Museum geworden sind, dann geht es darum, Gott einen Ort in dieser Welt zu sichern“, greift Coenen-Marx Gedanken der Mystikerin Madeleine Delbrêl auf, „mit unserem eigenen Glauben und Leben.“

Ein Beispiel ist das Projekt „Lebenswert“ in Reutlingen. Die Kreuzkirchengemeinde und ihre Partner vernetzten in wenigen Jahren hunderte unterschiedlicher Menschen in der Stiftung „Lebenswerte Nachbarschaft“, berichtet Coenen-Marx. Job- und Lesepatinnen und -paten gehören dazu, ein Sprachtranining für Geflüchtete, das „Zwergencafé“ oder das Angebot „Wandern mit Anderen“. „Neuzugezogene finden hier schnell Gleichgesinnte und wer Hilfe braucht, eine Telefonnummer. Die Schulrektorin ist genauso involviert wie die Stabsstelle für Bürgerschaftliches Engagement in der Kommune“, erläutert die Seelsorgerin.

Den Kirchen dürfe es nicht zuerst um den eigenen Fortbestand und Mitgliedergewinnung gehen, betont Coenen-Marx. Kirchen sollten stattdessen ein „Energiestrom für das Gemeinwesen“ sein, zitiert sie Delbrêl. „Gemeinwesendiakonie ist das Gebot der Stunde“, sagt Cornelia Coenen-Marx. Gerade Kirchengemeinden haben das Potenzial, das Miteinander, „eine neue Familiaritas zu entwickeln, wo Familien in der mobilen Gesellschaft ihre überkommenen Funktionen nicht mehr erfüllen können“, so die Expertin. „Zwar fehlen die alten Gemeindeschwestern, die Familien und Nachbarschaften kannten und Netzwerke im Quartier knüpfen konnten. An ihrer Stelle entstehen aber neue Initiativen von ehrenamtlich Engagierten, oft zusammen mit professioneller Unterstützung von Diakonie und Erwachsenenbildung. Leihomas, Mentoren, neue Kontakte zwischen Altenzentren und Kindergärten tragen dazu bei, dass Wahlfamilien entstehen.“

Kraft schöpfen aus dem Miteinander

Die Häufung und Überlagerung von Krisen verschärft aktuell gesellschaftliche Spannungen, so Coenen-Marx mit Blick auf Pandemie und Krieg, Wirtschafts-, Energie- und Klimakrise. „Notwendig sind neben sozialpolitischen Maßnahmen und einem steuerlichen Lastenausgleich Angebote, die die Teilhabe stärken, wie Schulsozialarbeit, Quartiersarbeit, und solche, die zur Integration von Geflüchteten und Migranten beitragen“, sagt Cornelia Coenen-Marx. „Hier sind die Kirchen besonders gefragt – sie haben Gebäude vor Ort, dazu hauptamtliche Mitarbeiter und eine gute Vernetzung im Quartier.“

Woraus können Menschen in dieser Zeit Kraft schöpfen? „Die Hochaltrigen erinnern sich daran, dass sie in Krisenzeiten in die Kirche gingen; genau das war aber in Corona nicht möglich“, antwortet die Seelsorgerin. Zoom-Konferenzen und Telefondienste haben dieses unmittelbare Miteinander nicht ersetzt. „Das wird nun nicht ,von selbst‘ wieder aufblühen“, sagt Coenen-Marx. „Es muss mit neuen Formaten eingeübt werden, zum Beispiel bei Generationengesprächen – gern auch an dritten Orten wie Gaststätten, Gärten und Höfen.“ Dazu müsse es gottesdienstliche Angebote in der Stadt geben, wie Weihnachtswege oder Singen im Stadion.

Letztlich, davon ist Cornelia Coenen-Marx überzeugt, komme es für die Gegenwart und Zukunft von Gemeinschaft darauf an, voneinander und miteinander zu lernen. „Dabei geht es heute nicht nur um die Weitergabe von Traditionen, sondern mehr als in früheren Zeiten um die Erschließung der Zukunft.“ Kinder und Jugendliche mit ihren Erfahrungen, ihren Fragen und ihren Ideen sind dabei ernst zu nehmen und zu unterstützen. Dazu bedarf es Offenheit und eines Sich-Einlassens. Cornelia Coenen-Marx gibt ihren Leserinnen und Zuhörern eine Impulsfrage mit: „Haben wir den Mut einer frischen, jüngeren Generation zuzuhören, Verantwortung zu übertragen, sie zu stärken und zu unterstützen, Neues zu wagen, uns wieder zum Mitmachen zu motivieren, zu überzeugen und gemeinsam mit ihnen zu lernen?“


chrismon, Text: Dorothea Heintze, 15.2.22, Zur Rubrik: Blogs

https://chrismon.evangelisch.de/blogs/wohnlage/wahlfamilien-nachbarschaft-quartiersarbeit-cornelia-coenen-marx-und-ihr-neues-buch

Alternativen für die Single-Gesellschaft

Cornelia Coenen-Marx beschäftigt sich schon ihr ganzes Leben mit dem ideellen und praktischen Wert von „Gemeinschaft“. In ihrem neuen Buch geht es um Einsamkeit, Wahlfamilien und die Kirchengemeinschaft im Wandel.

Gutes oder schlechtes Timing? Das sei gar nicht so einfach zu beantworten, berichtet die Theologin und Buchautorin Cornelia Coenen-Marx. 2019 hatte die Mitbegründerin und einstige Herausgeberin von chrismon mit den Recherchen zu einem neuen Buch begonnen. Kurz darauf begann die Pandemie.

Die Themen des Buches wurden noch virulenter: Einsamkeit und Nachbarschaft, gute Quartiersarbeit, neue Wohn- und Lebensgemeinschaften, innerhalb und außerhalb der Kirchengemeinschaft und in der Diakonie. All dies hat Cornelia Coenen-Marx schon immer umgetrieben. Als junge Pfarrerin (übrigens die erste Frau im Kirchenkreis) bewohnte sie mit ihrem Mann ein großes altes Pfarrhaus in Mönchen-Gladbach und dachte schon damals: „Warum leben wir hier nicht in einer WG? Platz dafür ist da.“ 

Die „Neuentdeckung der Gemeinschaft“ heißt ihr Buch, und als sie in der Pandemie zu ihren Themen recherchierte, stieß sie zunächst auf viel Positives. Fast euphorisch feierten viele Menschen Mitte 2020 die Wiederentdeckung ihrer eigenen Nachbarschaft. Heute wissen wir, dass gemeinsames Singen und Klatschen vom Balkon weder an der schlechten Bezahlung von Pflegekräften noch an der Veinsamung vieler Menschen wirklich etwas geändert hat.

Die Neuentdeckung der Gemeinschaft. Chancen und Herausforderungen für Kirche, Quartier und Pflege, Vandenhoeck&Ruprecht Verlag 2021, v&r

 Für alle Menschen, die an neuen Wohnformen, neuen Ideen, auch für die Arbeit in und mit Kirche interessiert sind, ist es ein Fundus an Best Practice Beispielen. In Düsseldorf beispielsweise gibt es einen gemeinnützigen Verein mit dem Namen „Wohnschule“: Bitte gerne auch bundesweit.

Das Buch erschien im Herbst letzten Jahres, seither hat sich schon wieder vieles geändert. Einiges sieht die Autorin noch kritischer als in der Phase des Schreibens. „Zuerst dachte ich wirklich, die Pandemie wirkt wie ein toller Schub für neue Ideen, auch für meine Kirche.“ Mittlerweile ist ein wenig Ernüchterung auch bei ihr eingekehrt: „Gerade in den Lockdowns haben so viele Menschen schrecklich unter der Isolation gelitten.“ Doch ihre positive Lebenshaltung will sie sich nicht absprechen lassen.

Zum Beispiel Lesungen. Reisen ging nicht, also blieb sie zu Hause, und lud die Menschen zu Online-Lesungen ein. Ein Gewinn. Statt Tisch, Stuhl und Wasserglas gab es Kacheln, Fotos und Musik und dazu Break-Out-Sessions: „Sicher, ich war nicht vor Ort“, erzählt sie, „aber nah dran an meinen Zuhörer*innen.“ Sie konnte Fragen beantworten, Erfahrungen austauschen und das mit Menschen, die hunderte von Kilomentern entfernt lebten: „Nach einer Ankündigung auf meiner Facebookseite kamen neulich Interessierte  aus St. Gallen, Hamburg, Hannover und Frankfurt zu einer Lesung am Bodensee – ein Link und eine kurze Verabredung genügte.“ 

PS. in eigener Sache: Die „Wohnlage“ geht jetzt in eine kleine Pause – am Donnerstag, 17. März geht es hier weiter.


Das gesamte PDF zum Download:

https://www.evangelische-frauen-baden.de/frauen/publikationen/ganz-persoenlich/


Wetterauer Zeitung 23.10.21, über die Veranstaltung in Echzell


von Apotheken Umschau, aktualisiert am 14.08.2020

Corona-Video-Podcast: Nachgefragt!

In unserem Video-Podcast „Nachgefragt!“ unterhalten wir uns mit Menschen, die uns von den täglichen Herausforderungen in dieser besonderen Zeit berichten.

https://www.apotheken-umschau.de/Coronavirus/Corona-Video-Podcast-Nachgefragt-557649.html


Text: Cornelia Coenen-Marx, 27.8.20, chrismon September 2020, chrismon Plus September 2020, Zur Rubrik: Standpunkt

Cornelia Coenen-Marx über Altersdiskriminierung während Corona

Ihr müsst uns nicht schonen!

Standpunkt - Ihr musst uns nicht schonen!
c Anne-Marie Pappas

Anne-Marie Pappas Jeden Tag gehen 3000 Frauen und Männer in Deutschland in Rente. Viele sind fit und aktiv. Doch seit Corona gelten sie pauschal als schutzbedürftige „Risikogruppe“. Das nervt.

Mit knapp über 60 passte das Wort Ruhestand so gar nicht zu meinem Lebensgefühl. Trotzdem zwang mich eine Krankheit, beruflich kürzerzutreten. Aber vielleicht würde ich noch einmal ins Ausland gehen, eine Coachingausbildung machen oder ein Buch schreiben. Plötzlich war vieles möglich, wie damals nach dem Schulabschluss. Ich habe mich dann selbstständig gemacht und bin seitdem mit Vorträgen und Workshops quer durch Deutschland unterwegs. Lange Zug­reisen, unterschiedliche Menschen, Debatten – ich mag es, mich neuen Aufgaben zu stellen, auch wenn sie schwierig sind, und Entwicklungen zu begleiten.

17 Millionen Menschen in unserem Land sind über 65, jede/r Fünfte. An jedem Tag dieses Jahres kommen statistisch gesehen 3000 Männer und Frauen ins gesetzliche Rentenalter, und vielen geht es so wie mir. Wer heute in Rente geht, hat wahrscheinlich noch 20 gesunde und aktive Lebensjahre vor sich. Mehr als ein Drittel der 55- bis 69-Jährigen hat keine oder höchs­tens eine Erkrankung, und noch die Hälfte der 70- bis 85-Jährigen fühlt sich trotz der einen oder anderen Krankheit gesund.

Fit, aktiv – und ausgebremst

In keiner Altersgruppe ist die Beschäftigungsquote in den vergangenen Jahren so stark gestiegen wie bei den Rentnern – unmittelbar gefolgt von der Gruppe der 60- bis 65-Jährigen. Von den 65- bis 69-Jährigen arbeiteten 2018 17 Prozent. 2003 waren es nur knapp sechs Prozent. Bei den 60- bis 65-Jährigen sind es inzwischen 60 Prozent. Und das hat bei vielen sicher finanzielle Gründe. Aber eben nicht nur. Es geht auch darum, einen eigenen Beitrag zu leisten. Manche reisen mit „Ärzte ohne Grenzen“ in Krisengebiete, andere engagieren sich als Freiwillige bei den Tafeln, in Hospizdiensten oder als „Leihoma“ in der Nachbarschaft.

Doch der coronabedingte Lockdown hat viele der umtriebigen, engagierten, arbeitenden Menschen in der dritten Lebensphase völlig ausgebremst. So ging es auch vielen Jünge­ren, doch Menschen ab 65 können die verlorene Freiheit, den verpassten Aufbruch viel schwerer aufholen, weil sie das Gefühl haben, dass ihnen die Zeit davonläuft. „Jetzt bin ich tatsächlich im Ruhestand“, schrieb ein Kollege. „Wir üben gerade das Altwerden“, eine Freundin aus der Schweiz.

Nach den individuellen Fähigkeiten fragen

Tatsächlich steigt die Sterbequote bei Covid-19 mit Alter und Vorerkrankungen deutlich an, und viele der Lockdown-Einschränkungen waren sinnvoll. Aber warum mussten über 65-Jährige in Istanbul pauschal in Quarantäne bleiben? Und warum diskutierte der Deutsche Ethikrat bei der Triage so sehr über die Relevanz des Alters? Dass sich Lehrerinnen und Lehrer über 60 vom Unterricht beurlauben lassen durften, war sicher gut gemeint, aber auch 35-Jährige können gefährdet sein, wenn sie zum Beispiel an Diabetes oder Asthma leiden.

Noch irritierender als der erzwungene Stillstand ist die Beobachtung, dass Menschen in der dritten ­Lebensphase seit Ausbruch der Pandemie nicht mehr nach ihren individuellen Möglichkeiten, Fähigkeiten und Risiken gefragt werden, sondern dass vor allem kategorisch über sie gesprochen wird: Vielfältig Engagierten, fitten und weniger fitten Rentnern, Solo­selbstständigen, beruflich aktiven Menschen wie mir wurde pauschal das Etikett hilflos, schutzbedürftig, gefährdet angeheftet. Wir wurden zur „Risikogruppe“. Und die soll am besten zu Hause bleiben. Damit nicht genug: Wir sind angeblich auch noch schuld daran, dass die Wirtschaft in die Krise geraten und der Wohlstand gefährdet ist. Denn man habe das ja alles „für die Älteren“ getan.

Die Klischees kehren zurück

„Früher war klar: Kinder lernen, Erwachsene arbeiten, und die Alten ruhen sich aus. Aber das ist passé“, sagte die Gerontologin Ursula Staudinger vor ein paar Jahren. Doch jetzt kehren sie zurück, die längst überwunden geglaubten Bilder über die dritte Lebensphase, die Klischees von der beige gekleideten Kohorte, die auf Parkbänken sitzt, bestenfalls noch Radtouren und Spaziergänge unternimmt, aber ansonsten geschont werden muss und gesellschaftlich nicht mehr mitmischen kann.

Von über 60-Jährigen wird neuerdings gesprochen, als ginge es um 80-Jährige. Und von den 80-Jährigen, als wären sie allesamt pflegebedürftig. Persönlichkeitsentwicklung, Selbstbestimmung, Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten im Alter – alles, was wir in den vergangenen 30 Jahren von der Alternsforschung gelernt haben, scheint vergessen zu sein. Und das in einer Gesellschaft, in der Individualität zu Recht großgeschrieben wird.

Das kalendarische Alter sagt wenig aus

„Das kalen­da­ri­sche Alter sagt nichts über den Zustand und die Schutz­be­dürf­tig­keit der Men­schen“, schreiben die Wirtschaftsjournalistin Margaret Heckel und die Filmproduzentin und frühere saarländische Gesundheitsministerin Barbara Wackernagel-Jacobs in ihrem Appell „Neue Altersbilder“, den sie Mitte April ins Netz gestellt haben. Wie schutzbedürftig jemand ist, „kann nur eine indi­vi­du­elle Betrach­tung der Risi­ken, Vor­er­kran­kun­gen und Belast­bar­keit eines Men­schen leis­ten. Dies gilt für den Mitt­vier­zi­ger mit Dia­be­tes, die Mitt­sech­zi­ge­rin mit einer Krebs­­­dia­gnose wie für die Hoch­alt­ri­gen ­in schwie­ri­ger All­ge­mein­ver­fas­sung“, heißt es in dem Appell. Deshalb ­gebe es auch keine am kalendarischen Alter festzumachende „Altersfalle“, sondern höchstens Altersdiskriminierung.

Der Lockdown war auch kein ­Geschenk an die ältere Generation, sondern eine Maßnahme, um Zeit zu gewinnen und das Gesundheits­system auf einen Ansturm vorzube­reiten – zum Wohle aller. Deshalb sehen die Unterzeichner des Appells – in­zwischen sind es einige Hundert – wie auch ich keinen Grund, sich pauschal zugunsten Jüngerer zurückzuziehen. Denn sie werden in vielen Familien zur Unterstützung der nächsten Ge­neration gebraucht.

Über-55-Jährige tragen die Zivilgesellschaft

Auch die Zivilgesellschaft könnte sich einen solchen Rückzug auf ­Dauer nicht leisten. Denn die Tafeln, Bürger­busse, Mehrgenerationen­häuser, Dorfläden werden maßgeblich von den über 55-Jährigen getragen. Diese Generation ist gut ausgebildet, weltoffen und selbstbewusst. Viele stecken noch voll im Beruf. Und wenn sie sich ehrenamtlich engagieren, wollen sie genauso ernst genommen werden. Wer also bei einer Tafel mitarbeitet oder in der Leseförderung, sollte genauso selbstverständlich auf Corona getestet werden können wie die Lehrerinnen und Lehrer aus der „Risikogruppe“.

Statt uns gegenseitig in Schubladen von „jung“ und „alt“ zu stecken, sollten wir uns noch mehr vernetzen. Wir sind soziale Wesen und aufeinander angewiesen – nicht erst im Alter. „An Einsamkeit stirbt man bloß langwieriger als an Corona“, sagt Elke Schilling. Die 75-Jährige hat ihren Telefondienst ­“Silbernetz“, der sich an einsame ­Ältere richtet, in der Krise bundesweit aufgestellt. Sie hat sich vom Lock­down nicht abhalten lassen, ins Büro zu gehen.

Digitale Vernetzung hilft

Auch andere machten weiter als Lesepatin oder bei der Hausaufgaben­betreuung – jetzt eben per Tablet oder Smartphone. Ich selbst habe einen Teil meiner Workshops und Coaching­sitzungen ins Netz verlegt und ge­nieße mein Yogatraining per Zoom. Digital können wir die Grenzen unseres Körpers und unseres Wohnorts überschreiten – und die Klischees über das Alter überwinden. Das ist ­eine richtig gute Erfahrung.

Sorgende Gemeinschaften

Seit einigen Jahren entwickelt sich in Nachbarschaftsprojekten und Mehrgenerationenhäusern eine neue Gestalt des Sozialen: die Sorgenden Gemeinschaften. In der Corona-Krise gewann die Bewegung an Schwung: Überall wurden Einkaufsdienste angeboten und Telefonketten gebildet, Balkonkonzerte veranstaltet und ­Treffen im Pfarrgarten organisiert. Digitale Netzwerke wie nebenan.de und digitale-nachbarschaft.de ­wachsen stetig. „Ich für mich. Ich mit anderen für mich. Ich mit anderen für andere. Andere mit anderen für mich“ steht auf einer Postkarte, die ich bei einem Projekt für junge Alte in Stuttgart mitgenommen habe.

Genau: Hilfe ist keine Einbahnstraße. Aber was mir guttut und wie ich Kontakte pflege, will ich selbst entscheiden. Dass jemand für mich einkauft, nur weil ich Ü60 bin, finde ich merkwürdig. Vielleicht haben sich deshalb bei einigen Projekten mehr Helferinnen und Helfer gemeldet als Hilfebedürftige.


Pressemitteilung
Rummelsberger Diakonie e.V. | Abteilung Kommunikation Rummelsberg 2, 90592 Schwarzenbruck, Telefon 09128 50-2439, Telefax 09128 50-2150kommunikation@rummelsberger.net | www.rummelsberger-diakonie.deSeite 1 von 207.10.2019
Von: Dorothée Krätzer

Einsam trotz vieler Freunde

Frauentag der Rummelsberger Brüderschaft über Einsamkeiten und Gemeinsamkeiten

Wir leben in Zeiten der grundlegenden Umgestaltung – Pastorin Cornelia Coenen-Marx bei ihrem Referat im Rummelsberger Tagungszentrum. (Foto: Krätzer)

Wir sind vernetzt, haben mit Internet, Mobiltelefon und Social Media so viele Möglichkeiten wie noch nie, um mit anderen – weltweit und live – zu „kommunizieren“, wie man heute so schön sagt. Trotzdem nimmt die Vereinsamung in unserer Gesellschaft zu, nicht nur bei alten Menschen, auch bei jungen. Unter der Überschrift „Von Einsamkeiten und Gemeinsamkeiten“ befassten sich die Frauen der Rummelsberger Brüderschaft auf ihrem Jahrestreffen mit den veränderten Beziehungen und den daraus erwachsenden Problemen.

„Freunde findet man leicht“, zitierte Cornelia Coenen-Marx einen elfjährigen Jungen mit virtuellen „Freunden“ bei Facebook und anderen Medien. Schon dieser Satz verdeutlicht, wie grundlegend sich unser Miteinander verändert hat. Als Referentin – Coenen-Marx ist Pastorin und Autorin, zudem Inhaberin der Agentur „Seele und Sorge“ – sprach sie über das komplexe Thema „Gemeinschaft in einer individualisierten Gemeinschaft“. Diverse Arbeitsgruppen und Angebote, Andachten, Raum für Begegnungen ergänzten das Programm des Wochenendes. „Gemeinschaft VielStimmig“ – wie schön es klingt, wenn viele Frauen gemeinsam Singen, konnte man beim Abendprogramm mit der Sängerin Renate Kaschmieder in der Philippuskirche hören.

Im Rummelsberger Tagungszentrum zeichnete Coenen-Marx anschaulich ein Bild unserer Gesellschaft, die vor allem berufliche Mobilität, Zeitdruck und Ökonomie prägen. Als Folge daraus verändern sich Lebenswelten und Bindungen werden locker. Die Mehrheit lebe nicht mehr in Familienhaushalten, stellte die Pastorin fest, sondern als Single. Individualisierung – auf der einen Seite mit Vorteilen wie Freiheit, Selbstbestimmung, Kontrolle. Auf der anderen stehen: Auflösung der Traditionen des Miteinanders wie Familien, Ehe, Nachbarschaft, zudem der Geschlechterrollen und Biografien (Disembedding). „Bedrohlich“, nannte das die Pastorin, „es gibt Halt, wenn man sich einordnen kann.“ Solche grundlegenden Umgestaltungen hätten ebenso Auswirkungen auf Sozialformen, Glauben und Religion. Leben, Arbeit und Glaube seien auseinander gefallen und jeder Bereich verändere sich rasant. Solche Umbrüche habe es schon früher gegeben, erinnerte Coenen-Marx, beispielsweise zur Zeit der Industrialisierung. Tröstend, dass sich Gegenbewegungen zu diesen Trends bilden und immer stärker aktiv werden. Alte Modelle kämen zurück, so die Referentin, beispielsweise Tafeln, Werkstätten und Stuben. In der Marktgesellschaft, in der alles der Ökonomie unterworfen sei, müssten wir wieder lernen, Hilfe zu geben, sie anzunehmen und Beziehungen zu gestalten. Letztere entstünden, wo wir einander helfen – weil uns das gut tut.

In seiner Predigt im Festgottesdienst in der Philippuskirche thematisierte Rektor Dr. Günter Breitenbach ebenfalls das Erleben von Gemeinschaft – wenn man hinaus ins Unbekannt geht und bei Fremden Gastfreundschaft erfährt. Damit und mit der anschließenden Tischgemeinschaft beim Mittagessen im Brüderhaus endete dieses Wochenende der gelebten Gemeinschaft.


13. November 2019 | Verband Evangelischer
Diakonen-, Diakoninnen- und Diakonatsgemeinschaften
in Deutschland e.V.
https://www.vedd.de/vom-ziergarten-zum-biotop-rede-beim-verbandstag-des-diakonieverbandes-auf-der-karlshoehe/

Vom Ziergarten zum Biotop – Rede beim Verbandstag des Diakonieverbandes auf der Karlshöhe

Cornelia Coenen-Marx war die Hauptrednerin beim diesjährigen Verbandstag des Diakonieverbandes am 9. November auf der Karlshöhe. Die 67-jährige Pfarrerin, ehemalige Oberkirchenrätin in der Zentrale der Evangelischen Kirche in Deutschland meint, „sorgende Gemeinden können tragende Aufbrüche in Umbrüchen“ sein. Sechs Schritte, meint die ehemalige Vorsteherin der Kaiserswerther Schwesternschaft, führen weg von Kirchenstrukturen die überwiegend an ökonomischen und verwaltungseffizienten Gemeinden interessiert sind.

Wer Kirchen abreißt, verkauft, Gemeinden – kirchliche oder kommunale auflöst, muss wissen, dass sie oder er Heimat zerstört. „Wenn eine Landeskirche es zulässt, dass Kirchen abgerissen werden, wissen die Menschen „die Welt ist nicht mehr in Ordnung“. Was wie eine stille Anklage klingt, ist im Vortrag von Cornelia Coenen-Marx eine Hinführung zu einer anderen Wahrnehmung und Haltung.

„Schaut hin, was den Menschen ihren Boden unter den Füßen wegzieht“, sagt sie. Wo alles Vertraute schwindet, Schulen schließen, Ärzte fehlen, Kommualverwaltungen zentralisiert werden, Mobilität immer schwieriger wird, finden all jene Gehör, die Altes beschönigen. Aber so Coenen-Marx, Bürger sind nicht dazu da, um bestimmte Dienstleistungen zu kaufen. Derartiges fördert bei vielen Menschen den Eindruck: „Wir haben nicht zu sagen, auf uns kommt es nicht an.“

Die Wahrnehmung solcher Stimmungen und Veränderungen sei der erste Schritt zu Veränderungen. Dann brauchen Kirchenleitungen und Kirchengemeinden einen Wechsel in ihrer Perspektive. Statt langer Zahlenreihen über Personal und Einnahmen zu pflegen gilt es „Nachbarschaften zu beleben.“ Gemeinschaft ermöglichen und Halt geben, das sind die ersten Aufgaben. Dass diese nicht alleine von Kirchengemeinden geschaffen werden können, scheint Coenen-Marx in der gegenwärtigen Lage  unbestreitbar zu sein. Daher gilt es Verbünde zu schaffen. Aber Kirchengemeinden könnten als „sorgende Gemeinschaften“ für jene offen sein, die sich ihre Räume in der Gesellschaft – oder wörtlich gemeint in den kirchlichen Immobilien – nicht selbst nehmen können.

Statt für die Menschen im Dorf oder Stadtteil – mit den Menschen planen und handeln- dafür sieht Coenen-Marx bereits viele Ansätze und Beispiele. Es geht ihrer Meinung nach darum, aus der individualistischen Haltung der Frage nach dem „Ich“ zu einem neuen „Wir“ zu kommen. Dazu braucht es, sagt Coenen-Marx, „das neue Wir“.  Das entsteht, sagt sie weiter, durch „offene Begegnungen, Orte die offenstehen, deren Besuch nichts kostet als das Kommen, offen sind ohne Zuordnung zu bereits festen Gruppen. „Tischgemeinschaft“ und „Haltestelle“ nennt sie Treffpunkte wie einen Generationentreff, bei dem alte in Sütterlinschrift verfasste Briefe gelesen und für die junge Generation umgeschrieben werden. Im Bild gesprochen, sagt Marx sollten Kirchengemeinden „statt ihren kirchlichen Ziergarten pflegen, menschliche Biotope wachsen lassen.“

M. Ernst Wahl



6.11.2019: https://zeitzeichen.net/node/7929 | Kathrin Jütte ist Redakteurin der „zeitzeichen“. Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.

Auf dem Weg zur Caring Community

Warum sich Kirche und Diakonie im Quartier stärker öffnen müssen


Die gesellschaftlichen Transformationsprozesse  der kommenden Jahre können nur bewältigt werden, wenn in den Quartieren und Nachbarschaften alle Akteure zusammenarbeiten. Der Fachtag „Sorgende Gemeinde“ in Potsdam stellt die Demographie und die Potenziale der Kirchengemeinden in den Mittelpunkt. 

Wenn sich Bevölkerungswissenschaftler zu Wort melden, um die demographische Entwicklung in Deutschland zu beschreiben, war das Szenario bislang erwartbar: Die Zahl der jüngeren Menschen sinkt, die der älteren steigt, während die Bevölkerungszahlen insgesamt rückläufig sind. Dass sich diese Prognosen jedoch verändert haben, zeigte sich vor kurzem  bei dem  Fachtag „Sorgende Gemeinde“ im Potsdamer Landtag. Susanne Dähner vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung machte unmissverständlich deutlich: Die Bevölkerung in Deutschland wächst und ist mit über 82 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern größer als je zuvor. Also kein Grund zur Sorge? Keineswegs, denn von diesem Wachstum profitieren längst nicht alle, die urbanen Zentren wachsen, während der ländliche Raum an Einwohnern verliert, was sich im Osten des Landes am deutlichsten zeigt. Denn während Leipzig und Dresden so genannte Wachstumsinseln sind, leiden die ostdeutschen Bundesländer seit 1989 unter dem Verlust von 1,8 Millionen Einwohnern. Sie haben das Land verlassen und ihr Glück im Westen gesucht. Gleichzeitig sanken aufgrund von ungewisser Zukunft die Geburtenzahlen. Prognosen zeigen, dass im Land Sachsen-Anhalt bis 2035 mit einem Rückgang der Bevölkerung von 16 Prozent zu rechnen ist, während Leipzig um die gleiche Zahl wachsen wird.

Keine Frage, die Alterung ist das zentrale Thema der ländlichen Regionen. Das macht die Bevölkerungswissenschaftlerin Susanne Dähner in Potsdam deutlich. Doch während auf dem Land der Bedarf an altersgerechter sorgender Unterstützung wächst, schließen dort, wo es am nötigsten ist, Arztpraxen, werden der Öffentliche Nahverkehr und die letzten Einkaufsmöglichkeiten aufgegeben.         

Wie diese Entwicklung begleitet werden kann und was die Kirchengemeinden als Teil einer sorgenden Gemeinschaft mit ihren zahlreichen Ehrenamtlichen leisten können, das war Thema des Potsdamer Fachtags, zu dem die Diakonie Deutschland und Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz sowie die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz eingeladen hatten.

Auch der siebte Altenbericht der Bundesregierung hatte vor zwei Jahren unter dem Thema „Sorge und Mitverantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften“ darauf verwiesen, dass die regionalen Unterschiede in Deutschland in Zukunft eher größer als kleiner werden. Und dass ältere Menschen, die in wirtschaftlich benachteiligten Regionen leben, sich in doppelter Weise von regionaler Ungleichheit betroffen zeigen: zum einen leben sie in strukturschwachen und von Alterung betroffenen Regionen, so dass die Kommune kaum Spielraum hat, über ihre  Pflichtaufgaben hinaus, freiwillige Dienstleistungen oder Infrastruktur anzubieten. Zum anderen haben Menschen in diesen Regionen aufgrund einer tendenziell schlechten Gesundheit einen höheren individuellen Unterstützungsbedarf, so das Fazit der Altenberichtskommission.

Was also können Kirchen und Diakonie leisten, um das Zusammenleben im Quartier zu stärken? Was können sie beitragen, damit sich Alte und Junge begegnen, damit die, die ihre Rechte nicht mehr selbstverständlich wahrnehmen können, trotzdem gehört werden. Und wie können sie Teil einer sorgenden Gemeinschaft (Caring Community) werden?
Die evangelische Theologin und EKD-Oberkirchenrätin a. D. Cornelia Coenen-Marx zeigt in Potsdam auf, wie Kirchengemeinden mit ihrer Infrastruktur und Ortsgeschichte Brücken bauen können. Denn schließlich manifestieren sich in der Gemeinde vor Ort die aktuellen Probleme und genau dort finden sich auch Antworten auf die drängenden Bedürfnisse der Zeit. Ihr Credo: „Das gelingt aber nur, wenn Gemeinden und soziale Träger nicht nur auf den Einzelfall schauen, sondern auf den Lebensraum.“

Sie macht deutlich: Wer bestimmte Zielgruppen unterstützen will, zum Beispiel Demenzkranke, Menschen mit Behinderungen oder Familien in Armut, muss die Angebote verknüpfen. Kommunen, soziale Dienste, Kirchen, Einkaufszentren, Wohnungswirtschaft und  Verkehrsbetriebe müssen sich vernetzen.

Für die Kirchengemeinden heißt das, andere Akteure einladen, mit ihnen in den Austausch gehen und fragen, was der Ort oder das Quartier brauchen. Und Coenen-Marx bringt es auf den Punkt: „Wenn Kirchengemeinden sich auf eine Haltung nicht für, sondern mit den Menschen einlassen, zeigen sie, dass sie wirklich an den Lebenslagen der Menschen vor Ort interessiert sind.“

Die Fakten und das Wissen liegen auf dem Tisch, allein es fehlt an der Umsetzung. Das mahnt  in Potsdam während des Fachtags auch die Göttinger Soziologieprofessorin Claudia Neu an, die sich mit den Themen Demographischer Wandel, Zivilgesellschaft sowie Daseinsvorsorge im ländlichen Raum beschäftigt. Ihre These: Caring Communities  versuchen auf verschiedene Herausforderungen wie Alterung, veränderte Familienstrukturen und Rückzug des Wohlfahrtsstaates aus der Fläche zu reagieren. Diese Gemeinschaften entstehen jedoch nicht aus dem Nichts. Sie brauchen Rahmenbedingungen und finanzielle wie rechtliche Unterstützungssysteme. Denn wenn Orte schon stark überaltert sind, weil jüngere Leute weggezogen sind, wenn öffentliche Infrastruktur fehlt, dann wird es eine Caring Community schwer haben. Claudia Neu steht für ein Soziale-Orte-Konzept, das sich neben der Versorgung auch um den sozialen Zusammenhalt kümmert. Die Soziologin hält nichts von Projektförderung, sondern setzt sich für eine Förderung von Prozessen ein. Und sie betont, dass gerade Menschen in Armutslagen Zugang zu öffentlichen Räumen haben müssen. So sind zum Beispiel Stadtteilläden oftmals die einzigen Orte, die in die Gesellschaft vernetzen.    

In Potsdam wird an diesem Fachtag deutlich: Das Miteinander im Quartier, im Kiez und in den Nachbarschaften für alle Generationen kann nur gelingen, wenn alle Akteure wie die Kirche und ihre Diakonie, die Wohlfahrtsverbände, öffentliche Verwaltung und die Menschen selbst  gemeinsam handeln und auftreten. Nur so kann das Leben im ländlichen Raum gestärkt werden. Und: Es geht sicherlich nicht darum, auszufüllen, was der Staat nicht leisten kann. Sondern um Zugehörigkeit, gemeinsame Werte und darum, Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu übernehmen.


26.10.2019: https://www.reformiert.de/nachricht/weil-es-jedem-gut-tut-und-allen-nutzt-ehrenamt-im-wandel.html

Bei der Diakonischen Konferenz der Evangelisch-reformierten Kirche hat die Theologin Cornelia Coenen-Marx einen neuen Blick auf das Ehrenamt gefordert. Sie sprach am Samstag, 26. Oktober, im Kloster Frenswegen vor rund 150 zumeist Ehrenamtlichen in diakonischen und sozialen Arbeitsfeldern. Die Tagung stand unter der biblischen Überschrift „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Galater, 6,2).

Coenen-Marx, ehemalige Oberkirchenrätin der Evangelischen Kirche in Deutschland sagte, die meisten Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, wollen in ihrem Amt einen Lebenssinn finden. „Würde ich dafür bezahlt, würde ich es nicht machen“, würden viele sagen. Freiwilliges Engagement sei Ausdruck der eigenen, aktiven Gestaltung des Lebens und brauche daher auch Anerkennung.

In den Kirchen werde oft geklagt werde, dass es heute immer schwieriger sei, Ehrenamtliche für bestimmte Aufgaben zu finden, sagte Coenen-Marx, die bis 2004 theologischer Vorstand der Kaiserswerther Diakonie und Vorsteherin der dortigen Schwesternschaf war. Dies liege auch daran, dass viele Aufgaben wie etwa Gremientätigkeit zu langfristig angelegt seien. Zudem beklagten Ehrenamtliche oft, dass sie nicht als gleichberechtigte Partner angesehen würden: besonders Frauen.

Die Jahreskonferenz des Diakonischen Werkes der Evangelisch-reformierten Kirche beschäftigte sich in diesem Jahr mit der Arbeit von Ehrenamtlichen in diakonischen Arbeitsfeldern. „Ehrenamtliche sind elementare und verlässliche Stützen in unserer diakonischen Arbeit, ohne die manches an Diensten nicht möglich wäre“, sagte Bernd Roters, Pastor in Veldhausen (Grafschaft Bentheim) und Vorsitzender des Diakonischen Werkes.

Coenen-Marx betonte auch, dass soziale Engagement heute eine ökonomische Absicherung brauche. Es könne nicht sein, dass sich gerade engagierte Frauen oft um eine gerechte Alterssicherung betrogen fühlten. Sie forderte die Kirchen auf, die enorm große Bereitschaft zum Engagement neu zu entdecken. Hilfreich sei es auch, sich mit anderen Organisationen zu vernetzen. „Ehrenamtliches Engagement löst oft Innovation aus“, warb sie. Gerade die ehrenamtliche Arbeit mit Flüchtlingen habe gezeigt, wie wichtig für Ehrenamtliche eine hauptamtliche Begleitung sei.

Der evangelisch-reformierte Kirchenpräsident Martin Heimbucher bat die vielen Ehrenamtlichen bei der Konferenz um Achtsamkeit um die eigene Person. Bei allem Engagement für den Nächsten sei es wichtig, „eine Balance zwischen Geben und Nehmen, zwischen Tragen und Getragen werden“ zu finden, betonte er.

26. Oktober 2019
Ulf Preuß, Pressesprecher


Es geht besser

Rund 100 Teilnehmerinnen informierten sich beim „Tag der Frauen“ über Armutsfallen

Hoffen auf neue Bewegung bei einem alten Thema: Ingrid Philipp vom Frauenwerk, Landespastorin Franziska Müller-Rosenau und die Referentin Elisa Rheinheimer-Chabbi (v.l.). Foto: Sven Kriszio

Mit den Armutsfallen für Frauen haben sich beim „Tag der Frauen“ rund 100 Frauen aus der Landeskirche Hannovers befasst. Im Mittelpunkt des Treffens stand der Austausch, aber auch die Hoffnung, dass sich die Kirche mit dem Thema stärker befasst.

Das Problem ist lange bekannt: Mit einigen 100 Euro fällt die gesetzliche Rente von Frauen dramatisch geringer aus als die der Männer. „Männer haben im Schnitt ein fast 40 Prozent höheres Einkommen und um 60 Prozent höhere Altersbezüge“, sagte Franziska Müller-Rosenau, Landespastorin für Arbeit mit Frauen.

Die Armut von Frauen ist auch in der Rollenverteilung begründet. Denn nach wie vor werde die Sorgearbeit eher von Frauen getragen. Frauen seien eher bereit, auf einen Teil ihres Einkommens oder sogar ganz auf Erwerbstätigkeit zu verzichten, um Angehörige zu pflegen oder Kinder großzuziehen, sagte die Landespastorin. „Die gesellschaftliche Aufgabe besteht darin, diese Sorgearbeit wertzuschätzen und angemessen zu entlohnen.“

Deutschland habe seinen Platz als Vorbild und Vorreiter der Sozialgesetzgebung lange verloren. „In keinem europäischen Land ist die Ungleichheit bei der Rente größer“, sagte die  Politikwissenschaftlerin Elisa Rheinheimer-Chabbi in ihrem Impulsreferat am vergangenen Sonnabend beim „Tag der Frauen“ in der Neustädter Hof- und Stadtkirche in Hannover. Für spürbare Abhilfe würde ein Rentensystem sorgen, das nicht allein auf den Einkommen basiere, wie es katholische Verbände schon lange fordern. Ein Schritt in die richtige Richtung sei die erleichterte Rückkehr von der Teilzeit- in die Vollzeitarbeit. „Es gibt in Europa viele Beispiele, wie es besser geht.“

 
 

Der Staat lässt die Pflegenden im Stich.

In acht Workshops zu Themen wie Ehrenamt, Alleinerziehende, Pflege, Teilzeit und Grundeinkommen wurden Modelle vorgestellt, wie Frauen der Armutsfalle entgehen können. Susanne Hallermann von der „Initiative gegen Armut durch Pflege“ forderte eine Anrechnung der Pflegezeiten auf die Rente, wie es bisher nur bei der Erziehung möglich ist. „Der Staat verlässt sich auf die Pflegenden, lässt sie aber im Stich.“ So gerieten Leistungsträger der Gesellschaft in die  Armutsfalle.

Im Workshop Ehrenamt machte Pastorin Cornelia Coenen-Marx darauf aufmerksam, dass Kirche darüber sprechen müsse, Frauen einen Weg ins Ehrenamt zu ermöglichen, die es sich nicht leisten können. „Es muss über die Mittelverwendung gesprochen werden“, so Coenen-Marx.

Belastungen, die Frauen in besonderer Weise betreffen, macht der landeskirchliche „Tag der Frauen“ alle zwei Jahre zum Thema, erklärte Bettina Rehbein, theologische Referentin beim Frauenwerk der hannoverschen Landeskirche. Bei diesem Thema sei nun auch die Kirche zum Handeln aufgefordert. „Sie darf die Frauen mit dieser Ungerechtigkeit nicht alleinlassen.“

Das Thema könne zum Beispiel in der Synode aufgenommen werden, sagte Pastorin Hella Mahler, Gleichstellungsbeauftragte der Landeskirche Hannovers. „Die Kirche als Arbeitgeber hält die gesetzlichen Vorgaben zwar ein. Aber darüber hinaus wird nichts für die Arbeitnehmerinnen getan“, so die Gleichstellungsbeauftragte. Die Kirche solle das Bewusstsein der Frauen für ihre Rechte schärfen.

Aber auch die Teilnehmerinnen seien gefordert, Werbung in eigener Sache zu machen, sagte Ingrid Philipp. Sie ist die Ehrenamtliche im Leitungsteam des hannoverschen Frauenwerks. Gleichwohl nehme sie eine große Enttäuschung unter Frauen wahr, dass es immer die Frauen sind, denen es schlechter geht.

Sven Kriszio / EZ


Woche des bürgerschaftlichen Engagements
Weil es Spaß macht – Engagement tut allen gut

Am 18.09.2018, 19 Uhr, präsentieren wir Ihnen, in Zusammenarbeit mit der Ev.-luth. Kirchengemeinde Wildeshausen und der Diakonie Himmelsthür, ein Veranstaltungshighlight:

Anlässlich der bundesweiten Woche des bürgerschaftlichen Engagements, in Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, wird die Pastorin und Autorin Cornelia Coenen-Marx unter dem Titel „Weil es Spaß macht – Engagement tut allen gut!“ im Remter an der Alexanderkirche einen Vortrag halten.

Im Anschluss laden wir zur Diskussion in geselliger Runde bei Snacks und Getränken ein. Die Teilnahme ist kostenfrei.

Die Oberkirchenrätin a.D. Cornelia Coenen-Marx beschäftigt seit ihrer Zeit als Gemeindepfarrerin intensiv mit dem Thema Ehrenamt. So hat sie u.a. beim Aufbau einer Freiwilligenagentur in Düsseldorf mitgewirkt und sich in diversen nachbarschaftlichen Projekten engagiert.

Mit ihrer 2015 gegründeten Agentur „Seele und Sorge“ ist Coenen-Marx für soziale und diakonische Einrichtungen sowie Gemeinden in beratender Funktion tätig, um diesen bei der Schaffung und Umsetzung von Ethikstandards zu helfen.

Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!

http://www.mischmit.org/veranstaltungen.html


03.09.2018 | Dirk Altwig | https://www.landeskirche-hannovers.de

„ARMUTSFALLEN FÜR FRAUEN – UND WAS SICH ÄNDERN MUSS“

Expertin fordert Geld für engagierte Ehrenamtliche

Pastorin Cornelia Coenen-Marx referiert auf dem „Tag der Frauen“ zum Thema Ehrenamt. Sie ist Geschäftsführerin der Agentur „Seele und Sorge – Impulse, Workshops, Beratung“.

Frau Coenen-Marx, der „Tag der Frauen“ hat das Thema „Armutsfallen“. Kann das Ehrenamt bei der Kirche eine Armutsfalle sein?

Coenen-MarxJa, leider, kann es. Diese Falle droht vor allem bei Frauen, die mit großer Selbstverständlichkeit bei der Kirche engagiert sind und gar nicht darüber nachdenken, ob sie sich das ökonomisch überhaupt leisten können. Da geht für die Rente erst Zeit verloren während der Sorge für die Kinder und wenn die Kinder in Tageseinrichtung und Schule sind engagieren sie sich weiter in Schule, Sportverein und Gemeinde. Manche gehen in Teilzeit, um mit der Dreifachbelastung klar zu kommen, andere merke nicht rechtzeitig, dass sie beruflich Prioritäten setzen müssen, um die eigene Altersversorgung zu sichern. Kirche und Diakonie leben bis heute von diesen ehrenamtlichen Frauen, die sich oft selbstvergessen für andere einsetzen.

Was erwarten Sie von Kirche und Diakonie?

Coenen-MarxDas Wichtigste ist: Geld darf kein Tabu sein. Und manchmal braucht es eine Ermutigung zum Einstieg in den Beruf. Auch Kirchengemeinden sind in der Pflicht hinzusehen , wie es denen geht, die sich ehrenamtlich engagieren. Grundsätzlich gilt: Kirche und Diakonie müssen sich viel stärker dafür einsetzen, dass ehrenamtliche Arbeit auf die Rente angerechnet wird.

Muss ehrenamtliche Arbeit von der Kirche künftig bezahlt werden?

Coenen-Marx: Nein, nicht grundsätzlich. Allerdings wird ja schon bezahlt. Für Pastoren im Ruhestand, die einen Gottesdienst halten, fließt Geld. Besonders qualifizierte Mitglieder in Kirchenvorständen, etwa Juristen oder Architekten bekommen in einigen Fällen eine Entschädigung. Da muss man schon fragen, bekommen da Leute Geld, die es auch wirklich brauchen? Wäre es nicht viel sinnvoller, dieses Geld beispielsweise für eine ehrenamtliche Frau auszugeben, der es finanziell nicht gut geht? Auch Gemeinden können Minijobs anbieten oder Pauschalen zahlen.

 

Ehrenamtliche tuen das für sich

Sportvereine bezahlen ja ganz selbstverständlich ihre Übungsleiterinnen. Droht da ein Konkurrenzkampf um Ehrenamtliche? 

Coenen-Marx: Den gibt es de facto schon. Sportvereine und Schulen suchen Ehrenamtliche. Sogar Firmen bieten ihren Mitarbeitern an, sich im sozialen Bereich für andere einzusetzen. Ich denke aber, dass dieser Wettbewerb um die Menschen nicht nur am Geld hängt. Da ist auch die Frage, wie ist das Klima, wie werde ich unterstützt? Die Kirche muss in diesem Wettbewerb   gute Angebote für Interessierte machen.

Eine generelle Frage zum Ehrenamt. Wer mal mit einer Aufgabe angefangen hat, wird sie oft schwer wieder los. Wie schafft man sich im Ehrenamt den Freiraum, etwas Neues zu tun oder auch aufzuhören?

Coenen-Marx: Im Schnitt sind Menschen bei der Kirche 10,2 Jahre ehrenamtlich engagiert. Und dabei muss für die Ehrenamtlichen eines klar sein: Du musst als Ehrenamtliche gar nichts. Du tust das für Dich, weil es Dir Spaß macht, auch wenn natürlich andere davon profitieren. Jeder Ehrenamtliche darf das Selbstbewusstsein haben, Nein zu sagen. In der Praxis ist das tatsächlich schwierig. Deshalb rate ich dazu, „Ehrenamtsvereinbarungen“ abzuschließen, in denen festgelegt ist, was jemand tut und auch wie lange. Dann kann die Ehrenamtliche zum Beispiel nach einem Jahr sagen, ich will weitermachen oder nicht. Das kann auch der Punkt sein, sich Freiraum für ein anderes Engagement zu schaffen.


05.06.2018 | Arbeitsstelle Ehrenamt in der Nordkirche | https://www.engagiert-nordkirche.de/

Die Theologie der Engagierten in der Kirche muss neu geschrieben werden

Gemeinsam engagiert – Auf dem Weg zu einer Theologie der Zusammenarbeit von beruflich und ehrenamtlich Engagierten.
80 Engagierte, Ehrenamtliche, Pastorinnen und Pastoren und Mitarbeitende trafen sich aus ganz Deutschland vom 16. bis 18. Mai in Berlin auf Schwanenwerder, der Tagungsstätte der Evangelischen Akademie zu Berlin. Ihr Ziel war es, eine Lücke zu schließen: die Theologie der Akteure in der Kirche neu zu schreiben.

Die Veranstaltung war eine Kooperation der Arbeitsstelle Ehrenamt und des Landeskirchenamtes der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), der Ehrenamtsakademie der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau, des Gemeindedienstes der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayern, der Evangelischen Akademie zu Berlin und der Evangelischen Kirche in Deutschland.

„Die Zusammenarbeit von beruflich und ehrenamtlich Engagierten berührt bei weitem mehr als nur die ideale Beschreibung, dass Ehrenamtliche ihre Aufgaben darin sehen, ihre Gaben auszuüben. Denn das tun sie genauso wie Pastorinnen und Pastoren und Mitarbeitende anderer kirchlicher Berufe“, heißt es in einer Vorabinformation. Dennoch klaffe zwischen der theologischen Beschreibung des Priestertums aller Getauften und der Organisationsstruktur, den Mitbestimmungsstrukturen und der gelebten Wirklichkeit, eine Lücke.

„Das Ehrenamt kommt in den Reformdiskursen unserer Kirche nicht vor“, konstatierte Cornelia Coenen-Marx in ihrem Eingangsimpuls. „Entscheidungsgremien erreichen nicht die Menschen, sondern bilden nur einen Teil der Vielfalt der Lebenskulturen ab.“ Und dabei komme es darauf an, so Coenen-Marx weiter, organisatorische Reformprozesse in Glaubensprozesse zu übersetzen.

Über ihre Leitungserfahrung berichtete Dr. Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): „Informationen erreichen Ehrenamtliche in Kirche häufig über Hauptamtliche, also später und oft zu spät, um mit ihnen zu planen. Dieser Wissensvorsprung der Hauptamtlichen macht gemeinsame geistliche Leitung zu einer Herausforderung, die ständige Rollendisziplin und eine gute gemeinsame Kultur braucht.“ – „Wir haben heute eine neue Atmosphäre der gemeinsamen Verantwortung, aber auch viel mehr Kommunikationsbedarf“, bestätigte Bischof Dr. Markus Dröge.

„Wir hatten alle keine Kenntnis, wir haben alle einfach gemacht. Wir hatten keine Zeit zum Nachdenken. Wir sind auf die Nase gefallen und wieder aufgestanden. Wir sind zu einer Familie geworden“, erzählte Carolin Adner, ehrenamtliche Flüchtlingspatin im Kirchenkreis Minden der Evangelischen Kirche von Westfalen.

In Interviews über Verkündigung, Leitung, Jugend, Seelsorge und Fluchtprojektarbeit wurden Knackpunkte der Zusammenarbeit Beruflicher und Ehrenamtlicher identifiziert. Sie wurden durch Perspektiven der Gemeindeentwicklung, Organisationsberatung, und dem externen Blick der Zivilgesellschaft ergänzt und dann in Arbeitsgruppen weitergedacht. „Am Ende stehen Lösungen und Selbstverpflichtungen“, so Dr. Steffen Bauer, Leiter der Ehrenamtsakademie in Hessen und Nassau, Mitveranstalter und Moderator.

„Gerade in theologischer Hinsicht steht die Kirche vor großen Herausforderungen. Es ist großartig, dass die Kirche diesen Wandel aktiv gestalten will und diese Tagung so möglich ist“, sagte Dr. Christiane Metzner, Studienleiterin für Ehrenamt der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

Eine „theologische Grundlage biete organisatorischen Handlungsspielraum“, das machte die Veranstaltung deutlich. „Wir sind große Schritte gegangen in dieser Zeit“, so Rolf Becker, Mitarbeiter im Projektbüro Reformprozess im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei seinem Abschluss der Tagung. „Und wir haben noch große Schritte vor. Diese Schritte sind beschrieben und die Tagungsteilnehmenden haben eine gemeinsame Weiterarbeit verabredet.“

In ihrer Rede sagte die Berliner Theologin Dagmar Menzel: „Ehrenamt ist nur ein Aspekt des Priestertums aller Getauften. Wollen wir diesen Aspekt theologisch fassen, müssen wir Vielfalt betrachten und das ist nicht immer einfach. Denn dann müssen wir den Pastorenberuf auch vom Ehrenamt her denken, aber eben nicht nur.“ Die Aufgaben der Ehrenamtskoordination müsse in Kirche durchdekliniert werden, wenn die Rollen der verschiedenen Akteure neu und klar beschrieben werden sollen, so Menzel.

Ein wesentliches Aha-Moment ging auch von den geistlichen Impulsen aus. Sie arbeiteten am Priestertum aller Getauften. Unter anderem Stephanie Schwenkenbecher, Prädikantin in der Nordkirche verdeutlichte in ihrer Auslegung, wie der Ausdruck Priestertum aller Getauften als Zusage wirken kann, längst aber nicht ausreicht um die verschiedenen Aufgaben in der Kirche in verschiedenen Ämtern zu bestimmen.

„Es ist wichtig zu bestimmen, wer diejenigen sind, mit denen wir als Kirche unterwegs sind. Andere Akteure der Zivilgesellschaft sind starke Partner“, ergänzte Oberkirchenrat Ralph Charbonnier, Referent für Sozial- und Gesellschaftspolitik im Kirchenamt der EKD. Die notwendige Partnerschaftlichkeit bestätigte auch Ansgar Klein, Geschäftsführer im Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement: „Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements bedeute Demokratieförderung.“ So sei beispielsweise die Stärkung der kommunalen Bildungslandschaften ein zentrales Zukunftsthema. „Hier hat die Kirche eine wichtige Rolle, da sie in der kommunalen Ebene fest verankert ist und selbst als Netzwerk sich in das Netzwerk der Zivilgesellschaft einbringt“, so Klein weiter.

In seinem Impuls sagte Mathias Lenz, Oberkirchenrat im Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland: „Die Zusammenarbeit von beruflich und ehrenamtlich Engagierten ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen für unsere Gesellschaft und für unsere Kirche. In dieser Hinsicht müssen wir unsere Haltungen und unsere Strukturen verändern, wenn wir die kirchlichen Stärken weiterentwickeln wollen.“

Dafür war die Tagung ein wesentlicher Schritt, aber die theologischen Bestimmungen und Befassungen beschreiben erst einen Anfang.


22.03.2018 – 16:13 Uhr Marbacher Zeitung | von Cornelia Ohst | http://www.marbacher-zeitung.de/inhalt.marbach-frueher-oder-spaeter-sind-alle-betroffen.a78b23e0-34c4-40a0-a464-4681324a75ce.html

Früher oder später sind alle betroffen

Marbach –Warum sich die Stadt Marbach mit dem Thema Älterwerden beschäftigt, liegt auf der Hand: Die Bevölkerung in Deutschland hat statistisch gesehen im vergangenen Jahrhundert zehn gesunde Jahre dazugewonnen. Viele Ältere fühlen sich jünger und sind bei ihrer Lebensgestaltung aktiv und selbstbestimmt. Die demografische Entwicklung aber macht deutlich, dass die Gesellschaft in den kommenden Jahren quasi „veraltet“. Die Geburtenrate ist seit Mitte der 1970er-Jahre eingebrochen und die Menschen leben immer länger. Das hat nicht nur auch Auswirkungen auf das Rentensystem, sondern auch auf die Städte und Gemeinden.

Mit der Auftaktveranstaltung zur Zukunftswerkstatt „Älterwerden in Marbach“ dürften die zahlreichen Besucher, die im Bürgersaal des Rathauses so ziemlich jeden Stuhl belegt hatten, nun sehr zufrieden gewesen sein. Sie nämlich wurden mit vielen motivierenden Botschaften konfrontiert, die man salopp unter dem Fazit: „Älterwerden kann Spaß machen“ zusammenfassen könnte. Oder wie es die Referentin und Autorin Cornelia Coenen-Marx schon in ihrem Buch positiv ausgedrückt hat: „Noch einmal ist alles offen: Das Geschenk des Älterwerdens“. Mit interessanten Ausführungen und statistisch aktuellem Zahlenmaterial präsentierte die 1952 geborene Vortragende nach den Begrüßungsworten von Bürgermeister Jan Trost ein neues Bild vom Alter und betonte das vitale Lebensgefühl heutiger Senioren. Fragen wie: „Was füllt mein Leben aus, was suche ich und wohin will ich gehen?“ seien die neuen Inhalte der „Alten“, die, wie jüngere Zeitgenossen auch, vielmals alternative Formen der Partnerschaft lebten.

Doch die Referentin zeigte auch Problemfelder auf: Nach wie vor gebe es einsame und wirtschaftlich schlecht gestellte Senioren. Die Gesundheit korreliere stark mit dem Bildungsgrad und dem Einkommen. „Die Zahl ökonomisch, sozial und gesundheitlich benachteiligter Senioren wird steigen“, so Coenen-Marx, die auch die Herausforderungen auflistete, denen sich Zeitgenossen und Kommunen stellen sollten. Durch die veränderte Werteorientierung müsse die Selbstwirksamkeit alter Menschen im Fokus stehen. Sie skizzierte dabei die Bedeutung von Netzwerken, nachbarschaftlicher Hilfe und kreativen Dienstleistungs-Ideen, die dem Impuls „sorgender Gemeinschaften“, also Unterstützungsformen, die sich auf mehrere Schultern verteilen, um weiterhin ein möglichst selbstbestimmter Teil der Gemeinschaft bleiben zu können, Rechnung tragen.

Andrea von Smercek, die in Marbach für das bürgerschaftliche Engagement zuständig ist, zeigte die Ziele der Stadt auf, die diese mit dem Projekt verfolge, und benannte die Zielgruppen, die sich mit der Thematik auseinandersetzen sollten. Werner Hertler vom Krankenpflegeverein ermöglichte eine Übersicht über die bereits vorhandenen Angebote in der Schillerstadt, die er wechselweise mit Mitarbeiterin Christa Stirm dem Publikum vorstellte. „Vielfach gelungene Beispiele dafür, wie sich ältere Menschen selbst helfen.“ Der Abend endete mit den Zielen, Plänen und Visionen für ein würdiges Leben im Alter.

Ein Themenbereich, bei dem die Anwesenden aktiv aufgefordert wurden, mitzudenken, und bei dem konkrete Ideen genannt wurden. Eine davon zielt darauf ab, die Senioren über Angebote und Dienstleistungen besser zu informieren. „Etwa über wöchentlich erscheinende Tipps in der Presse“, lautete ein Vorschlag. Ab sofort werden Mitbürger gesucht, die sich für die Umsetzung engagieren und sich der gesetzten Themen annehmen.


 



Cornelia Coenen-Marx (65): Pastorin, Beraterin und Autorin

(Autorin Renate Hauser)

Eine Seelsorgerin als Arbeitgeberin, die Entlassungen durchsetzt und am Sonntag in der Kirche predigt? Eine theologische Vorständin, die das traditionsreiche Mutterhaus einer Schwesternschaft in ein Hotel umwandelt? Oberkirchenrätin a.D. Cornelia Coenen-Marx hat bewiesen, dass das geht. Im Spannungsfeld von ökonomischen Erfordernissen, Verbraucherinteressen und religiöser Vielfalt liegt ihr auch heute daran, „die Seele des Sozialen“ zu erneuern und möglichst viele Beteiligte in die Veränderungsprozesse einzubeziehen.

Cornelia Coenen-Marx ist eine markante Erscheinung. Graugestreifte Leggins, eine Jacke im Zebramuster, kurze rote Locken, eine Brille mit eckigem schwarzem Rahmen und schwungvoll drapierte Schals: Das entspricht nicht unbedingt dem „gängigen“ Bild von einer Theologin, die zahlreiche Führungspositionen in der EKD und Diakonie innehatte. Sobald sie einen Raum betritt, wirkt ihre starke Präsenz. Dass diese nicht als Dominanz empfunden wird, mag daran liegen, dass sie sich intensiv auf ihre Gesprächspartner einlässt: offen und teilnahmsvoll, aber auch kritisch hinterfragend und leidenschaftlich diskutierend. Insbesondere dann, wenn sich der Austausch um „Glaubensbilder und Weltbilder“ dreht.

Seit drei Jahren ist sie Inhaberin der Agentur „Seele & Sorge“, mit der sie Vorträge und Seminare, aber auch Beratungen, Mentoring und Coachings sowie die Begleitung von Projekten anbietet. Dabei ziehen sich die Begriffe „Zukunft“ und „Entwicklung“, „Wandel“ und „Paradigmenwechsel“ sowie „Herausforderung“ und „Engagement“ wie rote Fäden durch die Beschreibung ihrer vielfältigen Tätigkeitsfelder. Diese Schlagworte sind aber auch für ihre vorherigen beruflichen Stationen charakteristisch. Immer wieder war es ihr ein Anliegen, sich mit den Hintergründen gesellschaftlicher Transformationen und deren Konsequenzen für Unternehmen und Gewerkschaften, Familien und die Zivilgesellschaft auseinander zu setzen.

Stadtteile als gesellschaftlicher Mikrokosmos

Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit heute ist die Begleitung diakonischer Unternehmen und Kirchengemeinden in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren im Quartier. „Hier geht es um die Initiierung inklusiver Projekte für Menschen mit Behinderung ebenso wie um Nachbarschaftsarbeit mit Pflegebedürftigen oder die Entwicklung einer tragfähigen Infrastruktur für Familien und Ältere, die so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden wohnen möchten. Im Mikrokosmos eines Quartiers werden natürlich auch die Herausforderungen der Arbeitswelt von heute ersichtlich.“ So seien Berufsbiografien häufigen Veränderungen unterworfen, und durch die wachsende Mobilität entstünden eher kurzfristige Kontakte. Das erschwere den nachhaltigen Zusammenhalt von Familienmitgliedern und Nachbarn beträchtlich.

Als wichtiges Anliegen der Quartiersarbeit erachtet sie nicht zuletzt die Integration von Flüchtlingen, die in eine Balance zwischen ihrer Herkunftskultur und den kulturellen Einflüssen ihrer neuen Heimat kommen müssten. Alles in allem: „Die Themen, mit denen sich die Kirche auseinandersetzen muss, kommen gleich reihenweise auf uns zu. Es ist unsere Aufgabe, Menschen dabei zu unterstützen, den Wandel zu verkraften und daran zu partizipieren. Niemand kann aufbrechen, wenn er keinen Boden unter den Füßen hat.“

Auf der Suche nach einem neuen Miteinander in sozialen Einrichtungen

Nach ihrem Eindruck sind aber auch soziale Unternehmen und Wohlfahrtsverbände dazu aufgefordert, sich von vertrauten Grundlagen zu verabschieden. So sei es in Anbetracht des erhöhten Finanzdrucks und daraus erwachsender Fusionen, Ausgründungen und Neustrukturierungen nicht einfach, das diakonische Profil zu erhalten und gleichzeitig weiter zu entwickeln. Kunden erwarteten eine besondere Zuwendung, Mitarbeitende klagten über Zeitmangel und Bürokratie. Wie kann es aber gelingen, in solchen Situationen deren Motivation zu erhalten, den Teamgeist zu fördern und zugleich wirtschaftliche Fragen im Auge zu behalten? Wie arbeiten Menschen erfolgreich zusammen, die unterschiedlichen Glaubensrichtungen angehören oder auch gar keinen entsprechenden Bezug haben?

Mit diesen und ähnlichen Fragestellungen ist Coenen-Marx immer wieder konfrontiert. Ihre Antwort: „Wenn unterschiedliche Ziele und Wertvorstellungen aufeinanderprallen, kommt es darauf an, einander verstehen zu lernen, um dann zu einem gemeinsamen „Spirit“ und auf dieser Basis zu einem neuen Miteinander zu finden. Das halte ich für die wichtigste Voraussetzung für das Gelingen eines Transformationsprozesses – in welchem Zusammenhang auch immer ein solcher stattfindet.“ Sie ist davon überzeugt, dass es dabei Persönlichkeiten brauche, die über die Entschiedenheit, die Kraft und die Konsequenz verfügten, Mitarbeitende zur Mitsprache, zur Mitgestaltung und zur Mitverantwortung zu bewegen und die sich nicht scheuten, dabei selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. „Das wünsche ich mir nicht zuletzt für Menschen auf Leitungsebenen in sozialen und kirchlichen Berufen.“

Traditionswissen in aktuelle Diskurse übersetzen

Auch im Coaching mit Führungskräften macht sie klar, dass diese – nach wie vor – über ein hohes Maß an Sozialkompetenz verfügen müssten. „Allerdings werden Führungskompetenzen und Managementerfahrungen sowie die Verankerung in Netzwerken zunehmend wichtiger.“ Nach ihrer Ansicht ähneln Kirchen in manchem Familienunternehmen. „Das hängt damit zusammen, dass es stark um Haltung und Weitergabe von Werten und Traditionen geht.“ Kommt das in unserer Gesellschaft und in Anbetracht des Mitgliederschwunds beider Volkskirchen denn noch an? „Nicht von selbst!“, antwortet die Theologin mit Nachdruck. „Es bedarf der Fähigkeit, Traditionswissen in aktuelle Diskurse zu übersetzen und dabei veränderte oder sich stark verändernde gesellschaftliche Rahmenbedingungen in Rechnung zu ziehen.“

Als Beispiel dafür führt sie die „Orientierungshilfe für Familien“ an, die der Rat der EKD im Jahre 2013 herausbrachte. „Hier geht es um eine fundamentale Erweiterung des bisherigen Familienbegriffs und damit auch der traditionellen Rollen von Mann und Frau. Paare mit und ohne Trauschein, Alleinstehende und Alleinerziehende, Personen, die Familienangehörige pflegen, Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung, Patchwork-Familien und Migrantenfamilien mit eigenen kulturellen und religiösen Traditionen: Hier gilt es einen gesellschaftlichen Umbruch auszuhalten, dem sich auch die Kirche nicht entziehen kann.“ Coenen-Marx macht keinen Hehl daraus, dass diese neue Einstellung bei manchen konservativen Kirchenmitgliedern Unruhe, ja Entsetzen ausgelöst habe. Doch so etwas ist ihr nicht fremd.

Offenheit für Reformen unabhängig von Ablehnung und Widerständen

Denn: Mit Ablehnung und Widerständen gegen neue Entwicklungen hat sie sich schon früh vertraut machen können. Großvater und Vater waren Pfarrer, beide reformfreudig. „So machte sich mein Vater für die Konfirmation ab 18 Jahren stark, da er der Meinung war, erst in diesem Alter könne ein junger Mensch über ein Für oder Wider entscheiden.“ Als Quittung dafür warf ein erbostes Gemeindemitglied einen Stein durch eine Fensterscheibe des Pfarrhauses. Beirren ließ sich der Pfarrer davon nicht. Abzuwarten, bis sich Veränderungen von selbst oder auf möglichst bequeme Weise ergeben: Das hat auch ihr nie gelegen. „Man muss seinen eigenen Weg finden, sich einmischen und auch einmal eine Vorreiterrolle spielen.“

Als sie 1979 in Mönchengladbach Gemeindepfarrerin wurde, war Coenen-Marx dort die erste Frau in diesem Amt. „In der patriarchal geprägten Kultur der evangelischen Kirche war so etwas absolut keine Selbstverständlichkeit.“ Damals nahm die Frau im Pfarrhaus meistens

immer noch die „normale“ Rolle der „Pfarrfrau“ ein, gerne auch mit Nachwuchs. Doch eine ordinierte Seelsorgerin mit Kindern? Ein Mitglied des für die Besetzung der Pfarrstelle zuständigen Presbyteriums machte ihr deutlich, dass so etwas für ihn nicht vorstellbar sei. „Sie können schließlich nicht schwanger an einem Grab stehen!“

Auch auf ihrem weiteren beruflichen Weg kam sie immer wieder mit Veränderungsprozessen in Berührung – nicht nur in unterschiedlichen Leitungspositionen, sondern auch dann, wenn sie neue Aufgabenbereiche übernahm oder von einer Organisationskultur in eine andere wechselte. So pendelte sie auf der Spur „eines neuen diakonischen und theologischen Selbstverständnisses“ von der Gemeindearbeit ins Landeskirchenamt, dann wieder in ein diakonisches Unternehmen und schließlich ins Kirchenamt der Evangelischen Kirche Deutschlands. Dieses „Schwingen zwischen diakonischer Praxis und Kirchenpolitik “ empfand sie eher als abwechslungsreich und anregend, denn als anstrengend. „Ich liebe es, die Wirklichkeit in verschiedenen Dimensionen auszuloten, unterschiedliche Organisationen, Berufe und Denkweisen kennen zu lernen und dabei immer wieder neue Perspektiven zu gewinnen.“

Krisen und Umbrüche als Chance für Weiterentwicklungen

Trotz aller Schwierigkeiten erachtet sie Umbrüche als Chance für die Weiterentwicklung von Personen und Organisationen. „Beim Formulieren und Umsetzen neuer Ziele, durch das Aufsetzen unkonventioneller Projekte und im Rahmen ungewohnter Kooperationsprozesse können ein neues Selbstverständnis und ein neues Gemeinschaftsmodell entstehen.“ Als sie 1998 an die Spitze der Kaiserswerther Diakonie berufen wurde, erlebte sie dies hautnah. Mit einem Krankenhaus und Altenhilfeeinrichtungen, Jugendhilfe und Sozialpsychiatrie, Schulen für Pflege und Pädagogik, vielen Kultureinrichtungen und insgesamt mehr als 2000 Mitarbeitenden gehörte die Einrichtung schon damals zu den größten diakonischen Sozial- und Gesundheitsunternehmen Deutschlands.

Zum einen wurde sie dort Vorsteherin der Schwesternschaft, wobei die meisten Diakonissen bereits „im Feierabend“ waren. Zum anderen fungierte sie, wiederum als erste Frau, als theologischer Vorstand der gesamten Einrichtung. „Damit wollte die Leitungsebene nicht nur eine Stelle einsparen. Mit einer Frau an der Spitze sollte ein klares Zeichen für einen Neuanfang gesetzt werden“, resümiert Coenen-Marx. Ihre neue Stellung machte ihr keine Angst. „Für mich ist Macht die Voraussetzung für Gestaltung und Veränderung. Dazu braucht es Einfluss und eine Position, die diesen verstärkt. Wer allerdings nur auf die funktionale Positionierung setzt, kann Veränderungsprozesse kaum nachhaltig bewirken. Es braucht gute Ideen und Konzepte, Überzeugungskraft und die Bereitschaft, als Vorbild zu wirken Im Übrigen ist immer mit „Gegenmacht“ zu rechnen und wichtig zu verstehen, woher diese rührt.“ An Widerständen mangelte es wahrhaftig nicht.

Da die Zeit des Wohlfahrtsstaates zu Ende ging, hieß es schon damals, ökonomischen Gesichtspunkten weitaus stärker Rechnung zu tragen. So wurde aus der Pfarrerin die Arbeitgeberin, die Entlassungen durchsetzen und sich mit Arbeitsanwälten auseinandersetzen musste. Auch als Immobilienmaklerin war sie gefragt: 400 werkseigene Wohnungen bedurften der Sanierung und konnten danach nicht mehr gewohnt günstig vermietet werden. „Von einigen wurde mein Vorgehen als knallhart empfunden, zumal sie mir am Sonntag in der Kirche als Seelsorgerin und Predigerin begegneten.“ Sogar das traditionsreiche Mutterhaus der Schwesternschaft blieb nicht, wie es war. Dreimal präsentierte Coenen-Marx ihrem Aufsichtsgremium ihr Konzept der Umwandlung in ein besonderes Hotel mit Tagungsmöglichkeiten, das heute gewinnbringend geführt wird.

Nicht nur die erforderlichen Quartals- und dann Monatsberichte bereiteten der Managerin schlaflose Nächte. Zum Aufruhr kam es, als eine Hebamme aus der Gynäkologie dem Vorstand das Foto eines spät abgetriebenen Kindes zusandte – platziert in einem „Moses Körbchen“, in dem ansonsten verstorbene Frühchen aufgebahrt wurden. „Das warf ethische Fragen auf, die sich nicht mehr unter der Decke halten ließen“, erinnert sich Coenen-Marx. „Ich musste erkennen, dass normative Vorgaben nicht ausreichen, dass es nicht nur um mein Gewissen geht und dass Eltern und Ärzte vor unerträglichen Entscheidungen stehen können.“

Sehr viel Wert legte sie darauf, in die von ihr initiierten Dialoge alle Beteiligten mit einzubeziehen. „Dabei habe ich zum einen gelernt, wie wichtig es auch im Management ist, Gefühle wie Angst und Wut ernst zu nehmen. Zum anderen erfuhr ich – und das war nicht das einzige Mal in meinem Leben – wie nahe Macht und Ohnmacht beieinanderliegen können. Wenn Argumente nicht zählen, Visionen die Herzen nicht erreichen und am Ende nur die Positionsmacht entscheidet, fühlt sich jeder, dem eine Sache am Herzen liegt, ohnmächtig. Möglicherweise auch der Mensch am längeren Hebel einer Machtposition.“

Anstöße von Veränderungsprozessen in der EKD

Neuen beruflichen Herausforderungen stellte sie sich 2004, als sie in das Kirchenamt der EKD in Hannover wechselte. Hier war sie zunächst als Nahostreferentin und Leiterin der Überseeabteilung tätig, um drei Jahre später die Leitung des Referats Sozial- und Gesellschaftspolitik zu übernehmen. Mit ihrer Arbeit an sozialpolitischen Denkschriften und als Herausgeberin der Zeitschrift Chrismon hat die Kirchenpolitikerin „viele notwendige Debatten“ über die Zukunft der Familien- und Gesundheitspolitik, den demografischen Wandel und die Inklusion in der EKD mit angestoßen: „Die Marke Volkskirche musste und muss schrittweise verändert werden.“ Durch ihre öffentlichen Auftritte und ihre Mitwirkung in Synoden und anderen kirchlichen Gremien kam sie auch mit ungewöhnlichen Persönlichkeiten aus den Medien, der Politik und dem Wissenschaftsbereich in Kontakt. „Je konsequenter ich meinen manchmal eigenwilligen Weg gegangen bin, desto mehr habe ich Menschen zu schätzen gelernt, die auf den eigenen Kopf und ihre Freiheit ebenso viel Wert legen wie ich selbst.“

Neue berufliche Weichenstellungen

Gleichwohl setzt sie auch auf „das Geschenk von Bindungen“. Ihren Mann, einen Lehrer für Deutsch und Geschichte, hat sie bereits während ihres Studiums kennen gelernt. Seine Unterstützung empfand sie nicht nur dann als wertvoll, als sie als Bischöfin nominiert wurde und vergeblich kandidierte. Michael Marx war ein weiteres Mal ihr erster Ratgeber, als sie sich 2015 dazu entschloss, ihr Kirchenamt niederzulegen. Unmittelbarer Anlass dafür war eine schwere Erkrankung, die sie über Wochen ans Bett fesselte. „Ich hatte schon früher daran gedacht, mich selbständig zu machen. Dann verdichtete sich mein Eindruck, viel zu viel Zeit am Schreibtisch zu verbringen. Zum Beispiel mit Dokumentationen oder Überzeugungsarbeit in Hinblick auf einen Konsens in Leitungsgremien, wo so oft vieler Rechtfertigungen bedarf.“

Gemäß ihrem Credo – „Umbrüche und Krisen haben bisweilen lebensverändernde Kraft“ – bringt sie ihre Erfahrungen seitdem als Beraterin von Organisationen in Übergangssituationen ein. „Auf diese Weise möchte ich dazu beitragen, die „Seele des Sozialen“, Gemeinschaftssinn, Achtsamkeit, Engagement und Motivation, lebendig zu erhalten – gerade in Anbetracht der wachsenden Wirtschaftlichkeitserwartungen an Medizin, Pflege und Bildung.“

Ihre Vorgehensweise hat sie auch in ihrem neuen Berufsfeld nicht verändert. „Bis an die Grenze zu gehen, gehört zu meinem Naturell. Wenn ich ausgelotet habe, wo das Limit liegt und warum das so ist, versuche ich, ein „Loch im Zaun“ oder einen „Haken in der Mauer“ zu finden: beispielsweise durch innovative Projekte oder auch im Rahmen von Bündnissen. Wo ich Grenzen anerkennen muss, schaue ich nach alternativen Wegen – allerdings nicht auf Kosten meiner Überzeugungen.“ Mit dem Kopf durch Wand geht sie deshalb nicht. „Den Umgang mit Diplomatie kann man in keinem Unternehmen so gut lernen wie in der Kirche.“

 

11.09.17 / http://www.diakonissenhaus-kassel.de/aktuelles/

Langjährige Mitarbeitende im Rahmen des
153. Jahresfestes mit Kronenkreuzen geehrt

STIFTUNG – Im Rahmen des 153. Jahresfestes wurden elf Mitarbeitende der Stiftung Kurhessisches Diakonissenhaus sowie der Agaplesion Diakonie Kliniken für 15 und 25 Jahre Dienst in der Diakonie ausgezeichnet. Nach dem Gottesdienst wurde im Speisesaal des Mutterhauses bei Kaffee und Kuchen gefeiert. Gäste aus Kirche und Gesellschaft überbrachten ihre Glückwünsche den Jubilaren.

Reihe 1 v.l.: Dr. E. Schwarz, P. Meyer, J. Lorenz, C. Heitzer, B. Gerk Reihe 2 v.l. S. Fischer, V. Christa-Winciers, G. Rümmel, R. Lange Reihe 3 v.l. R. Rolof, S. Kiefer, I. Korndörfer-Cavallo, F. Francis, Dr. C. Berger-Zell, G. Fitz, C. Coenen-Marx

Pfarrerin Dr. Carmen Berger-Zell der Diakonie Hessen und Pfarrer Dr. Eberhard Schwarz vom Diakonissenhaus überreichten für 15 Jahre Mitarbeit das silberne und für 25 Jahre Mitarbeit das goldene Kronenkreuz der Diakonie. „Das Kronenkreuz besteht aus einem Kreuz und einer Krone. Es verbindet Not und Tod mit der Hoffnung und der Auferstehung. Es ist das Symbol, dass Gott mit Ihnen auf dem Weg ist“, so erklärte Berger-Zell das Zeichen. „Menschen beizustehen und sie in schwierigen Situationen zu begleiten, dafür braucht es Geduld, Ausdauer und Verständnis“, Berger-Zell weiter.

Geehrt wurden Irmgard Korndörfer-Cavallo (Silbernes Kronenkreuz), Susanne Fischer, Frank Francis, Bettina Gerk, Carmen Heitzer, Ramona Lange, Judith Lorenz, Petra Meyer, Rita Rolof, Gabriele Rümmel und Verena Christa-Winciers (alle Goldenes Kronenkreuz).

Beim Festakt mit Kaffee und Kuchen konnte der theologische Vorstand Pfarrer Dr. Eberhard Schwarz neben den Jubilaren mit ihren Angehörigen und den Diakonissen weitere Gäste begrüßen. Die neue Geschäftsführerin des Kaiserswerther Verbandes, Pfarrerin Christa Schrauf, erinnerte daran, dass sich diakonisches Handeln immer in der Spannung zwischen Wirtschaftlichkeit und Fachlichkeit befinde. Trotz dieses Schmerzes bringe es immer auch Erfüllung. In Vertretung für Oberbürgermeister Christian Geselle sprach Stadträtin Gabriele Fitz. Die gelernte Kinderkrankenschwester wisse aus eigener Erfahrung um die Schwierigkeiten, die soziale Berufe mit sich bringen. „25 Jahre bei einem Arbeitgeber ist keine Selbstverständlichkeit!“ Eine gute Betreuung von Kranken und Alten könne man mit Geld nicht kaufen, „sondern es braucht Menschen, die es gerne machen“. Glückwünsche aus dem Landeskirchenamt überbrachte Pfarrerin Martina Tirre. „Was Sie hier tun ist ein Schatz, den wir nicht missen wollen. Sie sind es, die Jesu Menschenfreundlichkeit für jeden Einzelnen Realität werden lassen.“ sagte Tirre den Jubilaren zu. In der Pflege und Betreuung solle es um den Menschen gehen, doch oft gehe die Menschlichkeit verloren. Das sei auch die Folge von Personaleinsparungen. „Sparen wir da nicht an der falschen Stelle?“ fragte Tirre nachdenklich.

Acht der elf Jubilare sind Mitarbeiter des früheren Diakonissenkrankenhauses, jetzt Agaplesion Diakonie Kliniken. Die Pflegedienstdirektorin Cornelia Reissner dankte im Namen der Klinik den Mitarbeitenden: „Sie haben in all den Jahren sehr viel mitgetragen. Deswegen wollte ich Ihnen hier einfach auch danke sagen!“

Stefan Kiefer, der kaufmännische Vorstand der Stiftung Kurhessisches Diakonissenhaus, wies darauf hin, dass es an diesem Nachmittag viele Gründe zum Feiern, Danken und Würdigen gebe. Gleichzeitig befinde sich die Stiftung mit ihren Einrichtungen auch in sehr bewegten Zeiten. „Uns bewegen die Fragen, wie es mit unseren Pflegeeinrichtungen weitergehen kann und in welcher Struktur die Einrichtungen der Stiftung künftig weiterarbeiten werden.“ Ziel sei es, dass das Werk des Diakonissenhauses in Ruhe und Kontinuität weitergehen könne, damit Zukunft gelinge.

Oberkirchenrätin a.D. Cornelia Coenen-Marx hielt die Festpredigt im Gottesdienst. Sie predigte zu einem Text aus dem Markusevangelium, in der Jesus die Frage nach Mutter und seinen Brüdern stellt. „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“, so seine Antwort.
Coenen-Marx ging in ihrer Predigt der Frage nach der Bedeutung der Familie nach. Wo finden wir diese, wer gehöre dazu und wer nicht? Die Gesellschaft wandle sich rasant, Familien seien überfordert, man spreche von einem Drittel Abgehängter. „Kommunen, Kirchengemeinden, Schulen und Unternehmen sind gefragt, Verantwortungsstrukturen neu zu beleben.“ forderte Coenen-Marx. „Wo Kinder und Enkel weit weg wohnen, brauchen gerade ältere Menschen Freunde und Wahlfamilien. Die Kirche hat hier eine besondere Aufgabe.“, so Coenen-Marx weiter. Familie sei Heimat in einer mobilen Gesellschaft. Seit der Geschichte mit Jesus wissen wir, dass die Form nicht so entscheidend sei, es gehe um den Geist der Offenheit, der Großzügigkeit und der Fürsorge.

Den Gottesdienst gestaltete Kirchenmusiker Martin Forciniti mit seinem Chor mit, den Festakt im Speisesaal des Mutterhauses umrahmte der Instrumentalkreis von Schwester Helga.


Osnabrücker Zeitung / 28.01.2017 /  von Johannes Giewald
www.noz.de/lokales-dk/

Neujahrsempfang in Wildeshausen

Diakonie ruft zu Toleranz und Verständnis auf

Diakonie-Vorstand Wolfgang Pape (von links), Landrat Carsten Harings, Theologin Cornelia Coenen-Marx, Franz-Josef Franke, Geschäftsführer des Diakonisches Werkes und Hero Mennebäck (Stadt Delmenhorst) hoffen auf eine geeinte Gesellschaft. Foto: Johannes Giewald

Wildeshausen. „Was wir brauchen, ist Respekt und Achtung voreinander“, sagte Landrat Carsten Harings beim Neujahrsempfang des Diakonischen Werkes Delmenhorst/Oldenburg-Land am Freitag in Wildeshausen. Vertreter aus Politik, Verwaltung und Diakonie appellierten an die Gesellschaft, im Jahr 2017 enger zusammenzurücken.

Sorgenvoll blickten die Redner vor 150 Gästen in der Alexanderkirche sowohl zurück auf die Ereignisse von 2016 als auch auf das, was die Menschen 2017 beschäftigen wird. „Ich hoffe nicht, dass sich der Geist von Fake News und alternativen Fakten breit macht“, sagte Franz-Josef Franke, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes, „ich hoffe, dass sich der Geist von Ermutigung, Toleranz und Verständnis breitmacht“.

Pflegebedürftige, Wohnungslose, sozial Schwache und Flüchtlinge brauchen die Hilfe der Gesellschaft. Menschen bedürfen bei dramatischen Ereignissen den Trost anderer. Dass es so viele Freiwillige gibt, die sich in ihrer Freizeit für andere Menschen aufopfern, gerate zu oft in Vergessenheit. „Wie tröstlich ist es, dass es in den Situationen Menschen gibt, die für einen da sind“, sagte Franke.

„Können nur gemeinsam in der Welt leben“

Terror, Staaten, die sich in Europa verändern, die Ideen Donald Trumps und ein Europa, das ein fragwürdiges Bild abgebe: Landrat Harings prangerte die Selbstbezogenheit von Menschen und Staaten an und bezeichnete sie als „Grundlage für Gewalt“. Jeder scheine sich selbst der Nächste zu sein. „Wir brauchen die Erkenntnis, dass wir nur gemeinsam in dieser Welt und nur gemeinsam mit dieser Welt leben können“, sagte Harings. Diese Erkenntnis sei die Grundlage für ein friedvolles Jahr 2017.

Die Menschen, die in den verschiedenen Zweigen der Diakonie arbeiten, würden das jeden Tag vorleben, sagte Hero Mennebäck als Vertreter der Stadt Delmenhorst. Er betonte, dass auch in diesem Jahr die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen zu den Hauptaufgaben der Gesellschaft gehören. „Je mehr Willkommenskultur gelebt wird, desto mehr profitiert die Gesellschaft und es entsteht ein Wir-Gefühl“, sagte Mennebäck. Die Diakonie sei bei dieser Aufgabe ein „kompetenter Sozialpartner“.

Handeln im Sinne der Jahreslosung

Kreisdiakoniepfarrer Dietrich Jaedicke legte den Zuhörern die Jahreslosung ans Herz, die da lautet „Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.““Durch das Engagement können wir Menschen sehr viel Gutes schenken, vor allem wenn wir uns selbst als Beschenkte begreifen“, fügte er hinzu.

Den Reden bei dem Empfang folgte ein Vortrag der Theologin Cornelia Coenen-Marx zum Thema „Gerechtigung und Beteiligung – Impulse der Reformation für unseren Sozialstaat“. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung vom Otto Groote Ensemble.


 

Hofgeismar / Kassel / Hannover, 15. September 2016

„Der Tod ist auch eine kulturell definierte Größe“

Tagung will öffentlichen Diskurs über den Zusammenhang von Hirntod und Organspende anstoßen

Sind für hirntot erklärte Menschen Tote oder Sterbende? Dieser Frage ging gestern auf einem gemeinsamen Studientag der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, der Evangelischen Frauen in Deutschland e.V. (EFiD) und der Evangelischen Akademie Hofgeismar ein Fachpublikum aus Theologie, Medizin und Recht nach.

„Der Tod, so merkwürdig es auf den ersten Blick klingt, ist nicht nur ein biologisches Widerfahrnis, sondern auch eine kulturell definierte Größe“, eröffnete Prof. Dr. Martin Hein, Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, die Tagung. Die Möglichkeiten der modernen Medizin, so Hein, hätten dies bei der Fragestellung der Organspende in den Blickpunkt gerückt: „Sind Hirntote Tote oder Sterbende und wann können Organe entnommen werden?“ Wie schwierig diese Frage sei, zeige sich zum Beispiel daran, dass auch der Deutschen Ethikrat keine abschließende Position bezogen, sondern zwei unterschiedliche Voten formuliert habe. Dieser Dissens zeige, so Hein, der selbst Mitglied des Rates ist, dass der öffentliche Diskurs zu diesem Thema weiterhin geführt werden müsse.

Die Position der Evangelischen Frauen in Deutschland machte deren Vorsitzende Susanne Kahl-Passoth deutlich. „Wir sind der Meinung, dass hirntote Menschen Sterbende sind.“ Es gehe hierbei um Fragen, die keinesfalls nur medizinisch beantwortet werden könnten. Diese bedürften mindestens ebenso sorgfältiger ethischer und rechtlicher Überlegungen und Abwägungen, so die Theologin. „Wir müssen und wollen unsere besondere Kompetenz für Fragen der menschlichen Würde von Anfang bis Ende des Lebens in diesen Diskurs einbringen“, stellte Kahl-Passoth klar.

Oberkirchenrätin i.R. Cornelia Coenen-Marx, die bis 2015 das Referat für Gesellschafts- und Sozialpolitik der EKD leitete, stellte die von René Descartes eingebrachte Trennung von Geist und Körper in Frage: „Biblisch gibt es diese scharfe Trennung nicht.“ Dies habe klare Konsequenzen, da es somit keine Verfügbarkeit über den Körper gebe und eine seelsorgerliche Begleitung gewährleistet sein müsse. Angehörige seien oftmals sehr kurzfristig mitbetroffen und trotzdem zwingend in den Prozess der Organentnahme einzubinden.

Der Jurist Prof. Dr. Wolfram Höfling, ebenfalls Mitglied im deutschen Ethikrat, wertete gemeinsam mit Bischof Hein das Hirntodkriterium „als notwendiges aber nicht hinreichendes Todeskriterium“. Da man bei hirntoten Patienten nicht von Leichen sprechen könne, müsse sich auch von der sogenannten „dead-donor-rule“ verabschiedet werden, die eine Organentnahme nur bei Toten erlaubt. Wichtiger sei eine wirklich gute Informationskultur zu dem Thema und eine freiwillige Vorabeinwilligung in die Explantation. 

Direktor Karl Waldeck von der Evangelischen Akademie Hofgeismar wertete die heutige Veranstaltung als Indiz dafür, dass bei weitem noch nicht alle Fragen zu den Themen Tod, Hirntod und Organspende geklärt seien. Eine einschlägige Statistik vom Juni diesen Jahres zeige, dass zwar 81 % der Befragten der Organspende eher positiv gegenüberständen, aber nur 32 % einen Organspendeausweis besäßen. Waldeck warnte davor, als alleinige Ursache für diese augenscheinliche Diskrepanz eine mangelnde Öffentlichkeitsarbeit anzusehen.

 


Einladung zum Pressegespräch:

Mittwoch, 14. September, 11.45 bis 12.15 Uhr, im Haus der Kirche, Kassel

Tagung der Evangelischen Akademie Hofgeismar zur Organspende

11.45 Uhr bis 12.15 Uhr im Raum 104

Ihre Gesprächspartner sind:

  • Bischof Prof. Dr. Martin Hein, Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck
  • Cornelia Coenen-Marx, Oberkirchenrätin a.D.
  • Direktor Pfarrer Karl Waldeck, Evangelische Akademie Hofgeismar

Weitere Informationen hier

erschienen: Zeitschrift „Anstöße“ der Evangelischen Akademie Hofgeismar

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„Engagement bedeutet Teilhabe“

Ehrenamtsakademie der Evangelischen Kirche in Frankfurt eröffnet

eaA in Frankfurt, Bericht als PDF

 
 

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Foto:© Klaus Ulrich Ruof, EmK-Öffentlichkeitsarbeit
 

Samstag, 19. März 2016
Erschienen unter: www.emk.de

»Der Mann kann sich verständlich machen«

Bei der Podiumsdiskussion zur Neuausgabe von Wesleys Lehrpredigten waren sich die Teilnehmer einig: die Themen von Wesleys Predigten sind hochaktuell.

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion bei der Leipziger Buchmesse am gestrigen Freitag, wurde die Neuausgabe der Lehrpredigten John Wesleys erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Dazu brachte Friederike Ursprung, Redakteurin bei der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk, den Übersetzer und Herausgeber Manfred Marquardt ins Gespräch mit drei Personen, die Auszüge aus dem im April erscheinenden Werk vorab lesen konnten.

Christoph Barnbrock, Professor für Praktische Theologie an der Lutherischen Theologischen Hochschule der SELK in Oberursel, fand Wesleys Predigten »durchaus anstößig, aber konkret«. Wesley komme auf den Punkt. »Wer‘s liest, weiß, er ist gemeint«, war sein Fazit aus der Lektüre. Als lutherischer Theologe riet er »die Goldkörner zu entdecken und für den eigenen Glauben mitzunehmen«.

»John Wesley hat keine Berührungsängste mit der Welt, aber er hat klare Kriterien zum Umgang mit weltlichen Dingen«, war der erste Kommentar von Cornelia Coenen-Marx zu Wesleys Predigten. Der ehemaligen Sozialreferentin der EKD und Geschäftsführerin der »Kammer für soziale Ordnung« der EKD waren besonders die Stellen ins Auge gesprungen, in denen Wesley die biblische Botschaft auch mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen konkretisiert. Bei Wesleys Predigt zum Umgang mit Geld habe sie besonders »die Sachlichkeit der Thesen und die Einfachheit der Kriterien zur Konkretion« beeindruckt. Diese Themen könnten heute durchaus »gepostet und ins Netz gestellt werden, das würde zur Diskussion anregen«.

Für den Kirchgengeschichtler Klaus Fitschen gehört die Wirkungszeit Wesleys gar nicht zum Schwerpunkt seines Lehrauftrags an der Universität Leipzig. Trotzdem war der Professor für Neuere und Neueste Kirchengeschichte geradezu von Wesleys Predigtstil beeindruckt. »Der Mann kann sich verständlich machen, was man heute nicht immer von Predigten sagen kann.« Und als lutherischer Theologe kommentierte er anerkennend: »Wesley gibt aber auch klar Rechenschaft über seine Kriterien.« Endlich gebe es diese Predigten »in einer schönen Aufmachung«.

Manfred Marquardt, vor seinem Eintritt in den Ruhestand Professor für Dogmatik und Ethik am Theologischen Seminar der Evangelisch-methodistischen Kirche (heute Theologische Hochschule Reutlingen) und langjähriger Rektor dieser Einrichtung, verschrieb sich als profunder Wesleykenner der Neuausgabe der Lehrpredigten John Wesleys. Marquardts Wunsch ist nun, »dass die Menschen in unseren Gemeinden Wesley als Gesprächspartner verstehen«. Das habe Wesley selbst so gewollt. »Seine Predigten waren und sind eine Einladung zum Gespräch und zum Vergleichen.« Deshalb sollten sich besonders Hauskreise und Bibelgesprächsgruppen mit den Lehrpredigten beschäftigen. »Es lohnt sich, die Predigten zu lesen«, sagt Marquardt, der nach über sechsjähriger Arbeit mit dem Druck des 800-seitigen Werkes seine umfangreichste Ruhesandsaufgabe abschließt.

Klaus Ulrich Ruof

John Wesley. Lehrpredigten, herausgegeben und neu übersetzt von Manfred Marqardt, 816 Seiten ISBN 978-3-8469-0248-6, Preis steht noch nicht fest, Verlag Edition Ruprecht
Die Lehrpredigten John Wesleys waren ab 1975 auf Beschluss des Rates der Zentralkonferenzen in Europa in einem 9-bändigen Sammelwerk erschienen. Dazu war eine Autorengruppe aus den beiden Zentralkonferenzen Ost- und Westdeutschland und der Schweiz gebildet worden. Deren Ergebnisse wurden unter der Endredaktion von Gotthard Falk, Robert Gebhart, Hartmut Handt, Karsten Mohr und Helmut Robbe sukzessive veröffentlicht. Nachdem die letzten Exemplare dieser Ausgabe seit 2007 vergriffen waren, stellte sich die Frage nach einer Neuausgabe. Manfred Marquardt nahm sich dieser Aufgabe an, die nach einer ersten Durchsicht mit dem Ziel einer Neuausgabe mit nur wenigen Änderungen zu einer Neubearbeitung und umfangreichen Neuübersetzung führte.



Artikel von Dr. Renate Hauser (August 2015) ist erschienen unter:

www.renatehauser.de/news/die_wegbereiterin.html

 

Cornelia Coenen-Marx (62): Die Wegbereiterin (von Dr. Renate Hauser)

Als Cornelia Coenen-Marx 1979 in Mönchengladbach Gemeindepfarrerin wurde, war sie dort die erste Frau in diesem Amt. „In der patriarchal geprägten Kultur der evangelischen Kirche war so etwas absolut nicht die Regel.“ Eine Frau auf dem Stuhl des Pastors“ titelte die „Rheinische Post“. Damals war die Frau im Pfarrhaus normalerweise die „Pfarrfrau“, gerne auch mit Nachwuchs. Ein Mitglied des für die Besetzung der Pfarrstelle zuständigen Presbyteriums ließ sie nicht in Zweifel darüber, dass eine Seelsorgerin mit Kindern für ihn nicht vorstellbar sei. „Sie können schließlich nicht schwanger an einem Grab stehen!“

Reformfreude als Erfahrung im Elternhaus

Mit Ablehnung und Widerständen gegen neue Entwicklungen hat sich Coenen-Marx von früh an vertraut machen können. Großvater und Vater waren Pfarrer, beide reformfreudig. „So machte sich mein Vater für die Konfirmation ab 18 Jahren stark, da er der Meinung war, ein junger Mensch könne erst in diesem Alter über ein Für oder Wider entscheiden.“ Als Quittung dafür warf ein erbostes Gemeindemitglied einen Stein durch eine Fensterscheibe des Pfarrhauses. Dem Mut der Frau mit den kurzen roten Locken tat dies keinen Abbruch. „Abwarten, bis sich Veränderungen von selbst ergeben: Das liegt mir nicht. Man muss seinen eigenen Weg finden, sich einmischen und auch einmal eine Vorreiterrolle spielen.“

„Ich liebe es, die Wirklichkeit in verschiedenen Dimensionen auszuloten.“

Auf ihrem beruflichen Weg war sie immer wieder mit Veränderungsprozessen konfrontiert – nicht nur in unterschiedlichen Leitungspositionen, sondern auch dann, wenn sie neue Aufgabenbereiche übernahm oder von einer Organisationskultur in eine andere wechselte. So pendelte sie auf der Spur „eines neuen diakonischen und theologischen Selbstverständnisses“ von der Gemeindearbeit in einen Spitzenverband, von dort ins Landeskirchenamt, dann wieder in ein diakonisches Unternehmen und schließlich ins Kirchenamt der Evangelischen Kirche Deutschlands. Das empfand sie eher als abwechslungsreich und anregend, denn als anstrengend. „Ich liebe es, die Wirklichkeit in verschiedenen Dimensionen auszuloten und unterschiedliche Organisationen, Berufe und Denkweisen kennen zu lernen.“

Umbrüche als Chance für Weiterentwicklungen

Trotz aller Schwierigkeiten erachtet sie Umbrüche als Chance für die Weiterentwicklung von Personen und Organisationen. „Beim Formulieren und Umsetzen neuer Ziele, durch das Aufsetzen unkonventioneller Projekte und im Rahmen ungewohnter Kooperationsprozesse können ein neues Selbstverständnis und ein neues Gemeinschaftsmodell entstehen.“ Als sie 1998 an die Spitze der Kaiserswerther Diakonie berufen wurde, erlebte sie dies hautnah. Mit einem Krankenhaus und Altenhilfeeinrichtungen, Jugendhilfe und Sozialpsychiatrie, Schulen für Pflege und Pädagogik, vielen Kultureinrichtungen und insgesamt mehr als 2000 Mitarbeitenden gehörte die Einrichtung schon damals zu den größten diakonischen Sozial- und Gesundheitsunternehmen Deutschlands.

„Macht ist die Voraussetzung für Gestaltung und Veränderung.“

Zum einen wurde sie dort Vorsteherin der Schwesternschaft, wobei die meisten Diakonissen bereits „im Feierabend“ waren. Zum anderen fungierte sie, wiederum als erste Frau, als theologischer Vorstand der gesamten Einrichtung. „Damit wollte die Leitungsebene nicht nur eine Stelle einsparen. Mit einer Frau an der Spitze sollte ein klares Zeichen für einen Neuanfang gesetzt werden“, resümiert Coenen-Marx. Ihre Machtposition machte sie nicht bange. „Für mich ist Macht die Voraussetzung für Gestaltung und Veränderung. Dazu braucht es Einfluss und eine Position, die diesen verstärkt. Wer allerdings nur auf die funktionale Positionierung setzt, kann Veränderungsprozesse kaum nachhaltig bewirken. Es braucht gute Ideen und Konzepte, Überzeugungskraft und die Bereitschaft, als Vorbild zu wirken Im Übrigen ist immer mit „Gegenmacht“ zu rechnen und wichtig zu verstehen, woher diese rührt.“ Und Widerständen mangelte es wahrhaftig nicht.

Da die Zeit des Wohlfahrtsstaates vorbei war, hieß es, ökonomischen Gesichtspunkten weitaus stärker Rechnung zu tragen. So wurde aus der Pfarrerin die Arbeitgeberin, die Entlassungen durchsetzen und sich mit Arbeitsanwälten auseinandersetzen musste. Auch als Immobilienmaklerin war sie gefragt: 400 werkseigene Wohnungen bedurften der Sanierung und konnten danach nicht mehr gewohnt günstig vermietet werden. „Von einigen wurde mein Vorgehen als knallhart empfunden, zumal sie mir am Sonntag in der Kirche als Seelsorgerin und Predigerin begegneten.“ Sogar das traditionsreiche Mutterhaus der Schwesternschaft blieb nicht, wie es war. Dreimal präsentierte Coenen-Marx ihrem Aufsichtsgremium ihr Konzept der Umwandlung in ein besonderes Hotel mit Tagungsmöglichkeiten, das heute gewinnbringend geführt wird. „Hier kam ich mit der Macht von Aufsichtsräten in Berührung, die in einem Unternehmen nun einmal die strategischen Letztentscheider sind.“

Macht und Ohnmacht im Management

Nicht nur die erforderlichen Quartals- und dann Monatsberichte bereiteten der Managerin schlaflose Nächte. Zum Aufruhr kam es, als eine Hebamme aus der Gynäkologie dem Vorstand das Foto eines spät abgetriebenen Kindes zusandte – platziert in einem „Moses Körbchen“, in dem ansonsten verstorbene Frühchen aufgebahrt wurden. „Das warf ethische Fragen auf, die sich nicht mehr unter der Decke halten ließen“, erinnert sich Coenen-Marx. „Ich musste erkennen, dass normative Vorgaben nicht ausreichen, dass es nicht nur um mein Gewissen geht und dass Eltern und Ärzte vor unerträglichen Entscheidungen stehen können.“ Sehr viel Wert legte sie darauf, in die von ihr initiierten Dialoge alle Beteiligten mit einzubeziehen. „Dabei habe ich zum einen gelernt, wie wichtig es auch im Management ist, Gefühle wie Angst und Wut ernst zu nehmen. Zum anderen erfuhr ich – und das war nicht das einzige Mal in meinem Leben – wie nahe Macht und Ohnmacht beieinander liegen können. Wenn Argumente nicht zählen, Visionen die Herzen nicht erreichen und am Ende nur die Positionsmacht entscheidet, fühlt sich jeder, dem eine Sache am Herzen liegt, ohnmächtig. Möglicherweise auch der Mensch am längeren Hebel einer Machtposition.“

Machtvoll durch Authentizität

Neuen beruflichen Herausforderungen stellte sie sich 2004, als sie in das Kirchenamt der EKD in Hannover wechselte. Hier war sie zunächst als Nahostreferentin und Leiterin der Überseeabteilung tätig, um drei Jahre später die Leitung des Referats Sozial- und Gesellschaftspolitik zu übernehmen. Mit ihrer Arbeit an sozialpolitischen Denkschriften und als Herausgeberin der Zeitschrift Chrismon hat Coenen-Marx viele Debatten über die Zukunft der Familien- und Gesundheitspolitik, den demografischen Wandel und die Inklusion in der EKD mit angestoßen. Längst waren ihre Brille mit dem eckigen schwarzen Rahmen und schwungvoll drapierte Schals zu ihren Markenzeichen geworden. Durch ihre öffentlichen Auftritte und ihre Mitwirkung in unterschiedlichen Gremien kam sie mit ungewöhnlichen Persönlichkeiten aus den Medien, der Politik und dem Wissenschaftsbereich in Kontakt. „Je konsequenter ich meinen manchmal eigenwilligen Weg authentisch gegangen bin, desto mehr habe ich Menschen schätzen gelernt, die auf den eigenen Kopf und ihre Freiheit ebenso viel Wert legen wie ich selbst.“

„Bis an die Grenze zu gehen, gehört zu meinem Naturell.“

Ihren Mann, Lehrer für Deutsch und Geschichte, hat sie bereits während ihres Studiums kennen gelernt. 2007 war er dann auch räumlich wieder an ihrer Seite. „Drei Jahre Pendelbeziehung waren genug. SMS-Nachrichten oder Telefongespräche können ein gemeinsames Frühstück und unsere ausführlichen Diskurse über Politik, Gesellschaft und Kirche nicht ersetzen.“ Auf seine Unterstützung konnte sie auch zählen, als sie als Bischöfin nominiert wurde und vergeblich kandidierte. Sie führt das nicht zuletzt auf einen mangelnden Rückhalt in einer „fremden“ Landeskirche zurück. „In kirchlichen Netzwerken läuft vieles informell und familiär ab.“ Gerne bewegt sie sich in Frauennetzwerken, die sie für egalitärer und offener, aber nichtsdestoweniger durchaus für machtvoll hält. Oft entstünden sie im Kontext von Förderprogrammen oder gemeinsamen Projekten. „Ich halte es für wichtig, dass Frauen einander zum Aufstieg ermutigen. Immer noch gibt es nur drei Bischöfinnen und nur wenige weibliche Vorstandsvorsitzende diakonischer Unternehmen. Deshalb kommt es darauf an, auf allen Ebenen von Diakonie und Kirche sowie in der Sozialpolitik mit verschiedensten Initiativen für einen Kulturwechsel einzutreten.“

Sinn als Grundlage für die eigene Macht

Die nunmehr 62jährige hat ihre Stelle als Oberkirchenrätin unlängst aufgegeben, um ihre Erfahrungen nunmehr als Beraterin von Organisationen in Übergangssituationen einzubringen. „Auf diese Weise möchte ich dazu beitragen, die „Seele des Sozialen“, Gemeinschaftssinn, Achtsamkeit, Engagement und Motivation, lebendig zu erhalten – gerade in Anbetracht der wachsenden Wirtschaftlichkeitserwartungen an Medizin, Pflege und Bildung.“ Ihr Credo hat sie deshalb nicht verändert. „Bis an die Grenze zu gehen, gehört zu meinem Naturell. Wenn ich ausgelotet habe, wo das Limit liegt und warum das so ist, versuche ich, ein „Loch im Zaun“ oder einen „Haken in der Mauer“ zu finden. Wo ich Grenzen anerkennen muss, schaue ich nach alternativen Wegen – allerdings nicht auf Kosten meiner Überzeugungen.“ Mit dem Kopf durch Wand geht sie deshalb nicht. „Den Umgang mit Diplomatie kann man in keinem Unternehmen so gut lernen wie in der Kirche.“

„Die Macht des Gebets unterstützt dabei, die eigene Verwundbarkeit wahrzunehmen und anzunehmen.“

Daran, dass sie auch in ihrer selbständigen Tätigkeit Macht habe, zweifelt Coenen-Marx nicht. „Meine Erfahrung, meine breite Fachkompetenz, die mir eigene Überzeugungskraft und das gute und vielfältige Netzwerk, an dem ich teilhabe – alles das mag dazu beitragen, mit meiner Macht weiterhin dienen zu können. Vielleicht ist es aber auch die Fähigkeit, in klare, offene und hoffentlich auch inspirierende Worte zu fassen, was manchmal nur diffus erfahren wird. „Non vi sed verbo“ ist ein altes kirchliches Wort, und vielleicht zählt am Ende wirklich nichts anderes als die bewegende und nachhaltige Macht des Wortes. Oder umgekehrt: Wo diese versagt, nützt alles andere langfristig nichts.“ Nach wie vor hält sie es für wesentlich, dass das eigene Sein und Tun mit Sinn erfüllt ist. „Die stärkste Autorität kommt aus der eigenen Überzeugung!“ Kraft verleiht ihr auch bei ihrem persönlichen Neubeginn „die Macht des Gebets. Diese unterstützt dabei, die eigene Verwundbarkeit wahrzunehmen und anzunehmen, um wieder an Vertrauen, Zuversicht und Freude zu gewinnen.“


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epd-Meldung über den Neujahrsempfang

Oberkirchenrätin Coenen-Marx fordert neue Kultur der Achtsamkeit Neukirchen-Vluyn (epd). Die Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx hat einen neuen Gesellschaftsvertrag gefordert. „Wohlfahrt und Lebensqualität werden wir nur erhalten können, wenn wir eine neue Kultur der Achtsamkeit mit einer Kultur der Teilhabe und der Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen kombinieren“, sagte die Sozialreferentin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Samstag in Neukirchen-Vluyn auf dem Jahresempfang des Neukirchener Erziehungsvereins. Der Geburtenrückgang sei vor allem die Folge von fehlenden Betreuungseinrichtungen und den nach wie vor unterschiedlichen Einkommen von Männern und Frauen. So zeige die jüngste Studie vom Wissenschaftszentrum Berlin Frauen, die Kinder bekommen haben, fühlen sich beruflich ausrangiert. Die Sozialpolitik stehe vor der Herausforderung, Erwerbsarbeit und Sorgearbeit gerechter zwischen den Geschlechtern zu verteilen und neue Arrangements zwischen Familien, Tageseinrichtungen, Schulen und anderen Dienstleistungen wie Familienzentren zu schaffen, erklärte Coenen-Marx vor rund 100 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kirche. Der Fachkräftemangel in der Pflege zwinge zudem dazu, über eine Vereinbarkeit von Beruf und Pflege nachzudenken. Coenen-Marx: „Wir brauchen auch eine wohnortnahe, integrierte Versorgung pflegebedürftiger Menschen und Kooperation zwischen Pflegefachkräften, Angehörigen und Freiwilligen.“ Auch Menschen am Rande der Gesellschaft wie Langzeitarbeitslose oder Obdachlose dürften trotz des großen finanziellen Drucks, unter dem die Kommunen stünden, nicht aussortiert werden. Dafür müssten die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Aber es gehe nicht nur um Geld. „Wir brauchen einen neuen Blick auf den öffentlichen Raum und eine neue Wertschätzung von Gemeinschaft und Fürsorglichkeit“, unterstrich die EKD-Sozialreferentin. Dazu könne Kirche wesentliches beitragen. Netzwerke innerhalb der Diakonie mischten sich ein, gestalteten gemeinnützige Programme und änderten so Standards: „Sie setzen Beispiele, erstreiten neue Finanzierungsformen, sie schaffen Innovation.“ Als Beispiele nannte Coenen-Marx die Tafelbewegung, Netzwerker für altengerechte Städte oder die Altenpflegerinnen im betreuten Wohnen einer Gemeinde.

Der Neukirchener Erziehungsverein, der 1845 von Pfarrer Andreas Bräm gegründet wurde, gehört zu den größten deutschen Kinder- und Jugendhilfeträgern. In zehn Bundesländern betreut er mit dem Paul-Gerhardt-Werk junge Menschen in stationären Einrichtungen, in Schulen und mit ambulanten Hilfeangeboten. Der Erziehungsverein ist auch in der Alten- und Behindertenhilfe tätig. www.neukirchener.de