Tausend Dank !

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IMG_20150815_112513„Der Sommer war sehr groß.“ Dieser Satz aus Rilkes berühmtem Gedicht Herbsttag geht mir durch den Kopf, wenn ich an den unverkennbaren Zeichen spüre, dass er vorbei ist, dieser lange, heiße, sonnenhelle Sommer. Auf dem Markt sieht man bunte Früchte in reicher Vielfalt und eine fantastische, aber doch herbstlichere Blumenpracht. Einige Winzer habe ich sagen hören, dass die Weinernte dieses Jahres viel verspricht. Es ist Zeit, Erntedank zu feiern. Und wenn ich auch manchmal etwas wehmütig bin, dass die unbeschwertere Zeit des Sommers vorüber ist – ich atme die würzige Luft und spüre die Dankbarkeit für die herbstliche Fülle und auch dafür, dass die Wärme des Sommers sicher noch eine Weile in mir glüht.

Rilkes Gedicht hat übrigens auch seine dunklen Seiten, beim Lesen spürt man die kommenden Herbststürme, Kälte und Dunkelheit: „Leg Deinen Schatten auf die Sonnenuhren und auf den Fluren lass die Winde los. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr, wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.“ Als ich mich jetzt daran erinnerte, dachte ich unwillkürlich an die Schutzsuchenden, die Flüchtlinge, die jetzt noch übers Meer oder den Balkan zu uns kommen, weil sie Angst haben, dass diese Routen bald verschlossen oder im Spätherbst viel zu gefährlich sind. Und an die Zelte, in denen manche jetzt untergekommen sind – im Winter werden sie zu kalt sein. Dass wir in festen Häusern wohnen und in Freiheit leben, das ist vielleicht der größte Grund zu Dankbarkeit.

In diesen Tagen beginnt ein „Jahr der Dankbarkeit“. Aber mit dem Danken ist es nicht immer so einfach. Dankbarkeit gehört zum schwierigeren Teil der christlichen Tradition, und speziell der diakonischen, die ich vor allem in meiner Kaiserswerther Zeit so intensiv kennenlernen konnte. „Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dankbarkeit und Liebe“, heißt in dem alten Diakonissenspruch von Hermann Löhe, der auch dort im Mutterhaus eine große Rolle gespielt hat. Und das Motto der Schwesternschaften – „Mein Lohn ist, daß ich darf“ – klingt nach Aufopferung und Selbstverleugnung, die bekanntlich häufiger zur Bitterkeit führt als zur Lebenszufriedenheit. Trotzdem lohnt es, die Weisheit in diesen Sprüchen wiederzuentdecken. Verbitterung entsteht, wenn wir für all das, was wir anderen tun oder geben, nicht den Dank erhalten, den wir uns – ausgesprochen oder unausgesprochen – wünschen. In der Haltung der Dankbarkeit geht es eigentlich um das Gegenteil: nicht um das, was ich erwarte, sondern um das, was ich bekomme. Unser deutsches Wort danken stammt von denken – es geht darum, aufmerksam zu sein, bewusst wahrzunehmen, was wir erleben, und es nicht zu vergessen.

Ich denke an die Geschichte von der weisen Frau, die eine Handvoll Bohnen – es können ja auch Eicheln oder Kastanien sein – in ihrer rechten Jackentasche trug und immer dann, wenn sie einen Glücksmoment spürte, eine dieser Früchte in die linke Tasche wandern ließ. Am Abend leerte sie sie in eine Schale – und freute sich an ihren Erinnerungen. Das Schönste vielleicht: Die Schale war immer voll. Wer achtsam ist, hat immer Grund zur Dankbarkeit. „Und wenn ich dabei älter werde? So wird mein Herz grünen wie ein Palmbaum und der Herr wird mich sättigen mit Gnade und Erbarmen. Ich gehe mit Frieden und sorge nichts“, heißt es in dem Diakonissenspruch.

Was für ein Glücksversprechen: dass wir lebendig bleiben und unseren Reichtum sehen, dass wir Frieden machen mit dem Erlebten und schließlich mit dem Leben, um es gut abschließen zu können! Dankbarkeit ist keine Morallektion und kein erhobener Zeigefinger von Eltern ihren Kindern gegenüber – Dankbarkeit ist die Haltung eines erwachsenen Menschen, der im Moment und erst recht im Rückblick zu schätzen weiß, was ihn hat wachsen lassen, was er ist und sein darf. Dankbarkeit ist eine Lebenskraft, die Energie, die durch uns hindurchfließt, damit unser Leben Früchte trägt. Nicht nur für uns, sondern auch für andere. Nach dem Erntedankfest räumen die meisten Gemeinden heute die Gaben vom Altar und geben sie mit ihrem Segen weiter – an diakonische Einrichtungen, an die Tafel. Eine gute Tradition und ein wunderbares Symbol. Denn zum Teilen gibt es in diesem Jahr reichlich Grund.