Wohlstand und Wohlgefallen

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Ein alter Mann im Weihnachtszimmer. Gedeckter Tisch und Tannenbaum, alles festlich geschmückt. Er steht am Fenster, allein, und wartet auf seine Kinder. Aus ihnen ist etwas geworden. ,Sie sind in der Rushhour des Lebens, da wird die Zeit knapp. Eine Karte, eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter – sie denken an den Vater, aber er bleibt allein. Alle Jahre wieder. Aber diesmal ist alles anders, da kommen sie tatsächlich nach Hause, die drei. Der alte Mann hat zu einem Trick gegriffen und seinen Kindern die eigene Todesanzeige geschickt. Und da kommen sie. Mit dem Auto, dem Flieger – aus aller Welt. Die Familie versammelt sich um den Tisch, sie essen, erzählen und lachen zusammen. Die berührende Geschichte war vor ein paar Jahren ein Werbespot von Edeka.

Sicher, leckere Sachen zum Essen und vermutlich auch ein paar liebevoll ausgesuchte Geschenke, die gehören für die meisten von uns zu Weihnachten dazu. Und dann diese besondere Stimmung. Als meine Schwester in den USA lebte, erzählte sie mir oft von ihrer Sehnsucht nach dem deutschen Advent. Lebkuchen und Stollen kann man ja schicken, „Macht hoch die Tür“ und Bachs „Weihnachtsoratorium“ gibt es auf CD, aber die Weihnachtsstimmung in unseren Städten gibt’s nicht im Netz. Geschmückte Häuser und Bäume, die in der Dunkelheit leuchten, und die Weihnachtsmärkte mit Posaunen, Tannengrün, Lichterschmuck und dem Duft von gebrannten Mandeln – Weihnachten verzaubert alle Sinne und verwandelt die ganze Stadt.

Aber die Lichter und die Märkte sind es nicht allein. Feststimmung ist mehr das Kleid als der Inhalt dessen, worum es geht. Und wir müssen aufpassen, dass das Kaufen nicht über alles die Überhand gewinnt.

Was man nicht kaufen kann, dem hat der Künstler Johannes Volkmann ein eigenes Projekt gewidmet. Wie im Edeka-Spot steht bei ihm ein Tisch im Mittelpunkt und er hat ihn um die Welt geschickt. Der Tisch steht auf den Plätzen von Akko, von Bochum, Galway und Barcelona. Es ist immer ein anderer, aber er sieht immer gleich aus. Darauf stehen mit weißem Packpapier bespannte Teller. Passanten sind eingeladen, darauf zu schreiben. Die Frage lautet überall gleich: Was ist unbezahlbar? Viele Teller werden dicht beschrieben, auf anderen steht nur ein Wort. Volkmann hat die Frage umgetrieben, wie wir Menschen auf dieser Welt zusammenleben wollen. Vier Jahre lang ist er mit seinem Kunstprojekt um die Welt gezogen. Was unbezahlbar ist, lässt sich mit Geld nicht kaufen. Aber träumen lässt sich davon. Und dieser Traum kann Menschen verbinden.

Die Weihnachtsgeschichte erzählt von einem Moment, in dem dieser Traum als Wirklichkeit greifbar wird. Vom Stall in Bethlehem, wo das kleine Kind in der Krippe liegt. Maria, seine Mutter, und Joseph, der sich gegen alle Zweifel entschieden hat, hier zu bleiben – bei Frau und Kind. Die Erbärmlichkeit der Unterkunft, die Zerbrechlichkeit der Familie sind mir ganz präsent, wenn ich daran denke. Auch die Sterndeuter sind da. Durch die halbe Welt sind sie gereist auf der Suche nach dem neugeborenen König. Sinnsucher auch sie. Jetzt glauben sie, dass dieses Kind in der zugigen Unterkunft die Zukunft bringt – und sie legen ihm Geschenke zu Füßen: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Nichts davon passt wirklich hierher. Die Hirten, die danebenstehen, wundern sich – es sind einfache Leute, sie haben nicht viel zu geben. Aber das spielt keine Rolle. Hier geht es nicht um Leistung und Gegenleistung, um Gabe und Gegengabe. Es ist nicht das Gold, von dem der Glanz ausgeht. Es ist das Kind. Dieser kleine Mensch verkörpert die Hoffnung – auf ein neues Miteinander aller Menschen.

Das ist das Besondere an Weihnachten: An der Krippe werden Fremde zu Freunden. Da gibt tatsächlich jeder, was er kann – die einen legen Gold an die Krippe, die anderen fallen auf die Knie. Die einen bringen ihre Gaben, die anderen ihre Hingabe. Das darf man nicht verrechnen. Weil es um Glück geht, nicht um Geld und Gold. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“ sollen die Engel gesungen haben. Legenden und Bilder erzählen, dass das Kind gelächelt hat – ich glaube, es ist Gott selbst, der hier gelächelt hat. Weil er einverstanden ist mit seinen Menschen. Was für eine Vision – eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Die Weihnachtslieder halten sie fest, die Erinnerung, dass ein anderes Leben möglich ist.

Aber viele haben das Gefühl, dafür gar keine Zeit zu haben, vor lauter Angst, nicht alles zu schaffen. Und bald jeder zweite schafft es nur noch, weil er die Weihnachtseinkäufe im Internet abarbeitet. Susanne Ackstaller macht es anders. Sie will lieber „Feste feiern statt feste einkaufen“. Sie ist angewidert vom Kaufrausch und schreibt auf ihrem Blog texterella.de: „Ehrlich gesagt, war ich noch selten so angewidert von unserem Konsumverhalten. Kaufenkaufenkaufen als ginge es um unser Leben – und nur der überlebt, der möglichst viele Rabatte einlöst. Abstoßend ist das. Ich habe auf jeden Fall beschlossen, diesen Advent lieber mit lieben Freunden zu verbringen, mit leckerem Essen und guten Gesprächen. Collect moments. Not things.“

Noch elf Tage bis Weihnachten. Ich überlege, was ich zu geben habe. Und ich denke, mehr als Geschenke ist es auch bei mir die Zeit, die ich mit anderen verbringen kann. Und verbringen möchte, um auch selbst diese besondere Zeit zu spüren und die Möglichkeit des anderen Lebens. Lieber Feste feiern als feste einkaufen – vielleicht auch mal mit Fremden? Vor zwei Jahren wurde die Kampagne #keinerbleibtallein ins Leben gerufen. Ziel ist, Menschen, die Gesellschaft suchen, Einladungen aus der Nähe zu vermitteln, eben: Keiner bleibt allein. Da fällt mir der alte Mann wieder ein. Vielleicht lässt er sich dieses Jahr einladen? Die Aktion geht noch bis zum 20. Dezember. Das könnte mir wohl gefallen. Wohlgefallen – das ist mehr als Wohlstand. Das ist Erzählen und Lachen und die Engel singen hören. Weihnachten eben, wie es gemeint ist.

Ich wünsche Ihnen einen Advent mit Raum für das andere Leben und für neue Begegnungen. Und frohe Weihnachten!

Ihre Cornelia Coenen-Marx, Pastorin und Publizistin

 

P.S.: Auch für Bruder Günter Tischer, Diakon in der Rummeslberger Diakonie, spielen Tische eine wichtige Rolle, denn um sie können Gemeinschaften entstehen. Spätestens am Montag können Sie seinen Blog auf meiner Website lesen, nämlich hier.

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