Newsletter Nr. 23 / September 2021

  • Signale, unüberhörbar
  • Corona und die Rhythmen der Zeit
  • Gemeinschaft und Kirchenentwicklung
  • Vorwärts mit Care!?
  • Partizipation und Sozialraum
  • Träume leben
  • Erinnerung bewegt
  • Routinen erkennen, Muster brechen, Neues beginnen

Warum ist es so entsetzlich schiefgegangen mit dem Einsatz in Afghanistan und nun mit seiner Beendigung – mit so verheerenden Folgen für tausende Menschen dort, mit einer großen Frustration für alle, die sich in dem Land engagiert hatten? Die Frage mag naiv klingen, denn natürlich ist es eine Vielzahl von Gründen, sind es hochkomplexe Zusammenhänge, die dahinterstehen. Doch mir scheint, die zentralen Themen sind der Umgang mit Informationen und der Umgang mit Verantwortung. „Organisierte Verantwortungslosigkeit“ ist einer der Begriffe, die gerade wieder kursieren, und tatsächlich fragt man sich, warum die Informationen nicht zuletzt der Bundeswehr selbst über die Situation in Afghanistan offenbar nicht gehört wurden, warum niemand der katastrophalen Entwicklung Einhalt geboten hat. Auch bei der Flutkatastrophe stellen sich Fragen nach Informationsflüssen und nach Verantwortlichkeiten. Es gibt eine große Sehnsucht nach ehrlichen Analysen, nach vorausschauendem Handeln, nach Mut zur Entscheidung. Das betrifft auch jede und jeden Einzelnen. Wir können zu einer besseren Zukunft beitragen! Mit unserem täglichen Handeln, mit unserem Engagement und auch mit unseren Stimmzetteln. Dieser Newsletter will wieder aufmerksam machen auf Menschen, die Gesicht zeigen, auf nachhaltige Projekte, auf demokratische Konzepte für ein gutes Miteinander.

Signale, unüberhörbar

Wupper und Düssel, Erft und Dhünn, das waren die Gewässer meiner Kindheit und Jugend. Die romantische Erinnerung an ihr Plätschern durch rauschende Wälder, an Wassermühlen entlang, ist vermutlich dem bergischen „Heimatlied“ und der späteren Verklärung kindlicher Erinnerungen geschuldet, in Wirklichkeit sind es mehr oder weniger kleine Bäche, die heute zum Teil in Rohren liegen. Der größte Fluss dieser Gegend, die Wupper, war zu meiner Schulzeit nichts als eine chemieverseuchte Brühe in der Tiefe des gemauerten Flussbetts, die mich dann als Gymnasiastin an die Zeiten der Industrialisierung und das absolut unromantische Elberfeld von Otto Hausmanns Figur Mina Knallenfalls erinnerte. Kaum jemand hätte sich vorstellen können, dass all diese Rinnsale zu mächtigen, überschäumenden Wassermassen anwachsen könnten. Wie die allermeisten hatte ich in diesen Tagen den Blick auf Fernsehen und Smartphone gerichtet, wo all die Orte zu sehen waren, die normalerweise Heimatgefühle wecken: Wuppertal, wo ich zur Schule gegangen bin, Bad Münstereifel, an dessen Stadtrand meine Eltern ein Ferienhaus hatten, Bad Neuenahr, wo lange Jahre die rheinische Landessynode tagte. Jetzt schauten wir starr vor Entsetzen. Mehr als 180 Tote wurden geborgen, das erinnert an das furchtbare Hamburger Hochwasser von 1962. Das Wasser ist wieder in die alten Flussläufe zurückgekehrt. Doch die Toten bringt niemand zurück. Auch die materiellen Zerstörungen sind geblieben und es wird viel Zeit und Kraft brauchen, Häuser, Straßen, Brücken wieder aufzubauen. Weil Strom- und Wärmeversorgung an zahlreichen Orten nur langsam wiederhergestellt werden können, müssen viele Menschen den Winter in Notunterkünften verbringen. Vergessen wir sie nicht! Jenseits der Hilfe von offiziellen Stellen brauchen sie unsere praktische Unterstützung, unseren emotionalen Beistand und unsere Gebete. In dem Gedenkgottesdienst für die Opfer der Katastrophe hat Heinrich Bedford-Strohm an den Trost erinnert, den uns der Leidende am Kreuz vermitteln kann.

Die Flutkatastrophe in Westdeutschland hat mich besonders berührt, weil sie Gegenden betraf, die mir zutiefst vertraut sind. Zugleich ist das, was dort geschah, nur ein Ausschnitt der Verheerungen, die unser Umgang mit der Natur überall auf der Welt auslöst. Die Waldbrände in Sibirien, im Süden Europas und in Kalifornien sind weitere Ausschnitte, die Liste der zerstörerischen Brände, Überschwemmungen, Stürme, Insektenplagen ließe sich geradezu endlos fortsetzen. Der aktuelle Bericht des Weltklimarats (hier zusammengefasst von der Zeitschrift Geo) macht erneut klar, dass der Klimawandel von Menschen gemacht ist – und dass wir Menschen auch die Möglichkeit haben, das Ruder noch einmal herumzureißen.

Auf dem Weg zu einem besseren Klima 

Um den CO2-Ausstoß zu senken, müssen wir endlich aufhören, fossile Energien zu nutzen. Der Plan des Unternehmens RWE, bis 2030 weiter Wälder abzuholzen und Ortschaften umzusiedeln, um Braunkohle abzubauen, muss hier zumindest anachronistisch wirken. Mich beeindrucken das Engagement, die Fantasie und die Courage der vielen Menschen, die sich im Hambacher Forst und anderswo gegen diese Aktivitäten wehren – oft mit Erfolg. Dabei sind es oft auch leise Formen, in denen sich Widerstand artikulieren kann. Elisabeth Hafner-Reckers und ihre Mitstreiter*innen vom Gorlebener Gebet haben sich am 4. Juli auf den Weg gemacht zu einem Klimapilgerweg von Gorleben nach Garzweiler. Die Klimapilger*innen wurden auch hier in der Region Hannover von vielen Gemeinden empfangen, dann aber zu unserem Entsetzen bei Schloss Oberwerries als Teilnehmende an einer nicht genehmigten Demonstration zunächst von der Polizei gestoppt. Konfisziert wurde dabei unter anderem ein Plakat mit dem Wort aus Papst Franziskus „Laudato si‘“: „Diese Wirtschaft tötet“. Manchmal schaden leider auch Angehörige unserer Institutionen dem freien und friedlichen Miteinander in unserer Gesellschaft. Ein zweiter, kleiner Klima-Pilgerweg findet jetzt in Boxberg statt: Jeder Schritt und jeder Baum zählt! Wer mitgehen möchte: Veranstaltung am 9.9., Anmeldung ab 6.9. Einen globalen Ansatz hat der 5. Ökumenische Pilgerweg für Klimagerechtigkeit der EKD von Polen bis nach Schottland. Die Pilger*innen sind noch bis in den November unterwegs, vielleicht möchten Sie sich für eine gewisse Strecke anschließen? Viele kleine Schritte, mit denen wir Einzelnen uns wie Held*innen in einem Thriller dem Klimawandel entgegenstellen können, beschreibt auch Frank Schätzing in seinem einfach inspirierenden Buch „Was, wenn wir einfach die Welt retten“. Und Robert Habeck macht in einem Blogeintrag für mich sehr deutlich, wie wir aus unserer Verletzlichkeit heraus die großen Veränderungen denken und angehen müssen. So hängt am Ende Entscheidendes an politischen Reformen – auf nationaler Ebene wie in der EU. Deshalb bin ich froh, dass die EU-Kommission klare Beschlüsse zum Klimaschutz gefasst hat, die nun allerdings noch vom EU-Parlament und den Mitgliedstaaten nachvollzogen werden müssen. 

Jenseits des Engagements für eine bessere Zukunft gilt es stets, den Herausforderungen des Augenblicks zu begegnen. Hier wie dort geht es um die Kraft der Gemeinschaft. So war ich angesichts der fürchterlichen Bilder von den Überflutungen in Westdeutschland zugleich fasziniert von der spontanen Hilfsbereitschaft Tausender, die sich zum Teil quer durch Deutschland auf den Weg gemacht hatten. Das starke WIR-Gefühl, die große Engagementbereitschaft wurden sicherlich vervielfacht in den persönlichen Geschichten und Bildern in den Sozialen Medien. Aber schon für Johann Hinrich Wichern, den Hamburger Diakoniker des 19. Jahrhunderts, bildeten die spontane Hilfsbereitschaft und die informell entstehenden Netzwerke den Kern diakonischer Arbeit. Angelehnt an Luthers „allgemeines Priestertum“ sprach er vom „allgemeinen Diakonentum“. Die Unterstützungsangebote von Staat, Kommunen, Kirche verstand er von Anfang an als subsidiär. Die freie Diakonie, schrieb er, verdanke ihren Ursprung und ihre Erhaltung „weder den amtlichen Organen der Kirche als solchen, noch den Organen der bürgerlichen Gemeinde als solchen, sondern einzelnen, freiwillig sich dafür bestimmenden Gliedern des christlichen Gemeinwesens“.

Ja, an einigen Stellen gab es leider Probleme mit der Koordination. Aber fast überall funktionierte neben dem „neuen“ auch das „traditionelle“ Ehrenamt – Freiwillige Feuerwehr und Technisches Hilfswerk brachten die notwendige Professionalität ein und schufen schon bald grundlegende Organisationsstrukturen, in Kirchengemeinden wurden Spenden gesammelt, Gemeindebusse brachten Freiwillige an die Orte, Notfallseelsorger kamen zu den Sammelstellen. Der feste Rahmen von Vereinen und Verbänden sorgt dafür, dass das spontane Engagement Verbindlichkeit gewinnt. Wir sollten aufhören, das eine gegen das andere auszuspielen, habe ich in meinem aktuellen Blog geschrieben. Spaltung ist das Letzte, was unsere Gesellschaft braucht. Wer Hilfskräfte angreift oder wer etwa die Aktivitäten „der Politik“ oder das politische Engagement von Fridays for Future in absurdem Vergleich mit der praktischen Hilfe der „normalen Leute“ diskreditiert wie neulich Cora Stephan in einem Blog, beschädigt den Zusammenhalt, der doch unsere Gesellschaft erst lebenswert macht.

Die Woche des Bürgerschaftlichen Engagements, die das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement  jährlich veranstaltet, findet diesmal vom 10. bis 19.10. statt. Hier geht es zum Engagement-Kalender.

Corona und die Rhythmen der Zeit

Sinkende Inzidenzzahlen und eine immer höhere Impfquote haben uns seit Mai ein neues Freiheitsgefühl vermittelt. Doch es ist offensichtlich, dass wir diese Freiheit mit Umsicht nutzen müssen. Ein klarer Blick und mutige Entscheidungen sind auch hier zentral. So bin ich zutiefst erleichtert und froh für Kinder und Eltern, dass endlich wieder Präsenzunterricht in den Schulen stattfindet. Aber ich verstehe nicht, warum es den politisch Verantwortlichen nicht gelungen ist, rechtzeitig für Luftfilter in den Klassenräumen zu sorgen. Verantwortungsdiffusion über alle Ebenen?

Auch in meinem Arbeitsbereich stelle ich mich auf die neue Realität ein: alte Selbstverständlichkeiten kehren nicht zurück, Planungen werden unsicherer bleiben. Ich werde ganz sicher immer wieder auf Zoomkonferenzen, Skypeplanungen und Webinare ausweichen und so auch das Reisen in Grenzen halten. Wir haben ja durchaus auch gelernt, mit den Onlineformaten kreativ umzugehen! Dabei finde ich es wichtig, stets zu reflektieren, wie das Medium unsere Begegnungen prägt. Das heißt aus meiner Sicht nicht, dass bestimmte Themen generell von der digitalen Kommunikation ausgenommen werden müssten. Wie auch existenzielle Fragen im Internet verhandelt werden können, darum geht es in einem Fachgespräch an der Evangelischen Akademie Berlin am 12.10. – online. Als weitere Inspiration empfehle ich gern Zamyat M. Kleins Buch „150 kreative Webinar-Methoden“ sowie Elke Berninger-Schäfers „Online-Coaching“Doch online oder offline – sicherlich ist es auch für unser individuelles „Ökosystem“ wichtig, dass wir auf behutsame Weise mit uns und unserer Zeit umgehen, wie es in Michael Endes Roman „Momo“ so plastisch wird. Um das Thema „Zeit“ geht es übrigens auch in meinen Morgenandachten, mit denen ich vom 25. bis 30.10., jeweils um 6:35 Uhr, im DLF zu hören bin. 

Aktuelle Informationen zu den Veranstaltungen finden Sie stets auch auf meiner Website. Dort werde ich bekanntgeben, wenn eine Präsenzveranstaltung ins Internet verlegt wird oder hybrid stattfindet.

Gemeinschaft und Kirchenentwicklung

„Ein geniales Konzept und ganz wunderbare Menschen“, so beschreibt Petra Vogt den Wickrather Gemeindeladen, den sie 1986 mit aufgebaut hat. Ihr habe ich mein neues Buch gewidmet. Gerade ist sie in Rente gegangen, aber der Laden lebt weiter. Mit geringeren Stellenanteilen zwar, aber mit doppelter Trägerschaft – als ökumenischer Gemeindeladen Wickrath. Die Leitung liegt nun in den Händen der Sozialpädagogin Stephanie Mund, weiterhin mit der Unterstützung zahlreicher Ehrenamtlicher. Das Buch konnte ich inzwischen schon bei mehreren Gelegenheiten vorstellen. Zum Beispiel beim Onlineprojekt „Einschalten“ von Dagmar Henze und Inken Richter-Rethwisch. Und es geht weiter: Am 9.9. gibt es in Bad Hersfeld einen Onlinewerkstatttag zum Thema Neuentdeckung der Gemeinschaft, bei dem ich einen Vortrag halte. Am 26.9. nehme ich das Thema in Frankenthal auf.

Die Reformierte Kirche Bern-Jura-Solothurn versteht die Sorgenden Gemeinschaften als Teil ihrer Leitbildentwicklung. Ich hatte das Vergnügen, die Entwicklung mit zwei Workshops zu begleiten – mit den Mitarbeitenden in der Sozialdiakonie und den dortigen Kirchenvorstandsmitgliedern. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. (Hier Ausführlicheres zum Engagement der Schweizer Kirchen für Sorgende Gemeinschaften; hier die Charta der Sorgenden Gemeinschaften und hier eine hilfreiche Toolbox für die gegenseitige Unterstützung Sorgender Gemeinschaften. Empfehlenswert ist auch die Sorgenetzwerkwebsite des Österreichischen Roten Kreuzes hier.) Und auch beim Kirchenvorstandstag in St. Gallen war ich mit dem Eröffnungsvortag beteiligt. Dabei profitiere ich natürlich von den intensiven Recherchen, Gesprächen, Lektüren, die auch Grundlage meines Buches sind. In dem Artikel: „Die Neuentdeckung der Gemeinschaft – Ein Blick auf Quartier, Pflege und Kirche in Pandemiezeiten“ (Zeitschrift für Gemeinwirtschaft und Gemeinwohl, 2/2021) habe ich übrigens in Kurzfassung die sozialpolitischen und diakonischen Linien des Buchs dargestellt. Rezensionen zu dem Buch finden Sie auf meiner WebsiteUnd falls noch jemand eine Rezension schreiben möchte: Melden Sie sich gern, wir schicken Ihnen ein Leseexemplar. 

Geht es voran mit dem Thema Care?

Ein lange fälliges Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat Ende Juni klargestellt, dass für die häusliche 24-Stunden-Betreuung vor allem alter Menschen durch ausländische Pflegekräfte der Mindestlohn gezahlt werden muss – und zwar auch für die Zeiten der Bereitschaft. Zahlreiche Stimmen, etwa vom Bundesverband häusliche Betreuung und Pflege, fordern nun ein, die politischen Konsequenzen aus diesem Urteil zu ziehen. Klar ist: Die Lösung der offensichtlichen Probleme darf weder auf Kosten der Frauen aus Osteuropa gehen, für die diese Arbeit oft ein Ausweg aus wirtschaftlicher Not ist, noch auf Kosten der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen, die nach menschenwürdigen Pflegebedingungen suchen. Zu Unrecht oft übersehen werden die Pflegesituationen, die doch mit 80 Prozent die bei weitem häufigsten sind: Menschen, die von ihren Angehörigen zu Hause gepflegt werden. Wie dramatisch sowohl für die Pflegebedürftigen wie auch für Pflegenden die Situation unter den Bedingungen von Corona waren und sind, darauf hat gerade der VdK hingewiesen und mit Nachdruck die schon lange angekündigte Erhöhung des Pflegegeldes eingefordert. Neben den großen politischen Lösungen geht es aus meiner Sicht immer auch um die informellen Netzwerke, denn Sorge ist das Geflecht, das Gemeinschaft konstituiert. Am 17.9. halte ich im Rahmen der Care-Aktionswoche des Amts für Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Bayern einen Zoomvortrag mit dem Titel „Neu entdeckt! Gemeinschaft als Schlüssel für Care in Familie, Kirche, Quartier und Pflege“, genauere Informationen hier. Am 7.10. spreche ich in der Fliedner-Fachhochschule in Kaiserswerth zum Thema „Care zwischen Profession und Gemeinschaft“. Ich freue mich riesig, wieder einmal dort zu sein und das zehnjährige Jubiläum der Hochschule mitzufeiern – ein herzlicher Glückwunsch an den Rektor Ralf Evers sowie alle Studierenden und Lehrenden und ein Hoch auf Marianne Dierks, die die Hochschule damals aus der Taufe gehoben hat! Ich freue mich ebenfalls, dass auch Ute Gerhard und Barbara Thiessen, mit denen ich an der EKD-Familienschrift von 2013 gearbeitet habe, bei der Veranstaltung mitwirken, und weise gern noch mal auf die Initiative Care.Macht.Mehr hin, an der Barbara Thiessen beteiligt ist. Auf eine Weise empfinde ich uns alle, die wir uns für die Sorge in dieser Gesellschaft engagieren, auch als eine Art Sorgenetzwerk!  Am 14.10. geht es dann im Seniorenbeirat Zürich-Eglau um die Caring Community im Stadtteil. Und am 16.10. halte ich in Bad Nauheim einen Vortrag zu „Hospizarbeit als Teil einer sorgenden Gemeinschaft“, auch angeregt durch den Welthospiztag.

Partizipation und Sozialraum

In meinen Augen ist dies eines der zentralen Themen für die Kirche der Zukunft: das Engagement im Sozialraum. Dem widmet sich auch der diesjährige Kongress von Wir & hier, online am 3. und 4.9.. Am 4.9. werde ich dort eine Arbeitsgruppe leiten. Auch der Studientag der Fach- und Profilstellen Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN am 10.11. wird sich diesem Thema widmen und ich halte dort einen Vortrag. Was in diesem Bereich möglich ist, wenn man direkt mit den Menschen ins Gespräch kommt, habe ich kürzlich erlebt: Im Juni und Juli konnte ich als Referentin am Bürgergutachten „Wieviel Kirche braucht die Stadt“ teilnehmen. In vier „Planungszellen“ haben Karin Nell vom Evangelischen Bildungswerk Nordrhein und ich jeweils ein kurzes Referat zum Thema „Kirche im Quartier“ gehalten und uns anschließend den Fragen der zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürger – Kirchenmitglieder wie Nichtmitglieder verschiedener Altersgruppen – gestellt. Organisiert wurde das Ganze von der Evangelischen Kirche in Düsseldorf und der Bergischen Universität. Hier ist der Link für alle, die neugierig geworden sind. Das Gutachten wird am 31.10. veröffentlicht.

Das von dem Soziologen Peter C. Dienel in den siebziger Jahren entwickelte Konzept der Planungszellen (hier ein Interview mit Peter Dienels Sohn Hans-Liudger Dienel zu diesem Instrument) sollte in meinen Augen noch viel mehr genutzt werden, um das Wissen und die Erfahrung der Bürger*innen in die Bearbeitung von öffentlichen Anliegen einzubinden. Die digitale Plattform Decidim, bei der die Bürger*innen selbst entscheiden, wie mit ihren Daten verfahren wird, erscheint mir als ein zukunftsweisender Ansatz für die demokratische Selbstorganisation von Städten und Kommunen. In Barcelona wird Decidim schon sehr erfolgreich angewendetDas Thema Sozialraum begleitet mich weiter – in Pfarrkonventen genauso wie bei Diakon*innenkonventen. So bin ich am 12.10. beim Konvent der Gemeindediakone und Gemeindediakoninnen in Stuttgart, wo erkundet werden soll, wie sich die Gemeinde im Sozialraum verortet.

Den gebauten Raum, das Quartier, als einen lebenswerten Sozialraum zu gestalten und zu nutzen, dazu tragen Fachleute und Engagierte aus den unterschiedlichsten Disziplinen und Arbeitsbereichen bei und es findet auf den unterschiedlichsten Ebenen statt. Als tolles Beispiel für eine Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen empfehle ich eine Tagung von Theolog*innen, Soziolog*innen und Architekt*innen am 27./28.9. in Leipzig. Die Journalistin Dorothea Heintze stellt in einer Rubrik der Zeitschrift Chrismon verschiedene Wohn-, Bau- und Lebensgemeinschaften vor. In ihrem Blog „Wohnglück“ geht sie gesellschaftlichen Fragen zum Wohnen nach. Die Stiftung nebenan.de lobt jährlich einen Nachbarschaftspreis aus. Die Nominierten für dieses Jahr stehen fest – die Liste selbst liest sich schon wie eine Ideenbörse!!

Das Buch „Lebenswerte Geschichten“, dessen Cover Sie hier sehen, hat mir Otto Haug geschickt, der sich in seiner dritten Lebensphase in dem Projekt engagiert – „Otto-Motor“ nennen ihn einige. In dem Wohnquartier in Reutlingen hatte alles mit einer Engagement-Stiftung der Kirchengemeinde angefangen. Inzwischen gibt es an die 5.000 Engagierte in den unterschiedlichsten Projekten …

Träume leben in der Dritten Lebenshälfte

Noch einmal mit neuer Energie beginnen – so wirkt auf mich Otto Haugs Engagement in Reutlingen. Seine Arbeit im Quartier konnte er intensivieren, seit er aus seiner Erwerbstätigkeit in der Samariterstiftung Nürtingen ausgestiegen ist. Dass der Übergang gelingt, darum geht es mir auch bei meinen Vorträgen und Seminaren. Zum Beispiel beim Pastoralkolleg „Übergang in den Ruhestand“ am 3.11. in Butzbach. Und natürlich bei den Retraits zum Thema „Noch einmal ist alles offen“  im nächsten Jahr am 18./19.2. im Stephanusstift in Hannover und am 25./26.3. in Berlin Zehlendorf. Am 26.10. erscheint eine Dokumentation des Evangelischen Pressedienstes zum Thema „Das Internet hat noch viel Raum – Alter und Digitalisierung“ zu einer Veranstaltung am 28.4.2021 in der Evangelischen Akademie Rheinland. Meinen Beitrag finden Sie in der Doku, aber jetzt schon in Ausschnitten online. Verschiedene kirchliche Fachstellen zum Thema Alternde Gesellschaft planen zudem eine Onlineveranstaltung „Seniorenkreis digital – Teilhabe ermöglichen“ am 11.10. (Beeindruckend, wie viele Einrichtungen hier zusammengefunden haben: Das Seminar ist eine gemeinsame Veranstaltung der Fachstelle Ältere, Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland, des Projekts „Alternde Gesellschaft und Gemeindepraxis, Haus kirchlicher Dienste in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, der Fachstelle Alter, Bremische Evangelische Kirche, sowie der Seniorenbildung Bad Harzburg, Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Braunschweig und der Landesarbeitsgemeinschaft Offene Altenarbeit der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.) Der Neuaufbruch im Alter, Digitalisierung und Quartiersarbeit werden sicher eine Rolle spielen in meinem Vortrag beim Fachkongress Alter am 15.10. in Stuttgart. Und vom 24. bis 26.11. findet dann der 13. Deutsche Seniorentag mit einer Fülle aktueller Themen in Hannover statt. Das Motto: „Wir. Alle. Zusammen.“. Ausgerichtet wird die Veranstaltung von der BAGSO. Am 26.11. halte ich gemeinsam mit Petra Tiemann, der Vorsitzenden der Niedersächsischen Enquêtekommission für das Ehrenamt, einen Impuls zum Thema „Rahmenbedingungen des Ehrenamts“. 

Erinnerung bewegt

Engagiert, solange der Atem reicht: Im Juli starb Ilsabe Platte mit 98 Jahren. In meinem Buch „Noch einmal ist alles offen“ hatte ich von ihr erzählt. Bis in die letzten Monate war sie aktiv für eine Kindertafel engagiert, in allem bewusst und entschieden, eine immer zugewandte Tante, ein großes Vorbild. Als ich jetzt im Netz nach ihren Spuren suchte, fand ich einen Nachruf aus der Vohwinkler Community mit einer Schilderung ihrer beeindruckenden Aktivitäten genauso wie YouTube-Beiträge von ihren Auftritten in Schulen – als Zeitzeugin des Nationalsozialismus und der Familien des 20. Juli. Auf ähnliche Weise engagiert, wenn auch aus einer ganz anderen Perspektive, war die ebenfalls kürzlich verstorbene Holocaust-Überlebende Esther Bejarano, die sich bis zum Schluss für diskriminierte Gruppen einsetzte – auch sie oft gemeinsam mit jüngeren Leuten. Wie viel Potenzial es in unserer Gesellschaft noch immer gibt, einzelne Gruppen zu diskriminieren, das zeigte kürzlich in besonderer Weise der Abschlussbericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus der Bundesregierung. Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose sagte dazu: „Ein Bewusstsein und die Wahrnehmung der massiven Diskriminierungen von Sinti und Roma in nahezu allen Lebensbereichen fehlen fast vollständig.“ Sicher auch dafür, dass etwa eine halbe Million Sinti und Roma während des NS ermordet wurden. Antiziganismus, zitierte Rosi ein zentrales Ergebnis der Kommission, gilt als Normalität. Um etwas an dieser schlimmen Normalität zu ändern, hat im letzten Jahr der Rat der EKD den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma besucht und es entstand die Idee, dass sich die Rundfunkbeauftragten der EKD stärker einsetzen sollten, um diskriminierende Darstellungsweisen in Film und Fernsehen zu verhindern. Am 3./4.10. findet nun in der Evangelischen Akademie Berlin eine Tagung statt, auf der Medienvertreter*innen und Multiplikator*innen sich für die Darstellungsweise von Sinti und Roma sensibilisieren und reflektieren können, wie sich diese Erkenntnisse in Entscheidungszusammenhänge einbringen lassen. Eine ebenso lebendige wie informative Website, auf der man mehr über Roma und ihre Lebensweisen erfahren kann, ist übrigens das erst kürzlich fertiggestellte RomArchive.

Während ich dies schreibe, frage ich mich: Ist es richtig, wie ich es hier getan habe, eine nichtjüdische Angehörige aus Widerstandskreisen, eine Überlebende der Shoah und den Antiziganismus in einem Atemzug zu nennen? Esther Bejarano wurde von manchen scharf kritisiert, weil sie sich als Jüdin für die BDS-Bewegung einsetzte und die israelische Siedlungspolitik kritisierte. Zugleich gibt es, besonders gut beobachtbar in der Medienberichterstattung um das nun eröffnete Humboldt Forum in Berlin, eine wachsende Aufmerksamkeit für die Verbrechen des Kolonialismus – stellt das die Unvergleichlichkeit des Holocaust in Frage, wie manche meinen? … Ganz sicher ist es wichtig, bei Formen des öffentlichen Gedenkens besondere Sensibilität und Umsicht walten zu lassen. Doch teilweise hängen die Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ja zusammen. Die Jahrestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus am 8./9.10. in Bonn wird dem Zusammenhang von Rassismus, Antisemitismus und Sexismus nachgehen. Und vielleicht war es auch so ein Gedanke, weshalb der kürzlich verstorbene israelische Künstler Dani Karavan den Entwurf für das oben abgebildete Mahnmal für die Sinti und Roma geschaffen hat.

Der Roman „Adas Raum“ der Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo, in dem die Jüdin Ada über die Jahrhunderte auch einmal eine Afrikanerin und einmal eine Alleinerziehende im heutigen Berlin ist, hat mich persönlich fasziniert und mir eine neue Perspektive auf die unterschiedlichen Formen von Diskriminierung eröffnet, die unsere so gewaltsam verwobene Geschichte wie ein roter Faden durchziehen. Lesenswert – besonders für diejenigen, die sich mit der Geschichte der Mission beschäftigen – ist auch Katharina Döblers Buch „Dein ist das Reich“, das vom menschenverachtenden Kolonialismus und der Bewunderung für den Nationalsozialismus in der Neuendettelsauer Mission erzählt, wo dann auch noch das Vaterunser missbraucht werden konnte. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass wir uns die Zusammenhänge zwischen „Innerer“ und „Äußerer“ Mission im Imperialismus und im Nationalsozialismus nicht hinreichend bewusst machen. Es lohnt sich, die Missionsmuseen in Wuppertal, Herrnhut oder Neuendettelsau aus dem Schatten zu holen und zu besuchen – zumal es jetzt auch dort, wie im Humboldt Forum – um Restitutionsfragen geht.

Routinen erkennen, Muster brechen, Neues beginnen

Wie wird das ehrenamtliche Engagement der Kirchengemeinden nach Corona aussehen? Viele Ältere haben einen Schlusspunkt für sich gesetzt – auch, weil sie das Empfinden hatten, mit ihrem großen Einsatz nicht wirklich gesehen worden zu sein. Andere haben ihr Engagement digitalisiert – mit Zoomkonferenzen und Mentoring per Handy. Wo werden die Gemeinden in Zukunft Schwerpunkte setzen? Die Ehrenamtsrefent*innen der Landeskirchen planen einen internen Fortbildungstag dazu, wie wir „Routinen erkennen und Muster durchbrechen“ können: Am 7.12. bin ich dort dabei – gemeinsam unter anderem mit Jana Piske von fairlinked.org, deren digitale Tools uns sicher hilfreich sein werden. Schauen Sie doch mal auf die Website! 

Der österreichische Verein Sorgenetz bietet einen internationalen Lehrgang zum Thema „Caring Communities“ vom Januar 2022 bis Juni 2023 an, „für alle, die in ihrem sozialen und beruflichen Kontext den Text einer neuen Konvivialität in kleinen Schritten weiterschreiben, unterstützen und ko-kreieren“. Ich freue mich darauf, in dem Block vom 7. bis 9.9.2022 in Wien als Referentin viele engagierte Teilnehmende aus verschiedenen Ländern kennenzulernen und einen Input zu Erfahrungen mit Caring Communities und Quartiersarbeit zu geben. Eine Anmeldung ist noch möglich. Beteiligt bin ich erneut auch an der Debora-Fortbildung für Führungskräfte in Württemberg, bei der es am 18./19.11. wieder um diakonische Kultur und ethische Fragen geht.

Bücher von Freund*innen

Friedemann Bringt kenne ich aus der Arbeitsgemeinschaft Kirche gegen rechts. Er hat lange politische Beratung vor Ort gemacht. In seinem Buch Umkämpfte Zivilgesellschaft schaut er die Spaltungstendenzen an, wie sie sich auch bei der Flutkatastrophe gerade wieder gezeigt haben. Der Trend geht dahin, dass „gewalttätig rassistische Haltungen sowohl von extrem rechten als auch reaktionär-bürgerlichen Milieus geteilt werden und sich im öffentlichen Diskurs normalisieren“. Wie kann eine menschenrechtsorientierte Gemeinwesenarbeit Veränderungen zu mehr demokratischer Alltagskultur anstoßen? Ein sehr hilfreiches Buch, denn es liefert fundierte wissenschaftliche Grundlagen, untersucht an konkreten Fällen erfolgreiche und weniger gelingende Aktivitäten und bietet darauf aufbauend Handlungskonzepte an.
Andreas Kruse ist Gerontologe und Vorsitzender der Alterskommission der Bundesregierung – so dass ich mich besonders gefreut habe, dass er zu meinem Altersbuch ein Nachwort schrieb. Mit Vom Leben und Sterben im Alter wendet er sich sowohl an die alten Menschen selbst als auch an ihre fachlichen Begleitpersonen: Wie lässt sich das Lebensende möglichst weitgehend nach den eigenen Vorstellungen gestalten, auch wenn man beispielsweise schwerkrank ist? Auch hier zeigt sich wieder, was mir an seinem Denken so besonders gefällt: Alter beschreibt er nicht nur als Lebensende, sondern als Leben!
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid fordert Einzelne ebenso wie Einrichtungen heraus, ihre Position und ihr Handeln weiter zu klären. Reimer Gronemeyer und Andreas Heller haben sich in ihrem Buch Suizidassistenz? mit den sozialethischen Rahmenbedingungen auseinandergesetzt. Warum wir eine solidarische Gesellschaft brauchen! lautet ihr programmatischer Untertitel.
Anlässlich der Pensionierung von Andreas Heller haben Reimar Gronemeyer, Patrick Schuchter und Klaus Wegleitner eine Festschrift auf die Beine gestellt, zu der ich auch einen Beitrag geliefert habe: Care – vom Rande her betrachtet. In welcher Gesellschaft wollen wir leben und sterben?. Es ist ein inspirierendes Buch geworden und spannt „einen Bogen von der Verletzlichkeit der Existenz und den Bewegungen des Gemüts am Rande des Lebens und der Gesellschaft hin zu Fragen, wie Care die Wissenschaft, die Gesellschaft und deren Organisationen vom Rande aus zu transformieren vermag“.
Tobias Foß hat sich bereits in seiner Dissertation mit der Frage beschäftigt, wie diakonische Profilentwicklung in einem offenen und ehrlichen Austausch mit Mitarbeitenden, die nicht der Kirche angehören, gelingen kann, und dazu eine erhellende empirische Untersuchung diakonischer Einrichtungen in Mitteldeutschland vorgelegt. In dem Aufsatzband, den er nun gemeinsam mit Michael Domsgen herausgegeben hat, Diakonie im Miteinander. Zur Gestaltung eines diakonischen Profils in einer mehrheitlich konfessionslosen Gesellschaft, bringen Autor*innen aus Wissenschaft, Diakonie und Kirche ihre Überlegungen zu dieser Frage zusammen, auch ich habe mich beteiligt.
Schon den Titel von Uta Pohl-Patalongs Buch finde ich sehr motivierend. Es ist ein klar strukturiertes Arbeitsbuch und eine echte Entscheidungshilfe, wenn es um Kirchenentwicklung geht – ich möchte es unbedingt empfehlen
Okko Herlyn ist emeritierter Theologieprofessor, Kabarettist und Liedermacher – und all das merkt man, wenn man sein kleines Büchlein Das Glaubensbekenntnis liest. So kann es helfen, zu Verstehen, was wir bekennen, wie es im Untertitel heißt.
„Träumt weiter!“ lautet das Motto des Frauenkalenders 2022, der wieder von Simone Burster, Petra Heilig und Susanne Herzog herausgegeben wird. Die Seiten, die ich gestalten durfte, drehen sich um sinnhafte Geschäftstüchtigkeit und um das Fairteilen von Carearbeit.
Fritz Erich Anhelm war bis 2010 Generalsekretär der Evangelischen Akademien in Deutschland sowie Direktor der Evangelischen Akademie Loccum. Ich stelle mir vor, dass er viel Freude dabei hatte, aus dem Abstand von dieser Berufstätigkeit heraus eine heutige Version von Sebastian Brants „Narrenschiff“ zu schaffen und darin gereimt und mit Humor die großen Fragen unserer Zeit anzugehen: Das Narrenschiff reloaded

Besondere Orte

Von unserer Reise über Husum nach Sylt habe ich drei Erinnerungen mitgebracht, auf die ich gern hinweisen möchte:

Im Schloss vor Husum wurde 1871 F. Gräfin zu Reventlow geboren, die mit ihrer schriftstellerischen Arbeit wie mit ihrem wenig standesgemäßen Lebenswandel damals für großen Aufruhr sorgte. „Alles möchte ich immer“, war ihr Leitsatz. Wie selbstbestimmt sie ihr Leben gestaltete, hat mich immer fasziniert. Wenn Sie in der Nähe sind, schauen Sie sich doch mal die Gedenkstätte in dem Schloss an.

In Nordfriesland habe ich einen Engelsplatz gefunden. Er soll einladen, Kraft zu tanken, die Seele baumeln zu lassen, sich zu erholen, vielleicht auch zu picknicken oder mal ein Fest zu feiern.

Dieser Ort auf Sylt hat mich besonders berührt: ein Friedhof der unbekannten Toten, die das Meer an Land gespült hat. Statt Namen sind nur der Ort und das Datum genannt, an denen jemand gefunden wurde. Wer waren diese Menschen wohl und wohin waren sie unterwegs? Ich musste dabei auch an die unzähligen Menschen denken, die sich in diesen Jahren auf den Weg in eine bessere Zukunft machten – und im Mittelmeer ihren Tod fanden und finden. Allein in diesem Jahr sind bereits mehr als tausend Menschen beim Versuch der Flucht ertrunken.

Auch beruflich konnte ich ja nun wieder unterwegs sein. Anlässlich eines Pfarrkonvents zu „Kirche im Quartier“ habe ich das Gästehaus am Ammersee in Dießen kennengelernt und möchte es für private Reisen ebenso wie für Tagungen sehr empfehlen. Die aufmerksam gestaltete Ausstattung, das freundliche Personal, die hervorragende Vortrags- und Seminartechnik, die Lage an dem herrlichen See und die Ausflugsmöglichkeit etwa zum Kloster Andechs machen den Aufenthalt zu einer besonderen Zeit.

Artikel schreiben im Schloss? Fotos bearbeiten in einer ehemaligen Dorfschule? Konzepte entwickeln in einem Kirchenraum? … Wer seine Arbeit einfach mal an einen anderen Schreibtisch verlegen möchte, dem gefallen vielleicht die Angebote zum Coworking, die nun an unterschiedlichsten Stellen entstehen. Zum Beispiel an drei Orten im Oderland – darunter das wunderschöne preußische Schloss Freienwalde – oder in unterschiedlichsten Kirchen. Immer bilden diese Angebote zugleich Impulse zur Gemeinschaftsbildung und zur Gestaltung des Sozialraums.

Ich wünsche Ihnen noch einen himmlischen Spätsommer – und gebe Ihnen unten ein Gedicht für seine Stimmungen mit! Vielleicht finden Sie ab und an einen Engelsplatz, erleben eine Engelbegegnung. Schließlich gehen wir auf das Michaelisfest zu. Und wenn es dann Herbst wird, mögen Sie vielleicht mal reinhören bei meinen nächsten Sendungen im Deutschlandfunk: In der Woche vom 25. bis 30.10. gestalte ich um 6.35 die Morgenandachten zum Thema Zeit und am 26.9. um 8.35 die Sendung Am Sonntagmorgen unter dem Titel: „Waren wir blind? Missbrauchserfahrungen in der Kirche zur Sprache bringen“. Nicht nur, wo Hauptamtliche Kindern Gewalt angetan haben, spielen Missbrauchserfahrungen in der Kirche eine Rolle. Auch in Konfirmanden- und Jugendgruppen sind Körper und Seelen, ist der Glaube von Mädchen und Jungen verletzt worden. Wie kann man nach solchen Demütigungen Ja zu sich sagen? Es bleibt eine lebenslange Übung, erzählt die Geschichte von K., die mit 50 noch immer gern Gospels singt, wenn inzwischen auch im Alt.

Ja, Singen kann herausführen aus Einsamkeit, Trauer und Schmerz, das haben wir gerade in den Corona-Lockdowns erlebt. Auch die öffentlichen Ensembles mussten verstummen – und fanden doch unterschiedlichste kreative Formen, um die Musik weiterleben zu lassen, beispielsweise auch dieses Chorexperiment des NDR, das mit einem Liebeslied zum Mitmachen einlädt. Freuen Sie sich an der Musik – sie ist eine Himmelsmacht.

Ihre Cornelia Coenen-Marx
Seele und Sorge GBR
Impulse – Workshops – Beratung


Im Schlossgarten mit dem Kind 
Franziska zu Reventlow

Auf halbverwachsenen Wegen
den Garten durchstreifen und sich
fast verlieren, unter tief hängenden
Zweigen der Weide hindurch
Ameisenwelten entdecken und
Vogelnester in flüsternden Ästen,
endlich die Spinnengeister vertreiben,
die auf dem grünen Wasser
im Schlossgraben dahingleiten
wie auf Schlittschuhen und weiter
weg unter krummen Holunderbäumen
von verwilderten Schluchten wissen,
in denen haust der Geist,den wollen wir nicht wecken.

Therese Chromik
Aus: Therese Chromik, Nordfriesische Impressionen. Gedichte und ihre Übertragungen ins Friesische mit Fotografien von Uwe Lorenzen. Vorwort von Thomas Steensen, Husum Druck- und Verlagsanstalt, 2016