Kraftorte: Interview mit Christine Falk, Referentin im forum familie, Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern

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DIAKONISCHE PILGERREISEN: DER BLOG

Wir entdecken Diakonische Pilgerorte – 
diesmal auf der Spur von: Christine Falk

 

Die Mitarbeitenden im Amt für Gemeindedienst in der ELKB  beraten und unterstützen Kirchengemeinden, Regionen und Dekanatsbezirke mit Fortbildungen, Austauschformaten und Materialien in der bunten Vielfalt kirchlicher Ausdrucksformen. Ein Beispiel ist die Fragetasche, die zur Sozialraumerkundung eingesetzt werden kann. Sie enthält vertiefende Hintergrundinfos, zahlreiche Arbeitsbögen und innovative Formate, die neue Blickrichtungen anregen.

 

Christine Falk ist Referentin im forum familie beim Amt für Gemeindedienst der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Sie ist Diakonin, Supervisorin DGSv und Gestalttherapeutin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene und engagiert sich für Familien und Mikrogemeinschaften, für Nachbarschaft und Kirche im Quartier.

Für mein Buch „Die Neuentdeckung der Gemeinschaft“ durfte ich Christine Falk – gemeinsam mit Renate Abeßer – dazu befragen, was nach ihrer Ansicht wichtig ist für Gemeinschaft. In ihren Antworten beschreibt Christine Falk, wie Kirche und Diakonie lebendig auf veränderte Lebensmodelle antworten und so die Menschen miteinander in Verbindung bringen können. Als Vorschau auf das Buch hier ein paar Auszüge unserem Gespräch.

„Disembedding“ gilt als Schlüsselkategorie der Moderne: Familie, Arbeitsleben, Nachbarschaften verändern sich und erleben Brüche. Wo erleben Sie solche Brüche besonders deutlich (persönlich, beruflich oder in Ihrem Engagement)?
Mir fällt in Beratungsprozessen mit Kirchengemeinden auf, dass sie darunter leiden, Familien heute für ihre Gemeindearbeit nicht mehr (so gut, so einfach) erreichen zu können. Die Vorstellung einer am Ort verwurzelten Familie ist in den Köpfen häufig noch präsent. Diese Hintergrundfolien prägen oft bewusst oder unbewusst ein idealisiertes Bild einer Kleinfamilie mit Vorgarten, gemeinsamem Mittagstisch und Wochenendausflügen. Die Realität sieht dagegen so aus, dass Familien hohe Flexibilität und Mobilität am Arbeitsplatz aufbringen müssen, sie die Fürsorgetätigkeiten über Generationen hinweg und über viele Kilometer hinweg koordinieren müssen, Bildung organisieren und bei alledem aufpassen müssen, dass die eigene Selbstfürsorge und Beziehungsgestaltung nicht gänzlich unter den Tisch fällt. Zeitknappheit und Effizienz begleiten dabei Planungen und Aktionen.

Wo und wie können Menschen in der „Singlegesellschaft“ Gemeinschaft erfahren?
Das Phänomen der steigenden Zahl der Singlehaushalte wird nach meiner Wahrnehmung auch in der Kirche mehr und mehr bewusst. Die Vielfältigkeit der Lebenslagen und -vorstellungen lässt nicht eine Definition zu, mit der ein Lebenskonzept beschrieben werden könnte. Es kann davon ausgegangen werden, dass im Grunde wir alle Phasen von Singledasein kennen und ihnen wieder begegnen können – gewollt oder auch nicht. Aus dieser Erkenntnis heraus, dass Lebenslinien mit Brüchen und Neuanfängen verlaufen, gewinnen Familien – auch über biologische Verwandtschaft hinaus – als verlässlicher Ort eines Füreinander-Daseins an Bedeutung, ebenso wie freundschaftliche Netzwerke.

Was können wir als Einzelne dazu beitragen, dass Menschen Gemeinschaft erfahren?
Mir fällt dazu ein Projekt ein, das mir das Herz aufgehen lässt: „Aufgetischt – jeder is(s)t willkommen“ in Erlangen-Bruck möchte Menschen auch mit kleinem Geldbeutel am gemeinsamen Mittagstisch miteinander in Kontakt bringen. Leib und Seele sollen gestärkt werden, was mit einer sehr liebevollen Gestaltung ganz wunderbar gelingt! Sehr kreativ wird während der Pandemie eine To-go-Variante entwickelt, so dass gerade in dieser schwierigen Zeit ein Signal gegen die Einsamkeit gesetzt wird. Viele einzelne Herzen und Hände tragen dazu bei unter der Koordination von Diakonin Petra Messingschlager.

Welche politischen/sozialpolitischen Initiativen wären wichtig, um Gemeinschaft und Gemeinwohl zu stärken?
Gemeinwesenstrukturen, die die Teilhabe von Einzelnen fördern und sie auf die Beteiligung wie auch auf das Einbringen eigener Potenziale hin auslegen, ermöglichen eine höhere Lebenszufriedenheit sowie eine angemessenere Versorgung mit Care-Leistungen. Wir wissen mittlerweile, dass sich Mitgefühl und Engagement füreinander im sozialen Nahbereich leichter entwickeln lassen. Wir brauchen den lokalen Nahraum für die Gestaltung unserer Lebensvollzüge. Gerade auch hinsichtlich von Care-Lücken jetzt und noch mehr in Zukunft, auch bezogen auf die Zunahme von Migration und beruflicher Mobilität, sind Sorgende Gemeinschaften maßgeblich relevant.
Während der Pandemie sind Überlegungen von Mikro-Caring-Communities als Wahlverwandtschaften neu ins Sichtfeld gerückt. Kirchengemeinden haben tolle Möglichkeiten, Menschen gemeinschaftsstiftend miteinander in Verbindung zu bringen und zu unterstützen. Im Amt für Gemeindedienst der Evangelisch- Lutherischen Kirche in Bayern wird dazu verstärkt experimentiert und der Austausch angeregt.

Wo sehen Sie besondere Herausforderungen für die Kirche?
Kirchengemeinden als Teil des Sozialraums haben große Chancen, als Partnerinnen und Akteurinnen für die Menschen im Stadtteil oder der Ortschaft wirksam zu sein! Ich meine, es wird für unsere gesellschaftliche Relevanz entscheidend sein, ob wir als Kirche den Menschen mit ihren brisanten Themen und Lebenssituationen unterstützend zur Seite stehen, Empowerment fördern und Menschen konkret Halt und Geborgenheit erfahrbar machen können. Mich ermutigen Gemeindehäuser, die offene Treffs und Kita, Rollator und Kinderwagen, Stadtteilzentrum und Beratungsstelle faktisch unter ein Dach bringen. Mich inspirieren Engagierte in der Kirche, die ihre Komfortzone verlassen und beginnen, neu zu suchen und zu fragen, was unser Auftrag für die Menschen des 21. Jahrhunderts in aller Differenziertheit sein könnte, die sich selbst von der Liebe Gottes umwehen lassen und ihr dienlich sein wollen.

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