Kraftorte: Interview mit Renate Abeßer, Studienleiterin bei BildungEvangelisch in Erlangen

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DIAKONISCHE PILGERREISEN: DER BLOG

Wir entdecken Diakonische Pilgerorte – 
diesmal auf der Spur von: Renate Abeßer

Die Villa an der Schwabach. „Gott und die Welt und vieles mehr, das sind unsere Themen. Was interessant ist in Kirche und Gesellschaft, wo es schwierig wird in Familie und bei der Gesundheit, wo man Genaueres wissen will in Theologie und Philosophie, über Religionen und den eigenen Glauben – all das nehmen wir in evangelischer Freiheit auf“, heißt es auf der Website von BildungEvangelisch

Renate Abeßer ist Studienleiterin bei BildungEvangelisch in Erlangen. Zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit zählen öffentliche und dekanatsbezogene Familienbildung und Fortbildungen für Kitas sowie die Vernetzung dieser Arbeitsgebiete.

Für mein Buch „Die Neuentdeckung der Gemeinschaft“ durfte ich Renate Abeßer – gemeinsam mit Christine Falk – dazu befragen, was nach ihrer Ansicht wichtig ist für Gemeinschaft. Wenn sie beschreibt, was Kraft gibt, dann scheint es nicht unbedingt an einen festen Ort gebunden. Als Vorschau auf das Buch hier ein paar Auszüge aus Renate Abeßers Antworten, zunächst zur Situation von Singles:

Wo Gemeinschaft wohnen kann
Ich erlebe viele Möglichkeiten zur Gemeinschaftserfahrung im Freizeitbereich: Sportvereine, Tennisclubs, Chöre, Hundevereine etc. bieten interessensmäßige Andockmöglichkeiten an, aus denen sich oft Gemeinschaften entwickeln. Auch im ehrenamtlichen Bereich gibt es langjähriges Eingebundensein: Von der Freiwilligen Feuerwehr, der Tafel, dem Roten Kreuz bis zum Hospizverein gibt es viele Institutionen, die Singles über (lange) Jahre Gemeinschaft durch gemeinsame Ausbildungen und sinnstiftende Tätigkeiten ermöglichen. In unserem Trauercafé in Erlangen habe ich über lange Zeit immer wieder erleben dürfen, dass aus einer Notsituation heraus (v. a. Tod des Partners bzw. der Partnerin) tragende Gemeinschaften entstanden sind, die auch später noch privat fortgesetzt wurden.
Die aktuellen Einschränkungen aufgrund von Corona treffen Singles besonders hart: Durch die Kontaktbeschränkungen fallen die meisten der genannten Begegnungs- und Betätigungsmöglichkeiten weg. Vereinsamung und daraus entstehende Depressionen sind ein akutes Problem für Singles. Gleichzeitig beobachte ich im Alltag: Seit Corona begegnen mir Menschen auf der Straße/in der Nachbarschaft/beim Spazierengehen offener und freundlicher, es entstehen unter Fremden oft kleine Gespräche, die Verbindung schaffen.

Die Verantwortung der Politik
Um Einsamkeit und das Auseinanderbrechen des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu verhindern, brauchen wir einige grundlegende Veränderungen. Neben neuen gesellschaftlichen Strukturen und Netzwerken vor Ort sind grundsätzliche Veränderungen in der Arbeitswelt unabdingbar: Im gleichen Maße, in dem Care-Aufgaben wieder in den individuellen Verantwortungsbereich „wandern“, sind berufliche Entlastungen der Eltern bzw. der „Sandwichgeneration“ zwischen eigenen Kindern/Enkeln und alten Eltern anzustreben. Um neben dem Beruf gemeinschaftsstiftend tätig zu sein, braucht es freie Zeit. Beispiele: die generelle Einführung der 35-Stunden-Woche, ebenso die grundsätzliche Ausrichtung von Arbeitsstellen (auch Projektstellen) auf einen Umfang, der es ermöglicht, von einer einzigen Arbeitsstelle leben zu können. Und die Möglichkeit, flexibel in Rente gehen zu können.

Kirche mit frischem Geist denken und gestalten
Für die Kirche sehe ich die Herausforderung besonders Menschen gegenüber, die sich nicht mehr einer Gemeinde verbunden fühlen. Ganz oft höre ich den Satz: „Für meinen Glauben brauche ich keine Kirche“, oft schwingt eine Enttäuschung über exklusive kirchliche Strukturen mit. Dahinter liegt meist die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Selbstwirksamkeit. Genau diese Menschen erreichen wir bei BildungEvangelisch mit öffentlichen Angeboten zu drängenden (Lebens-)Themen und in krisenhaften Lebenssituationen – im besten Fall so, dass sie sich eingeladen fühlen, sich selbst zu engagieren.
Ich wünsche mir eine Kirche, die sich öffnet und in die Gesellschaft hineinwirkt. Die ihre Ressourcen an Räumen, Kompetenz und Kreativität nutzt, um drängende gesellschaftliche Themen aufzugreifen. Die keine Angst hat, bestehende Mechanismen fundamental zu hinterfragen, und gleichzeitig menschen- und umweltfreundliche Modelle des Zusammenlebens entwickelt. Getragen von einem Geist der Hoffnung, gegenseitiger Liebe und Zuversicht.

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