Kraftorte: Interview mit Beate Baberske

Künstlerische Leiterin der ältesten evangelischen Paramentik

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DIAKONISCHE PILGERREISEN: DER BLOG

Wir entdecken Diakonische Pilgerorte – 
diesmal auf der Spur von: Beate Baberske

Beate Baberske ist die künstlerische Leiterin der ältesten evangelischen Paramentik weltweit. Direkt nach dem Studium der Angewandten Kunst in Schneeberg (im Erzgebirge) kam sie als Sechsundzwanzigjährige mit einer eigens entwickelten Webtechnik in der Tasche aus den neuen Bundesländern nach Neuendettelsau.

In den über zwanzig Jahren seither hat sie mehr als dreihundert Kirchen besichtigt und zusammen mit ihrem Team und natürlich den Einrichtungsleitungen, Gemeindemitgliedern, manchmal mit Künstlern, Denkmalpflegern oder Architekten neue Konzepte für die jeweilige Situation vor Ort entwickelt – eine Arbeit, die ihr noch immer Tag für Tag Freude bereitet

Einst erbaut als Betsaal der Diakonissen, hat diese Kapelle in Neuendettelsau schon viele verschiedene Nutzungsweisen erlebt. Nach Ansicht von Beate Baberske wird sie – wie jeder Raum – diakonisch in dem Moment, in dem Menschen sie dazu machen. Heute ist dort die Werkstatt der Paramentik untergebracht. Und tatsächlich geht es Beate Baberske und ihrem Team jeden Tag darum, ihre Arbeit, die Herstellung der Textilien für geistliche Räume, für Gottesdienste und Andachten, mit einem diakonischen Geist zu füllen.

Sie beschäftigen sich beruflich und/oder ehrenamtlich mit Diakonie. Was liegt Ihnen dabei besonders am Herzen?
Ich bin 1996 freundlich, offen und herzlich in die Diakonie-„Familie“ von Neuendettelsau aufgenommen worden, habe mit Diakonissen über den Glauben diskutiert, Anschluss gefunden in der Diakonischen Schwestern- und Brüderschaft, zu der ich seit fünfzehn Jahren gehöre, und die praktische Theologie als Gasthörerin an der Augustana-Hochschule (in Auszügen) studiert. Mit meinen gestalteten Kirchenräumen möchte ich „Visitenkarten des Glaubens“ schaffen, die optisch sichtbar machen, mit welchem Engagement die Menschen sich um „ihren“ Glaubensort kümmern. Dabei möchte ich selbst auch etwas zurückgeben von der Liebe, die ich bei meinen Anfängen in Neuendettelsau gespürt habe und die ich immer wieder in den Gemeinden empfinde, die ich berate.

Dabei ist der Kirchenraum nur ein kleiner Teil von Diakonie. Hier in Neuendettelsau wird immer wieder Wilhelm Löhe zitiert, der im 19. Jahrhundert nicht nur die Anfänge von Diakoneo geprägt, sondern auch die evangelische Paramentik definiert und etabliert hat. Sein Satz „Diakonie geht vom Altar aus“ ist jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung an mich, die ich nur zu gern annehme. Denn eine durchgestylte Kirche ist nicht alles. Es sind vor allem die Menschen, die bei Diakoneo den Alltag prägen, zum Beispiel im Krankenhaus, im Kindergarten, in den Seniorenheimen, in den Schulen und Ausbildungsstätten, also den Diensten für Menschen, aber auch in anderen Einrichtungen, die sie auf ihre Weise mit einem christlichen Vorzeichen versehen. Dazu halte ich es für wichtig, die Schätze ihres christlichen Glaubens zu heben. Was sagen mir eigentlich die Farben, die dem Lauf des Kirchenjahres folgen? Wie kann ich ihre Botschaft für Andachten nutzen? Wie gestalte ich Feste im Seniorenheim unter Berücksichtigung der christlichen Traditionen? Es geht mir darum, Wissen zu vermitteln, das den Mitarbeitenden hilft, ihren Glauben lebendig zu halten: Warum soll die Paramentik nicht auch auf heutige Weise ansprechend sein, bunt, pfiffig oder modern? Dann wird sich dieses Haus immer von anderen unterscheiden.

Zusammen mit meinem Team entwickle ich in der Paramentik in Neuendettelsau zum einen Produkte beispielsweise für Seniorenheime, die den heutigen Anforderungen gerecht werden, indem sie in ihrer Materialzusammensetzung praktisch, in ihrer Gestaltung modern und in der Handhabung flexibel sind. Zum anderen findet jeder Christ in unserem kleinen Werkstatt-Laden etwas zur Erbauung. Vom Engel als Schlüsselanhänger über einen individuellen Gesangbuchumschlag bis zum FadenKreuz für die Wand oder den Schreibtisch. Denn der Glaube scheint überall und immer hindurch, bei allem was wir tun.

Gibt es eine persönliche Erfahrung, die Ihnen den Kern diakonischer Arbeit existenziell vor Augen geführt hat?
Manchmal ist man eher auf den Schattenseiten des Lebens unterwegs. Manchmal ist selbst die Familie nicht mehr in der Lage zu helfen. Spätestens wenn man persönlich mit dem Tod konfrontiert wird, ist Diakonie da. Als Institution oder als Person. Und wenn nicht geholfen werden kann, dann wird gemeinsam überlegt, wie oder wo es weitergehen kann, und es wird gebetet. Gemeinsam jede und jeder für sich oder gemeinsam für jemanden. Der Ort ist in der Regel ein Arbeitszimmer, ob in Neuendettelsau oder Berlin, im Keller oder unterm Dach, mit Ausblick oder vor dem Kreuz, das ist egal.

Immer wieder habe ich „Fügungen“ erlebt und gespürt, getragen zu sein. Aus meiner Zeit als Atheistin kenne ich die Last der Frage: „Ist diese Entscheidung richtig?“ Als Christin werden mir schwere Entscheidungen leichter und leichte Entscheidungen schwerer gemacht. Diesen feinen Unterschied schätze ich und diskutiere gern darüber, wenn die Frage nach dem Sinn des Glaubens gestellt wird, manchmal ganz unvermittelt im Alltag oder nach Mitternacht. Das Seelenheil ist wichtiger als Karriere. Ich versuche für andere da zu sein, im Rahmen meiner Möglichkeiten. Das ist für mich diakonisches Handeln.

An welchem Ort (in welcher Einrichtung, in welchem Haus oder Raum) ist Diakonie für Sie in besonderer Weise sichtbar und erfahrbar geworden und was hat Sie dort fasziniert?
Wenn ich überhaupt von einem Raum sprechen kann, dann ist es der Raum im übertragenen Sinne. Diakonie wird für mich erfahrbar durch den Raum, den ich existenziellen Fragen im Alltag gebe. Ob ich die Frage: „Wie geht es dir?“ wirklich ernst meine und meinem Gegenüber Zeit gebe, auch als Mensch vor mir zu sitzen. Die wirklich wichtigen Erfahrungen sind nicht an einen Raum in einem Haus gebunden, sondern an den Raum, den ich im Leben eines anderen einnehmen durfte, als es dunkel war um mich herum.

Raum zu haben für Dinge, die den Glauben durch den Alltag hindurchscheinen lassen, diese sichtbar zu machen, dieses Geschenk hat mir der Vorstandsvorsitzende Dr. Hartmann gemacht. Zwei Bücher sind entstanden, die erklären, was mich und andere antreibt, im Sinne des Glaubens zu gestalten. Ein Jahr lang habe ich die Entstehung der Kapelle im Haus Bezzelwiese hier in Neuendettelsau begleitet. Habe mit dem Fotografen das beste Bild diskutiert, den Beteiligten Texte über ihre Arbeit entlockt, Senioren-Models gesucht, Paramentik neu definiert.

Das Buch macht sichtbar, was für Fragen gestellt werden müssen, wenn eine diakonische Einrichtung die Ausstattung eines Raumes – wie hier der Kapelle – nutzen möchte, um ihr Profil, ihre Haltung in dem Gebäude hindurchscheinen zu lassen. Denn sichtbar wird diese Haltung immer, egal unter welchem „Vorzeichen“ sie steht. Sich darüber im Klaren zu sein und die „richtigen“ Entscheidungen zu treffen, auch wenn diese unkonventionell sind, das ist für mich Diakonie.

Ist damit die Kapelle im Haus Bezzelwiese vielleicht so ein Ort? Nein, nicht für mich. Ich glaube, dass für mich die Paramentik, also der ehemalige Betsaal der Diakonissen, den Löhe noch beauftragt und der schon so viele Umnutzungen erlebt hat, so ein Ort ist. Seit 1917 ist dort die Heimat der Paramentik und hier ist seit über zwanzig Jahren mein Arbeitsplatz.

Was macht Ihrer Meinung nach einen – oder diesen – „diakonischen Ort“ zum spirituellen Kraftort (Geschichte, Gestaltung, Personen …)?
Der ehemalige Betsaal ist eine kleine, 1871 errichtete Kirche, die aber schon mit einer Veranda auf der Südseite konzipiert wurde, um den alten Schwestern die Möglichkeit zu geben, Sauerstoff und Licht zu tanken. Der diakonische Gedanke ist also Baukonzept. Später wurde immer wieder umgebaut und ausgebaut. In den 1920er Jahren kam ein Anbau mit einer Färbeküche dazu, das Regenwasser wurde in einer Zisterne im Keller zum Färben gesammelt und von Hand in den Kupferkessel im Erdgeschoss gepumpt. Der Flaschenzug über dem Kessel half, die schwere, handgesponnene Wolle aus dem Wasser zu ziehen. Die natürlichen Färbemittel zeigen wir heute noch manchmal bei Führungen. Bei Renovierungsarbeiten wird alle zehn Jahre die ursprüngliche Wandmalerei sichtbar: Der „Lämmerfries“, der noch auf Löhe zurückgehen soll, und der Sternenhimmel im Gewölbe unter der weißen Farbe. Die gestalteten Kirchenfenster schmücken jetzt eine Kapelle im Diakoneo Kompetenzzentrum für Menschen mit Demenz in Nürnberg, die großen Kirchenfenster des Chorraumes sorgen für gutes Licht bei der Arbeit. Die Schränke sind noch aus der Zeit, als aus dem Kirchenraum eine Apotheke wurde, manche Tische findet man auf uralten Fotos wieder. Der Übergang zum Mutterhaus der 1960er Jahre, der extra für die Oberin gebaut wurde, damit sie trocken in ihr Büro im Mutterhaus kommen konnte, ist schon lange wieder abgerissen. Die Veranda gibt es immer noch.

Zum Kraftort wird die Paramentik, weil wir auf unsere eigene, besondere Art in einem umgenutzten Kirchenraum Textilien für Kirchenräume konzipieren und herstellen. Im Zweifelsfall wird das Arbeitsstück in den Chorraum gehängt und vom Eingang aus, der im Westen liegt, begutachtet. Wenn auf diese Entfernung noch etwas zu sehen ist, funktioniert das Parament auch in der Kirche. Weil wir Objekte herstellen, die mindestens zwanzig Jahre, in der Regel mehr als fünfzig Jahre halten sollen, müssen wir der Herstellung Raum geben, müssen Vor- und Nachteile bis ins Detail abwägen und manchmal Pläne oder Gewohnheiten über Bord werfen, um eine Befestigung zu optimieren oder auf veränderte Rituale zu reagieren. Deshalb brauchen auch die Menschen, die diese Dinge herstellen oder bestellen, Raum. Diesen Raum zu geben und nicht nur die Wirtschaftlichkeit zu sehen, ist der tägliche Spagat, den ich zusammen mit dem Paramentik-Team übe. Aber Sport ist ja bekanntlich gesund. Manchmal ist es auch gesünder, wie der Igel „Ich bin allhier“ zu rufen, als immer nur wie der Hase zu laufen. Das geht bei uns, ist aber nicht selbstverständlich. Das wissen wir. Dafür bin ich dankbar.

Was würden Sie in Ihrem Arbeitsumfeld räumlich ändern, wenn Sie die Freiheit und Mittel dazu hätten, damit die Arbeit, die Ihnen am Herzen liegt, noch besser gelingt?
Der alte Betsaal ist ein wunderbarer Ort für meine Arbeit. Leider ist die Zeit nicht spurlos an ihm vorbeigegangen, Reparaturen und Renovierungsarbeiten stehen an. Ich kann nur beten, dass wir für alle Seiten gute Lösungen finden und den ehrwürdigen Mauern ein neues Leben einhauchen, das diesem Ort gerecht wird, auch wenn wir dafür anders denken und das bisherige Konzept in Frage stellen müssen. Träumen kann ich ja schon mal …

Und sonst? Haben Sie weitere Gedanken, Anmerkungen, Anregungen zur Bedeutung – und vielleicht auch zur Relativierung –diakonischer Orte?
Für mich ist ein diakonischer Ort nicht zwingend mit Architektur verbunden. Aber da, wo Diakonie Raum bekommt, sind automatisch diakonische Orte. Wenn ich den Gedanken weiterspinne, ist ganz Neuendettelsau ein diakonischer Ort unter vielen. Ich sehe lauter kleine temporäre Glaskuppeln, die wie Heiligenscheine oder Schutzschilde in dem Moment aufploppen, wenn ein Mensch gerade einen diakonischen Ort erschafft. Wenn wieder zum Alltagsgeschäft übergegangen wird, verschwinden sie so schnell wieder, wie sie gekommen sind. Aber es blubbert ständig, als würde jemand mit dem Strohhalm Luft in das Wasserglas pusten …

https://www.paramentenwerkstatt.de/

Vielen Dank!

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