Newsletter Nr. 17 / Oktober 2019

Newsletter Nr. 17/Oktober 2019:
Brennende Themen. Ideen, Inspirationen und Projekte
aus Kirche und Diakonie. 

Seele & Sorge – Impulse, Workshops, Beratung
Cornelia Coenen-Marx: Engagement mit Profil
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THEMENÜBERSICHT IN DIESEM NEWSLETTER

APOKALYPTISCHE ZEITEN?  IMMER IM AUFBRUCH: LITERATUR UND GÄRTEN  BE PATIENT. CARE NEEDS TIME  WACH IN DER GEGENWART


„May You Live in Interesting Times“, das ist der Titel der diesjährigen Biennale in Venedig. Die Herkunft des Satzes ist unklar, unklar auch, ob er als Fluch oder als Aufforderung gemeint ist. Doch gerade deshalb macht er wach und aufmerksam für die Zeiten, in denen wir leben. Darum geht es auch in diesem Newsletter, der der Biennale sehr viele Inspirationen verdankt.

Apokalyptische Zeiten?

Und plötzlich stand ich wie angewurzelt vor den apokalyptischen Reitern. Es ist ein farbgewaltiges Gemälde in Öl – in einem kleinen Heritage House in Bala, Wales. Tagelang war das Haus verschlossen geblieben, nun konnten wir hineingehen und hatten sogar die Gelegenheit eines persönlichen Gesprächs mit dem Künstler. Der walisische Maler Richard Ryder berichtete davon, wie er sein Leben lang am eigenen Ausdruck und Malstil gefeilt hat. Das Ölgemälde zu den Siegeln der Offenbarung war sein erstes großes Werk nach vielen Zeichnungen in Rötel. Und das Bild hatte sich ihm genauso aufgedrängt wie uns jetzt beim Betrachten. Die apokalyptischen Reiter, die durch Nebel und Dunkelheit auf uns zukommen – während unten am Strand der tote kleine Flüchtlingsjunge aus Syrien liegt. Ein Menetekel für die Zukunft.

Leben wir in apokalyptischen Zeiten? Es bin ja nicht nur ich, die von Richard Ryders Bildern und seinem Arbeitstagebuch geradezu angesprungen wird. Wir leben in Zeiten, in denen eine sechzehnjährige Schülerin aus Stockholm eine weltweite Bewegung für den Klimaschutz auslöst. Man muss nur mit Verstand und Vorstellungskraft die Berichte und Prognosen der Wissenschaftler lesen, um sich große Sorgen zu machen. Und ich verstehe diejenigen, die nicht mehr nur mit Kopfschütteln darauf reagieren wollen, dass einige glauben, es ginge immer so weiter. Und mit Ryders Bild wurde mir bewusst: Die Erschütterung, die wir spüren, ist existenziell, sie geht über eine Debatte um CO2 und Ozon, um diese oder jene Antriebskraft, um Fleischkonsum und Flugscham hinaus. Sie rührt an religiöse Fragen nach Schuld und Verantwortung, nach Umkehr. Einige sprechen nun von Pseudoreligion, etwa Jutta Ditfurth, die bezüglich der Bewegung Extinction Rebellion den „Irrationalismus einer Endzeit-Sekte“ kritisiert. Klar ist: Wenn es um unsere Rolle in der Geschichte geht, dann geht es auch um eine letzte Verantwortung. Vor den Enkeln, vor der Zukunft, vor Gott.

Es ist nicht erstaunlich, dass Dystopien Konjunktur haben – auch in der Literatur. Vom Leben in den Wäldern wird erzählt, aber auch von fundamentalistischen Gesellschaften. In diesem Herbst wird Margaret Atwoods Buch „Die Zeuginnen“ gefeiert, gerade erhielt sie sogar einen Booker Prize dafür. Dreißig Jahre nach ihrem „Report der Magd“ erzählt sie von der Gesellschaft in Gilead, den früheren USA: von einem gewaltsamen Patriarchat, großer Ungleichheit und Bildungsferne, von der Sorge um Unfruchtbarkeit und einer Gesellschaft der Mägde, die für andere ihre Kinder austragen. Und sie erzählt davon, wie Bildung, Wissen und Aufklärung und der Mut, die Geschichte aufzuschreiben, die Fesseln lösen kann. Für mich als Christin ist es erschütternd zu sehen, dass Gilead sektiererisch Geschichten aus der Bibel nacherzählt und sie nutzt, um die eigene Herrschaft zu begründen. Dies ist leider auch eine Funktion oder vielmehr eine Funktionalisierung von Religion. Was das in Bezug auf den Islam bedeuten kann, hat der französische Autor Michel Houellebecq mit seinem nachdenklichen Roman „Unterwerfung“ in der Dystopie einer Übernahme Frankreichs durch Muslime beschrieben. Aber es gibt ja auch die Kräfte, die ein lebendiges Miteinander der Verschiedenen in Frage stellen, ohne religiöse Motive zu bemühen. Von der gerade wiedergewählten PIS in Polen (wo die Allianz mit Teilen der katholischen Kirche allerdings eine Rolle spielt) über die Brexetiers in England – die von den meisten Walisern übrigens mit großen Bedenken beobachtet werden – bis hin zu den Rechtsextremen hierzulande, die Liste könnte ja leider noch lange fortgesetzt werden. Und die Frage, wo konservatives Denken ins Demokratiefeindliche kippt, Pluralität nicht zulässt und die offene Gesellschaft in Frage stellt, beschäftigt ja nun auch wieder die Kirche – nicht nur in Sachsen. (Hier ein umfangreiches Dossier der EKD zum Thema Kirche und Rechtspopulismus, hier ein Beitrag zum Rücktritt von Bischof Rentzing; hier ein Beitrag über die Texte, für die er nun kritisiert wird.)

Immer im Aufbruch: Literatur und Gärten

Da sehnt man sich nach Hoffnungsgeschichten, nach Aufbruch und Aufklärung. In der Literatur habe ich viele solcher Impulse gefunden – bei Margaret Atwood oder Toni Morrison, die in diesem Sommer starb. Oder in den klugen Essays von Zadie Smith. Ihr Buch „Freiheiten“ habe ich in den Ferien mit viel Gewinn gelesen, denn Kapitel wie „Im Publikum“, „Im Museum“ oder „Im Bücherregal“ machen sehr konkret, um was es bei der Frage der Freiheit gehen kann. Und ich bin gespannt, die Romane von Olga Tokarczuk zu lesen, auf die ich durch den Nobelpreis aufmerksam geworden bin. Sie wurde ausgezeichnet „for a narrative imagination that with encyclopedic passion represents the crossing of boundaries as a form of life“ – eine Wahl und eine Begründung, die mir gerade angesichts der politischen Situation in Polen gefallen haben.

Mehr solcher klugen und dem Leben zugewandten Frauen habe ich in Wales entdeckt. Die Freundinnen Lady Eleanor Butler und Miss Sarah Ponsonby in Llangollen lösten sich früh von ihren Familien und wurden in ihrem schönen Fachwerkhaus mit dem englischen Garten in Plas Newydd zum Mittelpunkt eines literarischen Salons. Die lebenslange Partnerschaft der beiden rührt bis heute – eine wunderbare Tafel in der Kirche erinnert daran. Mich hat ihr Garten besonders beeindruckt, mit dessen Erzeugnissen ihre zahlreichen Gäste bewirtet wurden. Ein Juwel der Gartenkunst ist der Garten der drei Keating-Schwestern in Plas yn Rhiw auf der Halbinsel Llyn. Diese engagierten sich nicht nur für die Renovierung des Gutshauses und die Gestaltung des Gartens, sondern hatten auch einen weiteren Blick für den Umgang des Menschen mit der Natur. Beispielsweise konnten sie Netzwerke knüpfen, um den Bau eines Atomkraftwerks dort zu verhindern. Wer in ihrem kleinen Reich zwischen den bunten Blüten sitzt und aufs Meer schaut, wird spüren, dass es lohnt, die Welt mit Liebe zu gestalten. Und mit Respekt.

Auf der Biennale in Venedig haben mich die Arbeiten zweier Künstlerinnen besonders berührt. Alexandra Bircken thematisiert mit dem ständigen Schneller, Höher, Weiter, das doch letztlich zum Ende der Menschheit führen kann, ebenfalls ein apokalyptisches Motiv. Hito Steyerls „This is the Future“ dagegen findet ein Gartenbild, um eine gute Zukunft zu imaginieren.

Ob Frauen eine besondere Aufmerksamkeit für die Schönheit der Natur und die Notwendigkeit ihrer Bewahrung haben, das weiß ich nicht – Gegenbeispiele gibt es genug. Aber in diesem Sommer habe ich mich über die Wahl von Beate Hofmann zur Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck gefreut – in den Spitzenämtern der Kirchen sind die Frauen ja immer noch eine Minderheit. In ihrer Einführungspredigt hat sie die Kirche als ein Sorgenetz beschrieben, das dazu beitragen kann, die auseinanderfallende Gesellschaft zusammenzuhalten, die Einzelnen in ihrem Alleinsein zu tragen.

Be Patient. Care Needs Time

Und auch mich beschäftigt das Thema Caring Communitys und Sorgekultur weiterhin: Gemeinsam mit Frank Dölker von der Bundesakademie für Kirche und Diakonie habe ich eine Weiterbildung aus sechs Modulen entwickelt, die Interessierten die Kompetenzen vermittelt, um zusammen mit Beteiligten vor Ort in Quartieren Sorgestrukturen zu etablieren. Wir starten mit dieser Fortbildung im Oktober 2020. Auf dem großen Fachtag Sorgende Gemeinde am 28. Oktober der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg in Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz in Potsdam halte ich ebenfalls einen Vortrag und am 2. November bin ich bei einem Workshop zur Care-Kultur in Seebad in der Nähe von Zürich. Das diesjährige Medizin-Theologie-Symposium, bei dem ich auch einen Vortrag halte, findet vom 22. bis 24. November in Wildbad Rothenburg statt. Hierzu passt auch meine Rezension zum „Sorgebuch“ der Diakonie Deutschland und mein Artikel über „Netzwerk Nachbarschaften. Über neue Formen des Miteinanders in der Single-Gesellschaft“ in Zeitzeichen. Dass es bei der Entwicklung von Gemeinschaft immer auch um die Freude an der Verschiedenheit geht, das ist Thema des nächsten Frauenmahls in Oldenburg am 8. November. Dort werde ich sehr gern wieder mit einer kleinen Tischrede zu den Tischgesprächen beitragen. Am 9. November geht es dann weiter nach Ludwigsburg zum Verbandstag des Karlshöher Diakonieverbandes, wo ich das Hauptreferat halten werde – wieder mit dem Schwerpunkt „Sorgende Gemeinde“. Das Thema boomt – es ist dran in unserer auseinanderbrechenden Gesellschaft. Im Juni erschien das neue Jahrbuch der Diakonie Schweiz. Das Schwerpunktthema widmet sich hier ebenfalls der Sorge in der Gemeinschaft. Mein Beitrag trägt den Titel „Keiner stirbt für sich allein – Sorgende Gemeinden im Quartier“. Vielleicht sehen wir uns auf dem großen EKD-Diakonie-Kongress in Hamburg? Das Thema lautet diesmal Wir & Hier. Gemeinsam Lebensräume gestalten. Beim Symposium am Tag zuvor geht es um Religion im Sozialraum Der Anmeldeschluss für das Symposium wie für den Kongress ist der 31. Oktober. Gerade erschien auch die Dokumentation der Jahrestagung 2018 der Arbeitsstelle Kirche und Gemeinwesen. Auch die Diakonie Baden widmet sich mit einer großen Aktion und einer Broschüre dem Thema Sorgende Gemeinde werden, gemeinsam alt werden und das Zusammenleben im Dorf, im Quartier, in der Stadt gestalten. Immer wieder geht es darum, welche Rolle die alte Institution Kirche in diesem Kontext spielen kann. Dazu hatte ich auch auf einer Tagung in Freiburg Ende September einen Vortrag gehalten. Im Werkstattgespräch Gerechtigkeit und Quartier wird am 15. November in Düsseldorf ausgehend vom konkreten Beispiel des Wohnquartiervereins WQ4 über das Konzept der Gemeinwohlökonomie diskutiert. Der Workshop wird von einem neu gegründeten Verein, einem tragfähigen Netzwerk um Christa Stelling, Gabriele Winter, Dieter Zisenis, Gerrit Heetderks, Christiane Grabe und anderen organisiert, die alle in der rheinischen Diakonie und Bildungsarbeit an entscheidenden Stellen Quartiersarbeit auf die Beine gestellt haben. Da ist noch viel zu erwarten! Anmeldeschluss ist auch hier der 31. Oktober.

Am meisten brennt es wohl nach wie vor bei der Pflege – auch wenn die Politik das Thema sichtbar aufnimmt: mit der integrierten Pflegeausbildung, mit Plänen für Tarifeinheit oder Mindestlohn und mit Konzepten zur Entlastung der pflegenden Angehörigen zum Beispiel. Doch die bisherigen Aktivitäten muten noch an wie der bekannte Tropfen auf den heißen Stein. Es begeistert mich, welche Formen Pflegende finden, um auf die Problematik aufmerksam zu machen – die letztlich die gesamte Gesellschaft angehen. In Dresden brachten sie sie theatralisch auf die Straße! Gott sei Dank nehmen auch immer mehr Landeskirchen diese Fragen auf – in Publikationen, Synoden und auch mit Gottesdiensten. Ich freue mich, dass die Gemeinde Hannover-Burgdorf das Thema in ihrem Buß- und Bettagsgottesdienst am 20. November ansprechen wird und mich zur Predigt eingeladen hat.

Beim Thema Sorgekultur geht es vor allem um Beziehung, um Begegnung und Empathie – um das, was nicht berechenbar und nicht funktionalisierbar ist. Ohne die „Seele des Sozialen“ wird es uns nicht gelingen, eine Pflegekultur zu entwickeln, bei der der Mensch tatsächlich im Mittelpunkt steht. Gerade angesichts des Pflegenotstands ist dies eine große Herausforderung – und von der Digitalisierung kann hier nur eine Unterstützung, keineswegs jedoch eine Lösung erwartet werden. Mitten in der mobilen Welt geht es um Präsenz, in der digitalen um Unmittelbarkeit. Präsenz ist auch ein zentrales Thema im Coaching: Es geht darum, Wissen nicht mit Tiefe zu verwechseln und Information nicht mit Transzendenz. Darum, Transformation zu ermöglichen – nicht nur im Netz, sondern in den Personen. „Nur transformierte Menschen ermöglichen anderen Transformation“, schreibt Richard Rohr. Oder: „Man kann andere nur so weit führen, wie man selbst gegangen ist.“ Rohrs Buch „Pure Präsenz“ habe ich neulich „zufällig“ auf einem Büchertisch-Flohmarkt in Fürstenried entdeckt – während einer Coachingwoche. Die spirituelle Dimension in Coachingprozessen ist mir wichtig; immer wieder entdecke ich Zusammenhänge. Wie wir die Schwelle zu einer Kirche übertreten und wie diejenige zu einem Gespräch, das hat viel miteinander zu tun. Doch gerade in professionellen Kontexten von Sorge und Pflege kann es nicht dem Einzelnen allein überlassen bleiben, die eigene Arbeit wahrhaft menschlich zu gestalten. In ihrem Interview im „Kraftorte-Blog“ hat Veronika Drews-Galle darüber nachgedacht, was auf organisationaler Ebene geschehen kann, damit das Diakonische auch in einem durchgetakteten Arbeitsalltag gelebte Realität werden kann. Auf ganz andere Weise geht es Beate Baberske um Spiritualität. Sie ist die Leiterin der paramentischen Werkstatt in Neuendettelsau – übrigens der weltweit ältesten evangelischen Paramentik – und ihr Interview wird ab Mitte November meine Seite mit den Beiträgen über diakonische Kraftorte bereichern.

Wach in der Gegenwart

Arbeit 4.0. Auch die Arbeit selbst verändert sich ja. Wo die Digitalisierung einzieht, wo Beschäftigte mehr auf Bildschirme schauen als auf Werkzeuge und Materialien, wo Arbeitszeiten flexibel werden, aber auch die sozialen Zusammenhänge unsicherer zu werden drohen, da ist es notwendig, über die Kulturen der Kommunikation und des Miteinanders wie auch über das Verhältnis zu sich selbst nachzudenken. Darum geht es am 3. Dezember beim Frank-Schirrmacher-Forum in Darmstadt. Zusammen mit dem Netzökonomen Holger Schmidt diskutiere ich über die Frage „Zwischen Mithalten und Mitnehmen. Wie viel Geschwindigkeit ist auf der digitalen Reise verträglich?“.

Publikationen von Freunden: Gabriele Bartsch coacht und unterstützt Führungskräfte – und hat dazu zusammen mit Dorothee Moser ein neues Instrument entwickelt: Werteorientiert führen. Bei der Debora-Führungskräfte-Fortbildung am 17. und 18. November in der Akademie Stuttgart-Hohenheim werden wir zusammenarbeiten. Empfehlen möchte ich auch das Buch meiner Facebook-Freundin Martina Lammers. Sie ist seit langem im Wendland für Umweltfragen engagiert. Nun stand sie vor einer persönlichen Herausforderung: Vor fünf Jahren erhielt sie eine Brustkrebsdiagnose. In ihrem Buch „Die Frau, die ich im Spiegel seh“ schildert sie, wie das Malen für sie ein Zugang war zu einer Spiritualität, die ihr neue Kräfte, aber auch neue Erfahrungsmöglichkeiten im Umgang mit ihrer Erkrankung eröffnete. Ihr Malen veränderte sie selbst und ihre Bilder veränderten sich im Lauf des Krankheits- und Heilungsprozesses. Martina Lammers verkauft die Bilder und spendet die Einnahmen für die Seenotrettung von Geflüchteten.

Mit der Krise der Demokratie beschäftigt sich Alexander Görlach in seinem Buch Homo Empathicus. Im Umgang mit der Finanzkrise von 2008 sieht er den Grund für die bittere Enttäuschung vieler an Globalisierung und Marktwirtschaft: Eine Konsumgesellschaft auf Pump, die ein Drittel der Menschen außen vor lasse, führe zur Erfahrung von Demütigung und Rückzug auf überschaubare Bindungen. Die Erosion des Rechtsstaats durch populistische Strömungen sei letztlich die Konsequenz eines verantwortungslosen Umgangs mit Schuld und Schulden.

Gerhard Trabert ist bei denjenigen, an denen andere vorbeigehen oder deren Leid wir nur aus den Bildern im Fernsehen ahnen: In Deutschland ist er auf den Straßen unterwegs und kümmert sich um Obdachlose, zudem hilft er an den unterschiedlichsten Orten der Welt, wo Kriege und andere Verheerungen das Leben der Menschen zerstören. In seinem Buch „Der Straßen-Doc“ berichtet er von seinen Erlebnissen. Dazu sagt er im Interview (auf der selben Webseite): „Die Betroffenen selbst werden oft nicht gehört, wirklich wahrgenommen, es wird ihnen kein Raum der Selbstdarstellung gegeben, dies möchte ich quasi stellvertretend mit diesem Buch ermöglichen. Dass der Leser diese, an den Rand dieser Wohlstandsgesellschaft gedrängten und damit ausgegrenzten Menschen in ihrer Individualität, in ihrer Einzigartigkeit, auch in ihren Schwächen und Stärken ein wenig besser kennenlernt.“ Ich habe Gerhard Trabert bei einer Veranstaltung von syrischen Jesiden kennengelernt, die von den Terroristen des sogenannten Islamischen Staates verfolgt worden waren. Noch bis vor kurzem, bis zu Trumps Rückzug der amerikanischen Truppen und der völkerrechtswidrigen Invasion der Türkei in Nordsyrien, war er dort in einer Ambulanz bei den Kurden, die gegen den IS gekämpft hatten.

Die EKD-Synode, die in diesem Jahr in Dresden stattfindet, widmet sich dem Thema Frieden. Angesichts der Brüche und Grenzüberschreitungen, angesichts der Gewalt, die wir gerade erleben, ist es beängstigend aktuell: Nach Jahrhunderten des Nachdenkens über einen gerechten Krieg beschäftigen sich die Kirchen heute mit der Frage nach dem gerechten Frieden, zuletzt nach dem Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, der gerade in Zeiten von deren Zerstörung so deutlich wird. Was bedeutet das für uns, die wir über Jahrzehnte in Frieden leben, während Menschen im Süden oder im Nahen Osten unter Kriegen litten und leiden? Was sehen wir, wenn wir ihre Perspektive einzunehmen versuchen? In der Besinnung auf die Bibel wird uns bewusst, dass der Kampf der Völker untereinander, das Leiden am Krieg und die Sehnsucht nach wie das Ringen um Frieden die Menschen schon immer beschäftigt haben – ganz ähnlich wie die Gedanken über das Weltende, mit denen ich diesen Newsletter begonnen habe. Das soll die Sorge nicht relativieren. Aber vielleicht hilft es, dem Gefühl der Aussichtslosigkeit, das uns manchmal befallen kann, eine andere Kraft entgegenzusetzen. Die EKD hat anlässlich der Synode ein friedenstheologisches Lesebuch veröffentlicht: Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des FriedensMeine Gedanken zur Woche am 15. November im Deutschlandfunk werden das Thema aufnehmen (DLF, 6:35 Uhr).

Tagungshäuser. Auch diesmal erzähle ich zum Schluss gern noch von den Tagungshäusern, die ich zuletzt besuchen durfte. So mochte ich den Bernhäuser Forst in der Nähe von Stuttgart. Es ist eine Einrichtung in einfachem, aber gediegenem Jugendherbergsstil, dazu gibt es sehr gute, mit allen Medien ausgestattete, Tagungsräume, ein Café-Bistro als Treffpunkt im Eingangsbereich und ein gutes Restaurant. Das Haus eignet sich sehr gut für Gruppenfortbildungen. Das Exerzitienhaus Schloss Fürstenried ist eine barocke Anlage aus dem frühen 18. Jahrhundert mit großartigen alten Sälen in einem herrlichen Park. Die Tagungsräume sind gut ausgestattet, die Zimmer erinnern ein wenig an Klosterzellen – einfach, aber funktional. Neben Tagungen finden dort Einzel- und Gruppenexerzitien in der Tradition des Begründers des Jesuitenordens Ignatius von Loyola statt. In beiden Tagungshäusern gibt es kein Fernsehen auf dem Zimmer – dafür viele Chancen zu Begegnung und Reflexion.

Zu Hause in meinem Sekretariat hat es übrigens am 1. September eine Veränderung gegeben: Frau Katrin Rudolph, für deren Unterstützung beim Aufbau von Seele und Sorge in den letzten fünf Jahren ich aus tiefstem Herzen dankbar bin, konnte auf eine 20-Stunden-Stelle wechseln. Ich wünsche ihr viel Glück auf ihrem Weg – und freue mich sehr, dass ich Nathalie Volborth als neue Assistentin gewinnen konnte. Auch sie erreichen Sie über office@seele-und-sorge.de und die Mobilnummer.

Noch lange ist das Jahr nicht zu Ende. Aber viele denken und planen schon für das neue. Eine Geschenkempfehlung: der Frauenkalender, an dem ich wieder mitgearbeitet habe. Weil der bisherige Verlag die Kalenderproduktion eingestellt hat, erscheint er dieses Jahr zum ersten Mal im Selbstverlag und so ist das Thema auch eine Selbstermutigung: Was wagen! Mit Gedichten und Geschichten, Bildern und Reflexionen gibt der Kalender Monat für Monat neue Impulse, anders in die Welt zu schauen. Können Frauen das besser als Männer? Nein, eigentlich glaube ich das nicht. Aber es erscheint mir doch wichtig, in unserer Gesellschaft die Stimmen von Frauen hörbarer werden zu lassen. Dafür erscheinen mir solche Projekte hilfreich und ich unterstütze sie gern, indem ich dazu beitrage.

Möge auch Ihre Stimme trotz kühler werdender Tage und Erkältungswetter klar bleiben – stark, wo es um unser Engagement für eine bessere Welt geht, leise oder nachdenklich in kleineren Räumen – eben einfach so, wie es Ihnen und Ihrer Stimmung entspricht! Vielleicht finden Sie sie auch wieder, Ihre Stimme, bei einem Besuch in einem herbstlich leuchtenden Garten, bei einer intensiven Lektüre oder der Auseinandersetzung mit Kunst. Gerade in diesem Sommer habe ich wieder gespürt, wie sehr das stärken kann, war wieder so dankbar für die Energie, die Zeit, die Fantasie und den Mut, die darin auf so unterschiedliche Weise spürbar sind und wieder neue Energien freisetzen.

The stronger we become
The higher you build your barriers
The taller I become
The further you take my rights away
The faster I will run
You can deny me, you can decide
To turn your face away
No matter ‘cause there’s
Something inside so strong

Labi Siffre (1987)
Teil des Pavillons Südafrikas auf der Biennale.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen Herbst!

Ihre Cornelia Coenen-Marx

Wir danken der Biennale für die Erlaubnis, einige Kunstwerke hier zu präsentieren. Alle Fotografien – bis auf die vom Pflegetheater – stammen von Cornelia Coenen-Marx.


 

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Texte und Bilder, wo nicht anders angegeben: © Cornelia Coenen-Marx