Kraftorte: Interview mit Veronika Drews-Galle

Referentin für theologische und ethische Grundsatzfragen im Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr

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DIAKONISCHE PILGERREISEN: DER BLOG

Wir entdecken Diakonische Pilgerorte – 
diesmal auf der Spur von: Veronika Drews-Galle

Veronika Drews-Galle ist Referentin für theologische und ethische Grundsatzfragen im Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr. Als Oberregierungsrätin arbeitet sie im staatlichen Teil der gemeinsam von den Evangelischen Landeskirchen und der Bundesrepublik Deutschland realisierten Evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr, die Soldatinnen und Soldaten in kritischer Solidarität an den Bundeswehrstandorten deutschlandweit wie auch in ihren Auslandseinsätzen begleitet. Darüber hinaus ist sie aktiv in der Strategie- und Organisationsentwicklung in Diakonie, Kirche und Privatwirtschaft sowie in der Gestaltung von Bildungsprozessen.

 

Sie beschäftigen sich beruflich und/oder ehrenamtlich mit Diakonie. Was liegt Ihnen dabei besonders am Herzen?
Für mich geht es vor allem darum, Diakonie glaubwürdig zu gestalten, nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Viel zu oft habe ich diakonische Unternehmen und Einrichtungen erlebt, die Menschen alle Kraft rauben, anstatt Kraftorte für sie zu sein. Ich habe Mitarbeitende ausbrennen sehen in dem Wunsch, all das zu leisten, was die Strukturen im Hintergrund nicht hergaben oder was die jeweilige Führung nicht als Markenversprechen einzulösen bereit war. Auf diese Weise ist diakonische Arbeit wohl kaum gottgewollt.

Gibt es eine persönliche Erfahrung, die Ihnen den Kern diakonischer Arbeit existenziell vor Augen geführt hat?
Wenn Diakonie ermöglicht, dass Menschen einander Mitmenschen sind, dann kommt sie aus meiner Sicht ihrem Wesenskern ganz nahe. Für mich wurde dies sehr deutlich, als ich mit damaligen Kolleginnen und Kollegen auf die Suche gehen durfte nach den Hintergründen einer zunehmend abgekühlt-professionellen Atmosphäre in unseren diakonischen Einrichtungen. Einige Pflegekräfte öffneten sich uns und vertrauten uns an, wie schwer es ihnen falle, in den engen Taktungen des Pflegealltags mit den ihnen anvertrauten Menschen ins Gespräch zu gehen – weil sie Angst hätten, sie anschließend unterbrechen und alleine lassen zu müssen. Wir haben daraufhin das Konzept der Seelsorgekurzgespräche auf die Settings von Pflege und Visite übertragen und angefangen, Interessierte darin auszubilden und zugleich durch verlässliche Partner im Hintergrund zu stützen, die im Zweifelsfall Gespräche weiterführen konnten. Das größte Lob, das wir dafür bekamen, war für mich die Rückmeldung, endlich nach langer Zeit wieder so arbeiten und helfen zu können, wie es der eigenen Motivation und Berufswahl entsprach.

An welchem Ort (in welcher Einrichtung, in welchem Haus oder Raum) ist Diakonie für Sie in besonderer Weise sichtbar und erfahrbar geworden und was hat Sie dort fasziniert?
Im Bugenhagenhaus in der Lutherstadt Wittenberg ist seit nunmehr zehn Jahren eine diakonische Unternehmensakademie beheimatet. Ich durfte miterleben, wie ein tolles Team rund um den theologischen Vorstand Dr. Rainer Wettreck dort einen ganz besonderen Ort der Mitmenschlichkeit, des offenen und kritischen Dialogs und des gemeinschaftlichen Lernens geschaffen hat. Mich hat es zutiefst fasziniert, dass ich von Hochverbundenen und Kirchenfernen, Atheisten wie Frommen, von der Hilfskraft bis zur Führungskraft hören durfte, dass dies ein Ort ist, wo Diakonie für sie greifbar wird in der Hinwendung zu anderen Menschen, in diesem Falle in Form eines ganzheitlich ausgerichteten Bildungsgeschehens.

Was macht Ihrer Meinung nach einen – oder diesen – „diakonischen Ort“ zum spirituellen Kraftort (Geschichte, Gestaltung, Personen …)?
Ich bin Organisationsentwicklerin und angesichts einer weltanschaulich pluralen Mitarbeiterschaft in der Diakonie halte ich es für entscheidend, eine diakonische Kultur nicht alleine der Motivation und dem Engagement der Mitarbeitenden zu überantworten, sondern organisational zu verankern und zu stützen, etwa durch klare Rollen, Rituale und Regeln, durch Raum und Zeit für das Diakonische und ebenso durch eine im diakonischen Sinne kohärente Gesamtstrategie und gezielte Investitionen. Doch ich habe auch gelernt, dass es ebenso aufmerksamer, liebevoller Menschen bedarf, die eine diakonische Kultur pflegen und glaubwürdig für sie einstehen. Sonst ist auch die glanzvollste Vergangenheit kaum noch überzeugend, weil es niemanden mehr gibt, der für die Weiterführung dieser großen Ideen einsteht.

Was würden Sie in Ihrem Arbeitsumfeld räumlich ändern, wenn Sie die Freiheit und Mittel dazu hätten, damit die Arbeit, die Ihnen am Herzen liegt, noch besser gelingt?
Um sich bei der Arbeit immer wieder auf das Wesentliche zu fokussieren, helfen mir spirituelle Räume und Zeiten ungemein. Ich liebe es, morgens früh oder in der Mittagszeit in einer Anstaltskapelle oder einem Andachtsraum zu sitzen, mich kurz zu besinnen und ein Lied anzustimmen, ob in einer Gruppe oder alleine. In manchen Lebensphasen fällt ein solcher Raum ganz klein aus – für mich kann er sich auch in einer Ecke meines Schreibtischs entfalten, auf der ich einige kleine symbolische Dinge stehen habe, die mich daran erinnern, was mich im Leben trägt und was mir wirklich wichtig ist.

Und sonst? Haben Sie weitere Gedanken, Anmerkungen, Anregungen zur Bedeutung – und vielleicht auch zur Relativierung –diakonischer Orte?
Diakonische Orte brauchen begnadete Erzähler, die ihre Geschichte und Bedeutung weitertragen und zum Leuchten bringen. Manchmal zeigt sich auch, dass eine Erzählung zeitweise nicht mehr anschlussfähig oder eine andere im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen kraftvoller ist. Trotzdem lohnt es sich, die alten Orte und Geschichten im Gedächtnis zu behalten in all ihrer Erfahrungstiefe. Im-Gedächtnis-Behalten, das bedeutet für mich, sie nicht zu glorifizieren, sondern vielmehr liebevoll-kritisch nachzuforschen, worin genau die Kraft begründet liegt, die von der jeweiligen Erzählung, dem jeweiligen diakonischen Ort ausgeht, und was daraus uns selbst hier und heute anspricht.

Vielen Dank!

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