Newsletter Nr. 15 / April 2019

Brennende Themen. Ideen, Inspirationen und Projekte aus Kirche und Diakonie


THEMENÜBERSICHT IN DIESEM NEWSLETTER:
MEMENTO MORI   DIGITALISIERUNG UND DIE SINGULARITÄT DES LEBENS   SORGEARBEIT ZWISCHEN LEBEN UND TOD   EUROPA STÄRKEN, NACH DEN STERNEN GREIFEN   VOM BÜCHERLESEN UND -SCHREIBEN   ERFÜLLTE MOMENTE


Memento mori

Dieser Tage habe ich eine neue App fürs Smartphone entdeckt: „Memento Mori – The ultimate productivity tool“, wie es in der Werbung heißt. Das Symbol: ein Totenkopf. Die Bildwelt: das unendliche Meer und der Sand mit den unzählbaren Körnchen. Die App mit der lateinischen Mahnung „Denk daran, dass du sterben musst“ lädt ein, sich ausrechnen zu lassen, wie viele Tage man schon lebt, um die Endlichkeit der eigenen Zeit zu begreifen. Und dann eben: produktiv zu werden. „Nutze jede Sekunde!“ Das nahende Ende als Antrieb zu Aktivität – das Leiden an der verrinnenden Zeit. Ich kenne das schon, dem folgt ja auch die Logik des „Anti-Aging“ von Superfood bis zum Lifting – und ich möchte mich dagegen wehren. Es ist ja richtig, dass der Mensch ein Zeit-Mängelwesen ist, wie Odo Marquardt einmal geschrieben hat. Aber dann stimmt eben auch, dass unser Bemühen um Selbstoptimierung an eine Grenze stößt. Dass unser Leben fragmentarisch bleibt. Ich möchte damit so umgehen, dass am Ende nicht nur Selbstüberforderung bleibt – oder Resignation.

In diesen Tagen feiern wir Ostern, wir feiern das Leben! Licht und Grün, Frühlingsdüfte und Vogelgezwitscher – die Natur macht es uns leicht. Ein einziger Protest gegen die Tristesse des Winters, gegen den Tod. Auch die, die der Auferstehung Jesu skeptisch gegenüberstehen, werden hineingezogen in die Fülle und Sinnlichkeit dieser Tage. Für mich wird jetzt spürbar, dass nicht der Tod das Ziel des Lebens ist, sondern das Leben. Das Memento mori auf der App scheint ein großer Treiber zu sein – aber das Osterglück ist ein einziger Lockruf – wie das Vogelkonzert am frühen Morgen. Wenn ich mich davon beglücken lasse, morgens, wenn ich wach werde, verliert der Tod seine Macht. Mein Lieblingsosterlied erzählt von der Auferweckung Jesu und singt das heraus: „O Tod, wo ist dein Stachel nun …“

Digitalisierung und die Singularität des Lebens

Ist Ihnen auch schon aufgefallen, welche Rolle die Digitalisierung inzwischen auch für das Trauern und Gedenken spielt? Heute gibt es schon weit über zwanzig virtuelle Friedhöfe – schauen Sie doch mal bei „Lichter der Ewigkeit“ vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Auch auf Facebook wird getrauert, und in der analogen Wirklichkeit finden sich auf Gräbern Plaketten mit Strichcodes, die einladen, sich online Bilder und Filme aus dem Leben des Verstorbenen anzuschauen. Der Wandel der Friedhofskultur beschäftigt mich; kürzlich habe ich einen Blog darüber geschrieben. Aber Digitalisierung ist auch ein Thema für die Pflege. Jahrelanger Stellenabbau, Arbeit in normierten Zeittakten, zunehmende Arbeitsverdichtung, überbordende Dokumentationspflichten haben die Pflege krank gemacht. Nach dem aktuellen BKK–Gesundheitsatlas liegt der Durchschnitt der Krankheitstage in der Altenpflege bei 24,1 Tagen – gegenüber 16,1 Tagen im Durchschnitt aller Beschäftigten. In kaum einer anderen Berufsgruppe lassen sich die Menschen häufiger wegen psychischer Belastungen krankschreiben. Deshalb sei er froh, dass das bald seine Roboter übernehmen könnten, sagte der Gründer des Robotikherstellers Boston Dynamics Marc Raibert auf der Cebit (hier ein FAZ-Videobeitrag dazu). Der Gedanke, dass Roboter Pflege ersetzen könnten, käme von einem beinahe diskriminierenden und sehr verkürzten Verständnis pflegerischen Handelns, korrigiert dagegen Christian Buhtz. Buhtz arbeitet im Forschungsprojekt FORMAT an der Medizinischen Fakultät Halle-Wittenberg, in dem es um den Erhalt der Autonomie im Alter geht – mit dem Einsatz von technologiebasierter Pflegeassistenztechnik. Letztlich geht es also darum, was der Kern von Pflege ist – und welche Rolle dabei Ökonomie und Technik spielen.

Auch ohne Roboter gleichen die heutigen Abläufe in den Institutionen einer Abfertigung, die den Menschen zum Sachgegenstand macht. Das Fatale an dieser gängigen Praxis ist, dass sie den Menschen auf seine körperliche Existenz reduziert. Man erkennt die so Versorgten (Entsorgten) an ihren ausdrucksleeren Augen und ihrer apathischen Haltung“, schreibt Adelheid von Stössel, selbst eine Pflegende. Auch Giovanni di Maio, für den die Identität aller Heilberufe durch die umfassende Ökonomisierung bedroht ist, sieht in den Kliniken von heute „weiße Fabriken“, in denen die Patienten nicht als Individuen gesehen werden, sondern als Objekte, an denen man standardisierte Verrichtungen vornimmt. Dabei sieht er die Pflege besonders betroffen: „Pflege ist ein Beziehungsberuf, in dem es nicht nur um die gekonnte Aktion, sondern vor allen Dingen um die Interaktion geht“, heißt es in seinem Buch Werte der Medizin. In der Pflege gehe es darum, sich auf den einzelnen Menschen, auf seine Einzigartigkeit einzulassen und ihm in seiner Angewiesenheit seine ihm eigene Würde widerzuspiegeln – das sei eben nicht formalisierbar, dokumentierbar, zählbar. Wo diese bürokratischen Kontrollstrukturen überhandnähmen, empfänden sich auch Pflegebedürftige nur noch als Aufwand – als Pflegefall, der Zeit und Geld kostet.

„Es wäre eine menschliche Kapitulationserklärung, wenn wir eines Tages tatsächlich versuchen würden, Zuneigung und Empathie über Roboter zu transportieren“sagt Axel Walz, Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb. Als Unterstützung im Pflegealltag, insbesondere im Rahmen wiederkehrender mechanischer Tätigkeiten, böten Roboter aber eine Chance – vorausgesetzt, dass dann mehr Zeit für persönliche Zuwendung bleibe. Es wird Zeit, dass wir in unseren Diskussionen um künstliche Intelligenz auf dieses Feld der Sorgearbeit sehen! Mit immerhin 10 Millionen Euro fördert die Bundesregierung die Entwicklung von Pflegerobotern, darunter auch humanoide wie Pepper, der mit Demenzkranken spielt und Gedächtnistraining anbietet, aber natürlich auch aufzeichnen kann, wie die Einzelnen sich entwickeln. Oder Robby, das süße Streicheltier, das anscheinend Trost spendet. Siri Hustvedt hat in ihrem Buch „Die Illusion der Gewissheit“ in wunderbarer Weise dargestellt, was der Unterschied dieser „Puppen“ gegenüber einem lebendigen Gegenüber ist. Und Julian Nida-Rümelin hat eine überzeugende Ethik für den „digitalen Humanismus“ entwickelt. Mehr dazu in meinem Vortrag „Pflege und Digitalisierung“den ich kürzlich beim Palliativforum in Darmstadt halten durfte. Eine gerontologische Auseinandersetzung mit ethischen Fragen des Einsatzes von Technik in der Pflege hat auch Melissa Henne vorgelegt. Für ihre Dissertation „Technik, die begeistert?“, in der sie mit dem Befähigungs-Ansatz der Philosophin Martha Nussbaum arbeitet, hat sie gerade den Wichernpreis bekommen. Zur Verleihung des Wichernpreises, bei der ich diesmal einen Sonderpreis bekam, unten mehr. Und: Am 9./10. Mai findet in der LUX-Kirche in Nürnberg eine Tagung zum Thema „Neue Kollegen? Intelligente Technische Systeme im Gesundheitswesen“ mit Prof. Dr. Arne Manzeschke, Leiter der Fachstelle für Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen der ELKB, statt, bei der auch Melissa Henne sprechen wird.

Ich muss zugeben, dass mir im Blick auf die letzte Lebensphase zuerst Menschen einfallen: die Hand meines Mannes, die Sicherheit, die Familie gibt, weil meine Angehörigen mich und meine Bedürfnisse besser kennen, als ich das in Verfügungen klären kann. Dennoch: Dass meine wesentlichen Daten aus den letzten Untersuchungen zusammengeführt und bei einer Ethikberatung gemeinsam besprochen werden können, ist wesentlich. Wenn ich bis zum Ende zu Hause bleiben kann, wird die Technik ermöglichen, dass ich, wenn nötig, auch elektronisch ärztliche Hilfe und Beratung bekomme. Dass die moderne Kommunikationstechnik ermöglicht, über die Sprachfunktion Grüße an meine Freunde zu schreiben, ist wunderbar. Und warum nicht die schönsten Fotos von unseren Reisen an die Wand projizieren? Über heilende Räume in Altenzentren und Kliniken habe ich kürzlich in einem Interview mit dem Klinikseelsorger Stefan Hund gesprochen.

„Digital Mensch bleiben“, diesen Titel hat Volker Jung seinem Buch gegeben, in dem er dem mit den digitalen Möglichkeiten entstehenden Allmachtsgefühl die Besinnung auf unsere Sterblichkeit entgegenstellt – eine ganz andere Auffassung von Memento mori.

Die menschlichen Pflegenden sollen gefeiert werden am 12. Mai, dem Tag der Pflege. Die Diakonie Hessen hat dazu eine Kampagne und eine Fotoausstellung organisiert: „Wir machen starke Frauen in der Pflege sichtbar“. Wenn Sie die Ausstellung in Ihrer Kirchengemeinde oder Diakoniestation besuchen, nehmen Sie doch auch das Themenheft „Von der Gesellschaft ohne Sorge zur sorgenden Gemeinschaft“ mit, es lohnt sich. Aber Sie können sich die tollen Porträts auch einfach online anschauen.

Im evangelischen Diakonieverein Zehlendorf, wo ich ehrenamtlich im Verwaltungsrat mitarbeite, werden nun schon seit 125 Jahren solche starken Frauen in der Pflege ausgebildet und beschäftigt. Zum Jubiläum in Berlin waren mehr als siebenhundert von ihnen gekommen (Interview zum Thema auf www.evangelisch.de).

Mir ist übrigens aufgefallen, dass Alter und Pflege in jüngster Zeit häufiger zu Themen in Romanen werden. Dörte Hansens „Mittagsstunde“ zum Beispiel, in erster Linie eine Geschichte über das Ende der alten Dorfkultur, erzählt auch vom Lebensende eines Paares in der alten Dorfkneipe, in die der Enkel noch einmal zurückgekehrt ist, um seine und ihre Geschichte zu verstehen. Da finden sich wie nebenbei sensible Beschreibungen von Demenz und Pflegebedürftigkeit, die zugleich davon erzählen, wie diese Erfahrungen eingebettet sind in das Leben dieser Menschen, die Geschichten von Leib und Seele. Und Hilmar Klutes „Was dann nachher so schön fliegt“, der Roman über einen jungen Zivildienstleistenden, der Schriftsteller werden will, spielt nicht nur in Paris, sondern auch in einem deutschen Pflegeheim, dessen entfremdete Realität zur Wirklichkeitserfahrung des jungen Schriftstellers wird.

Sorgearbeit zwischen Leben und Tod

In diesem Frühjahr hatte ich Gelegenheit, das „Palliativ- und Sorgenetzwerk“ rund um Andreas Heller zu erleben, der inzwischen in Graz lehrt. Die intensive Tagung unter dem Titel „Horizonte der Sorge“ war voller Inspiration zu den Themen Alter, Pflege und Hospiz, aber auch zu Quartiersarbeit und Gemeinwesendiakonie. Es geht um die Entwicklung einer neuen Sorgekultur, um Achtsamkeit und Nachhaltigkeit in Interaktionen, Organisationen und Netzwerken und nicht zuletzt in der Selbstsorge. Spannend das Forschungsprojekt von Sabine Pleschberger über informelle außerfamiliale Hilfen im sozialen Nahraum und ihre Verknüpfung mit bedarfsorientierten und qualitätsgesicherten formalen Hilfen. Das laufende Projekt mit vielen qualitativen Interviews bestätigt offenbar, wie sehr auch sorgende Gemeinschaften auf professionelle und standardisierte Sorgestrukturen angewiesen sind. Oder freiwillig Engagierte auf hauptamtliche Strukturen. Ich bin gespannt auf die abschließenden Ergebnisse. Und Raymond Voltz von der Uni-Klinik Köln arbeitet mit seinem Team daran, die Stadt zur Compassionate City mit der Klinik als einem Knotenpunkt zu entwickeln – unter Beteiligung von Kitas und Schulen, von Kunst und Kultur. Auch Wohlfahrtsverbände sind beteiligt – und sicher könnten auch die Kirchen noch aktiver dabei sein. Hospizbewegung und Sorgende Gemeinde ist übrigens auch Thema auf den 20. Süddeutschen Hospiztagen am 4. Juli in Bad Herrenalb, bei denen ich auch einen Vortrag halteWie können Kirchengemeinden sich aktiv einbringen in solche lebendigen, unterstützenden Quartiere? Gemeinsam mit der Bundesakademie Kirche und Diakonie plane ich eine zertifizierte Weiterbildung in sechs Modulen, die den Akteuren im Gemeinwesen sowohl Räume der Reflexion eröffnet als auch konkretes Handwerkszeug vermittelt. „Caring Communities. Verantwortungsgemeinschaften managen und gestalten“ unter der gemeinsamen Leitung von Frank Dölker und mir startet am 1. und 2. Oktober 2020 in Berlin. Ausführliche Informationen zu den Inhalten und zum Ablauf finden Sie ab Mai auf meiner Website.

Quartiersentwicklung und Sorgende Gemeinschaften haben schließlich auch die Tagung des Netzwerks Gemeinwesendiakonie in der EKD beschäftigt, bei der ich referieren durfte. Es ist gut zu sehen, wie dieses Arbeitsfeld in der Kirche wächst, an wie vielen Orten sich Stadtteilläden, neue Zentren und Orte der Begegnung entwickeln. Ein Spaziergang durch das Gutleutviertel in Frankfurt ließ das unmittelbar lebendig werden. Und in Velbert, wo ich am 15. Juni einen Vortrag zum Thema auf der Kreissynode halten werde, ist eine neue Vesperkirche entstanden.

Im Rahmen des „Runden Tisches Inklusion“ von Landeskirche und Diakonie in Sachsen ist eine neue virtuelle Plattform entstanden, die ebenfalls ins Quartier und in die Gemeinde führt: Eine Wissens- und Vernetzungsbörse, mit der alle Praktiker*innen unterstützt werden sollen, die sich im Bereich Inklusion engagieren. Sie finden dort Informationen, Handreichungen, Praxisbeispiele und Literaturhinweise auch aus anderen Landeskirchen zu den Bereichen „Grundlagen“, „Inklusive Gottesdienste“, „Gemeindegruppen“, „Bildung“, „Diakonische Arbeit“ sowie „Kirchenmusik und Kultur“.

Dass auch traditionelle Formen von Kirche eine Renaissance erleben, wo es um Sorgenetzwerke im Quartier geht, das möchte ich beim EKD-Besuchsdiensttreffen am 28. Mai in Haus Villigst zeigen: Da geht es dann um Besuchsdienste als Knotenpunkte im Sorgenetz. Übrigens haben EKD und Diakonie Deutschland eine große Quartierstagung am 3. April 2020 im Hamburger Michel geplant – eine Idee, deren Zeit fast überfällig ist! Und wussten Sie, dass das virtuelle Netzwerk www.nebenan.de inzwischen mehr als 900.000 Nutzer hat?

Wenn Sie Lust haben, sich mehr mit dem Thema „Nachbarschaft als Caring Community“ zu beschäftigen, dann hören Sie doch mal an Pfingsten „Am Sonntagmorgen“ im Deutschlandfunk: Um 8.30 läuft meine Sendung zum Thema „Jenseits der Mauern – Nachbarschaft als Caring Community“.

Mauern können aber auch Schutz und Geborgenheit vermitteln. Solche bergenden Mauern habe ich in Hoffmanns Höfen in Frankfurt am Main entdeckt. Dort fand die Tagung des Netzwerks Gemeinwesendiakonie statt – und von meinem Zimmer aus konnte man in einen der Höfe hinuntersehen, wo ein Magnolienbaum blühte in geradezu überwältigender Pracht. Die Tagungsstätte Hoffmanns Höfe ist ein Embrace-Hotel mit inklusivem Team, vielfältig auch im Angebot von Programmen. Das Haus ist die 2006 renovierte und neu konzipierte ehemalige Schwesternschule des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in dessen ehemaliger Zentrale, die ihrerseits inzwischen nach Berlin umgezogen ist. Ich habe es aufgenommen in die Liste meiner Leuchttürme und Traumorte auf der Seele-und-Sorge-Website.

Europa stärken, nach den Sternen greifen

Bergende Mauern sind auch für die Geflüchteten wichtig, die bei uns in Europa Asyl suchen. Seit einiger Zeit sind aber die meisten Türen verschlossen, die private Seenotrettung findet keinen Hafen mehr und auch die Operation Sophia zur Bekämpfung von Menschenschmuggel wurde beendet.

In Kirche und Diakonie machen wir uns stark für den Flüchtlingsschutz und eine offene Gesellschaft. Machen Sie mit bei der Kampagne „Platz für Asyl in Europa“ – zum Beispiel hier.

Der Streit um die Zukunft der europäischen Union schreit nach Beteiligung bei der anstehenden Europawahl. Europa zu stärken, dafür brauchen wir aber auch Diskurse, Projekte und Ideen, die über den Tag hinausgehen. Ich freue mich, dass die Kirchen sich hier sehr hörbar zu Wort melden und auf ihre vielfältigen Initiativen hinweisen. Beispiele sind der Blog von Ulrich Lilie von der Diakonie Deutschland, Unser soziales Europa, und „Diskurse“, der Newsletter der Evangelischen Akademien in Deutschland. Dort fand ich unter anderem dieses Interview, in dem Hanns Christhard Eichhorst, Leiter der Europäischen Akademie in NRW und stellvertretender Vorsitzender des Bundesausschusses politische Bildung, ein leidenschaftliches Plädoyer für Europa und europäisches Engagement hält. Auch der Newsletter des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement vom 10. April enthält einen großen Schwerpunkt zum Thema „Stärkung der europäischen Demokratie“, darunter mehrere Beiträge zu Möglichkeiten zivilgesellschaftlichen Engagements. Einen großen Schritt in Richtung Demokratie und Inklusion haben die Oppositionsparteien im Bundestag Grüne, FDP und Linke schon erreicht, als das Bundesverfassungsgericht ihrem Eilantrag stattgab und beschloss, dass auch Menschen, die aus verschiedenen Gründen der Betreuung bedürfen, wahlberechtigt sind. Das bedeutet für 80.000 Menschen, dass sie bei dieser Europawahl zum ersten Mal ihre Stimme abgeben dürfen. Europa stärken – bei allen Schwierig- und Zähigkeiten sollten wir doch auch den Mut haben, nach den Sternen zu greifen!

Vom Glück des Bücherlesens- und -schreibens

Auch wenn ich mich mehr und mehr im virtuellen Raum aufhalte: Bücher gehen mit durch mein Leben. Selbst wenn das meinen Koffer schwerer macht – ich reise immer mit Büchern. Deswegen finden Sie in meinen Newslettern immer auch Hinweise auf interessante Titel und Bücher von Freunden. Diesmal möchte ich ein kleines Heft von Günter A. Menne empfehlen: „30 Minuten Gutes Coaching“, ein Praxisheft aus dem Gabal-Verlag mit Antworten auf die häufigsten Fragen zu diesem Thema. Gerade weil ich selbst seit einiger Zeit in einer Coaching-Weiterbildung bin, fand ich diese Zusammenfassung sehr treffend und sicher anregend für Interessenten. Günter Menne, lange Jahre Chef der Öffentlichkeitsabteilung im Stadtkirchenverband Köln, kennt Kirche und Wohlfahrtsverbände in ihrer strategischen Ausrichtung, aber auch in ihren Alltagskonflikten. Ein anderer guter Freund, Thomas Mäule, Theologe, Seelsorger und Ethikberater in der Evangelischen Heimstiftung in Baden-Württemberg, hat mit Teresa A. K. Kaya ein Buch über eine Pionierin der Diakonie und „Stuttgarter Jahrhundertfrau“ geschrieben: Dr. Antonie Kraut (1905–2002). Eine Stuttgarter Pionierin und Gründerin der Evangelischen Heimstiftung.

Meine eigenen Bücher wurden zu meiner Freude gerade mit dem Johann-Hinrich-Wichern-Sonderpreis für diakonische Forschung geehrt, weil sie, wie es in der Begründung heißt, „mit vitaler Vielfalt, theologischem Nachdenken und Nachfühlen zeitgemäße Formen von Theologie, Diakonie und gelingendem menschlichen Zusammenleben substanziell und einladend zum Ausdruck“ bringen. Eine schöne Anerkennung, vielleicht aber auch Gelegenheit, die Bücher noch einmal weiter zu empfehlen:

   

Beim Übergang in die dritte Lebens„hälfte“ ist das Bücherschreiben eine produktive Unterbrechung – genauso wie das Reisen. Zurzeit arbeite ich an einem neuen Buch über die Wiederentdeckung von Gemeinschaft in der Singlegesellschaft. Dabei geht es genauso um Sorgende Gemeinschaften wie um Wahlverwandtschaften und Netzwerke, aber auch um die diakonischen Gemeinschaftstraditionen, die gerade große Veränderungen erleben.

Was außer Schreiben und Reisen sonst noch wichtig wird beim Übergang in den „Ruhestand“ und wie man den Weg dahin gestalten kann, dazu biete ich bei „Seele und Sorge“ Vorträge, Workshops und Seminartage an – in diakonischen Unternehmen und gern auch in PastoralkollegsNeben Kunst und Kultur spielen dabei auch freiwilliges Engagement und zivilgesellschaftliche Netze eine Rolle. Darüber spreche ich auch in meinem Vortrag am 13. Mai in Nahstätten bei Bad Ems, wo die Initiative 55 plus Jubiläum feiert: „Auf ein Neues – Junge Alte gestalten Zivilgesellschaft“. „Weil es Spaß macht und uns allen nutzt – gemeinsam aktiv werden“ habe ich meinen Vortrag genannt.

Leben im Augenblick

Sehen wir uns beim Kirchentag in Dortmund? Auch da bin ich engagiert beim Thema Älterwerden – diesmal mit der Moderation eines Podiums zur Arbeit der Zukunft am 20. Juni mit Stefan Sell, Margaret Heckel, Peter Hartz, Ulrich Lilie und Regine Neumann-Busies.

Es kommt nicht drauf an, dem Leben Jahre zu geben, sondern den Jahren Leben, heißt ein bekanntes Sprichwort. Die Dichterin Rose Ausländer war da noch radikaler. Sie hat die Radikalität des Totenkopfs, des Memento mori, von dem ich eingangs gesprochen habe. Aber auch bei ihr ist es der erfüllte Augenblick, den sie preist:*

Der Moment

Ich habe nichts als
die Nacht aus
100 x 100 Nebellichtjahren

Ich habe nichts als
die Stunde aus
60 x 60 Sekunden

Ich habe nichts als den Moment

Der Moment ist meine Schöpfung
die Brücke von meinem
Staubgeist zum Sterngeist
Der Moment ist mein Flügel
zum Flügel des nächsten Moments

Ich habe nichts als den Flügel
Ich habe nichts als die Schöpfung
Ich habe nichts als den Moment

Den wünsche ich Ihnen, diesen Augenblick, den Auferstehungsmoment, in dem das Leben siegt.

Falls Sie über Ostern eine kleine Städtereise unternehmen möchten, empfehle ich Ihnen Leipzig, wo noch immer der große Aufbruch spürbar ist. Vielleicht besuchen Sie dort das so schöne wie sympathische Inklusionshotel Philippus, in dem auch eine der Stationen unserer Fortbildungsveranstaltung zu Caring Communitys stattfinden wird.

Zu meinem Lektüretipp für Ostern hat mich auch die Tagung in Graz inspiriert, es ist das Buch einer der Referentinnen: Isabella Guanzini, Zärtlichkeit. Eine Philosophie der sanften Macht. „Denn Zärtlichkeit ist mehr als nur ein Wohlgefühl. Sie ist eine geistige Haltung, mit der wir sanft – und nicht durch Härte – das eigentliche Potenzial des menschlichen Lebens freisetzen und uns zugleich aus der zermürbenden mentalen Erschöpfung unserer Zeit befreien können.

Manchmal müssen wir dazu geweckt werden. Die Osterglocken können solch einen Weckton aussenden. Ganz sicher läuten auch in Münster die Osterglocken und die Türmerin bläst einen besonderen Gruß. Im Januar, als ich dort war, habe ich sie gehört – und Martje Saljés tollen Blog entdeckt. Sie finden den Blog auch beim Stöbern auf meiner Linkliste.

Ich wünsche Ihnen frohe Ostern! Und helles Osterglockenläuten in den Gärten wie auf den Türmen.

Ihre Cornelia Coenen-Marx

Facebook
Texte und Bilder, wo nicht anders angegeben © Cornelia Coenen-Marx