Pflege und Digitalisierung

1. Kümmerer und Sorgenetze

Pflegeroboter oder Pflegeheim? Für was würden Sie sich entscheiden, wenn Sie die Wahl hätten? Die Antwort ist eindeutig. In einer Befragung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zeigte sich: 83 Prozent von rund 1000 Befragten können sich vorstellen, einen Service-Roboter zu Hause zu nutzen, wenn sie dadurch im Alter länger zu Hause leben könnten. Klaus Dörners Satz „ Ich will leben und sterben, wo ich zu Hause bin“, ist längst allgemeine Überzeugung- schließlich ist mein Zuhause der einzige Ort, wo ich meine Rhythmen und Zeiten, Einrichtung und Ordnung selbst in der Hand habe. Und Selbstbestimmung, auch im Alter, ist für uns alle wichtig. Immerhin 43 Prozent der Älteren leben heute allein.

Smart homes und elektronische Haushaltshilfen können dabei helfen. Licht- und Heizungssteuerung, elektronischer Rollladen, Bewegungs- und Wassermelder können enorm hilfreich sein, wenn die Mobilität eingeschränkt ist. Eine Elektronikfirma wirbt mit dem Slogan „ Das Zuhause, das sich kümmert. Und der Roboterassistent Care-O-bot, der am Fraunhoferinstitut entwickelt wurde, kann hier wie eine Haushaltshilfe einzelne Alltagstätigkeiten übernehmen. Er kann sich selbstständig im Haus bewegen, Gegenstände und Gesichter erkennen, die Gegenstände aufnehmen und weitergeben. oder erleichtern. Und Hausnotrufsysteme gehören natürlich auch dazu. Und Telefonketten, auch per Bildschirm und Skype werden an vielen Stellen erprobt. Vernetzte Kameras allerdings, mit denen man wie mit Babyphone beobachten kann, was im Haus vorgeht, erinnern mich an den „Circle“, den Roman aus dem Silicon Valley, in dem eine Mitarbeiterin ein System testet, das die Gesundheit ihrer Eltern kontrolliert – und ihnen damit jede Privatsphäre und jedes Geheimnis raubt. Wo ist der Umschlagpunkt, der den Wunsch nach Autonomie in Abhängigkeit verkehrt?

„ Das Zuhause, das sich kümmert“ trifft unsere Sehnsucht. In der Quartiers- und Nachbarschaftsarbeit hat der „Kümmerer“ Konjunktur. Denn letztlich besteht das Zuhause eben nicht nur aus vier Wänden; wichtig sind auch die Menschen, die ich kenne, die mich kennen- Nachbarschaftsnetze und „Sorgende Gemeinschaften“. Menschen, die nach mir sehen, wenn ich frisch aus dem Krankenhaus entlassen bin. Die schauen, ob der Briefkasten geleert wird, die Rollladen hoch gezogen sind. Die fragen, ob sie etwas vom Discounter mitbringen oder mich zum Arzt fahren können. Im letzten Freiwilligensurvey wurden diese kleinen, informellen Nachbarschaftsdienste untersucht – immerhin 25 Prozent kümmern sich auf diese Weise. Und alle Befragten gaben an, dass das der Lebensqualität im Viertel gut tut. Sorgende Gemeinschaften sind eben auch Netzwerke gegen die Einsamkeit.

Was ändert sich, wenn die Rollladen elektronisch hochgefahren werden, die Post nur noch elektronisch ankommt und die Lebensmittel vom Supermarkt gebracht werden, so wie der intelligente Kühlschrank sie bestellt? Schwindet die Aufmerksamkeit, wenn die Elektronik uns entlastet? Denn selbstverständlich verändert die Technikentwicklung auch unsere Sozialkultur; denken Sie nur daran, dass Kinder sich heute per Smartphone zum Spielen verabreden, während sie früher einfach auf die Straße gingen. Und dass sie über WhatsApp jederzeit Kontakt auch zu den Eltern haben. Die so genannten Helikoptereltern können ihre Kids längst per GPS tracken.

In der Telemedizin gibt es längst Kontrollsysteme, die durch am Körper angebrachte Sensoren überwachen, ob es einem Patienten, der nach einer Operation aus der Klinik entlassen wird, auch tatsächlich gut geht; die Arzt und Patient oder Patientin per SMS informieren. Und auch im jüngeren Technologiefeld Assistend Living (AAL) wird bereits an der Entwicklung von Kleidung mit Kontrollsystemen gearbeitet. Entsprechende Sport-Shirts kann man längst kaufen. Eingearbeitet Sensoren messen Blutdruck, Herzfrequenz und Atmung rund um die Uhr und können bei Gefahr zur Hilfe alarmieren. Der mobile Heimassistent Hobbit erinnert an die regelmäßige Medikamenteneinnahme, kann Sturzhindernisse beseitigen und im Notfall Hilfe verständigen.

In schrumpfenden Regionen, wo die Jüngeren ein – und auspendeln, die soziale Infrastruktur schwindet und kaum noch Hausärzte zu finden sind, werden die technischen Möglichkeiten in der Medizin immer wichtiger. Hier kehren die alten Modelle der Gemeindeschwestern zurück- technisch aufgerüstete Diakonissen geben Arzt oder Ärztin die wichtigsten Gesundheitsdaten elektronisch weiter und ermöglichen Patientengespräche mit einer Art elektronisch gesichertem Skype-System. Die Akzeptanz dieser Technologien wird mit jeder Generation immer größer- es ist nur ein kleiner Schritt von Skype zur Telemedizin, vom Fitnesstracker zum Smart Home. Vorausgesetzt, die elektronischen Netze funktionieren, ist heute vieles möglich.

Aber so wie das Smart home im Notfall die Nachbarschaft braucht, braucht die Telemedizin die Gemeindeschwester, die Besuche macht- und dann auch die Sorgenetze aktiviert. Damit wird die Aufgabe der ambulanten Pflege immer anspruchsvoller – sie soll pflegefachlich, technisch, organisatorisch begleiten. Zugleich allerdings ist gerade dieser Bereich unterfinanziert und leidet unter Fachkräftemangel. In Hannover haben Diakonie und AWO gerade damit gedroht, diesen Dienst aufzugeben.

 

2. Herausforderungen und Chancen – nüchtern betrachtet

In Deutschland gibt es knapp drei Millionen pflegebedürftige Menschen. Und schon jetzt einen eklatanten Mangel an Pflegekräften- vermutlich fehlen etwas 36.000 Pflegende. Die Pflege sei eine extreme Belastung, sagt der Gründer des Robotikherstellers Boston Dynamics Marc Raibert auf der Cebit. Er sei froh, dass das bald seine Roboter übernehmen könnten. Was ist das: Arroganz oder Unkenntnis? Es sei ein Übersetzungsfehler, überhaupt von Pflegerobotern, meint Christian Buhtz. Er arbeitet im Forschungsprojekt FORMAT an der Medizinischen Fakultät in Halle-Wittenberg, in dem Bildungs- und Weiterbildungsangebote zur Erhaltung der Autonomie im Alter entwickelt werden. Der Gedanke, dass Roboter Pflege ersetzen könnten, käme von einem beinahe diskriminierenden und sehr verkürzten Verständnis pflegerischen Handeln, meint Buhtz. Das werde der individuellen und komplexen Pflegebeziehung nicht gerecht. Ich denke, seitdem die Pflege so ökonomisiert und funktionalisiert wurde, dass Pflegekräfte sich wie selbst Roboter fühlen, meinen offenbar einige, sie gleich durch Technik ersetzen zu können. Inzwischen kann man schon T-Shirts mit der Aufschrift: „ Ich bin kein Pflegeroboter“ bestellen.

„Auch ohne Roboter gleichen die heutigen Abläufe …einer Abfertigung, die den Menschen zum Sachgegenstand macht“, schreibt Adelheid v. Stössel, selbst Pflegende. Die technokratische Herangehensweise zeigt sich in der Sprache wie in den Strukturen: „Wie viele Bewohner hast du heute geschafft (gewaschen, gewindelt, angezogen)?“. Das Fatale an dieser gängigen Praxis ist, dass sie den Menschen auf seine körperliche Existenz reduziert. Man erkennt die so versorgten (entsorgten) an ihren ausdrucksleeren Augen und ihrer apathischen Haltung“. „ Leere Hüllen“ sagen manche, seelenlose Körper – das ist schon eine Ironie im Zeitalter humanoider Roboter, die ja genau das sind. Menschen brauchen Menschen, sie brauchen Seel-Sorge, um sich zu spüren.

Wenn wir wollen, dass ältere Menschen möglichst lange in unserem Umfeld bleiben können, selbst, wenn Unterstützung und Pflege nötig werden, dann muss Pflege besser wertgeschätzt werden – bei den pflegenden Angehörigen wie bei den Profis, vom Pflegegeld bis zur Lebensleistungsrente. Dabei geht es auch darum, die Aspekte der traditionellen Diakonissen- und Gemeindeschwesternarbeit, die weniger Pflege als Sozialarbeit oder Seelsorge waren, wieder zu gewinnen. Aus der Sozialstation muss ein multiprofessionelles Team werden – verknüpft auch mit den neuen Unterstützungsdiensten und Pflegeassistenzsystemen. Zu einer guten Versorgung im Quartier gehört eine funktionierende Zusammenarbeit der Sozialstationen mit Ärzten und Beratungsstellen, Betreutem Wohnen, Tagespflege und Kurzzeitpflege, mit der SAPV, aber auch mit Nachbarn und Netzwerken im Gemeinwesen und Kirchengemeinden. Dabei ist es auch wichtig, Familien und Nachbarschaften in die Nutzung von technischen Assistenzsystemen einzuführen- zum Beispiel in leicht zugänglichen Musterhäusern oder gut ausgestatteten Mehrgenerationenhäusern. Pflegende Angehörige kennen diese einfachen technologischen Unterstützungsmaßnahmen oft nicht und sind deswegen im Alltag immer noch Belastungen ausgesetzt, die eigentlich inzwischen nicht mehr sein müssten.

Merkwürdigerweise sind aber nicht die Pflegeassistenzsysteme, sondern die sozialen Roboter von Typ Pepper oder Robby die Vorreiter der Bewegung. Die humanoiden Roboter, die auf Kommunikation, Unterhaltung und Information spezialisiert sind, sind am weitesten entwickelt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat in sozialen Robotern Helfer vor allem in der Seniorenbetreuung erkannt – und fördert Pilotprojekte in diesem Bereich momentan mit fast zehn Millionen Euro. Mittlerweile sind weltweit über 4.000 Paro-Robben in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen im Einsatz. In mehr als 30 Ländern wird die Robbe in der Palliativbetreuung von Krebspatienten oder bei Kindern mit Autismus eingesetzt – vor allem aber bei demenzkranken Menschen und Senioren .Die Kosten pro Robbe liegen bei zirka 5.000 Euro. In Deutschland nutzen über 40 Pflegeeinrichtungen. „Ihre braunen Kulleraugen und das weiche weiße Fell machen dieses Tier zu einem Wesen, dass keine Angst auslöst und instinktiv gestreichelt werden will. Jedenfalls sind alle bisherigen Anwendergruppen total begeistert von der anregend positiven Wirkung dieser Robbe. Damit erklärt sich ihr Wert fast von selbst. Außerdem hat das Kunsttier gegenüber einem echten Tier den großen Vorteil, dass es jederzeit einsetzbar ist und nie unerwünschte Reaktionen zeigt .Ausgebildete Hunde kosten einige tausend Euro. Dafür besitzen sie jedoch Fähigkeiten, die man keinem Kunsttier einbauen könnte. Sie erspüren, wenn etwas nicht stimmt, und sprechen den Menschen auf der Beziehungsebene an“, schreibt Adelheid von Stössel. Das beschreibt Atul Gawande in seinem Buch „ Sterblich sein“: er hat dafür gesorgt, dass Vogelvolieren Leben, wechselseitige Verantwortung, Gäste und neue Debatten in ein amerikanisches Pflegeheim brachten. Zur Freude auch der Demenzkranken.

Soziale Roboter können mit Menschen interagieren, sie sind außerdem in der Lage zu lernen: Sie schauen sich Verhaltensmuster ab und erkennen nach einiger Zeit Stimmen und natürlich auch Gesichter. Ein Team aus Wissenschaftlern der Universität Siegen und der Fachhochschule in Kiel hat den Pflegeroboter „Pepper“ im letzten Jahr versuchsweise für die Betreuung von Senioren programmiert und in den ersten Altenheimen getestet. Per Knopfdruck faltet die Maschine ihre Arme auseinander, simuliert Tanzbewegungen und erzählt Witze. Ich kann allerdings nicht umhin mir vorzustellen, wie viel schöner und lebendiger der Besuch einer Schulklasse oder einer Tageseinrichtung wäre. Aber Emma, die regelmäßig mit Gedächtnisspiele treibt, kann auch automatisch die Leistungen messen und aufzeichnen. Sie kann damit die Entwicklung einer Demenz exakt dokumentieren – eine Aufgabe, die bisher Pflegekräfte wahrnehmen. Langfristig soll Emma ans Internet angeschlossen werden, um von dort Software-Updates zu bekommen und in Clouds ihre Daten aufzubewahren. Wird Emma irgendwann nicht nur Krankheitsverläufe nachzeichnen, sondern auch Diagnosen stellen?

Wenn die sozialen Roboter intelligenter werden geht es auch um Haftung. Bis jetzt haften die Roboter-Hersteller sowie die Einrichtungen, die die Roboter nutzen, wenn etwas passiert. Jetzt werden auch die Kranken- und Pflegekassen aufmerksam. „Bis die Forschung so weit ist, dass Roboter in den Pflegealltag integriert werden können und Pflegende und pflegende Angehörige unterstützen, braucht es ganz klare gesetzliche Regelungen der Politik in puncto Qualität, Haftung und Finanzierung“; sagt Heiner Beckmann, der Geschäftsführer der Barmer in NRW.

 

3. Vernetzt und verantwortlich

Mit all dem werden die Pflegekräfte schon bald verantwortlich umgehen müssen. Die FH Kiel will mittelfristig Pflegekräfte ausbilden, die mit digitalen Technologien vertraut sind. Vielleicht kann es den Pflegeberuf für Nachwuchskräfte sogar aufwerten, wenn er ein Hightech-Image bekommt. Doch viele, die jetzt schon in der Branche arbeiten, fühlen sich durch diese Entwicklung eher bedroht. Das zeigt eine Umfrage der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, die auf dem Pflegetag im März in Berlin präsentiert wurde. Ein Fünftel aller Befragten gab an, schon Erfahrungen mit Robotik zu haben. Meist wurden die neuen Techniken und Programme als Überforderung empfunden. Positiv wurden hingegen solche Geräte bewertet, die belastende Arbeiten übernehmen. Zum Beispiel der Lifter, ein Trageroboter, der Menschen aus dem Bett in den Rollstuhl heben kann. Viele Pfleger und Pflegerinnen klagen über Rückenleiden und erleben hier eine Erleichterung.

In Zukunft muss viel stärker auf die Bedürfnisse und Ansprüche derjenigen eingegangen werden, die direkt vom Einsatz der robotischen Systeme betroffen sind: der Pflegekräfte und Pflegebedürftigen also. Was müssen sie im Vorfeld über die Roboter wissen, was nicht? Müssen sich Ausbildungsinhalte verändern, künftige Pflegerinnen womöglich programmieren lernen? An welchen Stellen können Roboter entlasten? Wo gibt es mögliche Reibungspunkte? Ein Assistenzsystem, das der Pflegekraft zum Beispiel sagt, zu welchem Patienten sie zuerst gehen soll, greift deutlich in deren Kompetenzbereich ein. In einer Einzelfallstudie in Japan schalteten Pflegekräfte die Roboter aus: Die permanente Aufzeichnung durch die Systeme leicht zu einem Gefühl, überwacht und entmündigt zu werden. Dabei besteht die zentrale Erwartung von Mitarbeitenden darin, mit den eigenen Kompetenzen gesehen zu werden und Veränderungsprozesse aktiv mitzugestalten. Das niederländische Pflegemodell der buurtzorg fasziniert auch deswegen so viele, weil es den Mitarbeitenden zutraut, über die individuellen Zeittakte und den notwendigen Sorgeaufwand bei ihren Patientinnen und Patienten zu entscheiden; hier eröffnet die digitale Unterstützung Freiräume. Die Entwicklung einer neuen Sozialkultur lebt von gemeinsamer Verantwortung und Kommunikation mit Patienten wie Zugehörigen. Digitalisierung kann dabei unterstützend wirken. Aber sie kann die unmittelbare, existenzielle Kommunikation nicht ersetzen.

„Wir müssen erst mal in der Politik ganz klar darstellen, wenn wir über Digitalisierung und Robotik in der Pflege reden, was meinen wir damit? Unterstützung: Werkzeuge, die die Arbeit für pflegende Angehörige und für Pflegende denn dann erleichtern, aber niemals ersetzen. Denn Pflege ist Kommunikation, soziale Kommunikation und kann nur von Mensch zu Mensch dann auch umgesetzt werden“, sagt Andreas Westerfellhaus, der Bevollmächtigte der Bundesregierung für Pflege. Pflege lebt von Emotionen. Von Menschen also, die selbst leidensfähig und liebesfähig sind, die ein Bewusstsein der eigenen Endlichkeit haben und empathisch mitfühlen. Dazu gehört eben auch die Fähigkeit, Wünsche, Bedürfnisse zu erkennen, ohne dass diese geäußert werden. Katharina Schenk, die Leiterin der „Tagesgestaltung“ eines Seniorenheims, glaubt, gerade dementiell veränderte Bewohner, die Pepper oder Robby, die Puppen, vielleicht wirklich als lebendes Wesen sehen, wären völlig überfordert, wenn wir sie damit alleine lassen.

Die Autorin Siri Hustvedt beschreibt, wie sie als kleines Mädchen ihre Puppen geliebt hat:“ Sie litten, liebten, stritten, weinten, lachten und führen lange liebevolle und auch mal gehässige Gespräche miteinander. Eine dieser Puppen aus meiner Kindheit konnte sprechen. Wenn ich an einer Schnur in ihrem Nacken zog und dann losließ, begann sie zu wimmern: „ Mama“ oder „ Spiel mit mir“. Bei meinen ausgetüftelten Spielen waren diese Äußerungen nicht nur völlig unnötig, schlimmer noch, sie schienen die Tatsache, dass die Puppe nur ein hohles, lebloses Ding aus Plastik war, noch deutlicher zu betonen, anstatt sie zu kaschieren, und ich fand ihre Stimme verstörend. …“ Wie ist das bei Menschen mit Demenzerkrankung? Kurze Augenblicke der Erkenntnis können zu Augenblicken der Verstörung werden. Die Begleitung von Fachkräften gerade dann besonders wichtig.

 

4. Werte stützen, Daten schützen

Nach einer repräsentativen Umfrage für den Digitalverband Bitkom ist eine Mehrheit der Bundesbürger von einem künftigen Einsatz von Robotertechnik in der Pflege überzeugt. 57 Prozent der 1004 Befragten über 18 Jahre rechnen in zehn Jahren mit Roboter-Unterstützung für Pflegekräfte bei schweren Arbeiten, etwa in Form von Roboterarmen und Exoskeletten. Etwas skeptischer bewerten die Befragten Service-Roboter, die etwa Essen zubereiten und servieren – aber noch 45 Prozent der Befragten halten dies für wahrscheinlich. Vom Einsatz von „Kuschel-Robotern“, die sich mit den Pflegebedürftigen unterhalten können und Emotionen zeigen, sind dagegen nur 28 Prozent der Befragten überzeugt. Das zeigt eindrücklich, wie wichtig eine Diskussion über ethische Werte ist – schließlich kommt eine derartige Technologie dem Menschen besonders nahe und betrifft ihn in seinem Intimbereich. Offenbar versuchen manche schon jetzt, sich mit einer speziellen Patientenverfügung gegen den Einsatz von pflegenden Robotern zu wehren.

„Es wäre eine menschliche Kapitulationserklärung, wenn wir eines Tages tatsächlich versuchen würden, Zuneigung und Empathie über Roboter zu transportieren“, sagt Axel Walz vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb. Er sieht grundsätzlich keine Rechtfertigung für androide Roboter, das heißt solche Roboter, die möglichst menschliche Züge aufweisen. Zwar beziehe sich das Klonierungsverbot primär auf die biologische Reproduktion. “Sinn und Zweck des Verbots ist es aber, die Singularität menschlichen Lebens zu schützen“, seine Gott geschaffene Unverwechselbarkeit also. Die sieht er nun genauso bedroht, wenn jemand eine biomechanische Kopie erstellt. Die damit einhergehende Objektivierung des Menschen würde, so meint er, klar gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstoßen.

Im Pflegebereich gibt es eigentlich keinen Grund für den Einsatz androider Roboter, Pflegeroboter sollen menschliche Arbeitskräfte nicht ersetzen, sondern bestenfalls unterstützen – vor allem im Rahmen wiederkehrender, mechanischer Tätigkeiten. Ich hoffe darauf, dass wir Roboter in Pflegeheimen so einzusetzen können, dass das Personal tatsächlich mehr Zeit für persönliche Zuwendung und Begleitung hat. In ihrem neuen Buch „Berührungslose Gesellschaft“ beschreibt die Journalistin Elisabeth von Thadden, wie sehr wir uns nach menschlicher Berührung sehnen – und wie groß die Angst davor ist. Pflege ist Berührung: Vom Waschen bis zum Essen reichen, vom Toilettengang bis zum Rollstuhlschieben. Bei manchem löst das Angst und Ekel aus – bei anderen Bewunderung. So stark unsere Sehnsucht nach Nähe ist, so groß ist unsere Angst vor Abhängigkeit. Es spricht deshalb nichts dagegen, dass Assistenzsysteme uns darin unterstützen, möglichst lange autonom zu bleiben.

Je hilfeabhängiger ein Mensch ist, desto wichtiger ist aber auch der Wunsch, verstanden und geliebt zu werden. Gerade die Körperpflege bietet eine Gelegenheit, über die Berührung in Kontakt mit dem Menschen zu treten. Selbst Bewusstlose entspannen oder verkrampfen, je nachdem, wie sie berührt werden- was sich an Herzfrequenz und Atmung unmittelbar erkennen lässt. „Wer erlebt hat, wie positiv alte Menschen mit Demenz auf eine ihnen angenehme Berührung reagieren, kommt im Traum nicht auf die Idee, für die Körperpflege von Kranken Roboter einsetzen zu wollen“, schreibt Adelheid v. Stössel. Und Siri Hustvedt, die sich intensiv mit der Bedeutung unseres Körpers für Denken und Kommunikation beschäftigt hat, befasst sich mit der Synchronisierung des Blicks, der Stimme, der Affekte und Gefühle zwischen Eltern und ihren hilflosen Babys. Selbst ohne Berührung, nur bei face-to-face-Kommunikation passt sich ihre Herzfrequenz an. Das ist bei einem körperlosen Gegenüber nicht möglich, auch wenn die Maschine die menschliche Mimik und Emotion nachahmen kann. Hustvedts Buch heißt bezeichnenderweise: „ Die Illusion der Gewissheit“.

Robby kann nicht wirklich Gegenüber sein und Geborgenheit geben. Wird er den Patienten entmündigen oder haben doch die individuellen Vorstellungen des Menschen Vorrang? Wie kann sichergestellt sein, dass Pflegeroboter nicht gehackt werden? Schließlich verfügen sie über die sensibelsten aller personenbezogenen Daten, wissen über Gesundheit und Gewohnheiten eines Pflegebedürftigen Bescheid. „Mit Hilfe von Robotern lässt sich der heute oft beklagte Bürokratismus nicht nur abbauen, sondern eine viel genauere und umfassendere Datensammlung und -verarbeitung erreichen“, schreibt v. Stoessel ironisch. Die Roboter im Jahre X würden personenbezogen alles registrieren, was sich messen und zuordnen lässt. Trinkprotokolle, Menge und Zusammensetzung der Nahrung, der Ausscheidung, sämtliche Maßnahmen. Alles würde mit genauem Datum/Uhrzeit zentral abrufbar festgehalten. Was hätte das für Vorteile: Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) bräuchte gar nicht mehr ins Heim zu kommen“, schreibt v.Stössel

Hinter diesem Sarkasmus zeigt sich die Enttäuschung über eine Qualitätskontrolle, die sich häufig an bloßen Daten und Kennzahlen festmacht, eine Pflege, die nur noch funktionieren soll. Da melden sich Pflegende zu Wort, die sich selbst schon wie Roboter fühlen. Deshalb ist aus meiner Sicht die wichtigste Konsequenz: Die Entwicklung von Pflegerobotern darf die soziale und kulturelle Qualitätsentwicklung in den Häusern nicht aus dem Blick lassen. Dabei – wie bei der technischen Weiterentwicklung der Assistenzsysteme müssen Pflegende von Anfang an einbezogen werden. Zugleich müssen deshalb rechtliche und ethische Aspekte berücksichtigt werden, um den Bedürfnissen von Patienten und von Pflegekräften gerecht zu werden.

Nähe und Sinn, die wichtigsten Bedürfnisse vor allem sterbender Patienten müssen im Focus aller Arbeit bleiben. Wir können unsere existenzielle Kommunikation und unsere menschlichen Beziehungen nicht an technische Systeme externalisieren wie die Ortskenntnis an den Navi oder den Kalender ans Smartphone, ohne selbst zu verarmen. Pflegebedürftige müssen sicher sein, dass nicht mehr Daten als unbedingt nötig erfasst werden und diese geschützt sind. Zudem dürfen Roboter die Patienten nicht bevormunden. Schließlich müssen auch die Pflegenden vor Überwachung geschützt werden; der Einsatz robotischer Systeme sollte sich auf wiederkehrende mechanische Tätigkeiten beschränken. Ein rechtlicher Rahmen kann die Akzeptanz für den Einsatz von Pflegerobotern stärken. Dazu braucht es interdisziplinäre, praxisorientierte Konsultationen. Wir sind keine Roboter, aber wir sollten sie nutzen, wo es das Miteinander erleichtert.

Cornelia Coenen-Marx, Darmstadt, 6.4.19