Kirche und Engagement

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Interview mit Perdita Wünsch – Referentin für Ehrenamtliche, Diakonin, Freiwilligenmanagerin

„Die evangelische Kirche ist eine Ehrenamtskirche“. Wirklich? Der Satz, den ich voriges Jahr in einem Interview verwendet habe, ist offenbar strittig und provokativ. Manche meinen, er leugne die realen Strukturen und Machtverhältnisse- schließlich sind es die meisten hauptamtlichen „ Funktionsträger“, die die wesentlichen Entscheidungen über Finanzen, Immobilien, Arbeitsschwerpunkte, kurz, die „zukünftige Aufstellung“ der Kirche treffen. Manche meinen, der Satz sei ideologisch, weil er die evangelische Überzeugung vom Priestertum aller Getauften nutze, wenn der Stellenplan enger würde und die Ehrenamtlichen als „Lückenbüßer“ ran müssten- ganz so, wie es überall in Kommunen, im Sozialwesen, in Kultureinrichtungen der Fall ist. Nein, Ehrenamtliche können den überkommenden „ Amtsbetrieb“ nicht so aufrechterhalten wie er war – und sie sollten es auch nicht tun! Wenn ich sage, „ evangelische Kirche ist Ehrenamtskirche“, dann meine ich etwas anderes: Es sind die so genannten Laien, die freiwillig Engagierten, Christinnen und Christen mit ihren alltäglichen Glaubenserfahrungen und Glaubensfragen, die die Kirche der Zukunft gestalten und ihr Erscheinungsbild prägen werden. Jedenfalls hoffe ich das. Denn die gesellschaftliche Anschlussfähigkeit der Kirche, ihre Glaubwürdigkeit und ihre missionarische Kraft entscheiden sich daran, ob die Kirche als offene Gemeinschaft der Christinnen und Christen in unserem Alltag lebendig ist. Link zum Vortrag „Im Widerstreit der Meinungen“

Etwas von dieser Kraft, aber auch von den notwendigen Zweifeln und Fragen habe ich zuletzt wieder auf dem Kirchentag in Stuttgart gespürt- am Ehrenamtstand auf dem Markt der Möglichkeiten. Schon vor Jahren hat die Hannoversche Landeskirche als eine der ersten ihre Arbeit mit Ehrenamtlichen dort zum Thema gemacht. Initiatorin war Perdita Wünsch. Die Präsentation, die sie mit ihrem Team vorbereitet hat, war von Anfang an so attraktiv und ideenreich, dass inzwischen viele Landeskirchen und auch die EKD gefolgt sind. Dieses Jahr hatten alle gemeinsam einen richtig großen Platz mit Informationen, Beratung und jeder Menge anderer Angebote. Dazu habe ich Perdita Wünsch gefragt:

Cornelia Coenen-Marx: Was waren rückblickend die drei Ideen, die bei den Besuchern am besten angekommen sind?

Perdita Wünsch: Am besten ist bei den Besuchern und Besucherinnen angekommen, dass sie erfahrene, in der Mehrzahl selbst ehrenamtlich engagierte Menschen treffen konnten, die sich in der Ehrenamtskoordination, in der Sorge für gute Rahmenbedingungen, in der Lobbyarbeit für Ehrenamtliche engagieren. Man konnte sich für 5, 10 oder 15 Minuten an einen Bistrotisch setzen und sich bei einem Kaffee austauschen. Oder mit einer Person aus dem Team den Parcours der 5 Sinne des Ehrenamtes abgehen und über die Fragen sprechen, die sich dabei stellten: Wie schmeckt Ihnen Ihr Ehrenamt, wovon haben Sie die Nase voll, welches Gefühl verbinden Sie damit, hören Sie sich Ehrenamt mal an, wen sehen Sie von den Personen in welchem Ehrenamt ? Und auch die Materialien für die Praxis, die wir weitergeben konnten, erfreuten sich großer Beliebtheit: zum Beispiel die 12 Standards für das Ehrenamt mit Checklisten und Materialien zur Umsetzung oder das Handbuch für Ehrenamtliche.

Cornelia Coenen-Marx: Wenn Sie auf Ihre Kirchentagsarbeit zurück blicken: Was hat sich in den letzten Jahren bei den Besuchern verändert? Spiegelt sich darin etwas von Veränderungsprozessen in der Kirche ?

Perdita Wünsch: Manche Besucher und Besucherinnen kamen zu unserem Stand, weil sie auf vorangegangenen Kirchentagen schon mal da waren und den aktuellen Austausch suchten. Das freute (und ehrteJ) unser Team sehr! Die Erfahrungen, mit denen die Ehrenamtlichen kamen, haben sich glücklicherweise spürbar verändert. 2009 noch kamen die meisten Besucher und Besucherinnen mit haarsträubenden Geschichten von mangelnder Wertschätzung, fehlender Ermöglichung bis Behinderung im Engagement oder dem Machtgebaren Hauptamtlicher. Mittlerweile hören wir mehr von ersten Schritten zu besserer Unterstützung- z.B. durch verlässlichere Auslagenerstattung, neuen Möglichkeiten zum Austausch oder der Ermöglichung von Fortbildung. Und auch die selbständige Übernahme von Verantwortung scheint selbstverständlicher zu werden. Den Leitungsgremien wie bei den Pfarrerinnen und Pfarrern scheint allmählich bewusst zu werden, dass man andere Menschen nur noch mit planvollem Handeln, für ein Ehrenamt gewinnen und im Engagement halten kann. Dazu gehört es, Aufgaben gut zu beschreiben im Blick auf die Kompetenzen wie auf das Zeitbudget. Darum waren viele Besucher so nachhaltig angetan von unseren 12 Standards für das Ehrenamt: Weil sie „endlich mal schriftlich festhalten, was wichtig ist für das Ehrenamt zu bedenken, damit es auch Freude macht“. So stand es an unserer Feedbackwand.

Cornelia Coenen-Marx: Und wenn Sie nach vorn schauen: was ist aus Ihrer Sicht unbedingt nötig, um das freiwillige Engagement in der Kirche weiter zu entwickeln?

Perdita Wünsch: ich denke, es ist sehr wichtig, dass Menschen spüren: hier kann ich mich an der Gestaltung von Kirche beteiligen mit meinen Kompetenzen und Leidenschaften, so wie ich bin und wie mein Leben gerade aussieht. In jedem Alter, mobil oder immobil, selbst wenn ich nur Zeit für ein Projekt habe. Dafür finde ich Zutrauen, Ermutigung und die nötige Unterstützung durch verlässliche Ansprechpartner- die nötigen Rahmenbedingungen, aber auch geistliche Begleitung. Menschen bei ihrem Engagement zu unterstützen, ist die Aufgabe der Kirchen. Und wo sie Ehrenamtliche für bestimmte Aufgaben suchen, da sollte in den Beschreibungen erkennbar werden, wozu sie gemacht werden (sollen). Das ist uns leider immer noch sehr fremd. Deshalb brauchen wir noch eine ganze Zeit Koordinatoren und Koordinatorinnen oder Beauftragte , die dieses Bewusstsein wach halten und Neues voran bringen – am besten in Teams aus beruflich und ehrenamtlich Tätigen.

Cornelia Coenen-Marx: Ein Dank an Perdita Wünsch für dieses Interview! Am Ehrenamtsstand in Stuttgart war etwas spürbar von diesem Geist , von der Begeisterung der Engagierten. Am 25. September treffen sich übrigens beruflich und freiwillig Engagierte wieder zu einer ökumenischen Tagung in Berlin, um über die Perspektiven des kirchlichen und gesellschaftlichen Engagements zu beraten ( Ökumenische Tagung zum ehrenamtlichen Engagement in Kirche und Gesellschaft). Perdita Wünsch und das Team vom Kirchentag werden auch dabei sein. Mehr zu der ökumenischen Bewegung, die dahinter steht, unter www.wir-engagieren-uns.com


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