„Zeig Dich“.

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„Zeig dich!“ heißt die diesjährige Fastenaktion der evangelischen Kirche. Eine Ermutigung, so sichtbar zu werden, wie wir sind. Und zugleich eine Bitte, dass Gott sich zeigen möge, wenn wir uns nach ihm sehnen. In Krankheit zum Beispiel. Wenn wir von einem Arzt zum anderen geschickt werden. Oder wenn wir vor einer Operation stehen, schon vorbereitet im Krankenhaushemd. Ohne Uhr und Schmuck, nur mit dem Namensbändchen vom Krankenhaus. Es macht Angst, sich so nackt zu fühlen – da wächst die Sehnsucht. „Ich will gesund werden“, schreibt Pierre Stutz, „angenommen in meinem Verwundetsein. Aufgehoben in meiner Begrenztheit. Berührt in meiner Unerreichbarkeit. Geheilt in der Tiefe meines Seins.“

Eine Geschichte aus der hebräischen Bibel erzählt, wie schwer das ist. Und dass es keineswegs einfacher, sondern sogar schwieriger werden kann, wenn wir „wer sind“. Die Geschichte handelt von dem obersten General in Aram, Naaman. Er war ein angesehener Mann, er hatte Israel im Kampf besiegt und gehörte zu den engsten Vertrauten des Königs. Er war aussätzig, heißt es in der Bibel. Heute würden wir wohl sagen: Er bekam eine schwere Schuppenflechte, die furchtbaren Juckreiz und Entzündungen auslöste. Dicke, verhornte Haut, die sich anfühlt wie ein Panzer – und darunter dünne, angespannte Haut, blutig und schmerzend. Und unter der Haut „eine Schicht Angst, eine Schicht Wut, eine Schicht Ekel, eine Schicht Scham, eine Schicht Schmerz“, schreibt Susanne Niemeyer im Fastenbegleiter. „Ich weiß, dass du nackt bist, und ich bin es auch.“ Manchmal ertragen wir uns einfach selbst nicht mehr. Ob es sich in sichtbarer Schuppenflechte äußert oder ob es andere Teile unseres Selbst sind, für die wir uns schämen – fast jeder kennt zumindest Momente der Angst, sich zu zeigen, mit anderen in Kontakt zu kommen.

Es hätte das Ende von Naamans Karriere sein können. Aber zum Glück gibt es in seinem Haus eine junge Sklavin – Kriegsbeute aus Israel. Wir kennen nicht einmal ihren Namen. Verschleppt und gedemütigt lebt sie im fremden Land. Vielleicht ist sie selbst aus guter Familie, aber hier macht sie die Schmutzarbeit. Was sie gesehen hat auf ihrem Leidensweg, hat ihr die Augen geöffnet. Sie sieht den Schmerz und den Schatten, der sich auf das ganze Haus gelegt hat. Und das Erstaunliche ist: Sie hat Mitleid. Und so erzählt sie Naamans Frau von dem Propheten in Samaria, der Menschen heilen kann. Als Naaman davon hört, zögert er nicht einen Moment. Er geht zu seinem König. Und der lässt zehn Zentner Silber kommen und sechstausend Schekel Gold und dazu prächtige Gewänder und dann schreibt er ein Empfehlungsschreiben an den König von Israel. Von König zu König.

Kann man Gesundheit kaufen? Eigentlich nicht; das wissen wir nur zu genau. Und trotzdem: Die Debatte um die Bürgerversicherung erzählt von der Sorge, es hinge eben doch von Geld und Beziehungen ab, ob wir geheilt werden oder eben nicht. Ob jeder einen guten Facharzt und die beste Krebstherapie bekommt. Der verzweifelte Wunsch nach Heilung kann uns dann auf ganz unterschiedliche Wege führen. Manche reisen quer durch die Welt zu den Göttern der Medizin, hoffen auf eine neue Behandlungsmethode, warten auf ein Medikament. Andere fahren nach Indien, um einzutauchen im Ganges. Und die besten Tipps aus der alternativen Medizin werden unter der Hand weitergegeben.

Der Geheimtipp der jungen Sklavin war Elisa, der Prophet aus Samaria, der fernab vom Königshof lebte. Als Naaman mit einem Wagen voll Gold an oberster Stelle landet, ahnt er nicht, dass er noch ganz runter muss. Aber dann macht der König überdeutlich, dass er ihm nicht helfen kann – er fühlt sich überfordert. Eine Kriegslist? Gott sei Dank stehen da schon die Boten von Elisa vor der Tür und holen Naaman ab – nach Samaria. Nur: Den Propheten bekommt Naaman auch dort nicht zu Gesicht. Er wird vor der Tür abgefertigt, obwohl er wahrhaftig gut bezahlt hätte. Kein Blick, keine Berührung. Stattdessen wird ihm nur eine Botschaft überbracht: „Geh hin und wasch dich im Jordan.“ So hat er sich die Hilfe nicht vorgestellt. Nein, das war nun wirklich keine Chefarztbehandlung. Das hätte dieser Guru jedem Patienten sagen können – und das sagte er auch jedem. Denn es war das mosaische Gesetz für Aussätzige.

Jetzt bricht die Wut aus Naaman heraus. Der Panzer bricht auf und seine tiefe Verzweiflung macht sich Luft. Er fühlt sich nicht ernst genommen – nicht mit seiner Krankheit und nicht mit seiner Stellung. Gekränkt, verletzt, voll Wut und Selbstmitleid lässt er umkehren und fährt zurück Richtung Aram. Es scheint, als wäre alles umsonst gewesen. Aber in diesem Moment dreht sich die Geschichte. Die Heilung beginnt. Wie die junge Sklavin zu Hause, so sehen jetzt die Diener, was los ist. Diese einfachen Männer, auch sie namenlos, holen ihn runter auf den Boden der Tatsachen: Stolz schadet nur, wenn man Hilfe braucht. „Wenn dir der Prophet etwas Großes geboten hätte, würdest du es nicht tun?“, fragen sie. „Warum also nicht das Kleine, das Einfache tun?“ Verrückt eigentlich: Naaman hätte alles gegeben für seine Gesundheit. Aber sieben Mal untertauchen im Jordan – musste er dafür so weit fahren? Nach allen Grenzüberschreitungen geht es jetzt darum, seine Grenzen anzuerkennen, sich der eigenen Ohnmacht zu stellen. Die Diener wissen das, sie kennen die Ohnmacht – und sie lieben ihren Herrn.

Und so geht er dann runter zum Flussufer, legt die kostbaren Kleider ab und steht schließlich nackt da. Er zeigt sich, wie er ist. Ohne Panzer und ohne Uniform. Verletzt, vernarbt, verwundet. Und dann taucht er in die Tiefe – sieben Mal, wie der Prophet gesagt hat. Als er auftaucht, fühlt er sich wie neu geboren. Seine Haut ist geheilt. Das Wunder, das Naaman erhofft hatte – und mit ihm alle, die ihn liebten – ist tatsächlich geschehen. Wenn auch ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte. Weil er, der Bezwinger Israels, auf das Kriegsopfer gehört hat. Weil er sich seinen Dienern zeigen konnte, wie er ist. Weil er am Ende Vertrauen fassen konnte – gegen sein eigenes Misstrauen und seinen Stolz. Heilung, echte Heilung, hat immer auch mit Vertrauen zu tun: dass einer da ist, dem wir uns zeigen können, wie wir sind.

 

Cornelia Coenen-Marx

Mehr zur Fastenaktion der evengelischen Kirche 2018 „Zeig dich!“ unter:

https://7wochenohne.evangelisch.de

 

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