Leib und Seele beisammenhalten

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coverVorige Woche hatte Udo Lindenberg ein Konzert in Hannover. Mit seinen 70 Jahren feiert er das Leben – das Überleben. „Stärker als die Zeit“ heißt seine neue CD – und in einem der Stücke kommt er mit seinem Körper ins Gespräch. „Willst ‘n Kaffee, kleinen Whisky oder ‘n Joint, ich muss in Ruhe mal mit dir reden, mein alter Freund. Ey, du, mein armer Körper, was hab ich dir schon alles angetan – volle Dröhnung, hoch die Tassen, ey, das tut mir ziemlich leid. Ich muss dir jetzt mal danken nach all der Zeit. Ey, mein Body – du und ich – ich weiß, du lässt mich nicht im Stich. Andre hätten bei so ´nem Leben längst den Löffel abgegeben…“ Mir gefällt das, wie er innehält und auf seinen Körper sieht – auf dessen Kraft und wunderbare Widerstandsfähigkeit. Und auch darauf, was er seinem Körper so alles angetan hat. Es gefällt mir und ich kann es nachvollziehen. Als ich vor eineinhalb Jahren nach einem langen Krankenhausaufenthalt ganz allmählich wieder auf die Beine kam, da hätte ich Gott und die Welt umarmen können. Einfach dafür, dass ich lebe – und dass ich wieder aufrecht gehen, laufen, ja sogar tanzen kann.

Wenn und solange unser Körper funktioniert, solange die Energie reicht, denken wir nicht viel darüber nach. Gesundheit sei „das selbstvergessene Weggegeben sein an das Leben“, hat der Philosoph Hans-Georg Gadamer gesagt. Stimmt – erst wenn die ersten „Warnsignale des Körpers “[1] sich bemerkbar machen, spüren wir, dass unser Leib mehr ist als ein jederzeit verfügbares Instrument. Ich bin zwar kein Feiervogel, so wie Udo, habe auch nichts „eingeworfen“ oder „gesoffen wie ein Loch“ – aber ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man an beiden Seiten brennt und trotz Stress und Erschöpfung einfach weitermacht. Und Kaffee und Kopfschmerztabletten sind auch nicht gesund.
Andrea Lautenbach, meine Personaltrainerin, mit der ich nun regelmäßig walke und Yoga übe, hat sich mit dem Konzept der Salutogenese beschäftigt. Es gibt Wege, die krank machen, sagt sie, und es gibt Wege, die gesund machen. Statt nur auf die Krankheits- und Leidensgeschichte zu schauen wie die Pathogenese, achtet die Salutogenese auf die gesunden Anteile: Gesundheit und Krankheit sind kein Entweder-Oder, sondern ein Kontinuum. Wir haben gesunde und kranke Anteile, solange wir leben. Was hilft, gesund zu bleiben oder wieder gesund zu werden, ist das Gefühl von Kohärenz: verstehen, was mit uns geschieht; das Gefühl haben, Leid und Krankheit bewältigen zu können, und schließlich einen Sinn darin sehen. Wie gesund wir uns fühlen, das hat also auch mit der Beziehung zum eigenen Körper zu tun. Wenn ich mich entspanne, kann auch die Seele aufatmen. Und wenn ich mich im Gehen oder Tanzen in meinem Körper zu Hause fühle, gibt mir das Halt und Stabilität. Der Weg ins Gegenwärtigsein führt über den Körper, über die Sinne. Und auch im Atmen, Sitzen, Gehen spüren wir Präsenz – ein Einssein mit dem Leben.

parkWie intensiv die Verbindung von Körper und Seele ist, das wird oft am Ende des Lebens besonders spürbar. Wo Menschen vielleicht kaum mehr in der Lage sind, sich zu artikulieren, ist doch der Körper ein Weg zu ihrer Seele. Wer im Hospiz arbeitet, erlebt, dass Menschen sich entspannen, wenn jemand ihre Hand hält, und noch einmal aufblühen, wenn jemand für sie singt. Gerade hier wird aber auch deutlich, wie wichtig es ist, dass wir nicht allein sind mit und in unseren Körpern, sondern dass wir einander berühren.

„Wie ich berühre, so bin ich berührt.“[2] Gerade da, wo es um das Berühren geht, in der Pflege, müssen wir aber immer öfter beobachten, dass Zeit und Kraft fehlen, wirklich da zu sein für den Patienten – auf die Veränderungen in Heilungsprozessen zu achten. Meine Physiotherapeutin im Krankenhaus hat das geschafft und mich gelehrt, mehr auf meine eigenen Bewegungen zu achten – sie hat mir den Kick gegeben, da „weiterzumachen“. Aber das ist schon fast eine Ausnahme. Ich fürchte, wer im Pflegeberuf oder als Ärztin den Menschen nicht mehr wirklich begleiten und ihr oder ihm begegnen kann, muss auch die eigene Empathie abschalten und nimmt dann auch den eigenen Körper kaum noch wahr. Oder ist es umgekehrt: Weil ich mich selbst vor Überforderung kaum noch spüre, kann ich mich auch nicht mehr in andere einfühlen? So ist es mir jedenfalls immer wieder mal gegangen als Pfarrerin, so geht es Psychotherapeuten, Lehrerinnen.

Heute – der Krankenhausaufenthalt liegt jetzt schon eine ganze Weile zurück – ist mir klar, dass mein Körper mich daran erinnert hat, wie wichtig es ist, für sich selbst zu sorgen, wenn man für andere sorgen will. In der Zehlendorfer Diakonie läuft gerade eine Kampagne für die Pflegeausbildung unter dem Logo HDL – wie „Hab Dich lieb“. Und das ist genauso gemeint: Dich selbst lieben, achtsam mit Dir selbst umgehen. Das ist der Schlüssel und der Anfang – es wäre allerdings genauso wichtig, dass auch Politik und Kassen mehr auf die Gesundheit der „Gesundheitsarbeiter“ achten – denn der Zeit- und Kostendruck in dieser Branche macht es schwer, gut für sich und für andere zu sorgen. Theodor Fliedner, der Gründer der Kaiserswerther Diakonie, hatte damals klare Kriterien, wann er seine Diakonissen aus einem Krankenhaus zurückzog. Dabei ging es ihm um Qualität und Ethik der Pflege, um gute Versorgung und medizinische Behandlung. Und genau deswegen auch um die Gesundheit der Schwestern, darum, dass sie genügend Zeit zur Erholung hatten. Was für Pflegebedürftige wichtig ist, das brauchen die Pflegenden auch. Zeit zum Auftanken, um Prioritäten zu klären, sich vielleicht auch neu zu orientieren. Auch heutige Führungskräfte müssen dafür sorgen, dass nicht nur die Zahlen stimmen, sondern dass den Beschäftigten in ihren Häusern nicht die Puste ausgeht – nicht körperlich und nicht seelisch.

buchIst es nicht merkwürdig, dass wir in einem so effizienten Gesundheitssystem die Gesundheit der Mitarbeitenden so wenig im Blick haben? Wie kommt es, dass wir den eigenen Körper oft behandeln, als wäre er nur ein Instrument für unsere Pläne oder ein Objekt, das wir gestalten – aber nicht ein Partner, der uns hilft, zu leben und das Leben zu verstehen? Woher kommt diese Abwertung des Körpers gegenüber der Seele? Vor kurzem ist ein neues Buch von Christoph Markschies erschienen: „Gottes Körper“ heißt es. Der Untertitel „Jüdische, christliche und pagane Gottesvorstellungen in der Antike“. Ich gebe zu, das dicke, wissenschaftliche Werk ist nicht so leicht zu lesen wie Udo Lindenberg zu hören ist. Aber für mich war es genauso eine beglückende Entdeckung. Denn Markschies erinnert daran, dass die Leib-Seele-Trennung und die Abwertung des Körpers, die uns immer noch in den Knochen steckt, nicht jüdisch-christlich ist, sondern aus dem Platonismus kommt. Und er beschreibt, wie diese Ideen langsam ins Christentum eingesickert sind. Gott selbst stellen wir uns körperlos vor – auch wenn der auferstandene Jesus in seinem Körper erkennbar ist, sogar mit seinen Wunden. Von dieser Vorstellung des körperlosen Gottes über den Gedanken, dass wir im Leib nur gefangen sind, bis zur Missachtung des eigenen Körpers ist es nicht weit. Deswegen finde ich es toll, wie Udo seinen Körper wahrnimmt und ihm dankt. Wenigstens ab und an versuche ich innezuhalten und seine Energie wahrnehmen. Widerstandskraft und Lebenskraft pur. Andrea Lautenbach, die mich dabei unterstützt, ist jetzt mit mir zusammen im DLF zu hören: „Von Seelenlust und Körperzeichen – Was Leib und Seele zusammenhält“. Am Sonntag, 26.6. um 8.35 – 8.50 Uhr. Den kompletten Text finden Sie auch auf dieser Homepage unter Morgenandachten.

 

Cornelia Coenen-Marx

 

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[1] Vgl. z. B. Volker Fintelmann, Marcela Ullmann, Warnsignale des Körpers, Beschwerden von Körper und Seele ganzheitlich verstehen, München 2004.
[2] Klaus M. Meyer-Albich.