Zeit für Rituale

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Anfang Januar hatte ich das Vergnügen, einen Workshop zum Thema Rituale in der Altenhilfe mitzugestalten. Wir trafen uns in der malerischen sächsischen Schweiz, abseits vom oft hektischen Alltag der Heimleitungen und Pflegekräfte. In großen Tagungsraum stand noch der Weihnachtsbaum – eine passende Location, die passende Zeit für das Thema. Schließlich ist die Jahreswende voller Rituale, angefangen mit Weihnachten und Silvester bis hin zu der Art, wie wir das neue Jahr beginnen. Ein Neujahrs-Spaziergang, frische Blumen in die Wohnung holen, endlich wieder Sport treiben und gute Vorsätze sichtbar machen. Jetzt stehen die Walkingstöcke wieder im Flur, der Mixer für Smoothies auf der Küchentheke und im Kalender sind die privaten Termine geblockt.

Wenn das Jahr noch frisch ist, tut es gut, Kraft zu tanken und sich die eigenen Kraftquellen bewusst zu machen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Kurs erzählten von ihren ganz persönlichen Ritualen. Wie wohltuend es ist, den Tag mit Teekochen zu beginnen und eine Thermoskanne voll auf den eigenen Schreibtisch zu stellen. Wie gut es tut, den Abend mit einem Fußbad zu schließen. Und wie stärkend das tägliche zweite Frühstück der Bereichsleitungen sein kann. Überblickcharts und Impulse für Gesprächsgruppen sorgten dafür, dass wir nach und nach die ganze Fülle und den Reichtum an Ritualen in den Häusern entdeckten: Morgen- und Abendrituale, Sommer- und Weihnachtsfeste, Geburtstags-, Sterbe- und Trauerrituale, aber auch die hilfreichen Momente für Mitarbeitende: beim Ankommen und Ausscheiden, bei einer Beförderung oder eben im täglichen Geschäft.

Rituale können den Alltag unterbrechen, Lebensschwellen bewusst machen, dem Jahr einen Rhythmus geben. Und gerade die Diakonie ist traditionell reich an Ritualen. Was wir heute brauchen, ist eine neue Wertschätzung und ein Gefühl dafür, wie wir die Traditionen so gestalten können, dass sie in die neuen, oft schnellen und komplexen Abläufe diakonischer Unternehmen mit ihrem Zeitdruck und den vielen Wechseln passen. Nötig ist auch eine interkulturelle Sensibilität, die die Traditionen der muslimischen Bewohner oder orthodoxer Mitarbeiter genauso achtet wie die Erfahrungen der humanistisch ausgerichteten Kollegen, denen allenfalls eine offene Spiritualität zugänglich ist. „Ich bin nicht kirchlich und arbeite auch nicht in der Diakonie“, sagten einige am Anfang unseres Workshops – und sie entdeckten bald, dass sie ganz ähnliche Rituale und ähnliche Fragen hatten. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie ihre eigenen Traditionen, aber auch ihre kritischen Fragen und neue Gestaltungsideen einbringen können, dann entsteht ein kreativer Resonanzraum, eine Atmosphäre, die das Ganze erschließt.

Rituale haben „Zauberkraft“: sie können ein Team, eine Gemeinschaft in Umbrüchen stärken, sie können eine schwierige Situation in einen neuen Rahmen stellen und alle Beteiligten wieder an den Koordinaten auszurichten, die sie prägen. Manchmal genügt ein gemeinsames Motto oder ein Symbol, ein Zeichen, um an das verabredete Ziel zu erinnern. Eine besondere Art der Begrüßung oder Ermutigung zu Dienstbeginn oder das Dankeschön am Abend. Kleine Rituale können in wenigen Minuten entschleunigen und Verbindung schaffen. Dorothea Echter, die ein Buch über Rituale im Management geschrieben hat, sieht darin „den Erfolgsfaktor Nummer Eins in Unternehmen, die Menschen, ganz neu und anders in den Mittelpunkt zu stellen.“[1]

„Der moderne Individualismus steht meines Erachtens nicht nur für einen persönlichen Impuls, sondern auch für einen sozialen Mangel, einen Mangel an Ritualen… Die moderne Gesellschaft hat die durch Rituale hergestellten Bindungen geschwächt“[2] Richard Sennet, Zusammenarbeit, München 2012

, schreibt der Soziologe Richard Sennet in seinem Buch über Arbeit und Kooperation. Davon sind auch diakonische Unternehmen nicht ausgenommen, wenn der gesamte Dienst nur noch unter Effektivitäts- und Funktionalitätskriterien gesehen wird. Gott sei Dank – und das gilt im wahrsten Sinne des Wortes – haben wir aber auch starke Gegenkräfte; Traditionen, die weder viel Zeit noch Geld kosten. Wir müssen sie nur wieder entdecken und vielleicht neu gestalten.

Für mich war das die größte Entdeckung des Workshops am Jahresanfang: wie beglückend es sein kann, den eigenen Reichtum an Ritualen wahrzunehmen. Eine große Sandkiste mit Kerzen brannte, als sie sich davon erzählten – für jede Erfahrung ein Licht. Was sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Ende vorgenommen haben, waren kleine Veränderungen im Umgang mit der eigenen Zeit, dem Kolleginnen und Kollegen, dem Teamrunden oder der Sterbebegleitung. Kleine Papierschiffchen auf der Elbe mit guten Wünschen für das Jahr erzählten davon. Und ich bin sicher: sie werden ihren Weg durch die Wellen des Alltags finden.

Wenn Sie Interesse an einem solchen Workshop haben, melden Sie sich gern bei mir. Oder klicken Sie auf meine Workshopangebote: hier finden Sie ein Beispiel.

 

[1] Dorothee Echter, Rituale im Management, Strategisches Stimmungsmanagement für die Business Elite, München 2003, S.
[2] Richard Sennet, Zusammenarbeit, München 2012