„All the world’s futures“

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Gewalt und Vergänglichkeit waren dominierende Themen auf der diesjährigen Biennale in Venedig. Dabei stand sie unter dem Titel „All the world‘s futures“. Was da zu sehen war, machte wenig Hoffnung: Schwerter und Kanonen, abgestorbene Bäume, Gasmasken. Häuser, in die eingebrochen wurde und Uhren, die die Stunde Null anzeigen. Ich musste in diesen Novembertagen daran denken, als wir die schrecklichen Bilder von den Terroranschlägen in Beirut, Paris und Bamako sahen – aber auch die ausgestorbene Innenstadt von Brüssel mit den abgeriegelten Geschäften. Und wenn ich die vielen erschöpften Menschen sehe, die über die Balkanroute oder über das Mittelmeer zu uns fliehen. Auf der Suche nach einer lebenswerten Zukunft.

Im Sommer 2009 – vor nun schon sechs Jahren- erschien ein Wort des Rates der EKD unter dem Titel „ Wie ein Riss in einer hohen Mauer“. Der Text drehte sich um die Fragen, die die globale Finanzmarktkrise ausgelöst hatte. Fragen nach einer sozial und ökologisch gerechten Weltwirtschaft. „Die Bewältigung der anstehenden Aufgaben ist nicht nur eine politische oder wirtschaftliche Frage“, hieß es, „es geht um nicht weniger als ein tragfähiges ethisches Fundament“. Der Text plädierte für eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte und äußerte die Sorge, dass sich mit der Bewältigung der Krise die soziale Ungleichheit weiter verschärft.“ Langfristig kommt es darauf an, die Risiken für die zukünftigen Generationen, für die armen Länder und für die natürlichen Grundlagen des Lebens als den Kern künftiger Krisen zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern.“ In den sechs Jahren, die wir seitdem erlebt haben, haben uns nach der Finanzkrise die so genannte „Griechenlandkrise“ und dann die „Flüchtlingskrise“ beschäftigt. Neue und bedrohliche Ungleichgewichte in Europa, die Arbeitslosigkeit der jungen Generation in vielen europäischen Ländern und nun die Perspektivlosigkeit so vieler Menschen, die vor Krieg und Terror im Nahen Osten fliehen. Herausforderungen, die noch weit über das hinausgehen, was 2009 sichtbar geworden war.

Ja, es gibt Grund zur Erschütterung, wenn man über „ all the world’s futures’ nachdenkt! Aber an die Stellungnahme von 2009 erinnere ich mich noch aus einem anderen Grund. Es geht mir um den Titel_ „Wie ein Riss in einer hohen Mauer“. Der Text zitiert ein Wort des Propheten Jesaja, der das Volk Gottes zur Umkehr ruft, weil sie vor der Wahrheit ihrer eigenen Schuld die Augen verschließen: „So soll Euch diese Sünde sein wie ein Riss, wenn es beginnt zu rieseln an einer hohen Mauer, die plötzlich, unversehens, einstürzt“. (Jesaja 30, 8ff). Als mir dieses Heft vor ein paar Tagen in die Hände fiel, wurde mir wieder bewusst, dass sich schon viel früher zeigte, was uns heute wie ein Schock aus „heiterem Himmel“ trifft. In diesen Tagen erinnern viele an New York, London, Madrid und an den ersten Anschlag in einer Pariser U-Bahn 1995. An die wachsenden Spannungen zwischen dem Westen und dem Nahen Osten, aber auch an die immer mehr auseinander driftenden Parallelgesellschaften in den westlichen Städten. An die Wurzellosigkeit und Perspektivlosigkeit vieler junger Leute dort und die Unfähigkeit, einen wirklichen, offenen Dialog zwischen den Religionen, aber auch innerhalb des Islam zu führen. Was uns heute erschüttert, hat lange vorher begonnen – und noch bevor die Fernsehbilder bei uns ankamen, hatten die Künstler Bilder dafür. Im französischen Pavillon in Venedig wanderten selbst die Bäume.

Kann das die Zukunft sein? Die Bilder, die wir sehen, wenn wir bereit sind, uns auf die Tiefe der Wirklichkeit einzulassen, sind auch ein Aufruf zur Umkehr. Darum ging es dem Propheten Jesaja, darum ging es übrigens auch dem EKD-Text von 2009. Er schloss mit der Frage „Was gibt uns Zuversicht“ und erinnerte dann an ein anderes Wort aus dem Buch Jesaja: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn Du einen nackt siehst, so kleide ihn und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten… Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat; und du wirst wieder aufrichten, was vor Zeiten gegründet ward.“ (Jesaja 58, 7ff).

Wenn ich das jetzt – in diesem Zusammenhang – noch einmal lese, dann spüre ich, wie unglaublich und wie großartig dieses Bibelwort ist. Die Welt hat Zukunft, steht da, aus dem Schutt kann etwas Neues entstehen, aus Wüsten blühende Gärten werden. Es hat auch mit uns zu tun, ob das gelingt. Selbst wenn wir noch gar nicht wissen, welche Schritte, welche Strategien nötig sind, um eine gute Zukunft für die Welt zu gestalten – im Augenblick genügt es, das Einfache und das Naheliegende zu tun. So wie es viele tun, die Flüchtlinge unterbringen, für Proviant und Kleidung sorgen, für Sprachkurse und Ausbildungsplätze, damit bei denen, die aus dem Chaos geflohen sind, neue Hoffnung wächst. Ich glaube, dass das auch uns selbst verändern kann. Tatsächlich ist der Jesaja-Text auch ein Adventstext- und wie sollte es nicht bald Advent werden bei so vielen offenen Türen und Herzen?

 

Bereitet doch fein tüchtig

den Weg dem großen Gast,

macht seine Steige richtig,

lasst alles, was er hasst;

macht alle Bahnen recht,

die Tal lasst sein erhöhet,

macht niedrig, was hoch stehet,

was krumm ist, gleich und schlicht!

 

 

 

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