Engagement und Berufung:

Die Kirchen als profilierte Bündnispartner in der Zivilgesellschaft

 

1. Engagement und Berufung: Zur Wiederbelebung eines Motivs

„Wann haben Sie das letzte Mal dieses Funkeln in den Augen eines Kollegen gesehen? Wann haben Sie zuletzt aus tiefster Überzeugung heraus geliebt, was Sie tun? Kompromisslos, begeistert, enthusiastisch?“ Das fragen Anja Förster und Peter Kreuz in ihrem Buch: „ Hört auf zu arbeiten! (Förster/Kreuz 2013), eine Anstiftung zu tun, was wirklich zählt“. Dabei geht es nicht um die vielbeschworene Work-Life-Balance, sondern um eine lohnende Aufgabe, die der eigenen Berufung entspricht: In einer Welt, in der sich Jobs und Wohnorte, Familien und Freundeskreise oft mehrfach im Leben verändern, fragen sich viele, was der Sinn ihres Lebens ist und wofür sie gebraucht werden. Das Thema „Berufung“ ist wieder wichtig geworden.

Das gilt für freiwillig Engagierte genauso wie für Professionelle in der sozialen Arbeit und für beruflich Tätige in den Kirchen. Hier klingt der religiöse Charakter des Begriffs vielleicht noch an. Viele haben in den letzten Jahrzehnten gelernt, ihr professionelles Handeln von ihrer spirituellen Erfahrung und den emotionalen Beziehungen abzuspalten. Wo in diakonischen und caritativen Unternehmen stets Zielerreichung und Abteilungsbudgets verglichen werden, zählt am Ende Konkurrenz mehr als Kooperation. Die Zeit für Zuwendung lässt sich nicht unmittelbar abbuchen. „Professionalisierung heißt immer auch Vereisung“, schreibt Andreas Heller (Gronemeyer/Heller 2014: 52). Dabei helfe uns die Sorge füreinander, reicher, lebendiger und sinnvoller zu leben. „Wir brauchen eine Kultur der Freundschaft. Freundschaft begründet sich in dem Wissen, dass wir wohl immer mehr empfangen, als wir zu geben in der Lage sind.“

Ehrenamtliche im sozialen Bereich leben häufig aus dieser Motivation. Und wenn die Spannung zwischen Haupt- und Ehrenamt in den Kirchen in den letzten Jahren zugenommen hat – damit umgehen zu lernen, gehört inzwischen zu den wichtigsten Fortbildungswünschen der Beteiligten –, dann liegt das nicht nur an knapper werdenden Ressourcen, sondern auch an dieser Sehnsucht, gebraucht zu werden und etwas weiter geben zu können, die beide – Haupt- und Ehrenamtliche – verbindet. Bei schrumpfenden Stellenplänen in Gemeinden und Verbänden möchten die einen nicht nur managen, die anderen nicht nur umsetzen und ausführen. Die einen wollen sich nicht auf ihre Professionalität reduzieren lassen, die anderen fühlen sich unterschätzt, wenn man ihnen ihre Kompetenzen abspricht. Nach Jahren organisationeller Debatten, die viele resigniert zurück gelassen haben, ist Spiritualität in den anstehenden Veränderungsprozessen neu gefragt (epd 2015).

„Die Grundfrage an unsere evangelische Kirche lautet: Wird sich bei hauptamtlich Mitarbeitenden und ehrenamtlich Engagierten ein Paradigmen- und Mentalitätswechsel vollziehen, der die evangelische Kirche auf die neue Situation ausrichtet und ihre Chancen zu ergreifen sucht? fragt das EKD- Impulspapier „Kirche der Freiheit“ (EKD 2006).Das wird bedeuten, in den laufenden Reformprozessen darauf zu achten, dass die zukünftige Gestalt der Kirche nicht nur von einer schrumpfenden, zumeist steuerfinanzierten hauptamtlichen Organisation her gedacht und weiter entwickelt wird, sondern dass innovative Ideen und Netzwerke aus den Gemeinden in die Zukunftsstrategien eingehen. Deren Gaben und Erfahrungen müssen in den Entscheidungsgremien so viel Gewicht haben wie das Bemühen um Sparmaßnahmen und Fusionen. Das ist auch eine der wichtigsten Forderungen der Engagierten; die sich in den letzten Jahren drei Mal zu einem ökumenischen Ehrenamtskongress versammelt haben.[1] So heißt es in den Kölner Thesen zum ehrenamtlichen Engagement in Kirche und Gesellschaft von 2008: „Kirche lebt von der Vielfalt der Charismen aller Christinnen und Christen. Deshalb müssen ihre Fähigkeiten und Gaben größeres Gewicht haben als die Bedarfe der Institution. Leitgedanke muss sein: Inhalte vor Strukturen.“

 

2. In der Transformation: Zum Beitrag des christlichen Ehrenamts für die Sozialkultur

Die Sozialstaatsentwicklung in Deutschland wurde von Diakonie und Caritas entscheidend vorangetrieben – mit Initiativen und Vereinen, die sich aus der Kirche heraus, aber auch neben der Staatskirche entwickelten (Bauernkämper/ Nautz 2009). Damals konnte Johann Hinrich Wichern, der Gründer der Inneren Mission, noch vom allgemeinen Diakonat aller Bürger sprechen: Christlicher Glaube sollte sich im sozialen Engagement zeigen. Seitdem hat sich das Verhältnis von Kirche und Gesellschaft, aber auch von Ehrenamt und Hauptamt, Bewegung und Organisation erheblich verändert. Nach den Aufbrüchen Mitte des 19. Jahrhunderts, die in hohem Maße durch Ehrenamtliche geprägt waren, nahm um die Jahrhundertwende der Sozialstaat mit seinen bezahlten Fürsorgeleistungen Gestalt an. Seit der weitgehenden Trennung von Kirche und Staat war er weltanschaulich offen, aber – mit Ausnahme des Dritten Reiches und der DDR – immer noch und gerade deshalb subsidiär geprägt. So konnten sich die Kirchen im westdeutschen Wohlfahrtsstaat der 1960er und 1970er Jahren nicht zuletzt dank öffentlicher Mittel zu differenzierten hauptamtlichen Organisationen entwickeln – ehemals ehrenamtliche Aufgaben wurden professionalisiert, Jugendarbeit und Schulen, Bildung und soziale Arbeit zu großen Teilen aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen refinanziert.

Angesichts schrumpfender öffentlicher wie kirchlicher Etats gewinnt bürgerschaftliches Engagement nun wieder an Bedeutung. Das gilt auch für die Kirchen. Auch wenn Mitgliederzahlen und Steuermittel zurückgehen: Die Zahl der Ehrenamtlichen ist zwischen 1999 und 2009 sogar gestiegen (BMFSFJ 2010). Weitgehend unabhängig von religiösen Bindungen gibt es inzwischen eine neue Bewegung weg von der Geselligkeitsorientierung hin zu Gemeinwohlorientierung, wie Erhebungen zum vierten Freiwilligensurvey zeigen. Neben den traditionellen Vereinen und Verbänden entwickeln sich auch in den Kirchen Initiativen in Quartiersarbeit, Tafelarbeit und Nachbarschaftszentren. Manche fürchten allerdings, dass Ehrenamtliche nun zum billigen Jakob des ausblutenden Sozialstaats, aber auch einer schrumpfenden Kirche werden könnten. Auch in den Kirchen gibt es längst eine Grauzone zwischen dem klassischen Ehrenamt und prekären Beschäftigungsverhältnissen: Mit Übungsleiterpauschale, Bürgerarbeit und Minijobs. Rentnerinnen mit kleinen Renten werden Alltagsbegleiterinnen in der Altenpflege oder engagieren sich als Kirchenführerinnen und verstehen ihre Aufgabe als Beruf. Und auch ehrenamtliche Küster und Sekretärinnen sind längst keine Seltenheit mehr.

Dass Menschen solche Chancen ergreifen, ist allerdings nicht selbstverständlich. Wer Kompetenz und Erfahrung hat, kann sich einbringen und gewinnt Freunde, Netzwerke, neue Anknüpfungspunkte. Wer aber wenige Ressourcen hat, findet auch in den Kirchen oft keinen Zugang zum Ehrenamt. Was können Kirchengemeinden tun, um auch diejenigen zum Engagement einzuladen, die sich bisher als Hilfeempfänger verstehen? „Jeder Mensch verfügt über Talente, die er einbringen kann“, heißt es in den „Kölner Thesen“ von 2013. „Derzeit sind von Armut Betroffene, Menschen mit Behinderung oder Migrantinnen und Migranten häufig Empfängerinnen und Empfänger ehrenamtlichen Engagements. Zukünftig gilt es, Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten anzubieten, damit sich auch sozial benachteiligte Menschen stärker engagieren und beteiligen können. Dann profitieren auch sie von der Stärkung sozialer Netze, die durch ehrenamtliches Engagement entsteht.“ Damit das gelingt, gilt es ernst zu machen mit der „Gemeinde von (Schwestern und) Brüdern“ aus allen gesellschaftlichen Gruppen. Diese Zielbestimmung der Theologischen Erklärung von Barmen aus dem Jahr 1934[2] ist inzwischen in den Ehrenamtsgesetzen[3] verschiedener Landeskirchen verankert.

 

3. Kirchliches Engagement im gesellschaftlichen Wandel: Verlässliche Säulen unter Druck

Eine Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD aus dem Jahr 2012 zeigt: Die meisten kirchlich Engagierten geben die Kirchengemeinde als Ort bzw. Rahmen ihrer Tätigkeit an (Horstmann 2012). Dabei haben sie oft mehrere Ehrenämter; es scheint in diesem Kontext besonders schwer, sich abzugrenzen. Und es sind diese Hochengagierten, die Gemeinden oder Einrichtungen dann auch im Leitungsamt tragen. Hier könnte einer der Gründe dafür liegen, dass es in vielen Landeskirchen schwieriger geworden ist, Menschen für Leitungsaufgaben zu gewinnen. Leitungsgremien, die deswegen resignieren, vergessen, dass viele Christinnen und Christen ihre bürgerschaftliche Verantwortung an anderer Stelle im Gemeinwesen wahrnehmen: in Schulen und Sportvereinen zum Beispiel. Sie zu würdigen, ja, sie als Brückenbauer und Impulsgeber zu nutzen, wenn es darum geht, die Gestalt der Kirche den neuen Herausforderungen einer pluralen Zivilgesellschaft anzupassen, ist die aktuelle Herausforderung.

Denn natürlich zeichnen sich gesellschaftliche Veränderungsprozesse auch in Kirchen und Verbänden ab. Das zeigt sich heute besonders deutlich in der Jugend- wie in der Frauen- und Seniorenarbeit. Ein großer Teil derer, die sich als Erwachsene engagieren, haben erste Engagement-Erfahrungen in der verbandlichen Jugendarbeit gemacht. Angesichts der Veränderungsprozesse in Schulen und Universitäten mit verkürzten Gymnasialzeiten, Bologna und der Entwicklung hin zu Ganztagsschulen ist die außerschulische Jugendarbeit unter Druck geraten. Die Zeit für das Engagement in der Freizeit wird knapper, die Frage nach dem biografischen Nutzen wichtiger. Dabei werden die Freiwilligendienste häufig als Chance begriffen, die Schwelle zwischen schulischer und universitärer oder beruflicher Ausbildung als Zeit der Reflexion und Sinnsuche zu nutzen.

Noch sind Gemeinde und Diakonie wesentlich geprägt von den ehrenamtlichen Familienfrauen. Neben den Frauen in der Familienphase, die sich vor allem in Tageseinrichtungen und Schulen engagieren, sind es Frauen über 50, gut gebildet und sozial abgesichert, die Gruppen und Initiativen tragen. 28 Prozent der Frauen, aber nur 22 Prozent der Männer geben an, sich außerhalb des Gottesdienstes am kirchlichen Leben der Gemeinden zu beteiligen (EKD 2014). Rechnet man Diakonie und Caritas als Engagement-Orte mit, dann sind zwei Drittel der ehrenamtlich Engagierten Frauen. Männer dominieren – nicht nur in der Kirche – häufiger in Leitungsfunktionen und öffentlichen Ämtern, Frauen prägen das soziale Ehrenamt. Angesichts der wachsenden Erwartungen an die Erwerbstätigkeit von Frauen bei immer noch mangelnder Vereinbarkeit von Erwerbstägigkeit, Erziehung und Pflege ist es deshalb dringend nötig, über neue Zugänge zum Ehrenamt und eine gerechtere Rollenteilung der Geschlechter nachzudenken.

Nicht zuletzt in den Jugend- und Frauenverbänden sind darum schon vor einigen Jahren neue Fortbildungskonzepte und „Wiedereinstiegsprogramme“ entwickelt worden; insgesamt wächst die Achtsamkeit für Lebensübergänge, bei denen ehrenamtliches Engagement Brücken bauen kann: zwischen Schule und Beruf, in der Elternzeit oder auch beim Wiedereinstieg, in Pflegezeiten und zu Beginn des Ruhestands. Aber auch die Verknüpfung von Ehrenamt mit Erwerbsarbeit stellt eine Herausforderung für die Kirchen dar. Viele große Firmen, von Henkel und Ford bis zur Deutschen Bank, ermöglichen inzwischen „Seitenwechsel“ und fördern das ehrenamtliche Engagement ihrer Mitarbeitenden. Kirche und Verbände haben sie noch zu selten als Partner entdeckt; viele „fremdeln“ noch mit der wachsende Bedeutung der Wirtschaft für die Zivilgesellschaft und der neuen Rolle der Kommunen als Plattformen für freiwilliges Engagement.

Dabei wird die Sorge-Arbeit in den Nachbarschaften und Wohnquartieren für alle zur großen Herausforderungen. Hier spielen die so genannten „jungen Alten“ eine wichtige Rolle. Sie sind häufig sozial und oft auch politisch engagiert, bringen breite Lebenserfahrungen, soziale Netze und berufliche Kompetenzen mit und sind damit Teil der neuen, generationenübergreifenden und gemeinwohlorientierten Bewegung. Engagierte zwischen 60 und 69 bilden die zweitgrößte Ehrenamtsgruppe in der evangelischen Kirche; sie tragen neue Projekte vom Mentoring über Leihoma-Dienste bis zur Mehrgenerationenhäusern. Aber auch im Blick auf diese Zielgruppe haben die Kirchen keine „sichere Bank“ mehr. Viele entdecken die stille Reserve der „jungen Alten“ im demographischen Wandel.

 

4. Ein profilierter Partner in gesellschaftlichen Bündnissen: – Reformanstöße

Die Daten des letzten Freiwilligensurveys zeigen: Die Zahl derer, die sich neben ihrem kirchlichen Engagement auch in anderen Organisationen, in Schulen oder Vereinen, am Arbeitsplatz oder in der Politik engagieren, wächst (BMFSFJ 2010). Angesichts der wachsenden Säkularisierung wird es darauf ankommen, auch solche Menschen zu gewinnen, die nicht schon kirchlich sozialisiert sind. Sie sind am besten über die Arbeitsfelder anzusprechen, die ihnen am Herzen liegen: von der Hospizarbeit bis zur Begleitung von Flüchtlingen oder dem Welcome-Projekt für junge Familien, von der Gospelbewegung bis zu den Kirchenkuratoren. Nicht alle, die sich in diesen Arbeitsfeldern engagieren, tun das als engagierte Christen oder Mitglieder der Kirche, aber sie zeigen sich offen für kirchliche Angebote.

Dass das Engagement im kirchlichen Kontext eine Chance bietet, auch über Glaubensfragen ins Gespräch zu kommen, zeigt die jüngste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD (EKD 2014). So geben 10 Prozent der ehrenamtlich Engagierten an, dass sie sich mit anderen häufig über den Sinn des Lebens austauschen und 22 Prozent, dass sie mit anderen über religiöse Fragen sprechen. Bei den Nichtengagierten liegen die Prozentzahlen unter 10 Prozent. Ehrenamt bietet die Chance, Gemeinschaft zu erfahren. Und auch wenn das Engagement in der Kirche nicht unbedingt Ausdruck des Glaubens ist, schließt das die Suche nach religiöser Verankerung nicht aus. Es geht also heute viel mehr darum, Engagierten Heimat in der Kirche zu geben, als darum, sich aus einem Heimatgefühl heraus zu engagieren.

Der historische Rückblick macht deutlich: Alle kirchlichen Aufbrüche, die durch Laienbewegungen geprägt waren, haben besondere Akzente in geistlichem Leben und beim sozialem Engagement gesetzt. In Diakonievereinen und Sonntagsschulen ging es im 19 Jahrhundert um lebendigen Glauben und gelebte Nächstenliebe. Engagierte in Jugendarbeit und Erwachsenenbildung hatten im letzten Jahrhundert den Anspruch, sich selbstbewusst und mündig in einer komplexen Welt zu orientieren und den eigenen Glauben verantwortlich zu leben. Aber auch in die Friedens- und Ökologiebewegung haben sich Christinnen und Christen mit ihrem Engagement eingebracht. Der konziliare Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung hat nicht unwesentlich zu Demokratisierungsprozessen in der früheren DDR beigetragen. Diese immer neuen Bewegungen lassen darauf hoffen, dass verantwortlich gelebter Glaube sich weiterhin „seine“ Engagementfelder sucht, und dass Menschen, die der Kirche in solchen Aufgaben begegnen, dort auch den Glauben neu entdecken. Denn auch wenn Geld und Macht der Kirche wie die Mitgliederzahlen schwinden: Die Suche nach Spiritualität und nach Gemeinschaft ist gewachsen. Angesichts der Wüsten einer ökonomisierten Gesellschaft, angesichts der schmerzhaften Spaltungen sehnen sich die Menschen nach einem neuen „Wir“ und einem roten Faden in ihrem Leben.

Die „Diakoniedenkschrift“ der EKD, die zum 150-jährigen Jubiläum der Inneren Mission veröffentlicht wurde (EKD 1998), benennt die Herausforderungen, vor denen das Engagement der evangelischen Kirche steht: Es geht darum, die Distanz zwischen Kirchengemeinden und diakonischen Diensten überbrücken, die Kontakte zu Betroffenen und zivilgesellschaftlichen Initiativen zu verbessern und ihre Bedürfnisse besser wahrzunehmen und schließlich die Vernetzung mit außerkirchlichen Initiativen im Gemeinwesen zu suchen. Gemeinden bringen ein hohes Sozialkapital mit: an Kontakten, Netzwerken und Beziehungen, an symbolischen Orten der Stadtgeschichte. Wie diakonische Unternehmen und kirchliche Verbände brauchen sie aber neue Strategien und Strukturen für ihre Arbeit, wenn es darum geht, sich heute wieder im Quartier zu verankern und Bündnispartner zu finden. Ehrenamtskoordination sollte eine Funktion der Gemeindeleitung werden. Beruflich Tätige müssen ihre Tätigkeit darauf ausrichten, Freiwillige in ihrer Arbeit zu stärken.

Das Verhältnis der Ämter und Dienste in der Kirche zum Priestertum aller Getauften sowie das Verhältnis der Berufe zum Ehrenamt ist dabei eine zentrale Zukunftsfrage. Es gilt zu bedenken, dass Theologie und Organisationsentwicklung unterschiedliche Begrifflichkeiten nutzen. Es gibt ehrenamtlich wie hauptamtlich ausgeübte kirchliche Ämter, in die Diakone in der katholischen Kirche und Pfarrer in der evangelischen Kirche berufen werden. Dagegen hat die Mehrzahl der beruflich Tätigen in Jugendarbeit, Erwachsenenbildung oder kirchlichen Verwaltungen in diesem Sinne kein kirchliches Amt. Und – auch wenn beides gern in eins gesetzt wird – ehrenamtliches Ehrenamt ist nicht die einzige Form, in der Gemeindeglieder das allgemeine Priestertum leben. Dazu gehören zum Beispiel auch ihr eigener Beruf oder ihre Elternschaft. Viel wird davon abhängen, ob es gelingt, im Gespräch zwischen Theologie, Soziologie und Organisationsentwicklung ein differenziertes Bild der unterschiedlichen Rollen und ein neues Miteinander zu entwickeln (EPD 2013).

Als eine der wenigen Organisationen haben die Kirchen die Chance, Engagement und Beruflichkeit, Gemeinwesen, Quartier und soziale Unternehmen, Basisarbeit und politische Reflexion zu verknüpfen. Eine der wichtigsten Zukunftsfragen ist, wie sich freiwilliges Engagement und Subsidiarität zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft entwickeln und welche Aufgabe die Kirchen dabei als Impulsgeber übernehmen können. Wie kann es gelingen, die trisektorale Verankerung in Anstaltsseelsorge, Religionsunterricht und Sitzen in kommunalen Ausschüssen, in der Trägerschaft gemeinwohlorientierter Unternehmen und in ehrenamtlichen Verbänden und Initiativen zu nutzen? Angesichts des Schrumpfens der Kirche als Organisation und ihrer abnehmenden Bedeutung in der Öffentlichkeit geht es dabei erneut um das Verhältnis von Kirche und Zivilgesellschaft. Angesichts des Ausblutens von Kommunen und des Verlustes an Gemeingütern ist zudem die Frage von wachsender Bedeutung, wie die Kirchen mit ihren Immobilien, ihren politischen Zugängen und letztlich mit ihrem öffentlichen Auftrag umgehen.

Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Anteil von Aktivitäten in kirchlicher Trägerschaft gleich bleibt. Entscheidend ist, dass die Kirchen ihre Rolle als Kooperationspartner profiliert wahrnehmen und dass sie Engagierte in unterschiedlichen Feldern spirituell begleiten, theologisch bilden, fachlich beraten und ihnen Raum geben, die eigenen Kompetenzen, Erfahrungen und Fragen ins Gemeinwesen einzubringen und so im Engagement den roten Faden im eigenen Leben zu entdecken, die eigene Berufung zu leben.

Cornelia Coenen-Marx ist Theologin; sie war bis März 2015 Referatsleiterin für Sozial-und Gesellschaftspolitik im Kirchenamt der EKD und engagiert sich heute mit Impulsen und Workshops für ein profiliertes, diakonisches Engagement. Mehr dazu auf www.seele-und-sorge.de( Coenen-Marx@t-online.de )

 

Anmerkungen

[1] Bei den drei Kongressen in Köln 2009, Erfurt 2011 und Köln 2013 wurden jeweils 10 Abschlussthesen erarbeitet, die unter www.wir-engagieren-uns.org zu finden sind.

Hier finden Sie nützliche Downloads rund um die Tagung

[2] Vgl. Evangelisches Gesangbuch, Bekenntnisse und Lehrzeugnisse der Kirche, Nr. 810, Die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen.

[3] Ehrenamtsgesetze gibt es nicht in allen Landeskirchen. Auch strukturell gehen die Landeskirchen unterschiedlich mit diesem Feld um: in einigen Kirchen gibt es Beiräte, in einigen Akademien, fast immer entsprechende Fortbildungen, häufig Newsletter. Gemeinsame Zielbestimmungen und Zukunftsherausforderungen sind in folgender Kundgebung zu finden: EKD-Synode 2009: Ehrenamt. Evangelisch. Engagiert, www.ekd.de/synode2014

Download Synode Beschlüsse (PDF)
/www.ekd.de/synode2009_ulm/beschluesse/beschluss_kundgebung.html

 

 

 

Literatur

Bauernkämper, Arnd/ Nautz, Jürgen 2009: Zwischen Fürsorge und Seelsorge, Christliche Kirchen in den europäischen Zivilgesellschaften seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt/M, Campus

Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 2010: Hauptbericht des Freiwilligensurveys 2009. Ergebnisse der repräsentativen Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und Bürgerschaftlichem Engagement. Vorgelegt von TNS Infratest Sozialforschung, München

EKD 1998: Herz und Mund und Tat und Leben. Eine Denkschrift des Rates der EKD zur Diakonie, Hannover.

EKD: Evangelische Kirche in Deutschland 2006: Kirche der Freiheit- Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert“. Ein Impulspapier des Rates der EKD. Hannover

EKD: Evangelische Kirche in Deutschland 2014: Engagement und Indifferenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis. V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover, verfügbar unter www.ekd.de/EKD-Texte [29.01.2015].

EPD 2013: Dokumentation Nr. 44 Konsultationstag zur Theologie des Ehrenamts, Kassel, 7.3.2013, Frankfurt am Main

EPD 2015: Dokumentation Nr. 5: Erschöpfte Kirche. Geistliche Dimensionen in Veränderungsprozessen, Fankfurt am Main

Förster, Anja/ Kreuz, Peter 2013: Hört auf zu arbeiten, Hamburg: Pantheon

Gronemeyer, Reimer/ Heller, Andreas 2014: In Ruhe sterben. Was wir uns wünschen und was die moderne Medizin nicht leisten kann, München: Pattloch

Horstmann, Martin 2012: Studie zu ehrenamtlichen Tätigkeiten. Befragung von Ehrenamtlichen in evangelischen Kirchengemeinden, Veröffentlichung des Sozialwissenschaftlichen Instituts, Hannover