Was ich mitbringe und was mir wichtig ist:

Berufliche Stationen, Erfahrungen, Themen

Seele und Sorge haben mich beschäftigt, seit ich über Gott und die Welt nachdenke. Sie wurden für mich denk- und erfahrbar in Theologie und Literatur, in Religionen und sozialen Bewegungen, in politischen Prozessen und in den mit all dem verbundenen Institutionen und auch Spannungsfeldern. Vielleicht liegt es daran, dass ich aus einem gesellschaftlich offenen Pfarrhaus komme. Seelsorge und Diakonie, Kirchenreform und politisches Engagement gehörten in meiner Familie zusammen. Dass ich dann Theologie studiert habe, war trotzdem nicht selbstverständlich, schon deswegen nicht, weil es damals noch kein volles Ordinationsrecht für Frauen gab – aber es war mein Weg, Glaubenswelten und Weltbilder kritisch zu diskutieren. Ich liebe es, die Wirklichkeit in ihren verschiedenen Dimensionen auszuloten und unterschiedliche Organisationen, Berufe, Denkweisen kennenzulernen. Für mich geht es darum, mit Gott und den Menschen zu reden, auf Gott und Menschen zu hören und beides in Beziehung zu setzen.

Nach meinem Studium der Theologie und zeitweilig auch der Germanistik, Geschichte und Sozialwissenschaften war ich gut zehn Jahre lang – von 1979 bis 1990 – Gemeindepfarrerin in Mönchengladbach, in einem Stadtteil mit kleinstädtischer Struktur. Seit 1984 arbeitete ich zugleich als Diakoniepfarrerin im Kirchenkreis, zu dem verschiedene Ehe- und Lebensberatungsstellen, Arbeitslosenprojekte und andere diakonische Einrichtungen gehörten. Der Dialog mit Kolleginnen und Kollegen aus Psychologie, Sozialpädagogik und Sozialarbeit, mit Diakoninnen und Diakonen hat meine Perspektive verändert; die Erfahrungen mit Sozialpolitik und Gemeinwesendiakonie in verschiedenen Kommunen erwiesen sich als hilfreich auch für die Arbeit in der Kirchengemeinde. So wurde Mitte der 1980er Jahre der Wickrather Gemeindeladen gegründet, ein Stadtteilzentrum mit Café, Bücherei, Bildungs- und Beratungsangeboten und einer Kleiderkammer.

1990 wurde ich Leiterin der Abteilung Sozialwesen und Mitglied der Geschäftsführung im Diakonischen Werk Rheinland. Nordrhein-westfälische Wohlfahrts- und Landespolitik kennenzulernen, dazu die ideellen und gesetzlichen Grundlagen des Sozialstaats und die verschiedenen Sozialkulturen wahrzunehmen, hat mir neue sozialpolitische Horizonte eröffnet. Nach der deutschen Vereinigung und unter dem Einfluss europäischer Sozialpolitik wurde in dieser Zeit die Frage nach dem Profil der unterschiedlichen Träger in der Wohlfahrtspflege zum politischen Thema – genauso wie die nach der Zukunft der Subsidiarität.

Seitdem bin ich überzeugt: Ohne ein neues diakonisches und theologisches Selbstverständnis, ohne Brücken zwischen Gemeinden und diakonischen Diensten bleibt die Rede vom „Mehrwert“ diakonischer Arbeit leer. Vermutlich auch aus diesen Gründen bin ich immer wieder zwischen Kirche und Diakonie gependelt – von der Gemeindearbeit in den Spitzenverband, von dort ins Landeskirchenamt, dann wieder in ein diakonisches Unternehmen und schließlich ins Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Tageseinrichtungen, Kinder- und Jugendarbeit, aber auch Freiwilligendienste haben mich von 1993 bis 1998 als Landeskirchenrätin in der Evangelischen Kirche im Rheinland beschäftigt. Darüber hinaus aber ging es im Ausschuss für öffentliche Verantwortung um politische Fragen und um kirchliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit. So lag dann für einige Jahre mein Schwerpunkt in der Medienarbeit: Kirchenpresse und Nachrichtenagenturen, Rundfunkarbeit und Öffentlichkeitskampagnen wie die Kölner Mitgliederkampagne „Misch dich ein“ haben mir neue Perspektiven eröffnet. Es ging um die Wahrnehmung und die Relevanz der Kirche in der Öffentlichkeit und insbesondere bei ihren distanzierten Mitgliedern. Dass ich in dieser Zeit im Vorstand des Gemeinschaftswerks Evangelischer Publizistik und stellvertretende Vorsitzende des Evangelischen Pressedienstes (epd), aber auch Mitglied des WDR-Rundfunkrats war, hat mir die Bedeutung von Presse und Medien für den kulturellen und gesellschaftlichen Wandel – auch in der Kirche – deutlich gemacht. Seit Anfang der 1990er Jahre gestalte ich regelmäßig Rundfunkandachten und Verkündigungssendungen und war dann später Gründungsmitherausgeberin des Magazins Chrismon. Ich bin überzeugt, dass die Kirche nicht nur mit ihren gemeindlichen und diakonischen Angeboten, sondern auch mit ihrer Einmischung in der Öffentlichkeit für das Evangelium einstehen muss – und damit für die „Seele des Sozialen“, die unsere Gesellschaft geprägt hat. 1998 wurde ich theologischer Vorstand der Kaiserswerther Diakonie, einem Unternehmen mit Krankenhaus und Altenhilfeeinrichtungen, Jugendhilfe und Sozialpsychiatrie, mit Schulen für Pflege und Pädagogik und vielen Kultureinrichtungen. In dessen Doppelspitze arbeitete ich mit einem Kaufmann zusammen und war daneben und zugleich Vorsteherin der Schwesterngemeinschaft. Eine Doppelrolle, die einer Frau auf den Leib geschrieben schien. Sie bedeutete aber die erhebliche Herausforderung, Modernisierung und Ökonomisierung mit Spiritualität und Tradition in Einklang zu bringen. Der Umbau des Mutterhauses in ein ganz besonderes Hotel, die Neugestaltung der Schwesternschaft zu einer offenen Gemeinschaft mit diakonischen Bildungsangeboten, die Erarbeitung eines Leitbildes für dieses sich verändernde Haus, Qualitäts- und Palliative-Care-Prozesse und die Gründung der Fliedner-Kulturstiftung mit dem später gewachsenen Pflegemuseum, aber auch die Weiterentwicklung der ambulanten Arbeit für Menschen mit Behinderungen von einer Suppenküche über eine Hauswirtschaftsfirma bis zum Reiterhof haben mich in dieser Zeit beschäftigt. Seitdem ist für mich die Frage nach den Spezifika diakonischer Arbeit heute und nach spiritueller Leitung in Übergangs- und Konfliktsituationen zentral.

2004 bin ich wieder in ein Kirchenamt gewechselt. Als Nahostreferentin und Leiterin der damaligen Überseeabteilung im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatte ich es nun mit Außen- und Entwicklungspolitik statt mit Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitik in unserem Land zu tun. Der rote Faden, an den ich anknüpfen konnte, waren die ökumenischen Beziehungen der Kaiserswerther Diakonissen, die zum Teil bis heute bestehen und auf Auslandsstationen und internationale Gründungen zurückgehen: in Brasilien und Indonesien und überall im Nahen Osten. Die Frage nach den Chancen interkultureller Arbeit und nach dem interreligiösen Miteinander auch in unserem Land stellt sich auf diesem Hintergrund noch einmal anders.

Als Oberkirchenrätin bei der EKD übernahm ich 2007 die Referatsleitung Gesellschafts- und Sozialpolitik. Hier ging es um Fragen von Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Sozialstaatsentwicklung und Zivilgesellschaft – immer in Kooperation mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD, dem Diakonie Bundesverband und den Fachverbänden für Familie, Arbeit und Wirtschaft. Zu meinen Aufgaben gehörten auch die Geschäftsführung des Synodalausschusses Kirche – Gesellschaft – Staat und die der Kammer für Soziale Ordnung, deren Mitglied ich bereits in einer früheren Periode war. Stärker als in der diakonischen Arbeit habe ich mich in dieser Phase mit den Hintergründen gesellschaftlicher Transformationen beschäftigen können – und mit den Konsequenzen für Unternehmen und Gewerkschaften, Familien und Zivilgesellschaft.

Was die aktuellen Veränderungsprozesse für Kirche und Diakonie, aber auch für die Gesellschaft insgesamt bedeuten, konnte ich also in unterschiedlichen Positionen und damit aus verschiedenen Perspektiven erleben. Bei aller Arbeit an Strukturen in Leitungs- und Aufsichtsgremien verstehe ich mich nach wie vor auch als Seelsorgerin: Im Mentoring und Coaching wie in der Begleitung von Workshops möchte ich etwas weitergeben von dem, was mir selbst in Übergangssituationen wichtig geworden ist – an spirituellen und Gemeinschaftserfahrungen, im Lesen biblischer Texte, beim Einüben von Ritualen und nicht zuletzt im bürgerschaftlichen Engagement. Kirche muss sich einmischen.

Im Oktober 2016 ist mein Buch „Aufbrüche in Umbrüchen“ erschienen, in dem ich meine beruflichen wie auch ganz persönlichen Erfahrungen mit der Kirche und dem Glauben zusammengeführt habe, um über deren Möglichkeiten unter den Bedingungen von demografischem Wandel, Globalisierung, Gentrifizierung und Migration nachzudenken. Im Dezember 2013 erschien in zweiter Auflage mein Buch „Die Seele des Sozialen“, das die Wandlungsprozesse in Diakonie und Gesellschaft thematisiert. Im Frühjahr 2017 wird bei Kohlhammer das Buch „Symphonie, Drama, Powerplay – Zum Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamtlichen in der Kirche“ erscheinen, das ich mit Prof. Dr. Beate Hofmann zusammen herausgebe. Und zur Zeit schreibe ich an einem Buch über das Älterwerden: „Noch einmal ist alles offen“ erscheint vermutlich im Mai bei Kösel.

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