Beschluss der EKD-Synode 2013 zur Familienpolitik

Die EKD-Synode dankt der Ad-hoc-Kommission und dem Rat der EKD für die Darstellung der Herausforderungen von Familie heute in der Orientierungshilfe „ Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“. Nach der Veröffentlichung der Schrift hat eine intensive theologische Debatte dazu stattgefunden. Dabei ist die wesentliche famílienpolitische Akzentsetzung des Textes aus dem Blick geraten sind.

Die Orientierungshilfe deutet die Situation von Familien auf dem Hintergrund moderner Vorstellungen von Autonomie, Gleichheit und Gerechtigkeit, die die Modernisierungsprozesse bestimmen. Dabei werden die Werte Vertrauen, Verlässlichkeit und Fürsorge aus dem biblischen Zeugnis heraus entwickelt und in den Mittelpunkt gerückt.

Die Synode unterstreicht, dass Familienpolitik Sozialpolitik ist. Sie nimmt mit Besorgnis wahr, dass die Ressourcen für Sorgerarbeit in unserer Gesellschaft schwinden, weil auf dem Hintergrund der Entwicklung von Freiheit und Würde jedes und jeder Einzelnen die wechselseitige Angewiesenheit aller unterschätzt wurde.

Grundgedanke einer evangelisch ausgerichteten Förderung von Familien, Ehen und Lebenspartnerschaften muss deshalb die konsequente Stärkung aller fürsorglichen Beziehungen sein. Wo Menschen auf Dauer und im Zusammenhang der Generationen Verantwortung füreinander übernehmen, sollten sie – unabhängig von der Form, in der sie Familie leben – Unterstützung in Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen finden – mit praktischen Hilfen, mit seelsorglichen, gottesdienstlichen und diakonischen Angeboten.

Kirche als Gemeinde kann den anstehenden Herausforderungen nur gerecht werden, wenn sie mit Kirche als Diakonie zusammenarbeitet, Familienbildung und Beratung, Erziehungs- und Pflegedienste ernst nimmt und fördert und  gemeindliche wie diakonische Angebote an den Schwellen, Knoten- und Krisenpunkten des Lebens verknüpft. Darüber hinaus müssen sich Kirche und Diakonie aber noch stärker mit der Zivilgesellschaft  einbringen und ihr kommunal- und sozialpolitisches Mandat bewusst wahrnehmen.

Familien stehen in Liebe und Verbundenheit füreinander ein und begleiten einander über die Generationen. Sie erfahren aber auch Krisen und Überforderungssituationen, in denen sie auf Solidarität und Unterstützung angewiesen sind. Es bleibt wesentlich, ein Klima zu schaffen, in dem die unbezahlte und unter bestimmten Aspekten auch unbezahlbare private Sorgearbeit gesellschaftlich honoriert und die professionelle Arbeit in Erziehung, Bildung und Pflege angemessen entlohnt wird.

Die EKD-Synode unterstreicht daher die sozial- und familienpolitischen Forderungen, die damit in Zusammenhang stehen:

  • Vereinbarkeit von Erziehungs- und Pflegeaufgaben mit beruflichem Einsatz
  • Stärkung von Maßnahmen gegen die „ Teilzeitfalle“, Beseitigung von Aufstiegshemmnissen für Frauen, Beendigung der Entgeltnachteile in „Frauen- und Sorgeberufen“
  • Flexiblere Gestaltung der Biographien zwischen Bildung,  Berufs- Familien- und Pflegezeiten und entsprechende Anpassung des Steuer- und Sozialversicherungsrechts –
  • Qualitativer Ausbau der Tageseinrichtungen zu Bildungs- und Familienzentren
  • Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Familien, Tageseinrichtungen und Schulen
  • Stärkung der Quartiers- und Gemeinwesenentwicklung im Blick auf Familien, Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen
  • Förderung und Qualifizierung zivilgesellschaftlicher Initiativen und ehrenamtlichen Engagements

Begründung:

Zum ersten Mal in der Geschichte leben in den städtischen Ballungsräumen mehr Menschen allein als in Familien. Die Sehnsucht nach Familie wächst; Studien zeigen: junge Menschen wünschen sich Kinder. Zugleich aber ist es schwer geworden, als Familie zu leben. Veränderungen am Arbeitsmarkt, wachsende Mobilitätserfordernisse, mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie, fehlende Betreuungseinrichtungen, ungleiche Berufschancen von Männern und Frauen und vor allem das wachsende Wohlfahrtsgefälle zwischen Menschen, die mit und ohne Kinder leben, spielen dabei eine entscheidende Rolle. Dabei werden sowohl der demographische Wandel als auch die Bedeutung von Erziehung und Pflege für die Wohlfahrtsentwicklung unterschätzt. Zu den Herausforderungen unserer Zeit gehören die Frage nach Zeit für die Familie, nach einer besseren Zusammenarbeit von Familien, Einrichtungen und Dienstleistern bei Erziehung, Bildung und Pflege und nach der Stärkung der Generationenbeziehungen.

Angesichts langer Ausbildungszeiten und Berufseinstiege ist die Zeit für Familiengründung heute knapp geworden- obwohl die Lebenserwartung zugleich gestiegen ist. die Geburt von Kindern wird im Lebenslauf immer weiter hinausgeschoben und ein nicht kleiner Teil der betroffenen Frauen leiden darunter, dass ihr Kinderwunsch sich nicht erfüllt. Zugleich nimmt die Vielfalt des Familienlebens zu; der Anteil Alleinerziehender, die Zahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften und Patchworkfamilien wächst. Familie ist Geschenk, aber Familie zu leben, braucht auch bewusste Arbeit an einer gemeinsamen Identität und Kultur und Zeit für vielfältige Kontakte. Zudem wächst die Polarisierung sozialer Lebenslagen zwischen Ein- und Zwei-Verdiener Haushalten, vor allem aber zwischen denen, die für Kinder sorgen und denen, die keine Kinder zu versorgen haben. Vor allem Alleinerziehende sind überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen.

.Angesichts der Reproduktionskrise, des demographischen Wandels und des tiefgreifenden Strukturwandels am Arbeitsmarkt stehen wir sozialpolitisch vor der Herausforderung, Bildung, Erwerbsarbeit und die Fürsorge im Erwerbsverlauf zu entzerren, gerechter zwischen den Geschlechtern zu verteilen und neue Arrangements zwischen Familien und Dienstleistungen zu schaffen.

Im Zusammenhang mit dem notwendigen Ausbau der Tageseinrichtungen und Krippenplätze droht angesichts der Schwierigkeiten der in vielen Fällen finanzschwachen Kommunen, allein das quantitative Ausbauziel zu erreichen, die Verbesserung der Qualität Bildungs- und Betreuungsplätze zu kurz zu kommen. Gerade hier ist die Kirche gefragt. Nicht zuletzt geht es darum, in Familienbildungsstätten und Familienzentren die Elternarbeit zu stärken und auch auf religiöse Bildung und Wertekompetenz zu achten. Kirche ist aber auch gefragt, wenn es um die Tarifgestaltung in den Erziehungs- und Pflegeberufen und um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der eigenen Mitarbeiterschaft geht.

Abstimmung _ 2 Gegenstimmen, einige Enthaltungen