Prophetische Kritik, spirituelle Begleitung und gemeinsames Lernen:

Das Arbeitsplatzsiegel ARBEIT PLUS als Lernfeld im Dialog mit der Wirtschaft

Verleihung Arbeit plus

 

1. Eine Stellungnahme mit prophetischem Charakter

Als im Juni 2009 das Wort des Rates der EKD zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise erschien[1], sahen viele Journalisten darin eine Stellungnahme mit prophetischem Charakter – und das nicht nur, weil sich schon der Titel „ Wie ein Riss in einer hohen Mauer“ auf einen Text aus Jesaja 30 bezieht. Es war auch der Zeitpunkt des Erscheinens– damals dachten in Politik und Gesellschaft viele über Konsequenzen aus der Krise nach- und die Unbedingtheit, mit der der Rat in diesem Fall orientierende Hinweise gab: Ein grundlegender Wandel wurde angemahnt, ein Weiter so ausgeschlossen, Eckpunkte für politisches Handeln konkret benannt:. Der Rat fordert eine stärkere Regulierung der Finanzaufsicht, einen klaren Zusammenhang zwischen Risiko und Haftung, die Veränderung der Anreizsysteme in den Unternehmen, den Schutz der sozial Schwachen vor den nachfolgend zu zahlenden Kosten der Krise und den Erhalt der sozialen Sicherungssysteme, Schritte zu einer nachhaltigen Entwicklung und eine neue Definition eines nachhaltigen Wachstums. Der prophetische Ton dieser Schrift ist wohl auch der Tatsache geschuldet, dass die Krise auf den Finanzmärkten zu diesem Zeitpunkt auf die Realwirtschaft und die staatlichen Haushalte durchgeschlagen war. Wohlstand und soziale Sicherheit für breite Schichten schienen gefährdet. Damit war klar : Unter den Bedingungen des globalen Wettbewerbs muss die bewährte Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft neu justiert werden.

Bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Ratsworts war niemand von den versammelten Journalistinnen und Journalisten  über den prophetischen Charakter des Textes erstaunt – im Gegenteil: Ein solches Wort wurde von der Kirche erwartet. Und dies, obwohl die EKD selbst in den letzten Jahren sehr zurückhaltend mit prophetischen Texten war. Rats- und Kammertexte werden an „ Klassikern“ gemessen, die eine breite Wirkung entfalten konnten wie das ökumenische  Wort der Kirchen zur sozialen und wirtschaftlichen Lage, das so genannte „Sozialwort“  von 1997. Eine Denkschrift wie „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“[2], die frühzeitig und hellsichtig schon vor der Finanzmarktkrise auf die wachsenden Gefahren an den Kapitalmärkten hingewiesen und soziale Verantwortung auch in international agierenden Firmen angemahnt hat, würde dagegen niemand als prophetischen Text bezeichnen. Diese Schrift hat den Dialog mit der Kirche mit Unternehmerinnen und Unternehmern im Blick, sie ermutigt zu unternehmerischem Handeln als wesentliche Quelle für gesellschaftlichen Wohlstand und mahnt soziale Verantwortung und Gemeinwohlorientierung der Wirtschaft an – in der Kooperation von Management und Beschäftigten, in der Förderung gesellschaftlichen Engagements, im sparsamen Umgang mit Ressourcen und nicht zuletzt in der Eröffnung von Entwicklungs- und Beteiligungschancen. Die Kritiker  die zum Reformationstag 2009 einen Aufsatzband unter dem Titel „Frieden mit dem Kapital?“[3] herausgebracht haben, hatten den Eindruck, mit dieser Schrift stehe die Kirche in der Gefahr, sich an den herrschenden neoliberalen Zeitgeist anzupassen und  ihre Sache zu verraten. Auch deswegen wurde „ Wie ein Riss in der hohen Mauer“ als prophetisches Wort und als Umkehr der Kirche verstanden.

2. Dialog auf Augenhöhe statt erhobenem Zeigefinger
Auf dem Leipziger Kirchentag 1997 wurde vom damaligen Kirchentagspräsidenten Dr. Rainer Meusel die Idee aus der Taufe gehoben, Firmen auszuzeichnen, die in einer Phase hoher Arbeitslosigkeit neue Arbeitsplätze schufen. In den darauf folgenden zwei Jahren entstand daraus, zunächst in der Evangelischen Kirche im Rheinland, das  Arbeitsplatzsiegel „ Arbeit plus“, das heute von der EKD verliehen wird. Das vorrangige Ziel, neue Arbeitsplätze zu schaffen, wurde dabei ergänzt durch  Kriterien, die es erlaubten, die Arbeitsplätze in den Unternehmen nicht nur unter quantitativen, sondern auch unter qualitativen Gesichtspunkten zu beurteilen..Dazu entwickelte das Institut für Wirtschafts- und Sozialethik ( IWS)  ein differenziertes Verfahren mit sechs verschiedenen Indikatoren für gute Arbeit. Gefragt und gemessen wird, in welchem Maße ein Unternehmen gesellschaftliche Teilhabe und Lebenschancen ermöglicht, Entfaltungs- und Beteiligungschancen eröffnet, Vielfalt als Chancen begreift und eine demokratische Sozialkultur gestaltet. Dazu wird zum Beispiel im Blick auf Lebenschancen untersucht, wie sich die Beschäftigungsentwicklung im Branchenvergleich darstellt. Insbesondere geht es um die Einstellung und Übernahme von Auszubildenden, die Beschäftigung von Schwerbehinderten oder älteren Arbeitnehmern und, wie es dem Ursprungsimpuls entspricht, von Langzeitarbeitslosen. Unter dem Kriterium Beteiligungschancen werden die Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung untersucht: dabei geht es um  Fort- und Weiterbildung, Gesundheitsschutz und Qualitätsmanagement. Die Frage nach Entfaltungschancen hat Familienförderung, Genderfragen oder Age Management im Blick, und unter dem Aspekt der Sozialkultur werden betriebliche Mitbestimmung, materielle Mitarbeiterbeteiligung, Führungskultur und Corporate Citizenship mit allen Beteiligten diskutiert. Dank vielfältiger Anregungen des IWS unter der Leitung von Wolfgang Nethöfel wurden die Kriterien in den vergangenen zehn Jahren laufend weiter entwickelt und neu gewichtet.[4]

ARBEIT PLUS bietet den Unternehmen ein Instrumentarium zu organisationellen Überprüfung der eigenen Exzellenz, eine wissenschaftliche Fremdevaluation durch ein Institut mit langjähriger Erfahrung in diesem Bereich und schließlich die Möglichkeit, die eigene Qualität mit dem Arbeitsplatzsiegel der EKD sichtbar zu machen und als Wettbewerbsvorteil zu nutzen.  70 Unternehmen wurden in den letzten 11 Jahren ausgezeichnet, davon 15 gleich mehrfach. Dazu gehören Klein- und Mittelbetriebe ebenso wie Konzerne aus allen Branchen, von Aluminium- und Stahlwerken bis hin zu Banken oder Zeitarbeitsfirmen. Zum Vergabegremium unter Vorsitz des jeweiligen Ratsvorsitzenden gehören Vertreter von BDA und Gewerkschaft wie aus der Wissenschaft. Die Verleihung des Siegels erfolgt dann in einer zentralen EKD-Veranstaltung, aber auch dezentral mit dem jeweiligen Landesbischof. Für Geschäftsführung wie Belegschaft sind die Vergabeveranstaltungen ein positives Signal; sie fördern ein gutes Betriebsklima und bieten einen Vorteil bei der Mitarbeiterbindung.

Damit geht „ Arbeit plus“ weit über das hinaus, was Medien und Wirtschaft von den Kirchen erwarten. Mit diesem Instrument lässt die evangelische Kirche sich darauf ein, Arbeitsplatzentwicklung und „gute Arbeit“ im Branchenvergleich zu analysieren und zu beschreiben. Die meist sehr grundsätzliche prophetische Kritik, der Gestus des erhobenen Zeigefingers, weicht einer differenzierten Auseinandersetzung mit den konkreten sozial- und wirtschaftsethischen Möglichkeiten unter den gegebenen Rahmenbedingungen. Die Arbeitsmarktrelevanten Orientierungslinien der EKD, wie sich im ökumenischen „Sozialwort“ oder in der „Unternehmerdenkschrift“[5] finden, treten in Korrelation zu den genannten Indikatoren. In den Untersuchungsverfahren selbst wie auch bei allen Vergabeveranstaltungen zeigt sich, wie essentiell dabei die persönlichen Gespräche mit Betriebsräten, vor allem aber mit dem Management der Unternehmen sind. In den teilweise hochemotional geführten Gesprächen bringen noch immer viele Unternehmer und Unternehmerinnen zum Ausdruck, dass sie sich zum ersten Mal differenziert von der Kirche wahrgenommen fühlen. An die Stelle einer gelegentlich als kränkend empfundenen moralischen Kommunikation ist ein institutioneller, durch Indikatoren der Bewertung abgestützter Dialog getreten, der den Unternehmen mit der Veröffentlichung der Benchmarks in der internen wie in der externen Kommunikation weiter hilft und ihre Arbeit besiegelt. Und gerade in den Vergabeveranstaltungen kann sichtbar werden, wie Kirche mit der Wirtschaft im Gespräch ist: klar und deutlich, was ihre ethischen Kriterien angeht, sachkundig und  realistisch, was ihre Erwartungen im Branchenvergleich betrifft, kenntnisreich mit kritischer, wissenschaftlicher Begleitung und dabei den Menschen zugewandt – vom Management über den Betriebsrat bis zu den Auszubildenden. ARBEIT PLUS kann damit zum Gütesiegel einer Wirtschaft werden, die gerade dadurch Stabilität gewinnt, dass sie Teilhabe ermöglicht und den Menschen eben nicht nur als Mittel zum Erfolg sieht.

3. Entwicklungen des Arbeitsmarktes und Herausforderungen für die Zukunft
ARBEIT PLUS ist eine Chance für wechselseitiges Lernen. Die Erfahrungen, die die EKD mit diesen Untersuchungen macht, sind eingeflossen in Denkschriften wie „Gerechte Teilhabe“ aus dem Jahr 2006 oder die schon zitierte „ Unternehmerdenkschrift“. Diese Grundlagentexte beschreiben die  Veränderungen in der Arbeitswelt, die Chancen und Grenzen von Arbeitsmarktpolitik oder die anstehenden Herausforderungen für Bildung und Sozialsysteme aus wirtschafts- und sozialpolitischer Perspektive. Bei den Untersuchungen im Kontext des Arbeitsplatzsiegels geht es dann um die Frage, wie die sich abzeichnenden Veränderungen von den Unternehmen wahrgenommen und gestaltet werden. Tatsächlich stand die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in nahezu allen untersuchten Unternehmen der letzten Jahre auf der Agenda. Arbeitszeitmodelle werden sehr flexibel gehandhabt – bei Führungskräften allerdings waren  Teilzeitmodelle so gut wie nicht existent. Auch der demographische Wandel allerdings war bis vor kurzen noch kein Thema für die Unternehmen. Offensichtlich liegt es auch an öffentlichen Debatten, aber auch an der Wettbewerbssituation auf den Personalmärkten, welche Themen als wesentlich begriffen werden.

Dabei ist schon jetzt deutlich, dass der demographische Wandel die Strukturen von Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland wesentlich verändern wird. Bereits heute zeichnet sich ein Fachkräftemangel in Gesundheits- und Pflegeberufen ab, die für die älter werdende Bevölkerung immer wichtiger werden. Und nicht nur in der Sozialwirtschaft sind in der Zukunft Frauen als Fachkräfte gefragt. Längst ist von einer Feminisierung der Arbeitswelt die Rede, und damit einher gehen nicht nur neue Modelle der Vereinbarkeit, sondern auch die Notwendigkeit, die gesamte Infrastruktur für die so genannte Care-Arbeit in Erziehung und Pflege auszubauen und die bestehenden Sozialsysteme entsprechend anzupassen. Nicht nur die Sorge um die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, auch der Fachkräftemangel wird dazu führen, dass die Lebensarbeitszeit verlängert werden muss – und bald schon wird die alternsgerechte Qualifizierung, die noch kein Thema ist, auf der Agenda der Firmen stehen.

Denn trotz der neuen Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 1.5.2011 in Europa, werden Migrantinnen und Migranten allein die Probleme der alternden Gesellschaft nicht auffangen können. Solange unser Land keine Willkommenskultur entwickelt und kulturelle Vielfalt nicht als Ressource, sondern als Bedrohung erlebt wird, stehen die Chancen ohnehin schlecht. An dieser Stelle kann die Gesellschaft von  globalisierten Unternehmen wie der Bayer AG lernen, die das Arbeitsplatzsiegel für einen ihrer Unternehmensbereiche erhalten hat Ein globaler Arbeitsmarkt mit internationaler Verflechtung und hohem Wettbewerbsdruck für die Standorte verlangt Sensibilität für die soziale und kulturelle Identität der Partner und Kollegen. Globalisierte Unternehmen brauchen aber auch eine starke Unternehmensidentität und –ethik und gemeinsame Führungsgrundsätze. Für ein Arbeitsplatzsiegel der Evangelischen Kirche wie für die Kirchen selbst ist es dabei nicht ohne Belang, welche Rolle die Auseinandersetzung mit Religion als Herzstück der unterschiedlichen Kulturen dabei spielt. In vielen säkularisierten Unternehmenskulturen scheint schon die Zusammenarbeit mit den Kirchen unter Compliance-Verdacht zu stehen .Zugleich aber heißen andere die religiösen Bindungen und Aktivitäten ihrer Mitarbeiter willkommen und versuchen,  diese Perspektive in ethische Debatten zu integrieren. Hier tut sich ein neues Lernfeld auch für die evangelischen Kirchen auf.

Unter den Rahmenbedingungen von Globalisierung und demographischem Wandel verändern sich Unternehmenskulturen rasant. Dabei spielt auch der technologische Fortschritt eine entscheidende Rolle. Die Möglichkeiten von Projektarbeit und Heimarbeit sind in den letzten Jahren enorm gewachsen; flexible, interaktive Arbeitsstrukturen, Wissensmanagement und Netzwerkarbeit haben die Zusammenarbeit erheblich verändert. Die Hierarchien sind flacher geworden, Kooperationen verändern sich mit den Projekten, das Qualitätsmanagement ist strukturell verankert. Darin liegt eine große Chance für Männer und Frauen, die Beruf und Familie vereinbaren wollen, für mobile Mitarbeiter in globalisierten Unternehmen und schließlich für Fachkräfte in Medien und Wissenschaft. Zwar hat mit der Digitalisierung  auch die Informationsflut zugenommen, zwar sind Arbeitsdruck und Beschleunigung erheblich gewachsen, doch bestehen auch neue Chance für Rückzug und Selbststeuerung. Zugleich zeigt sich allerdings, dass und wie mit Leitbildern, Führungsgrundsätzen und Qualitätsmanagement die Normen von Wettbewerb und Leistung verinnerlicht werden und die gewonnene Zeitsouveränität  von innen her erodieren lassen. Wo hoch motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter  im internen Wettbewerb miteinander und mit Kollegen in anderen Staaten stehen, wo prekär Beschäftigte unter dauernder Verfügbarkeit leiden, ohne noch feste Arbeitszeiten zu haben, wo die physische Zusammenarbeit und Kollegialität in einer Firma angesichts des stetigen Wandels und der Dezentralisierung kaum noch erlebt werden kann, erodieren die Strukturen für verlässliche Kooperation und Solidarität. Die traditionelle Schwäche von Betriebsräten und Gewerkschaften in den Dienstleistungsbranchen, aber auch in IT-Betrieben und in der Wissensindustrie setzt sich inzwischen auch in anderen Unternehmen fort. Wo jeder sein eigener „ Arbeitsplatzunternehmer“ ist, ist Kreativität gefragt, damit das Gemeinsame und das Gemeinwohl nicht in den Hintergrund treten. Hier fehlen noch Indikatoren, die über die eher rechtlichen Fragen nach Betriebsrat, Tarifbindung und materieller Mitarbeiterbeteiligung hinaus gehen. Sinnerfüllte Arbeit ist eben nicht nur auf Leistung und Erfolg, Arbeitsplatzsicherheit und angemessene Vergütung angewiesen, sondern auch auf ein wechselseitiges Lernen in Kooperation.

Der Wertewandel, der mit den hier nur kurz beschriebenen Umbrüche in der Arbeitswelt einhergeht, führt zu Gerechtigkeitsfragen, zu ethischen und religiösen Herausforderungen, die die Kirche ganz unmittelbar angehen und hier nur exemplarisch benannt werden können: Der demographische Wandel verlangt lebenslanges Lernen – was aber ist mit denen, die selbst mit den besten Bildungsangeboten nicht in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können? Die neuen Selbständigen und Hochmobilen sind bereit, ihre gesamte Energie in ihre Projekte zu stecken- wie aber lernen sie eine neue Work-Life-Balance, die auch eine Partnerschaft und ein Familienleben ermöglicht? Die wachsende Pluralität der Lebensformen, der Wertorientierungen und der Religionen erfordern bewusste Entscheidungen über Sinn- und Wertfragen, aber auch über die Zugehörigkeit, die viele noch überfordern. Auch in dieser Hinsicht ist ein globaler Markt entstanden, auf dem nun auch die Kirchen sich bewegen müssen. Viel hängt davon ab, welche ethischen und spirituellen Angebote sie für die Menschen machen, die nach einer neuen Balance, nach Unterstützung in Brüchen und Scheitern, nach Auseinandersetzung mit anderen Religionen, nach Hilfe in Erziehung und Pflege suchen.

Die traditionellen Angebote der kirchlichen Verbände und Zentren im Bereich Kirche-Wirtschaft- und Arbeitswelt brauchen in dieser Hinsicht noch manchen Impuls, der in den bisherigen Kirchenreformbemühungen noch zu kurz gekommen ist. Dabei geht es zum Beispiel um die Zusammenarbeit von Kirchen und Unternehmen bei Corporate -Social Responsibilty-( SCR) Projekten, Mentoring- Programmen oder beim bürgerschaftlichen Engagement. Zusammen mit dem Koordinierungskreis von ARBEIT PLUS wurde vor drei Jahren das „ Forum Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt“ der EKD gegründet, das solche Zukunftsthemen aufnimmt und einer besseren internen Kommunikation und Vernetzung dient. Dieses soziale Netzwerk ist nur ein Anfang, der durch ein „ social network“ ergänzt werden muss. Notwendig wäre eine Einbettung auch der Angebote und Aktivitäten von ARBEIT PLUS in einer webbasierte, interaktive Web 2.0-Kommunikation.

Über das Instrument von  ARBEIT PLUS könnte die EKD in der Netzöffentlichkeit auch publizieren, mit welchen Kriterien sie sich auf die Sachlogik von unternehmerischem Handeln einlässt und welche Standards sie für „gute Arbeit“ setzt. Damit könnte sie auch Verbraucherinnen und Verbraucher in Auszeichnungsverfahren einbeziehen und durch das Feedback im Netz noch stärker als bisher die jeweils aktuellen Fragestellungen für den Dialog von Kirche und Wirtschaft identifizieren. Darüber hinaus wäre es möglich, an eine entsprechende Matrix der Indikatoren für das Feld der Unternehmensethik weitere anzuschließen- für Fragen der Nachhaltigkeit, des Umgangs mit Anlagen und Finanzmärkten etc. Auf diese Weise könnte, so Wolfgang Nethöfel vor einiger Zeit in einem kreativen Brainstorming im Koordinierungskreis von ARBEIT PLUS, eine webgestützte Weiterentwicklung der Kriterien evangelischer Sozialethik in verschiedenen Handlungsfeldern entstehen. Das könnte helfen, das beziehungslose Nebeneinander unterschiedlicher Siegel für gute Arbeit, Nachhaltigkeit oder Familienfreundlichkeit zu überwinden.

Die Beratungsbitten im Kontext der Untersuchungsverfahren zeigen zudem, wie wichtig Angebote sind, mit denen die Kirchen Management, Betriebsräten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Mut machen, Verantwortung zu übernehmen, mit Scheitern und Brüchen umzugehen, immer wieder auch Neuanfänge zu wagen , bisherige Grenzen zu überschreiten und sich der eigenen Überzeugungen und inneren Erfolgskriterien zu vergewissern.

4. Was kann die Kirche „besiegeln“? Glaubwürdigkeit im Dialog
Die Güte sei das Gütesiegel einer Wirtschaft , die dem Menschen dient, sagte Propst Heino Falcke bei seiner Abschlusspredigt beim Leipziger Kirchentag, als das Arbeitsplatzsiegel aus der Taufe gehoben wurde. Über die Jahre betrachtet zeigt sich, dass durchaus auch Branchen ein Interesse am EKD-Arbeitsplatzsiegel haben, die von den prophetischen Gruppen in der Kirche eher kritisch gesehen werden: Flughäfen, Zeitarbeitsfirmen, Banken im Kontext der Finanzmarktkrise. Viele davon können durchaus „gute Arbeit“ im Sinne der oben genannten Kriterien von Arbeit plus aufweisen, werden aber zum Beispiel wegen ihres Umgang mit Nachhaltigkeitsfragen oder Finanzanlagen kritisiert – für Fragen also, die auf dem Hintergrund der genannten Indikatoren des Siegels nicht differenziert abgefragt werden. So zeichnen sich im Vorfeld der entsprechenden Vergabeveranstaltungen immer wieder Konflikte  ab: zwischen der EKD als Verleiherin des Siegels auf der einen Seite und engagierten Kritikern in Umweltgruppen, Arbeitsloseninitiativen oder örtliche Kirchengemeinden auf der anderen Seite .Wenn es gut geht, entstehen wie am Flughafen München aktuelle Kirche-Wirtschaft-Dialoge ,die prophetische Kritik von Konsumenten und „Basis“ ebenso Platz hat wie die realwirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Branche,  Nicht immer kommt es aber zur Verständigung. Von den Firmen wird das Siegel  als öffentliche Anerkennung der Kirche für ihre Leistung verstanden,  von den Kritikern gelegentlich als „Absegnung“ einer Arbeit, die den hohen moralischen Erwartungen nicht entspricht. Bei den Flughäfen ging es dabei um den Widerstreit zur Bewahrung der Schöpfung, bei der Zeitarbeit um die Kriterien von Gerechtigkeit und Arbeitsplatzsicherheit, bei den Banken um die Frage, wie riskant ihre Finanzprodukte waren – und dies alles ganz unabhängig vom Thema „ gute Arbeit“.  Ist die Kirche also auf Abwegen, wenn sie einem Unternehmen gute Arbeit attestiert, das in anderen Bereichen im Blick auf andere ethische Maßstäbe den Erwartungen nicht gerecht wird? Im Koordinierungskreis von Arbeit plus ist immer wieder diskutiert worden, ob es nicht einer verstärkten Zusammenarbeit mit anderen kirchlichen Zertifizierern  bedürfte, um die genannten Konflikte zu mildern. Auch Wolfgang Nethöfels Idee, die Indikatoren für gute Arbeit, für Nachhaltigkeit oder Finanzanlagen in eine gemeinsame Matrix einzubringen, könnte hier weiter führen – zumindest könnte sie  die Komplexität, die Spannungsfelder und die Widersprüchlichkeiten wirtschaftlicher Entscheidungen für Unternehmen, Betriebsräte ,Verbraucher und Gemeinden.

Unternehmen nehmen Verbraucherentscheidungen auf und formen sie. „Konsumenten erkennen immer deutlicher, dass es sich lohnt, ihre Kaufentscheidungen bewusst wertorientiert zu vollziehen, und tragen so dazu bei, dass sich Märkte stärker an moralischen Orientierungen ausrichten“, heißt es in der „Unternehmerdenkschrift“:[6] Das EKD Arbeitsplatzsiegel, das „gute Arbeit“ auszeichnet, kann und darf andere Themen wie Nachhaltigkeits- oder Anlagefragen nicht ausblenden, die im Zusammenhang der Vergabe thematisiert werden. Solche Störungen wahrzunehmen, bleibt notwendig, damit die Kirche eben nicht missbraucht wird, um „abzusegnen“, was nicht gut zu heißen ist.  Genauso wichtig ist es aber, bei den entsprechenden Diskussionen deutlich zu machen, auf welchen, auch von Konsumenten gesteuerten Märkten, sich die Unternehmen bewegen.  Denn nicht nur in der Wirtschaft gibt es Licht und Schatten, ähnliches gilt auch für das Verhalten mancher Verbraucher, die sich ihrer Macht noch unzureichend bewusst sind. So betrachtet, ist das Siegel auch eine Sonde, die im Dialogfeld Kirche-Wirtschaft offene Fragen aufspürt und mit ihren Auszeichnungen Lernimpulse setzen kann.

5. Beratung braucht Selbstreflektion – Veränderungsprozesse in Kirche und Diakonie
Sobald in den Gesprächen mit Firmen klar ist, dass das Alltagshandeln unter den gegebenen Rahmenbedingungen ernst genommen und gewürdigt wird, kommen auch ethische Dilemmata zur Sprache. ARBEIT PLUS ist eine offene Eingangstür für Beratungsprozesse. Um sie redlich wahrzunehmen, ist allerdings Selbstreflexion angesagt. Denn Kirche und Diakonie gehören zu den größten Arbeitgebern in Deutschland. Und ihre sozialen Unternehmen nehmen geradezu paradigmatisch an den Veränderungsprozessen teil.

Umstrukturierungen und Fusionen prägen auch hier das Bild; zugleich wurde unter dem Druck des Wettbewerbs outgesourcet. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Leih- und Zeitarbeit gibt es seitdem auch in Diakonie und Kirche, ökologische Fragen spielen auch in kirchlichen Krankenhäusern und Altenheimen eine Rolle. Auch bei uns erleben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine kaum noch für möglich gehaltene Arbeitsverdichtung und ein bisher nicht gekanntes Maß an Veränderungsdruck. Und auch hier ist das eine Konsequenz politischer Rahmenbedingungen, vor allem in der Pflege- und Gesundheitsbranche, die seit Anfang der 90-er Jahre für den Wettbewerb mit freien Trägern geöffnet wurde. Bei Patienten und Angehörigen kann das durchaus zu Irritationen im Blick auf ihr Bild von Diakonie oder Caritas führen, während Träger und Management nun neben dem Kampf um Wirtschaftlichkeit verstärkt um den Erhalt des diakonischen Profils ringen. Auch die Sozialwirtschaft ist nicht ausgenommen von den Einflüssen des europäischen Arbeitsmarkts, von Standortwettbewerb und veränderten Steuerungsmechanismen und Arbeitsbiographien. Die alte Arbeitsplatzsicherheit ist dahin, die Dienstgemeinschaft steht in Zerreißproben. Dabei wird der demographische Wandel gerade in diesem Bereich auf Dauer neue und gut bezahlte Beschäftigung schaffen, der Fachkräftemangel wird den Wert der Care-Berufe wieder neu ins Bewusstsein rücken und die Suche nach Spiritualität als Ressource im Umbrüchen kommt den Kirchen entgegen. Zurzeit allerdings ist die Glaubwürdigkeit auch in diesem Sektor angekratzt: die Medien sprechen von der „Helferindustrie“; und jede zehnte Altenpflegeschülerin fragt sich bereits nach zwei Jahren Ausbildung, ob sie den richtigen Beruf ergriffen hat.

In Fragen von Finanzierung, Strategie und Steuerung unterschied sich die verfasste Kirche lange Zeit fundamental von der unternehmerischen Diakonie, Aber diese Dichotomie beginnt sich aufzulösen. Angesichts sinkender Kirchensteuereinnahmen setzt sich inzwischen auch in der kirchlichen Finanzplanung eine neue Input- und Outputsteuerung durch: Ziele werden beschreiben, Instrumente diskutiert, Kompetenzzentren gebildet. Und auf dem „Sinnmarkt“, der sich angesichts der Pluralisierung unserer Gesellschaft entwickelt, versuchen auch  kirchlichen Träger ihr Profil zu schärfen, neue Anknüpfungspunkte und Resonanzen zu gewinnen.  An die Stelle einer Institutionen- und Verbandslogik mit unklaren Zuordnungen, vielfältig verschränkten Zuständigkeiten und vielfach vernetzten Gremien tritt eine Handlungslogik mit klar zugeschriebenen Teilkompetenzen und wechselseitigen internen Dienstleistungen. Die Hierarchien werden flacher, die Eigenverantwortung wächst.  Die Umbruchprozesse, die damit verbunden sind, bergen ähnlich schwierige Herausforderungen wie die Umstrukturierungsprozesse in der Sozialwirtschaft und in anderen Dienstleistungsunternehmen.

Es gibt Gewinner und Verlierer im Wettbewerb um die knapper werdenden Finanzen, es gibt Erfolg und Versagen gegenüber Leistungszielen. Immer neue Projekte und Allianzen entstehen, immer neue Teams und Netzwerke. Das ist anstrengend und verunsichert. Was sich nämlich zwischen den Organisationen und in den Organisationen selbst zeigt, das gilt natürlich auch für jeden Einzelnen. Lebensläufe werden immer neu zusammen gesetzt und beschrieben. Die Freude an Aufbrüchen mischt sich mit der Angst vor Verlusten In den Umbrüchen entstehen auch Brüche. An den Schnittstellen ist Neuorientierung nötig.

Die derzeitige Zusammenführung von Diakonie als Spitzenverband der Wohlfahrtspflege, Ökumenischer Diakonie und Evangelischem Entwicklungsdienst zu einem neuen Werk in Berlin ist dafür paradigmatisch; dieser historische Schritt ist sicherlich so entscheidend wie die Zusammenführung von Innerer Mission und Hilfswerk nach dem Krieg. Als kürzlich Führungskräfte aus beiden Bereichen diskutierten, welche theologischen Traditionen und Werte in diesem neuen Werk gelten sollen, war zu spüren: Die alten Gefäße sind brüchig geworden. In diesem Augenblick, in dem die äußeren Strukturen und die inneren Abläufe sich unter dem finanziellen und gesellschaftlichen Druck ändern, wird sichtbar, dass die überkommenden Traditionen von Entwicklungsdienst und Wohlfahrtsdiakonie, die Leitbilder, die uns lange selbstverständlich waren, nicht mehr tragen. Ungeschützt durch die überkommenen Strukturen, halten sie den neuen Fragen kaum stand. Manche empfinden das als bedrohlich und fühlen sich selbst in Frage gestellt – andere sehen die Chance, kreativ zu werden und neue Visionen zu entwickeln.

Das Arbeitsplatzsiegel ARBEIT PLUS hat bislang nur in wenigen Fällen Unternehmen der Sozialwirtschaft und kaum diakonische Unternehmen untersucht. Das hängt mit der überkommenen Dichotomie zwischen Wirtschaft und Erwerbsarbeit auf der einen  und sozialer Arbeit auf der anderen Seite zusammen. Diese Dichotomie spiegelt sich bis heute in der Struktur kirchlicher Arbeit .Einerseits sind die Verbände im Feld Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt im Grunde nur nach „außen“ hin tätig und nach wie vor stark auf Produktionsbetriebe und weniger auf Dienstleistung ausgerichtet,  andererseits zeigt sich im Anspruch, der sich an die diakonischen Unternehmen richtet, die Erwartung, dass soziale Dienstleistungen in der Kirche in einem anderen Geist geschehen sollen als die in anderen Unternehmen. Kooperation ist gefragt, Dienstgemeinschaft, die über Interessenkonflikte hinausgeht. Wo das gelingt, sollten die Kirchen ihre guten Erfahrungen bekannt machen. Wo es nicht gelingt, wird es höchste Zeit, die Herausforderungen ernst zu nehmen, mit denen auch die Unternehmen zu Recht  kommen müssen, und sich ihnen zu stellen.

6. Spiritualität , Kreativität und Ethik in Unternehmen
Angesichts der Veränderungsprozesse haben Führungskräfte in allen Unternehmen die Aufgabe, von der Herausforderung zur Antwort zu führen. Wie groß der Bedarf ist, dabei Unterstützung zu erhalten, zeigt der christliche Führungskräftekongress. Unternehmer und Manager fragen sich, wie es gelingen kann, die Belegschaft in Krisen und Changeprozessen mitzunehmen. Information und Kommunikation, Transparenz und Benchmarking sind dabei wichtige Faktoren. Dazu trägt auch das Arbeitsplatzsiegel bei. Führungskräfte, die sich gemeinsam mit ihren Betriebsräten in einen solchen Prozess begeben, tun einen wichtigen Schritt, um unterschiedliche Perspektiven zu Wort kommen zu lassen..

Wer Mut macht, Dinge offen anzusprechen, gibt der tatsächlichen Komplexität, den Spannungen und Widersprüchen ein Forum – aber er bietet damit auch dem Neuen eine Plattform, das wachsen will. Das wird nur gelingen, wenn Führungskräfte Vertrauen in den notwendigen Wandlungsprozess und die innere Zuversicht haben, dass sich in Umbrüchen das Ganze neu gestalten wird. Der Geist Gottes „wirke in den Fugen“ von Veränderungsprozessen, hat der Theologe Ernst Lange einmal geschrieben. Ich habe dabei das Bild des Löwenzahns vor Augen, der seinen Weg ins Licht sucht, wo der Beton in der Hitze aufbricht. Wo überkommene Strukturen aufbrechen, entsteht neues Leben. Siehe, ich will ein Neues schaffen“, heißt es in der Bibel „jetzt wächst es auf“. Dieses Neue, der kreative Blink, blitzt ohne unser Zutun auf. Wir können ihm nur Platz machen. Und Zeit geben. Wir müssen das Alte loslassen und das Unvollendete segnen, damit es vor Gott ganz werden kann.

Joseph Schumpeter hat vom Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ gesprochen, der die Wirtschaftsentwicklung vorantreibt und Innovationen ermöglicht. Eine solche enthusiastische Sicht der kapitalistischen Wirtschaftsprozesse fällt uns heute schwer – nicht zuletzt, weil wir zu viel Ausbeutung und Zerstörung natürlicher Ressourcen erlebt haben. Aber Innovation kann nicht gelingen, wenn wir als Handelnde nicht bereit sind, uns auf Veränderungsprozesse einzulassen und Krisen als Chancen wahrzunehmen. Nicht nur die Sorge um andere oder die Schöpfung, auch persönliche Ängste und die Sorge um Erreichtes stehen uns dabei im Weg Wer aber sehen will, wie das Neue entsteht, der muss zurück treten und eigene Interessen  loslassen, darf sich nicht an vermeintliche Sicherheiten klammern. Auch für den christlichen Glauben ist klar, dass die Strukturen und Organisationen, in denen wir leben und arbeiten, der Vergänglichkeit unterworfen sind. Umso wichtiger wird für viele die Frage nach einem geistlichen Halt.

Nicht zuletzt die christlichen Unternehmerverbände haben sich in der jüngsten Zeit  darum bemüht, die 10 Gebote für Manager zu übersetzen. Sie knüpfen dabei an  die Erbauungsliteratur aus den Klöstern an, die in jüngste Zeit so beliebt ist- von Anselm Grün bis Bilgri.[7] Dabei ist klar: die Zehn Gebote sind in Krisensituationen hilfreicher als Leitbildprozesse und Ethikcodices, weil sie eine grundlegende Orientierung geben, die mit ihrem langen historischen Atem auch auf unvorhergesehene Situationen antwortet. Es geht dabei um Haltung, nicht um Strategie. „Übe dich in Demut“  „Erkenne, dass Dein Unternehmen nicht dir gehört“;  „ Verliere dich nicht in der Arbeit“; „Setze deine Talente und dein Vermögen ein, anderen zu helfen“ : Das sind nur einige der Leitsätze, die das Magazin „Impulse“ im Januar 2009 unter der Überschrift „ Wo ist Gott im Unternehmen“ abdruckte.[8] Solche Grundwerte, so Josef Wieland, seien die Visitenkarte eines Unternehmens – sie führten zwar nicht unbedingt zu höherem Gewinn, könnten aber andere Güter mehren  wie zum Beispiel Rechtssicherheit und Commitment. Es gehe dabei aber nicht um das perfekte Unternehmen, sagt er, sondern um glaubwürdige und transparente Veränderungsprozesse, in denen Reden und Handeln möglichst übereinstimmt.  Auf diesem Weg kann der christliche Glaube durchaus Stütze sein;  Immerhin jeder fünfte Manager in Deutschland, so eine Forsa –Umfrage, spricht mit anderen Unternehmern über Glaubensfragen.

An dieser Stelle ist die Kirche gefragt. Dabei ist der christliche Glaube aber mehr als eine Leitlinie ethischer Werte – auch wenn wir sie als Hilfe zur Selbstreflektion und sozusagen als Beichtspiegel nutzen können. Glaube ist auch eine Erinnerung daran, dass jeder Mensch – auch jeder Mensch im Unternehmen – Ebenbild Gottes und mit gleicher Würde ausgestattet ist, dass wir vor Gott mehr sind als unsere Leistung und dass auch unsere Fehler und unser Scheitern unter seiner Gnade und Rechtfertigung stehen. Aus diesem Glauben wächst die Kraft zu ethischem Handeln. In der globalisierten Wirtschaft  wird es für Unternehmer im Westen wichtiger, sich über die Haltung klar zu werden, die zum christlichen Glauben gehört und unsere Marktwirtschaft geprägt hat: Freiheit in Verantwortung.

7. Soziale Marktwirtschaft europäisch gestalten- prophetische Visionen bleiben wichtig
Diakonische Unternehmen unterscheiden sich heute nur noch graduell von anderen Dienstleistern und die verfasste Kirche erlebt die Probleme des sozialen Wandels genauso wie die gesamte Gesellschaft. Darin liegt die Chance für einen neuen und sachkundigen Dialog über die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns. Die Debatte über „ Unternehmerdenkschrift“, zeigt, wie wichtig es dabei ist, die Zielsetzung einer sozialen, nachhaltigen und demokratisch organisierten Marktwirtschaft nicht aus dem Auge zu verlieren. Vertragsfreiheit, Tarifautonomie, Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Verpflichtungen, die aus dem Eigentum erwachsen, gehören zum Wertesystem unserer demokratischen Gesellschafts- und Rechtsordnung, in dem Eigenverantwortung der Bürger und Subsidiarität eine entscheidende Rolle spielen. Im Kontext globaler Wirtschaftsordnungen gilt es deshalb auf allgemeinverbindliche und staatliche sanktionierte Rahmenordnungen, die Selbstverantwortung aller Marktteilnehmer bei adäquater Übernahme von Haftung und Risiko und die soziale Verantwortung für Schwache und Bedürftige zu achten. Was uns allerdings selbstverständlich erscheint, stößt in globalen Kontexten oft genug auf Unverständnis. Erst in globalisierten Unternehmen wird für jeden klar, wie sehr unsere Sozial- und Vertragskultur, unsere Vorstellung von Gleichheit und Menschenwürde, unsere ungeschriebenen Selbstverständlichkeiten von den christlichen und sozialen Traditionen unseres Landes geprägt sind. Die soziale Marktwirtschaft trage deshalb nur dort, wo die Voraussetzungen erfüllt seien und die Inhalte besser als andere zur nachhaltigen Weiterentwicklung des Geltungsbereichs beitrügen; in andere Wertesysteme sie sie nicht per se exportierbar, sagte im Februar Dr. Rainer Eisele bei einer Tagung  der Gemeinschaft Europäischer Kirchen in Bad Boll. Es entscheide sich letztlich an der Stärke des europäischen Binnenmarktes, ob eine europäische Soziale Marktwirtschaft global wettbewerbsfähig sei. Alles komme auf die Flexibilität und Fähigkeit der EU an, die „ Verstöße“ konkurrierender Wirtschaftsordnungen gegen die Grundsätze der europäischen sozialen Marktwirtschaft zu konterkarieren. Als Beispiel nannte er die Auseinandersetzung mit dem OPEC-Kartell oder die Investitionen in Märkte und Staaten mit hoher Korruption

Kann es gelingen, ein starkes Modell sozialer Marktwirtschaft auf Weltebene zu entwickeln und die Produktivität von Märkten mit Rahmenrichtlinien zu verbinden, die dafür sorgen, dass der Ertrag des Wohlstands auch den Schwächsten zugute kommt – oder ist das bloßes Wunschdenken? Die Verzweiflung vieler Kirchen aus dem Süden über die Ausbeutung ihrer Bodenschätze und die Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft haben zu einer grundlegenden Kritik an der sozialen Marktwirtschaft geführt, wie sie in den Erklärungen von Accra und Porto Alegre ihren Niederschlag gefunden hat und auch in der eingangs zitierten Schrift „ Frieden mit dem Kapital“ ihren Ausdruck findet. Bei einer Konferenz an der Universität von Stellenbosch, an der auch Mitglieder der Kammer für soziale Ordnung teilnahmen, wurde intensiv diskutiert, ob es also entlang des Instruments von Märkten Möglichkeiten gibt, soziale Verantwortung zu organisieren. In der Erklärung von Stellenbosch heißt es dazu: „Furthermore, markets need a framework of rules which ensure fairer trade, which prevent the exploitation of developing and impoverished nations and which lead to the most possible mutual benefit in trade relations. To strengthen the legal foundation of this effort we call on all Christians globally to advocate – where this has not yet happened – for their governments to sign and ratify the International Covenant on Economic Social and Cultural Rights (ICESCR)

Die Hoffnung besteht, dass die Soziale Marktwirtschaft wegen ihrer demokratischen Verfasstheit eher als andere Wirtschaftssysteme in der Lage ist, Störsignale wahrzunehmen, sich in Krisen anzupassen und neu zu stabilisieren. Genau das ist auch in den Unternehmen zu erkennen, die mit dem Arbeitsplatzsiegel ausgezeichnet werden. Und es ist auch in den Diskussionsprozessen zwischen Kirche und Wirtschaft zu erkennen, die oft mit einer Auszeichnung einhergehen. Hörfähig zu bleiben für die Kritik von Kunden und Partnern, von Mitarbeitenden und Gemeindegliedern, gehört zur Verantwortung von Kirche wie Wirtschaft. Die Kirche hat darüber hinaus die Aufgabe, prophetische Kritik ernst zu nehmen und ethische Maßstäbe in Erinnerung zu halten. „Die hermeneutische Komponente von ARBEIT PLUS greift die prophetischen Wahrnehmungstraditionen des Menschengerechten im „Königsherrschaft-Christi-Modell“ auf, die relationale Komponente knüpft an die Verantwortung für das Sachgerechte innerhalb der Zwei-Reiche-Lehre an. Die relativen Stärken beider Modelle lassen sich so kombinieren, die relativen Schwächen vermeiden- in einem Verfahren, das der vermittelnden Linie unierter Tradition folgt“; so Wolfgang Nethöfel in seinem oben zitierten Artikel.

In Rolle des Propheten ist die EKD nur in Ausnahmesituationen wie der eingangs zitierten Finanzkrise; Basisgruppen, die sich selbst riskieren, Gründer, die Neues wagen, sind es weit öfter. Entscheidend ist, dass die Kirche die Differenz offen hält –zwischen der Wirklichkeit, in der wir arbeiten und leben und den Visionen und Warnungen, die in biblischen, gerade auch in prophetischen Texten zu finden sind. Dazu braucht die Kirche einen doppelten Dialog: mit Gott und den Menschen, mit Wirtschaft und Heiliger Schrift. Sie wird dabei selbst immer wieder Konflikte geraten. Dazu braucht sie die Freiheit,  von den eigenen Interessen zurück zu treten und die Muster zu erkennen, in denen sich Veränderung vollzieht. Und schöpferische Kreativität, die das Neue gestalten kann. Dafür ist ARBEIT PLUS ist ein Lernfeld.

[1] „Wie ein Riss in einer hohen Mauer“ , Wort des Rates der Evangelischen Kirche- in Deutschland zur globalen Finanzmarkt – und Wirtschaftskrise, EKD-Text 100; Hannover 2009
[2] EKD, Hannover 200
[3] „Frieden mit dem Kapital“
[4] Vgl. dazu Wolfgang Nethöfel: „ ARBEIT PLUS; Von der Sozialverkündigung zur sozialethischen Orientierung“ in: ….S. 209
[5] „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“; a.a.O
[6] S. 72 a.a.O
[7] Preidgt am 12.3.1967 in der Ladenkirche, zitiert nach Pastoraltheologie, 76. Jahrgang 1987, Seite 481
[8] Die Erklärung von Stellenbosch ist bislang unveröffentlicht. An der Konferenz vom 10.-14. Oktober nahm auch der Vorsitzende der Kammer für Soziale Ordnung; Prof. Dr. G.A.Horn, sowie deren stellevertretender Vorsitzender, Prof. Dr. H. Bedford-Strohm, teil.