Profilentwicklung in diakonischen Unternehmen

1. Worum es mir geht

Eine eigene diakonische Unternehmenskultur zu schaffen bzw. zu stärken, das ist seit ca. zehn Jahren ein wesentlicher Aspekt der Organisations- und Personalentwicklung in diakonischen Einrichtungen. Die Grundlinien einer Unternehmenskultur erkennt man am besten in der Krise, in Umbrüchen oder eben angesichts großen Herausforderungen. So ist das auch bei der Diakonie. Die meisten Menschen sind nach wie vor davon überzeugt, dass man in einem diakonischen Krankenhaus oder einer Altenhilfeeinrichtung anders stirbt, dass Angehörige dort anders begleitet werden. Daran lässt sich ablesen, was Image und Markenkern diakonischer Arbeit ausmacht: der unbedingte Respekt vor dem Leben – dem zerbrechlichen, auch dem hinfälligen Leben –, Empathie und Solidarität mit den Leidenden und ihren Angehörigen; die Verlässlichkeit eines starken Teams, eine spirituelle Präsenz auch in den Widersprüchen und Abgründen des Lebens und ein klarer Blick für ethische Herausforderungen. Wo alte Menschen in einem Pflegeheim nur noch Kostenfaktoren sind, wo Pflegende von ihrem Lohn nicht leben können, wo Seelsorge, Spiritualität und Bildung zu kurz kommen, der Wettbewerb auf Kosten der Qualität geht und am Ende die Ärmsten der Armen ausschließt – da ist die Bevölkerung, da sind aber auch die Mitarbeitenden enttäuscht von Kirche und Diakonie. Aber auch Selbstwidersprüche führen zu Glaubwürdigkeitsverlusten: So werden prekäre Arbeitsplätze geschaffen, während man sich gleichzeitig in der Quartiersarbeit gegen Armut engagiert. Kinderbetreuungsangebote für Pflegende im Schichtdienst fehlen, obwohl das Unternehmen ein Familienzentrum unterhält. Für Mitarbeitende, Patienten und Bewohner kann es mit großen Enttäuschungen verbunden sein, wenn sie solche Konflikte und Ambivalenzen hautnah erleben.

Wenn es gelingt, gemeinsame Werte zu formulieren, erschließen wir uns ZukunftDas zeigen die Leitbild- und Qualitätsprozesse, die Zukunftskonferenzen in den Unternehmen. Wer in solchen Dialogen eine gemeinsame Basis findet, der kann unterschiedliche Milieus, Herkunft und Kulturen überbrücken. Wer diese Kraftquellen zum Fließen bringen will, muss sich dann auch in der Praxis mit den schwierigen Fragen auseinandersetzen – mit den Grenzen des Sozialmarkts und der Zukunft gemeinwohlorientierter Angebote, mit der Entwicklung sozialer Professionalität und Bildung, mit der Rolle von Carearbeit in der Gesellschaft, mit der Pluralisierung von Religion und den Sinnquellen sozialer Arbeit. Soziale Arbeit kann nur gelingen, wenn wir die Persönlichkeit der Hilfeempfänger mit all ihren Stärken und Schwächen und auch mit ihrer Verwurzelung im eigenen Umfeld, der eigenen Kultur wirklich wahrnehmen. Das setzt aber voraus, dass auch die Mitarbeitenden sich mit ihrer Person einlassen können, ihre Sensibilität und Professionalität, ihre Menschlichkeit und Fachlichkeit, die eigenen Grenzen und Widersprüche einbringen in ihren Dienst – weil diakonische Arbeit eben nicht einfach Dienstleistung, sondern immer Koproduktion mit den Klientinnen und Klienten ist. Gesundheit und Emanzipation kann man nicht verordnen und nicht kaufen. Zur Professionalität sozialer und pädagogischer Arbeit gehört also eine Haltung, die über die Arbeit hinaus den ganzen Menschen in den Blick nimmt – den anderen wie sich selbst. Das ist eines der zentralen Versprechen aller diakonischen Leitbildtexte. Träger können viel dafür tun, ein Klima und eine Atmosphäre zu schaffen, worin solche Menschlichkeit möglich ist. Sie können die Professionalität ihrer Mitarbeitenden durch ganzheitliche Bildungsangebote stärken, statt nur auf Controlling zu setzen. Sie können Qualitätssysteme anwenden, die die Partizipation aller Stakeholder im Blick haben. Sie können Freiräume zur eigenen Gestaltung und Verantwortung schaffen. Und sie können Orte und Zeiten anbieten, an denen regelmäßig ein Blick auf die Grenzen des eigenen Handelns und die Widersprüche der Rahmenbedingungen möglich ist.

Wie andere Dienstleistungsbereiche auch leidet die Sozial- und Gesundheitsbranche in besonderer Weise unter Kosten- und Arbeitsdruck. Hier werden keine Überschüsse erwirtschaftet, die sich an Mitarbeitende verteilen ließen. Aufgaben wie Erziehung, Pflege oder Hauswirtschaft, die traditionell von Frauen übernommen wurden, sind heute zwar zum Teil professionalisiert, aber sie werden noch immer nicht wirklich als Vollzeitarbeit verstanden, die das Einkommen einer Familie sichern muss. Beziehungs- und Zuwendungsarbeit werden – nicht nur in den traditionellen „Frauenberufen“ – noch immer weniger wertgeschätzt als technische Berufe. Zugleich wachsen die Anforderungen an Effektivität und Wirtschaftlichkeit und auch die Ausbildungsanforderungen. Bei gleichbleibenden oder sinkenden Budgets kommt es so zu einer zunehmenden Spreizung von Qualifikationen und Einkommen. Einfache Tätigkeiten werden outgesourcet, Fachdienste oft teuer eingekauft und Mitarbeitende ohne weitere Zusatzqualifikationen möglichst flexibel eingesetzt. Die Beziehungen geraten in Zerreißproben und werden brüchig. Die Zeit – in sozialen Diensten das teuerste Gut – wird knapp und so werden die „Resonanzflächen“ geringer und die Möglichkeiten, sich einzufühlen und Feedback im Alltag aufzunehmen, schwinden. Der Umgang mit diesen Bedingungen fordert Reflexion und Verantwortung – gerade auf der Führungsebene.

Denn Führung macht den Unterschied. Diakonische Unternehmenskultur gestalten heißt, sich ganz bewusst mit Spannungsfeldern auseinanderzusetzen. Zwischen Werten und Preisen, zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, zwischen unterschiedlichen Interessen von Hilfebedürftigen und Helfern – aber auch zwischen Herkommen und neuen Herausforderungen. Wir müssen Arbeitsprozesse planen – aber wir dürfen dabei nicht vergessen, dass der Umgang mit Zeit nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine soziale und eine geistliche Dimension hat. Ein Unternehmen braucht Qualitätsstandards und Managementprozesse, aber wir dürfen nicht vergessen, dass gerade die lebendige Verschiedenheit innovatives Potenzial hat. Die Einzelnen brauchen eigenverantwortliche Spielräume – und gleichwohl geht es um eine gemeinsame Kultur. Diakonische Unternehmen folgen der Leitidee einer Dienstgemeinschaft und müssen sich zugleich mit der Spaltung von Kern- und Servicebereichen auseinandersetzen. Lauter Spannungsfelder. Eines der wichtigsten: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Diakonie wollen auch selbst etwas von dem spüren, was die Marke verheißt. Zugleich gilt das Umgekehrte: Eigene diakonische Erfahrungen können zur Kraftquelle werden.

2. Beispiele für Vortragstitel

  • Diakonische Unternehmenskultur gestalten
  • Gemeinschaft, Wirtschaft und Gesellschaft – Zur Bedeutung der Diakonie für die soziale Verantwortung
  • Werte, Führung, Kultur: Profilpflege und -entwicklung in unseren diakonischen Einrichtungen

3. Mein Erfahrungshintergrund

Leitungserfahrung und die Erfahrung mit Veränderungsprozessen bringe ich aus ganz unterschiedlichen Organisationen mit – vom Wohlfahrtsverband über die kirchliche Verwaltung bis zum diakonischen Unternehmen. In den Jahren 1998 bis 2004 war ich Vorstand der Kaiserswerther Diakonie, eines diakonischen Komplexunternehmens mit über zweitausend Mitarbeitenden sowie Schulen und Fortbildungseinrichtungen. Daneben war und bin ich in verschiedenen Verwaltungsräten und Kuratorien für die Entwicklung diakonischer Unternehmen mit verantwortlich.

4. Mein Buch zum Thema und weitere Publikationen

In meinen Büchern „Die Seele des Sozialen“ (2013) und „Aufbrüche in Umbrüchen“ (2016) habe ich mich mit den Changeprozessen in der Diakonie und ihren Konsequenzen für das Führungsverhalten beschäftigt.

„Müssen Sozialunternehmen sinnstiftend sein“ in: Gerhard Gäbler, Roland Steidl (Hg.), Soziale Strategien für morgen, Otto Müller Verlag, Salzburg und Wien 2015

„Mitten ins Herz – Führungskräfte in der Diakonie“ in: Psychotherapie und Seelsorge, September 2014

„Öffnen und Bewahren. Diakonische Unternehmenskultur neu denken“, epd-sozial Nr. 46, 2012