Newsletter Nr. 06/November 2016

THEMENÜBERSICHT IN DIESEM NEWSLETTER:
VON GUTEN ORTEN ★ CARING COMMUNITYS BUNDESTEILHABEGESETZ ★  DIAKONISCHE GEMEINSCHAFTSTRADITION SYMPHONIE, POWERPLAY ODER DRAMA ★ AUFBRUCHSENERGIEN

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1Von guten Orten

Die kalte Jahreszeit hat begonnen. Die schlimme Jahreszeit für Menschen, die keine Wohnung (mehr) haben. Die Bahnhofs-mission am Berliner Bahnhof Zoo ist dann ein besonders wichtiger Ort. Dorthin kann man kommen, um etwas zu essen zu bekommen und eine Weile im Warmen zu sitzen. Im Hygienebereich kann man duschen und sich auch die Haare schneiden lassen. Wenn Dieter Puhl, der Leiter der Einrichtung, durch die Räume führt und erklärt, wer hier was gespendet hat, dann wird deutlich, dass hinter diesem Angebot ein großes Netzwerk steht: Eine alte Dame ist der Einrichtung seit Jahren verbunden und spendet Schlafsäcke. Geschäfte und Privatpersonen bringen Essen und Kleidung. Die Bundesbahn hat den Duschraum mit finanziert. Dieter Puhl hat auch online ein Netzwerk errichtet und fragt dort, ob jemand Lust hat, für den Kältebus etwas zu kochen oder zu backen. Und regelmäßig postet er, wenn einer, der auf der Straße gelebt hat, gestorben ist. Und erinnert an sein Leben und seine Persönlichkeit. Die ehrenamtlichen Mitarbeitenden berichten von der guten Atmosphäre, die auch ihnen selbst gute Laune und ein Gefühl des Aufgehobenseins verschafft.

Auch in der Zehlendorfer Diakonie, der ich als stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrats besonders verbunden bin, gibt es in diesem Winter einen Zufluchtsort vor der Kälte: Zwischen dem 2. Januar und dem 31. März werden auf dem schönen Gelände Übernachtungsmöglichkeiten für neun Frauen bereitgehalten, dazu Duschmöglichkeiten, Abendessen und Frühstück, Beratungsleistungen nach Bedarf sowie Ausgabe von Kleidung, Hygieneartikeln und Bettwäsche. Es ist eines der Angebote von milaa, einer Tochtergesellschaft des Diakonievereins Zehlendorf. Der Name steht für „miteinander leben, aber anders“. „Soziale Notlagen können über Nacht entstehen. Unser Anliegen ist es, Wohnungslosigkeit zu vermeiden und Zukunft zu gestalten“, sagt Jeanne Grabner, die Leiterin. Ihr geht es darum, den Menschen „ihre Selbstverantwortung und Selbstständigkeit zurückzugeben und Eigeninitiative zu wecken“. Neben dem Einsatz für Obdachlose engagiert sich milaa in der Jugendhilfe und für Flüchtlinge. Die Arbeit lebt nicht zuletzt von Menschen, die sich freiwillig mit ihrer Zeit und ihrer Zuwendung oder mit Spenden einbringen. – Die Anlaufstelle am Bahnhof Zoo wie die Projekte von milaa: gute Orte für ein menschlicheres Miteinander.

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schaeferhof… gutes Miteinander, Sorge füreinander: Caring Communitys

Caring Communitys sind zurzeit ein hochaktuelles Thema. Bei einem Fachtag der Wohnungslosenhilfe der Diakonie in Schleswig-Holstein im Schäferhof in Appen ging es um Das Zusammenspiel von Caring Communitys und stationären Einrichtungen, so der Titel meines Vortrags. Der Schäferhof selbst ist ein großartiges Beispiel. Dort gibt es einen Reiterhof, ein Hofcafé und auch einen Friedhof für Wohnungslose. Wer mehr darüber wissen will, findet in meinem Blog „Kraftorte“ ein Interview mit dem Leiter Rainer Adomat. Aber auch bei meinen Vorträgen zum Thema Alternde Gesellschaft (z. B. im Pfarrkonvent Mönchengladbach-Neuss) oder zum Thema Inklusion (am 22.11. im Pfarrkonvent Westhamburg/Südschleswig-Holstein) ging und geht es um sorgende Gemeinschaften – besonders aber um die Kirchengemeinde als „Dritten Ort“. Denn Gemeindehäuser können zentrale Plattformen im Wohnviertel sein, wo sich Ehrenamtliche mit Hauptamtlichen, diakonische Dienste mit Wohngemeinschaften und Mehrgenerationenhäusern vernetzen.

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teilhabe_300Dazugehören! Der schwierige Weg zu einem gerechten Bundesteilhabegesetz

Auch das neue Bundesteilhabegesetz soll die Bedingungen verbessern, damit jede und jeder Teil der Gemeinschaft sein kann. Im Dezember 2008 hatte die damalige Bundesregierung die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 ratifiziert. Sie stellt fest, „dass alle Menschenrechte und Grundfreiheiten allgemein gültig und unteilbar sind, einander bedingen und miteinander verknüpft sind und dass Menschen mit Behinderungen der volle Genuss dieser Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung garantiert werden muss“. Das geplante Bundesteilhabegesetz soll die sogenannte Eingliederungshilfe, also Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft effizienter, nutzerfreundlicher und zugänglicher gestalten. Der bisherige Entwurf des Bundessozialministeriums ist jedoch bei der Anhörung am 7. November in Berlin auf heftige Kritik gestoßen. Die 12. Synode der EKD hat diese Kritik aufgenommen und verweist dabei auf die EKD-Denkschrift „Es ist normal, verschieden zu sein“, die ich als Geschäftsführerin der Ad-hoc-Kommission mit erarbeiten durfte. Die christliche Kirche, heißt es in der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, ist eine Gemeinde von (Schwestern und) Brüdern, in der weder Hierarchien noch Herkommen oder Begabungsunterschiede, schon gar nicht körperliche oder mentale Beeinträchtigungen eine entscheidende Rolle spielen sollen. Denn die „Kirche aller“ ist schließlich die Gemeinschaft um den Gekreuzigten, der Menschen mit Krankheiten und Behinderungen in die Gemeinschaft zurückholte.

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schwester… und die – bedrohten und erneuerten – Ressourcen der diakonischen Gemeinschaftstradition

Wie wesentlich die heilenden Kräfte der Gemeinschaft, die Zusammenarbeit von Sorgestrukturen und sorgenden Gemeinden in der Diakonie sind, das zeigt die Tradition der Mutterhäuser und Bruderhäuser. Noch heute gibt es in vielen diakonischen Unternehmen Gemeinschaften von Schwestern und Brüdern: vom Rauhen Haus in Hamburg bis zu den Von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, von den Schwesternschaften des Zehlendorfer Verbandes bis zur Diakonie Neuendettelsau. Sie alle stehen vor großen Herausforderungen angesichts der Ökonomisierung sozialer Arbeit, die beispielsweise auch Fusionen mit ganz anderen Trägern notwendig macht. So wie die alten Mutterhäuser nach ihrer neuen Gestalt suchen und sich beispielsweise zu Hotels und Tagungshäusern wandeln, ziehen viele Gemeinschaften neue Interessentinnen und Interessenten an. Junge Leute, die hier einen ganz anderen Weg suchen, aber auch Männer und Frauen in der Mitte des Lebens, die über die Fachlichkeit hinaus an Begegnungen auf Augenhöhe und am Auffrischen ihrer Berufung interessiert sind. Diese Gemeinschaften bieten diakonische Bildungsangebote zu Themen wie Spiritualität und Ethik, geistliche Begleitung, aber auch Vernetzung in die Stadtteile – so wie die Kaiserswerther Schwesternschaft, die Anfang November den 15. Jahrestag ihrer Zusammenführung und Neugründung feierte (Foto oben Gudrun Schwenck, Gudrun Zimmermann und Bettina Alzner bei einer Präsentation). Mit ihren Ritualen, den älter gewordenen und jetzt ehrenamtlich tätigen Mitgliedern und der Verwurzelung in der Tradition werden sie zudem zu Mittlerinnen: zwischen Unternehmen, Angehörigen und Zivilgesellschaft, zwischen Kirche und Diakonie. Bei mehr als zehn Vortragsveranstaltungen in diakonischen Gemeinschaften unter anderem in Schwäbisch Hall, in Speyer, Braunschweig und Niesky habe ich in diesem Jahr die unterschiedlichsten Projekte kennenlernen dürfen. Jedes Mal war ich beeindruckt von der Energie und sozialen Kompetenz, die auch bei den alt gewordenen Gemeinschaften spürbar wird. Auch wo wir mit der Mitarbeiterschaft über die Veränderungen der Arbeitswelt nachgedacht haben wie in Speyer („Zwischen Stress, Selbstsorge und Sinnsuche – Wofür arbeiten wir eigentlich“), waren die älter gewordenen Schwestern mit ihrer Erfahrung und ihrem Rat aktiv beteiligt. Wie sich in den letzten hundert Jahren die Herausforderungen und das Profil der Gemeinschaften in der Pflege verändert haben, dazu mehr in meinem Vortrag zum 100jährigen Jubiläum des Zehlendorfer Verbands.

Weitere Themen und Termine meiner Vorträge und Seminare finden Sie auf meiner Webseite www.seele-und-sorge.de.

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3Symphonie, Drama oder Powerplay?

Ein Buch über das Ehrenamt in der Kirche

Ehrenamtliches Engagement ist ein wichtiger Mosaikstein in den beschriebenen Caring Communitys. Die Kirche gehört nach wie vor zu dessen bedeutendsten Trägern. Aber mit dem gesellschaftlichen Wandel ändern sich auch die Biografien, die Kompetenzen und Erwartungen der ehrenamtlich Engagierten, während zugleich die Ressourcen der Kirchen schwinden. Das führt immer wieder zu Spannungen im Verhältnis von Haupt- und Ehrenamtlichen, die beide viel Herzblut, Kompetenz und Erfahrung einbringen, aber auch entsprechend Wertschätzung, Entscheidungsspielräume und klare Strukturen voneinander erwarten. In einem Buch, das ich gerade mit Beate Hofmann herausgebe, stellen Autorinnen und Autoren aus den Bereichen Kirche, Politik und Wissenschaft und natürlich Aktive vor Ort Studien, Projekte und Konzepte für das Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen in der Kirche vor. Zu Wort kommen Expertinnen und Experten aus der Kirche selbst wie die Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer, aber auch Autoren aus anderen Feldern, etwa der Vorsitzende der Ehrenamtskommission der Bundesregierung, Thomas Klie, oder Ansgar Klein, der Geschäftsführer des BBE. Neben organisatorischen und psychologischen Aspekten eines guten Miteinanders geht es beispielsweise in Artikeln von Eberhard Hauschildt und Barbara Hanusa um die Ämterfrage oder die Spiritualität im Ehrenamt, die dringend auch theologisch weiter bearbeitet werden müssen – aber auch um kreative Vorschläge, die Zusammenarbeit fantasievoller, vielleicht auch spielerischer zu gestalten.„Symphonie – Drama – Powerplay: Zum Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamt in der Kirche“ erscheint im Frühjahr bei Kohlhammer.

Mein gerade erschienenes Buch Aufbrüche in Umbrüchen  konnte ich im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse in einem sehr lebendigen Gespräch mit Benjamin Lassiwe vorstellen. Eine erste Rezension ist schon in Form eines Blogs erschienen. Maria Al-Mana beschreibt, Wie ein Buch mit einem Titel wie Aufbrüche in Umbrüchen – Christsein und Kirche in der Transformation auch noch trösten kann – vielen Dank!

Sollten Sie neugierig geworden sein: Hier können Sie das Buch bestellen. Auf Wunsch stehe auch gern für Lesungen zur Verfügung.

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aufbruch_250Aufbruchsenergien

In Dunkel und Kälte des Winters liegt auch ein Anfang. Mit dem Warten auf die Ankunft Jesu beginnt am ersten Advent das neue Kirchenjahr. Auf einen neuen Anfang gerade da zu setzen, wo er am wenigsten wahrscheinlich wirkt – das macht für mich einen Kern unseres Glaubens aus. Das Geschehen in der Christnacht gibt Hoffnung: Wir alle können aufbrechen und etwas verändern. In der Aufbruchsenergietankstelle von Seele & Sorge erzählen Menschen, wie sie es unternommen haben, einen alten Weg zu verlassen, um eine Vision zu verwirklichen. Lassen Sie sich anstecken – und teilen Sie Ihre Geschichte mit uns.

Für das Aufwachen am ersten Morgen des neuen Jahrs habe ich noch einen Hörtipp, der vielleicht auch einen Aufbruchsimpuls geben kann: Die von mir gestaltete Sendung „Am Sonntagmorgen“ im Deutschlandfunk steht unter dem Titel „Ich schenke euch ein neues Herz …“Was die Kirche zum gesellschaftlichen Wandel beitragen kann“ (1. Januar 2017, 8:35 Uhr, DLF).

 

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Advent: in guter Gemeinschaft und mit viel Aufbruchsenergie

Herzlich

Ihre Cornelia Coenen-Marx

 

pilger_150P. S.: Viele von Ihnen haben sich für mein Angebot der diakonischen Pilgerreisen interessiert. Doch scheint den meisten die Fortbildung zu lang zu sein. Wir arbeiten daher an einer strafferen Konzeption für die Fortbildungen. Es geht darum, die überlieferte Energie diakonischer Orte und zugleich aktuelle Beispiele von Best Practice zu nutzen, um Führungskräften in den Bereichen Pflege, Altern und Armut neue Impulse zu geben: durch das Erkennen von strukturellen Bedingungen, durch das Beispiel kreativer Konzepte und im Wiederfinden der eigenen Motivation. Wir werden Sie über unsere Website Seele & Sorge, aber auch über die Facebookseite Seele & Sorge informieren.